Abtrennbare Verbpräfixe

Liebe Grammatik-Freaks,

es gibt ja einige Verbpräfixe, die je nach Betonung abtrennbar oder nicht abtrennbar sind:
über laufen - die Milch läuft über
über laufen - da überlief mich ein Schauder

Zu dieser Regel gibt es eine Verfeinerung:
„Bei einigen der mit einem Präfix mit schwankendem Akzent gebildeten Verben wird die Abtrennbarkeit durch Reihung mit einem nachfolgenden nichtabtrennbaren Präfix aufgehoben: überbeanspruchen: du überbeanspruchst.“
http://www.uni-leipzig.de/~rotheh/verbf2.htm

Nun gehört das Präfix an- nicht zu denen, bei denen unterschiedlich Betonung möglich ist:
" durch-, hinter-, über-, um-, unter-, voll-, wider- und wieder-" , auch von obigem Link.
Trotzdem stolpere ich recht häufig über Sätze, in denen an- nicht abgetrennt wird:
Ergebnisse 1 - 10 von ungefähr 188 für „ich anerkenne es“
Ergebnisse 1 - 10 von ungefähr 2.290 für „ich anerkenne dass“
Bei diesen Ergebnissen handelt es sich keineswegs überwiegend um Beiträge von grammatophoben Schreibern in Chats oder Blogs.
Meine Suche mit den Begriffen „abtrennbare (Verb-) Partikel/Präfixe; Vorsilben“ hat mir keine Erklärung dafür gebracht; weiß jemand von Euch eine?

Schönes Wochenende!
Pit

Hallo Pit,

Liebe Grammatik-Freaks,

… da springe ich doch gleich an!

Trotzdem stolpere ich recht häufig über Sätze, in denen
an- nicht abgetrennt wird:
Ergebnisse 1 - 10 von ungefähr 188 für „ich anerkenne es“
Ergebnisse 1 - 10 von ungefähr 2.290 für „ich anerkenne dass“

Diese Diskussion hat ja auch schon mal hier stattgefunden:
http://forum.wordreference.com/showthread.php?t=511132

Diese Unsitte mit dem Nicht-Abtrennen der eigentlich abzutrennenden (weil betonten) Verbvorsilbe „an-“ hat sich irgendwann in die Fachsprache von Diplomaten und Juristen eingeschlichen.

Belege muss man leider häufig in zwischenstaatlichen Vertragstexten lesen.

Ich halte diesen Gebrauch einfach für falsch, auch wenn er vom Duden gedeckt wird.

Gruß Gernot

Liebe Grammatik-Freaks,

… da springe ich doch gleich an!

Also, ich springe bei so einer Anrede dem Anredenden ins Gesicht. :wink:

Hallo, Pit und Gernot,

bei einer kurzen, aber heftigen Recherche fanden sich mindestens drei aus dem juristischen-bürokratischen Bereiche stammenden Verben mit Vorsilben, bei denen trennbare und untrennbare Formen auftreten: auferlegen, zuerkennen, aberkennen, wiederverwerten.

Andere erweisen sich als unbedingt trennbar zu gebrauchende: wiederbeschaffen, zugestehen.

Nochmals andere sind auf keinen Fall trennbar verwendbar: überbewerten, unterbewerten, untervermieden.

Ich bitte wissende Mitleser dies nachzuprüfen und gegebenenfalls zu bestätigen oder zu widerlegen.

Auch wäre es schön, noch mehr einschlägige Belege für diese Phänomene zu finden, um diese obskure Ecke der deutschen Sprache ein wenig mehr zu erleuchten.

Gruß Fritz

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Servus, Fritz,

bei denen trennbare und
untrennbare Formen auftreten: auferlegen, zuerkennen,
aberkennen, wiederverwerten.

wie ist das mit „durch“? Durchatmen ist trennbar, durchsuchen auch, durchqueren nein, durchforschen eher nein, aber erforschen gar nicht. Ermorden wohl auch nicht…sind ermorden und morden eigentlich austauschbar?

„Hinter“ scheint mir immer untrennbar, „über“ wohl auch, „um“ kann man sowohl als auch verwenden - wobei ich das Gefühl habe (jaja, ich weiß, Sprachgefühl…*gg*), dass alles , was bei „um“ mit Bewegung zu tun hat, „trennbarer“ ist und alles, was eher statisch ist, nicht trennbar:
Beispiel: „umleiten“ - ich leite um geht, der Kurs „umfasst“ 2 Semester - aber der Kurs fasst 2 Semester um geht nicht. Und schon bei „umschiffen“ stimmt meine Bewegungstheorie nimmer…*lach*

Regel erkenne ich keine - wer sie findet, möge sie mir erklären!!!

Lieben Gruß aus dem Waldviertel, jenny

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Oh, Jenny,

wenn es einem Deutschlehrer zu gut geht, was zugegebenerweise selten genug vorkommt, dann macht er sich an das Thema:

"Vorsilben, die sowohl trennbar als auch untrennbar sein können.

Regel erkenne ich keine - wer sie findet, möge sie mir erklären!!!

Ich habe dazu ein Regelblatt erstellt, das ich aus mehreren Grammatikbüchern kompiliert habe. Es umfasst (!) drei Blätter und wegen der Formatierung kann ich die hier nich einstellen.

Aber ich kann dir das als Emailanhang schicken, wenn du dir die Mühe machen willst.

