Sterben die Fleischer aus?

Hallo,

Wilhelmshaven (da wohne ich) hat etwa 75.000 Einwohner, aber keine Fleischerei mehr. Auf den Wochenmärkten gibt es Fleischerstände aus der Umgebung, und auch in meinem Gewohnheits-Supermarkt gibt es eine Frischfleisch-Abteilung mit regionalen Produkten (behaupten sie zumindest), so dass meine Fleischeslust nicht ungestillt bleibt.
Gibt es eine ähnliche Erscheinung in anderen Städten?

Ich bin gespannt auf Antorten!
Pit

Hallo!

ich würde es erst einmal nicht glauben, das in einer Mittelstadt mit 75.000 EW kein selbstständiger Schlachter mehr vorhanden sein soll.

Klar gibts ein Schlachter- und Bäckersterben, seit es die Waren auch bei Discountern und in Supermärkten (dort schafft aber auch ein Schlachtermeister, weil vorgeschrieben, nur oft eben nicht selbstständig, gibts aber auch) angeboten werden.

Was komischerweise nicht knapp wird sind Frisöre und Apotheken.

Da hat dann eine Kleinstadt mit gut 12.000 EW noch einen Schlachter, aber 4 Apotheken und gut 8 Frisöre. Und sieben Discounter und Supermärkte.

mfG
duck313

Moin,

also in unserer Stadt (ca 25.000 Einwohner) gibt es einen Fleischer (welcher eigentlich seine „Zentrale“ in einem umliegenden Dorf hat) und dieser hat auch mehrere Filialien. Es ist wohl von Stadt zu Stadt unterschiedlich, vllt. solltest du dich mal informieren, ob es bei euch wirklich keine gibt.

Aber naja, irgendwie ist es ja logisch, dass diese zurückgehen. Man bekommt in Supermärkten gleiches Fleisch für weniger Geld (oder auch viel schlechteres Fleisch für viel weniger Geld) und deshalb geht kaum noch jemand richtig zum Fleischer/Schlachter. Diese haben meist auch als Hauptverdienst, dass sie andere Firmen(Supermärkte, Gasthöfe etc.) beliefern.

MfG

Hallo „gargas“,

so ganz kann ich deinen „Fleischerei-Notstand“ nicht nachvollziehen - Google gibt bei Suchbegriff „Fleischerei Wilhelmshaven“ doch so einige Betriebe aus, deren Web-Auftritt durchaus vertrauenswürdig wirkt…

Zu deiner grundsätzlichen Frage: Hier auf dem Lande (Dorf mit ca. 1100 Einw., nächstgrößere Stadt ca. 12.000 Einw.) in NDS habe ich in 10 km Umkreis mindestens 4 sehr vertrauenswürdige handwerklich geführte Schlachtereien, die für die Qualität ihrer Produkte berühmt sind. Diese haben sich allerdings alle neben der reinen Ladenmetzgerei einen gut gehenden Mittagstisch (auch „Essen auf Rädern“), einen Cateringservice und die Belieferung der Gastronomie im weiteren Umkreis aufgebaut (diese wirbt ihrerseits beim Gast mit der Verwendung von Fleisch und Fleischprodukten aus diesen Quellen).

Nur so - nämlich mit Betonung auf Herkunft und Qualität der Rohstoffe und sehr schmackhafte Be- und Verarbeitung derselben - kann m. E. der mittelständische Handwerksbetrieb den „Großen“ Paroli bieten - auch wenn der Verbraucher einen höheren Preis für die Produkte bezahlen muß (wozu er, wie beim Zulauf an diese Adressen unschwer abzulesen ist, auch gern bereit ist).

