Aus der gettoattack-Mailingliste (http://www.t0.or.at/gettoattack)
Ein Appell zur Vernunft!
Auch wir wollen zur Vernunft zurückkehren - entsprechend dem Aufruf von Gottfried Pfaffenberger in einer bezahlten Anzeige im „Standard“ vom 2. März 2000 - und
„einfach die Wahrheit sagen“:
- „Haider ist kein zweiter Hitler.“ Haider ist Haider - und das ist schlimm genug. Daß ihn manche mit Hitler verwechseln, ist ein Problem, mit dem er selbst fertig werden
muß. Wir sind es leid, irgend jemandem erklären zu müssen, wer oder was Haider ist. - „Österreich ist kein Naziland.“ Das hat auch kaum jemand behauptet. Doch es ist eines gewesen, und viele ÖsterreicherInnen verhalten sich so, als ob sie das nicht
wüßten. - „Österreich ist nicht fremdenfeindlich, hat es doch, gemessen an seiner Einwohnerzahl einen der höchsten Ausländeranteile aller EU-Staaten.“ Und Südafrika war
niemals rassistisch, weil sein Anteil an Schwarzafrikanern so hoch ist? Die Zahl der in Österreich lebenden AusländerInnen läßt keinen Rückschluß auf das Verhältnis zu,
das die übrigen EinwohnerInnen zu ihnen haben. - „In Österreich werden weder ethnische noch religiöse Minderheiten verfolgt. Jetzt nicht und in Zukunft auch nicht.“ Was in Zukunft geschehen wird, wissen wir nicht.
Doch schon bisher haben sich gewalttätige Übergriffe der Polizei bevorzugt gegen ethnische Minderheiten gerichtet. In der „Kronen Zeitung“ hat Österreich nicht nur die
im Verhältnis größte Tageszeitung der Welt, sondern auch ein Blatt, das eine offene rassistische und antisemitische Hetze betreibt. Und in der FPÖ hat Österreich nicht
nur eine große Partei, sondern auch eine Partei, die ihre erfolgreichen Wahlkämpfe und ihre politische Arbeit zum Teil mit rassistischen Parolen bestritten hat. - „Österreich ist eines der wenigen europäischen Länder, in dem es keine gewalttätigen Ausschreitungen rechtsradikaler Gruppen gibt.“ In Österreich sitzen
Angehörige einer rechtsextremen Partei in der Regierung, und zahlreiche rechtsradikale Gruppen wissen sich durch diese Partei in den Gemeinden, in den Ländern und
im Bundesstaat offenbar zufriedenstellend vertreten. Die gewalttätigen Übergriffe besorgt in Österreich die Polizei. Dennoch hat es vereinzelt auch gewalttätige
Ausschreitungen rechtsradikaler Gruppen gegeben. Österreich ist das einzige europäische Land, in dem es ein rechtsradikaler Fanatiker geschafft hat, monatelang
Angehörige von ethnischen Minderheiten und deren tatsächliche und vermeintliche Sympathisanten mittels Briefbomben und Sprengfallen zu terrorisieren. - „Österreicher haben enorme Spendengelder für Asylanten und Katastrophengeschädigte aufgebracht.“ Ja, aber unter der Voraussetzung, daß diese Asylsuchenden
nicht in Österreich um Asyl ansuchen sollen und daß diese Katastrophen „im eigenen Land“ - also im fremden - bewältigt werden. - „Die derzeitige Regierung verhält sich absolut EU-konform. Österreich ist Nettozahler in der EU und berechtigt bei allen EU-Entscheidungen mitzuwirken.“ Die
Konformität ist jetzt schon brüchig: wenn das Regierungsprogramm den EU-Beitritt einzelner osteuropäischer Staaten mit der Forderung nach der Entschädigung von
Vertriebenen verknüpft, wenn die FPÖ aktuelle Wahlkämpfe mit der generellen Ablehnung der EU-Osterweiterung bestreitet, wenn Mitglieder der Bundesregierung und
Vertreter der Regierungsparteien durch die Androhung eines Entscheidungsboykotts in den EU-Gremien Österreichs Partner zu erpressen versuchen, wenn
hochrangige Vertreter der FPÖ Österreichs Austritt aus der EU betreiben wollen… Wer mitzahlt schafft (mit-)an? Die Mitwirkung an Entscheidungen in der EU hängt
nicht von der Art und der Höhe der Beitragsleistungen ab. - „Österreich ist trotz seines Beitritts zur EU noch immer ein souveräner Staat, der seine Regierung demokratisch und ohne Einmischung von außen bilden kann.“ Die
Souveränität im Sinne des alten Völkerrechts ist ein zum Teil überholtes Konzept - nicht nur im Binnenverhältnis der EU-Mitgliedsstaaten, sondern auch im bilateralen
und multilateralen Verhältnis der internationalen Staatengemeinschaft. Wenn in letzterem die Unterscheidung von innen und außen - aufgrund internationaler Verträge
und faktischer politischer und militärischer Verhältnisse - nicht nur in Menschenrechtsangelegenheiten fraglich geworden ist, dann ist sie in ersterem auf den meisten
gesetzlichen Ebenen überhaupt nicht mehr eindeutig zu treffen. Ein beachtlicher Teil österreichischer Gesetze wird schon jetzt „in Brüssel“ gemacht. - „Verantwortungsbewußte österreichische Staatsbürger wollen, daß Regierung und Opposition auf parlamentarischer Ebene in rationaler Weise agieren und lehnen den
permanenten und emotionalen Zuruf von der Straße ab.“ Verantwortungsbewußte österreichische StaatsbürgerInnen und verantwortungsbewußte BürgerInnen, die
keine österreichischen StaatsbürgerInnen sind, wohl aber in Österreich leben, lieben, arbeiten oder einfach zu Gast sind, wollen, daß Regierung und Opposition auf jeder
Ebene in rationaler Weise agieren. Da die Regierung von sich aus dazu nicht in der Lage ist, gehen sie auf die Straße, um ihr permanent zuzurufen: Agieren sie rational,
treten sie zurück! - „Wer mit der Regierung nicht zufrieden ist, kann sie spätestens in 3 1/2 Jahren abwählen. Das ist Demokratie wie wir sie verstehen.“ Demokratie besteht nicht nur
darin, seine Stimme bei Wahlen abgeben zu dürfen. Demokratie findet in einer aktiven Teilnahme aller BürgerInnen - und nicht nur der wahlberechtigten
StaatsbürgerInnen - am politischen Geschehen in aller Welt statt. Das ist Demokratie, wie wir sie verstehen. Das ist Demokratie, wie sie die österreichische
Bundesverfassung zumindest in Form von Grundrechten garantiert. Und das ist Demokratie, wie sie diesem Land immer noch vielfach fehlt und wie wir sie jetzt
einfordern.
Nur zum Nachdenken
Michael