Nur als Vorgeschmack:

_2. Bedingungen für Trennbarkeit
Äußeres Merkmal dafür, ob das erste Glied trennbar ist oder nicht, ist die Betonung. Als allgemeine Regel kann gelten, daß betontes erstes Glied trennbar ist, unbetontes erstes Glied dagegen untrennbar ist.
3. Trennbare Verbteile
Betont und somit trennbar sind
ab- an- auf- aus- bei- mit-nach- vor- zu-
da®-, ein-, empor-, fort-, her-, hin-, los-, nieder-, weg-, weiter-, wieder-
Beispiele:
abkürzen, ansehen, au/führen, ausarbeiten, beibringen, mitteilen, nachfragen, vortragen, zuhören
darstellen, einwenden, emportragen, fortsetzen, herstellen, hinrichten, lostrennen, niederreißen, wegnehmen, weiterleiten, wiedersehen :

B Untrennbare Verbteile
Stets unbetont und deshalb untrennbar sind be-, ent-, er-, ver-, zer- und die selteneren ge-, miss-
sowie die Fremdpräfixe:
de(s)-, dis-, in-, re- u. a.
Beispiele:
beachten, befragen, bezahlen
entdecken, entladen, enttäuschen erbauen, ernähren, erziehen
verachten, verheiraten, vertagen zerbrechen, zerfallen, zerstören
gefallen, getrauen, geleiten
misslingen, missachten, misstrauen
dezentralisieren, desorganisieren, disqualifizieren infiltrieren, rekonstruieren

D Trennbar und untrennbar vorkommende Verbteile
Einige erste Glieder kommen sowohl betont und trennbar als auch betont und untrennbar vor. Dazu gehören:
durch-, hinter-, über-, um-, unter-, wider-
[Hierher gehört auch ein Verb mit wieder- als erstem Glied: wiederholen (trennbar) – wiederholen (untrennbar).
Ich habe mir das Buch selbst wiedergeholt.
Ich habe die ganze Lektion wiederholt.]
Entscheidend für die Betonung und Trennbarkeit ist die Semantik d Verben:

  1. In zahlreichen Fällen haben die Verben mit betontem, trennbarem Verbteil (I) konkrete Bedeutung, die Verben mit unbetontem, untrennbare
    Verbteil (2) übertragene (idiomatisierte) Bedeutung:_

Ab hier bricht die Formatierung zusammen. Und der Text wird unverständlich.

Wohlgemerkt: Ich habe einige Absätze aus dem Gesamttext herausgeschnitten.

Also weensd magst!

Gruß Fritz

Grüß dich, Jenny,

nachdem ich an meinem freien Tag etwas mehr Zeit erübrigen kann, versuche ich deine übrigen Fragen zu beantworten.

wie ist das mit „durch“?

„durch“ gehört zu den Halbpräfixen und kommt trennbar und untrennbar vor. Die Grammatik sagt, dass etwa ein Drittel der Verbindungen mit durch untrennbars sind. Diese haben die Bedeutung: durch etwas hindurch. Er hat die ganze Welt durchfahren.

Die trennbaren Bildungen meinen eher, dass etwas bis zum Ende *durchgeführt* wurde. Ich habe das Buch in einer Nacht durchgelesen.

erforschen gar nicht.

"er- ist ein „echtes“ Präfix und daher immer untrennbar.

sind ermorden und morden eigentlich austauschbar?

Weithin ja, im Großen Duden wird unter dem Stichwort „morden“ auch „ermorden“ als seltenere Variante erwähnt. Ist aber wohl subjektiv.

„Hinter“ scheint mir immer untrennbar, „über“ wohl auch,

Da liegst du nicht ganz richtig; beide kommen untrennbar und trennbar vor. „hinter“ ist meist untrennbar und nur in umgangssprachlichen, dialektalen Bildungen, wo es ‚hinunter‘ oder ‚nach hinten‘ bedeutet, ist es trennbar, etwa „hinterschlingen, hinterbringen, hintertragen“.

„um“ kann man sowohl als auch verwenden

Das stimmt!

wobei ich das Gefühl habe (jaja, ich weiß, Sprachgefühl…*gg*)

Jaja, das gute, alte Sprachgefühl! :wink:

dass alles, was bei „um“ mit Bewegung zu tun hat, „trennbarer“ ist und alles, was eher statisch ist, nicht trennbar:

Das stimmt vielleicht in manchen Fällen, aber es ist eher so, dass eine kreis- oder bogenförmige Bewegung um etwas herum die untrennbare Variante erfodert: Er hat die Insel umschifft; den Baum oder den Fußgänger umfahren. Hier ist die Vorsilbe unbetont.

Kommt es aber zu einer Bewegung in die entgegengesetzte Richtung, wie bei „umdrehen, umbiegen, umkehren“, oder zu einer Wendung von innen nach außen, wie „umkrempeln, umwenden“, oder von der Horizontalen in die Vertikale, wie bei: Er hat die Papierblumen umgeschifft (die Sau!) oder den Baum oder den Fußgänger umgefahren. Und hier liegt die Betonung auf der Vorsilbe.

Wenn du es noch ausführlicher haben willst, skänne ich die entsprechenden §§ aus der Duden-Grammatik und schicke sie dir.

Die Duden-Grammatik ist leichter zu handhaben, als die beiden Bücher, deren Link du mir geschickt hast. Sind aber interessante Bücher.
Dankeschön!

Schade, dass außer dir niemand auf das Thema eingestigen ist. Ist wohl zu abgelegen und kompliziert.

Gruß ins Waldviertel
Fritz

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