Herzliche Grüße

Helmut

Guten Abend gargas,

Dein Beitrag über die fehlenden Fleischereien / Metzgereien in Wilhelmshaven erinnerte uns hier an einen vor Jahren durchgeführten Besuch bei Euch im Rahmen einer Rundfahrt entlang der Nordsee:

Wir wollten nicht in dem Hotel-Restaurant essen und fuhren in die Innenstadt, ein schönes Lokal zu suchen. Zugegeben: wir sind etwas verwöhnt mit Essen (und entsprechenden Weinen).
Wir fragten mehrere Leute auf der Straße, aber niemand konnte uns eine Empfehlung geben. So sind wir dann notgedrungen zurück zum Hotel und haben dann dort das vermutete Fiasko erlebt: der Service war besch…
Ich weiß den Hotel-Namen heute nicht mehr, es lohnte sich aber auch nicht, ihn zu behalten.
Gibt es demnach in Wilhelmshaven nichts Ordentliches zu essen, keinen Fleischer, kein ansprechendes Lokal …?

Seid Ihr dort am Verhungern??

Mit mitleidsvollem Gruß Walter VB

Ei, wärschde dogebliwwe!
Servus,

hier ist es in dem Bereich, der oberhalb von W. Brandenburg liegt, eher andersrum: Zu den eingesessenen Metzgern sind in den letzten Jahren nicht bloß auf dem Markt ein paar neue Quellen (ein selbstvermarktender Jäger aus dem Pfälzerwald und ein selbstvermarktender Putenhalter aus dem Kraichgau) dazugekommen, sondern in einer Passage in der Innenstadt auch eine Art Steak-Boutique mit US-Beef (das kg ab 45 € aufwärts mit ziemlich Luft nach oben) und gleich hier im Nachbarviertel ein hochkarätiger Metzgermeister & gelernter Koch, der außer der Metzgerei einen Partyservice betreibt und daher nicht bloß erfreuliche Kalbsschnitzel, luftgetrockneten Schinken und eine berückende Schwarzwurst usw., sondern auch eine Art Traiteur-Sortiment im Laden hat. Ergänzt wird die positive Entwicklung von einer ebenfalls zunehmenden Zahl von Türken, die außer Lebensmitteln auch eine Fleischtheke im Laden einrichten und außer für Lamm, Hammel und Innereien auch für Stücke wie Hals und Waden zuständig sind, die man sonst umständlich vorbestellen muss und die Zugang zu Hähnchen haben, bei denen man die Knochen nicht mitessen kann.

Schöne Grüße

MM

Slow Food
Sieht man sich die Deutschlandkarte der Regionalruppen von Slow Food an, fällt einem ins Auge, wie unterrepräsentiert der hohe Norden ist:
https://www.slowfood.de/slow_food_vor_ort

Karg das Land, karg die Küche.

~//~

Servus,

Karg das Land

noja, abgesehen von den höchsten Weizenerträgen Deutschlands, die immerhin auch aus SH kommen -

Schöne Grüße

MM

…nicht zu vergessen die friesischen Superkühe…

~//~

Pisseuses de lait

  • wobei die Milch von den Milchpisserinnen betreffend Fettgehalt tatsächlich ein bissle karg ist!

MM

Hallo,

ja, solche Erfahrungen mache ich hier in Münster auch.

Um gutes Fleisch zu kaufen, muss ich schon durch die halbe Stadt fahren. Dann bin ich beim Metzger meines Vertrauens, der mir auch die Namen der Schweine und Rinder sagen kann (kein Fabrikfleisch). Oder ich muss Samstags auf den Markt, wo es dann den Landmetzger gibt, der seine eigene Tiere in verarbeiteter Art anbietet.

Aber nach einem letzten Versuch, das Fleisch von der Frischetheke des Supermarktes nebenan zu grillen, nehme ich den Aufwand in Kauf.

