Wieso ist Deutsch so präfix-fixiert?

Hallo,

im Deutschen sind Wörter zusammengesetzt aus einem Wortstamm und einer Vorsilbe. Paradebeispiele sind verstehen, gestehen, entstehen, bestehen,…
Die Vorsilben ver-, ge-, ent-, be- haben an und für sich ja keine Bedeutung. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu Latein oder Griechisch, wo contra-, anti-, pre-, post-, re-, usw. ja immer die mehr oder weniger gleiche Bedeutung haben.
In meinem Beispiel mit dem Wortstamm „stehen“ hat keines der Wörter etwas mit der Tätigkeit „stehen“ zu tun, und niemand könnte erraten, was verstehen oder gestehen bedeutet, wenn er wüsste was „stehen“ ist.

Nun ist das Deutsche voll von solchen Wörtern, die mit ver-, ge-, ent-, zer- oder be- anfangen, ohne dass es eine Gemeinsamkeit zwischen allen Wörtern gäbe, die z.B. mit ver- anfangen.

Mir sind noch keine anderen Sprachen begegnet, in denen sich dies genauso verhielte. Ist Deutsch hier einzigartig (wahrscheinlich nicht) und wie kam es zu einer solchen Entwicklung?

Tychi

Hi,

alle slawischen Sprachen haben Prä-, Post- und Infixe, die grammatische und / oder lexikalische Bedeutung haben.
Auch die deutschen Vorsilben haben eine Bedeutung, auch wenn sie uns einzeln nicht mehr unbedingt auf den ersten Blick ersichtlich ist (Details mögen hier die Germanisten bringen).

die Franzi

Hallo,
das haben mehr oder weniger alle Sprachen zusammen. Ich werde ein Beispiel vom Griechischen nennen. „Katalabainein“. Labainein ist (etwas) bekommen, „kata“ ist „nach, gemaess, entgegen, dagegen“ und alles zusammen macht „Verstehen“. Das Praefix kann die Bedeutung der Wurzel total aendern. Im Deutschen koennen die Praefizen nicht mehr alleine als Wort stehen, sie haben (beinah) ihre selbststaendige Bedeutung verloren und niemand weiss mehr was „ge“ oder „ver“ bedeutet. Das ist im Latein und Griechischen vorhanden geblieben.
VG, qas

Hallo!

Die Vorsilben ver-, ge-, ent-, be- haben an und für sich ja
keine Bedeutung.

Jein. Die Bedeutung ist in vielen Fällen durch die Lexikalisierung der Derivate über die Jahrhundertte unkenntlich geworden. „verstehen“ ist als Wort bis ins Althicvhdeutsche belegt. Kluge schreibt „Die Ausgangsbedeutung ist offenbar /davor stehen/, doch ist die Präfigierung schon von Anfang an übertragen gebraucht, so daß die Einzelheiten des Bedeutungsüberganges nicht mehr nicht faßbar sind.“

In anderen Fällen ist aber der Bedeutungsanteil durchaus noch zu erkennen:

reißen - zerreißen
schmettern - zerschmettern
schlagen - zerschlagen
stören - zerstören

Das gibt es durchaus auch für ver-, allerdings mit mehreren Bedeutungen:

„falsch machen“
fahren - verfahren
rechnen - verrechnen
sprechen - versprechen

„etwas zu x machen“
filmen - verfilmen
Greis - vergreisen
Eis - vereisen

Viele Präfixe sind aber auch nicht mehr produktiv, d.H. es entstehen keine neuen Ableitungen mehr, sondern die alten werden überliefert. Dabei kaann sich die Bedeutung verändern. Ein schönes Beispiel für ein produktives Präfix st das Bairische /der-/da- , das man in etwa übersetzen könnte mit „durch einen Voprgang zu einem ultimativen Ende zu kommen“:

rennen - darennenen
speiben - daspeiben
reichen - dareichen

Präfixe haben eine zudem häufig eine grammatikalische Bedeutung, zum, Beispiel eine Transivitierung, oder es ändert sich der Genus, der regiert wird, oder sie machen aus einem Substantiv eben erst ein Verb.

Nun ist das Deutsche voll von solchen Wörtern, die mit ver-,
ge-, ent-, zer- oder be- anfangen, ohne dass es eine
Gemeinsamkeit zwischen allen Wörtern gäbe, die z.B. mit ver-
anfangen.

Wie ich oben gezeigt habe, gibt es da durchaus Gemeinsankeitebn, und sie werden in der Sprachwissenschaft auch erforscht. Ich empfehle Dir, dir mal die Fachliterartur zuz Vorsilben wie ver- zu besorgen, das ist ein interessantes und weites Feld. Für den Anfang findest Du eine knappe Einführung in der Duden-Grammatik (7. Auflage) ab Seite 698, speziell ab 702.

Liebe Grüße,
Max