4 Monate nach Kriegsbeginn

Der eigentliche Irak-Krieg verdient nur noch ein Vorwort: Hier muss ich zugeben, dass Bush weitgehend recht und die Friedensbewegung Unrecht hatte. Der Krieg war schnell aus (wenngleich ich es weiterhin überraschend finde, dass er sich im Süden lange hinzog und in Bagdad dann relativ schnell ging), es gab relativ wenig Tote, der Nahe Osten brannte nicht und es gab keine grossen Flüchtlingsströme.

Aber danach?

Irak:
Chaos, immer noch. Mehr US-Tote als im zweiten Golfkrieg. Mehr Irak-Tote als im zweiten Golfkrieg? Weiss ich nicht, möglich. Guerillakrieg, wie selbst ein US-General erklärt. Also immer noch Krieg.
Dabei sind das nur vereinzelte Anschläge. Sicherlich manche organisiert, aber wohl nicht alle. Oft wird es auch einfach nur um die Verteidigung der „Familienehre“ gehen. Waffen und Verzweiflung gibt es ja genug. Und auch Prediger, die zum Widerstand aufrufen.
Dennoch scheint es mir gut möglich, dass dies noch zunimmt. Der Widerstand erst eine erste Drohung ist. Aber schon damit werden die USA nicht fertig.
Die Unzufriedenheit der Bevölkerung steigt. Jedes innerirakische Problem wird nun den USA in die Schuhe geschoben. Oft können sie sicherlich auch etwas (oder viel) dazu, aber wohl nicht immer. Egal. Der Sündenbock für alle Probleme ist gefunden.
Ich sehe keine Möglichkeit wie die USA ohne Gesichtsverlust aus dieser Bredouille wieder raus wollen. Sie haben den Krieg gewonnen und den Frieden verloren. Hier hatte die Friedensbewegung recht.

Iran:
Ironie der Geschichte. Verlieren die USA, verlieren die Mullahs. Noch können sie sich mit dem Blick der US-Bedrohung aus dem Irak halten. Zwar einer unmöglichen, denn die USA haben nicht die Kraft, wie nun deutlich wird, auch noch den Iran überfallen, aber man kann ihn dem Volk dennoch ausmalen.
Sollten die USA aber wirklich aus dem Irak abziehen, die Schiiten dort die Macht übernehmen, dann dürfte die Angst der iranischen Bevölkerung ab- und ihr Zutrauen, selbst ihre Despoten abzuschütteln, zunehmen.

Saudi-Arabien, Syrien, Ägypten etc.:
Kurz nach dem Krieg hiess es: nun haben die Despoten Angst, als nächstes dranzukommen. Durch diesen erfolgreichen Krieg kann der Nahe Osten demokratisiert werden.
Syrien? Dort hat man sich mal kurz geduckt, kann aber nun wieder hervorkommen. Ein Überfall der USA auf Syrien ist nicht mehr denkbar. Auch kein Embargo oder so. Hat der beste US-Verbündete Blair schon auf dem Hochgefühl der Macht der Koalition ausgeschlossen. Nun wird sich dies mit Sicherheit nicht verändert haben.
Saudi-Arabien? Die USA brauchen das Öl. Und wenn sie den Irak nicht wirklich befrieden, d.h. langfristig erobern können, bleiben sie um so stärker von Saudi-Arabien abhängig.
Ägypten? Im „Spiegel“ ist in dieser Woche zu lesen, dass eine zwölfköpfige US-Delegation „die ägyptische Staatsführung um politische und militärische Entlastungshilfe für die bedrängten amerikanischen Besatzungsbehörden zu bitten. Das Ansinnen der wortkargen US-Gäste stößt auf wenig Gegenliebe. Ägypten sei nicht bereit, sich in irgendeiner Form an der verworrenen Irak-Politik Washingtons zu beteiligen und sich durch proamerikanische militärische Unterstützungsaktionen in der arabischen WElt den Vorwurf der Kollaboration mit der Bush-Administration einzuhandeln.“ Dies also der treueste arabische Freund der USA. Noch vor wenigen Wochen hätte man kaum geglaubt, dass ein Land so deutlich und unerschrocken reagieren kann. Die Welt sieht, dass die USA kraftlos sind. Oder gibt es eine Abstrafungsaktion der USA gegen Ägypten? Nein.