Haelge

Mahlzeit,

Ich bin gespannt auf Antorten!

letzte Woche hab ich mit Bedauern erfahren müssen, daß mein Metzger aus Altersgründen seinen Laden zu macht.
Seine Tochter wollte nicht übernehmen sondern betreibt schon seit längeren in den Räumlichkeiten einen Partyservice, der auch weiter geführt wird.
Ich werde mich jetzt umschauen müssen, wo ich in Zukunft mein Fleisch und meine Wurst herkriege, es war so angenehm 100 m zu gehen und dort gute Ware zu erhalten :frowning:

Allerdings gibt es in der Gegend noch einige Metzger, nur muss ich jetzt schauen, wie gut die sind.

Gandalf

Hallo

Metzger, Bäcker, Kurzwarenhändler etc. sterben in den grösseren Städten aus, weil sich das Einkaufsverhalten geändert hat.

Die Leute haben keine Zeit und Lust mehr, für ihre Einkäufe an mehrere Orte zu gehen, sondern kaufen alles im Supermarkt oder Warenhaus - je nach persönlicher Vorliebe halt im Lidl oder im hochpreisigen Gourmet-Sektor.

Dazu kommt, dass die Mietpreise in den Innenstädten oft stark gestiegen sind und sich eher die unseligen, uniformen Kleiderketten die Preise leisten können und alteingesessene Geschäfte die Verträge kündigen, weil sie sich die nicht mehr leisten können.

Ein weiterer Punkt sind fehlende Nachfolger, die Inhaber sind oft schon im Rentenalter. Wer übernimmt schon einen Kurzwarenladen oder ein Handschuhgeschäft? Bei mir in der Stadt tun sich viele Handwerker schwer, Lehrlinge zu finden, weil sich die Jungen nicht mehr gern schmutzig machen. Handwerk mit schwierigen Arbeitszeiten findet noch schwerer Nachwuchs und die Metzgerszunft hat - wegen dem Töten von Tieren und hantieren mit Fleisch - einen ganz schlechten Ruf bekommen.

Es gibt bei dir in der Stadt sicher noch Metzgereien, aber die haben vermutlich ein Spezialangebot, zumindest bei mir in der Stadt gibt es nur noch einen einzigen ganz gewöhnlichen Metzger.
Alle andere Metzgereien haben Spezialprodukte (Rossmetzger, italienische Spezialitäten, Innereien & Wild), sprechen einen speziellen Kundenstamm an (jüdische und muslimische Metzgereien) oder haben gar kein Ladenlokal mehr (Marktstand, Catering, Einmietung in Gourmet-Abteilung Warenhaus)

Nur der mit Schwerpunkt Innereien& Wild ist in der Innenstadt. Um ihn herum haben in den letzen Jahren fast alle alteingesessenen, unabhängigen Läden geschlossen.

Gruss, Sama

Servus,

das von mir berichtete Beispiel aus dem Südwesten bezieht sich auf eine Stadt mit grosso modo 315.000 Einwohner - das kommt jetzt ein bissel drauf an, wo man die Grenze „größer“ zieht.

Dort zeigt sich die „Deichmannisierung“ in einem ziemlich eng umrissenen Bereich der Innenstadt, ein Teil des Zentrums ist Türkenviertel, hat in den Erdgeschossflächen übersichtliche Mieten und wuselt von einer großen Zahl türkischer Bäcker, Juweliere, Metzger, Banken, Reisebüros, Schneider, Gemüse-, Fisch- und Haushaltwarenhändler usw.; ummittelbar an die Zentrumslagen, die zu etwa zwei Drittel extrem teuer sind, wie man an der zunehmend langweiligen Zusammensetzung der Mieter ablesen kann, schließen Viertel an, in denen sich Bäcker, Metzger, Bildereinrahmer, Glaser, Schuhmacher, Friseure usw. scharen wie in den 1960er Jahren.

Unter dem Konkurrenzdruck der Türken liegt die Messlatte insbesondere für Obst und Gemüse ziemlich hoch, so dass sich bei diesen Ansprüchen auch ein bissel was an Edeka halten kann. Die Bäckereien (sowohl Ramschfilialisten als auch gehobene Filialisten und inhabergeführte Bäckereien mit guter Qualität) haben wie die Metzgereien im Lauf der vergangenen zehn Jahre eher zu- als abgenommen.