Türkei:
Der Verlierer. Die Kurden werden mächtiger, geschützt von den USA. Sie erhalten Waffen. Die Türken müssen sich aus dem Nordirak verabschieden oder zumindest Ruhe geben. Sonst werden die türkischen Soldaten verhaftet. Was soll die Türkei machen? Auf die GI schiessen. So weit ist es noch nicht. Da hat man doch noch Respekt vor der US-Armee.
Sollten aber die USA Irak verlassen (müssen), ist alles offen. Gibt es dann einen starken Mann, der auch die Kurden einbindet? Gibt es ein Chaos und eine Dreiteilung des Iraks mit Nordirak an die Kurden?
Sicher ist dann nur eins: die Kurden werden die Waffen behalten und stark sein, wie nie zuvor. Kommt es zur Abrechnung Türkei-Kurden bevor die Kurden noch stärker werden? Oder schickt die Türkei dann die mit ihnen verbündeten Tadschiken gegen die Kurden ins Rennen? Das halte ich noch für völlig offen.

Israel:
Wenigstens hier der Weg zum Frieden? Schön wäre es. Glaube ich aber kaum. Hamas etc. können jederzeit wieder losbomben, wenn sie wollen. Sharon kann, wenn er will, sofort die Schrauben anziehen. Der Zaun wird weitergebaut. Mit den Siedlern wird er sich kaum ernsthaft anlegen wollen.
Eine gemeinsame Politik USA, EU, Russland, UNO scheint es weiterhin nicht zu geben. Und bald ist US-Wahlkampf. Da weiss Scharon, dass in dieser Zeit die USA keinen Druck auf ihn ausüben kann. Warum sollte er in dieser Zeit schmerzhafte Kompromisse eingehen?

Italien, Spanien, Polen:
Die US-unterstützende Politik hat sich nicht ausgezahlt. Die regierenden Politiker sind beschädigt. Sollten Polen im Irak umkommen (Italiener, Spanier sind dort ja nicht), gerät die Regierung wohl ernsthaft in Schwierigkeiten.
Dabei bezahlt die USA ja den Polen den Einsatz. Und diese Regierungschef hoffen etwas vom Kuchen abzubekommen. Nur dazu müssten die USA erst einmal Ruhe im Irak haben, um wirklich die Beute verteilen zu können. Danach sieht es nun wirklich nicht aus.

Großbritannien:
Spätestens seit heute abend ist Blair in ernsthafte Schwierigkeiten, wenn nicht gar schon erledigt. Obgleich man Blair als Machtmensch nicht unterschätzen sollte. Es scheint wohl eher Selbstmord von Kelly zu sein, aber dann wohl aufgrund der falschen Vorwürfe. Blair hat Kelly in den Tod getrieben. Wird zumindest behauptet werden, ob richtig oder nicht. Oder der Geheimdienst hat ihn umbringen lassen.
Und wenn Blair aufgrund der Irak-Politik gestürzt wird, muss sein Nachfolger eine andere Irak-Politik machen. Und diese muss dann von den USA sich emanzipieren.

Frankreich, Deutschland:
Die Gewinner. Die USA jammern ja schon: „Bitte, bitte helft uns. Bitte solidarisiert euch mit uns und lasst auch einige eurer Soldaten töten.“ Frankreich und Deutschland sagen cool: „Nö.“
So weit, dass die USA sich der UNO unterordnen sind wir nicht, werden wir nie sein. Dieses Gesicht will Bush nicht verlieren. Chirac und Schröder wissen das. Aber mit diesem Argument halten sie die UNO im Spiel und ihre Soldaten draussen. Mögliche Kompensationsgeschäfte („Wir schicken ein paar Sanitäter in den Irak, wenn ihr folgendes macht…“) sind möglich. Die USA hängen an der Angel von Frankreich und Deutschland.

USA:
Vor zwei Jahren versprach Bush noch einen Überschuss von über 300 Mrd. $ für 2003. Nun sind es 400 Mrd. $ Miese. Die Wirtschaft kommt nicht in Schwung. Die Steuergeschenke an die Reichen nicht an. Die Demokraten fangen sich und opponieren. Die US-Toten im Irak beginnen die Amerikaner zu nerven. Bush hat seine Zusage („Der Krieg ist aus“) nicht gehalten. Saddam, bin Laden, Massenvernichtungswaffen werden nicht gefunden.
Der Erfolg der Politik ist nicht zu erkennen.
Dennoch hat Bush noch eine Chance: Es beginnen die Vorwahlen. Der Kandidat der Republikaner ist klar: Bush. Dort gibt es keine Vorwahlen und somit keinen innerparteilichen Streit. Der Kandidat der Demokraten ist unklar. Dort gibt es Vorwahlen und innerparteilichen Streit. Denn vorerst müssen sich die Demokraten gegeneinander profilieren. Das kann und wird Bush nutzen. Und wenn die Vorwahlen zu Ende sind, kann die Welt wieder anders aussehen. Das jedenfalls ist Bushs Chance. Seine letzte.