Die Nachfrage scheint da regional ziemlich unterschiedlich zu sein, und der katholische Südwesten redet nicht bloß ständig von diesseitigen Genüssen, sondern orientiert offenbar auch das tatsächlich angewendete Budget ein Stück weit daran.

Schöne Grüße

MM

Das Netz trügt
Hallo Helmut,

Das ist ja unglaublich, was Google an Fleischereien ausspuckt - die müssen ihre Daten mal aktualisieren! Es gibt in WHV noch zwei Fleischereien, die allerdings von auswärtigen Fleischern als Filiale betrieben werden. Und da habe ich mich nicht korrekt ausgedrückt: ich meinte, dass es keine ortsansässigen Fleischer mehr gibt. Das hat mir mein ehemaliger Fleischer selbst erzählt; er war der letzte „echte“ Wilhelmshavener Fleischer.

Liebe Grüße
Pit

Moin Walter,

nein, wir brauchen nicht zu verhungern, es gibt sogar ein paar sehr gute Restaurants. Ich kann nicht verstehen, dass man Euch vor ein paar Jahren da keine Empfehlung gegeben hat. Vielleicht seid Ihr ja an einen Ostfriesen geraten, die sind manchmal etwas muffelig :wink:
Falls es Euch mal wieder in die Gegend verschlägt, dann meldet Euch vorher, und ich werde Euch ein paar Tipps geben.

Grüße
Pit

Ei, isch wär jo gere dogebliwwe!
Moin Martin,

awwa die Ärwet hat mich halt in de hohe Norde verschlaa …
Und das Angebot an Fleisch auf den Wochenmärkten ist wirklich in Ordnung, nur mit Wild sieht es recht dürftig aus - hier fehlen halt die entsprechenden Wälder.

Liebe Grüße
Pit

frugaler Protestantismus

Die Nachfrage scheint da regional ziemlich unterschiedlich zu sein, und der katholische Südwesten redet nicht bloß ständig von diesseitigen Genüssen, sondern orientiert offenbar auch das tatsächlich angewendete Budget ein Stück weit daran.

Definitiv. Das lässt sich im Norden NRWs besonders schön beobachten: Die Wochenmärkte in den katholischen Hochburgen Münster und Paderborn haben ein überquellendes, deutlich an Süddeutschland erinnerndes Angebot an sinnlichen Genüssen aller Art vom Bentheimer Schwein bis zum Blauen Schweden, während es in den nur wenige Kilometer entfernten protestantischen Städten erschütternd frugal zugeht, was das Angebot an Gaumenfreuden angeht.

Interessanterweise lassen sich diese konfessionell geprägten Unterschiede übrigens auch bei der kulturellen Pflege von bildender Kunst vs. Musik ausmachen.

~//~

Mahlzeit,

während es in den nur wenige Kilometer entfernten
protestantischen Städten erschütternd frugal zugeht, was das
Angebot an Gaumenfreuden angeht.

nicht nur Gaumenfreuden, die ganze Einstellung zum Leben ist im Protestantismus im Wesentlichen viel ernster.
Schönes Beispiel ist die Erläuterung des Rheinischen Katholizismus von Jürgen Becker
http://www.youtube.com/watch?v=DbF3jyeBFUQ ff

Man sagt ja nicht umsonst, daß Köln die nördlichste Großstadt Italiens ist :wink:
(auch wenn die klassische Kölsche Küche nicht unbedingt mediteran angehaucht ist)

Gandalf

Servus,

Ausnahme: Barocke Orgeln! Da nehmen sich die Fraktionen nichts, außer dass der Anteil von guten Organisten bei den Lutherischen höher ist.

Schöne Grüße

MM