Hervorragend überlegt…
dazu aber eines:
wenn Die USA ein neues Vietnam im Irak erleben, und wenn sie dieses Irakvietnam genauso verlassen müssen, dann wird es ein riesiges Blutbad geben. Die Iraker werden an den Kurden blutiger Rache nehmen. Was den Türken natürlich recht angenehme ist. Könnte sogar sein, dass sie dann gleich das Problem im eigenem Land beseitigen.
Ob Saddam wirklich ausgespielt hat…?
Grüße
Raimund

* (o.w.T.)

Moin Raimund,

wenn Die USA ein neues Vietnam im Irak erleben, und wenn sie
dieses Irakvietnam genauso verlassen müssen, dann wird es ein
riesiges Blutbad geben. Die Iraker werden an den Kurden
blutiger Rache nehmen. Was den Türken natürlich recht
angenehme ist. Könnte sogar sein, dass sie dann gleich das
Problem im eigenem Land beseitigen.

Interessanter (und beänstigender) Gedanke. Daran habe ich noch nicht gedacht. Glaube ich zwar nicht. Ich sehe nicht, dass viele Schiiten und Sunniten, nachdem sie die USA rausgeschmissen haben (was ja nur mit vielen Toten möglich sein wird, so leicht wird dies nicht sein), dann noch die Kurden angreifen. Ich denke, dann wollen erst einmal die Leute Ruhe haben.

Aber das kann ich nicht wirklich ausschliessen.

Ob Saddam wirklich ausgespielt hat…?

Da bin ich mir sicher (soweit ich mir da sicher sein kann, ich bin ja kein Hellseher). Schiiten und Kurden wollen Hussein sicherlich nicht zurück haben. Und auch viele Sunniten nicht. Er kann vielleicht noch viele Leute aufgrund des Hasses gegen die USA vereinigen (obwohl ich mir nicht sicher sind, ob wirklich Hussein viele Anschläge organisiert. Es gibt hierfür nicht den geringsten Hinweis, nur Behauptungen der USA. Und dass dies nicht unbedingt glaubwürdig ist, wissen wir beide. Zumal Hussein natürlich ein guter Sündenbock ist. Sonst müssten die USA ja sagen, dass die irakische Bevölkerung gegen die USA vorgeht. Ein paar Verblendete Hussein-Anhänger klingt besser.) Aber ich sehe keine grosse Gruppe im Irak, die wieder unter Hussein leben möchte.

Ciao

Ralf

Es fehlt noch Russland:

Putin steht mehr noch als Deutschland und Frankreich auf der Gewinnerseite. Er hat das Kunststück fertiggebracht genug gegen den Irak-Krieg zu opponieren um innen- und außenpolitisch Punkte zu machen, aber nicht genug um das russisch-amerikanische Verhältnis dauerhaft zu belasten.

Moin,

Richtig. Heute lese ich im SPIEGEL:
„Dank seiner guten Kontakte in Moskau … gehe er (Romano Prodi) davon aus, dass Russland demnächst seine gesamten Erdöl- und Gasexporte in die EU nicht mehr in US-Dollar abrechnen wolle, sondern in Euro. Putin wolle die Anbindung an die EU drastisch ausbauen.“

„Die Unterstützerfront für die USA in den östlichen EU-Beitrittsstaaten bröckelt, weil sich deren Regierungen in Washington keine nenneswerten Vorteile, bei den EU-Altlasten aber viel Ärger eingehandelt haben. Entzaubert sind die Amerikaner auch durch ihr offensichtliches Unvermögen, der Probleme in Afghanistan wie im Irak Herr zu werden. Die Abweichler wollen dabei sein, wenn die Union sich jetzt langsam, aber stetig militärische Fähigkeiten zulegt und in der Weltpolitik mitzureden anschickt.“

Ciao

Ralf

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hallo Ralf,
Polen fühlt sich zwar im Moment als Weltmacht (gestern im TV), doch haben die inzwischen auch gemerkt, dass sie nur Nachteile an dem Irakabenteuer haben.
Und die Ungarn? Die tippen sich an die Stirn, wenn sie das Wort Polen hören.
Grüße
Raimund