Frage zu Demenz

Hallo,
ich löse gerade den Haushalt meiner Tante auf, die mit über 80 Jahren an Demenz verstorben ist. Ihr Haushalt war immer sehr ordentlich, bis auf die demenzbedingte „Zettelwirtschaft“.
Nun räume ich ihr Arbeitszimmer auf und dachte, mich trifft der Schlag:
Das Zimmer ist das reinste Messier-Zimmer!
Ich fand eine Lebensansammlung an leeren/gebrauchten Briefumschlägen, Urlaubsfotos, Urlaubsunterlagen, Weihnachtspost von -zig Jahren, wichtige Unterlagen - alles durcheinander.
Es sieht so aus, als hätte sie nie was weggeschmissen, und das scheint so gewesen zu sein, seit sie eine junge Frau war. (es waren auch Sachen aus ihrer Jugendzeit dabei, konnte ich anhand des Datums feststellen)
Ich frage mich nun:
Woher kommt das?
Liegt es daran, dass sie den Krieg miterlebt hat und deshalb alles aufgehoben hat?
Ich weiß auch, dass sie immer sehr an der Vergangénheit festgehalten hat, vielleicht deshalb dieses Aufbewahren.
Die Demenz trat in den letzten 7-10 Jahren in Erscheinung. Ist dieses Chaos im Arbeitszimmer vielleicht ein Vorbote gewesen, dass sie irgendwann an Demenz erkranken würde?
Oder kann es sein, dass sie ein „Ein-Zimmer-Messie“ war?
(Bitte nehmt keinen Anstoß an dieser Bezeichnung, ich nehme die Messie Krankheit ernst, ich wußte nur nicht, wie ich es anders beschreiben sollte)

Ich bin gespannt auf eure Meinungen.

Hitzlibutzli

Hi

Meine Oma lebt zwar noch, aber da ist das ähnlich.

sie musste als junges Mädchen hamstern, also Dinge sammeln und durch die Dörfer ziehen und möglichst gut handeln. Alles war wertvoll oder könnte wertvoll sein.

Mit Eintreten der Demenz wurde das gesammelte nur nutzloser. Vorher hat sie z.B. Porzellan und Glas behalten obwohl da Ecken und krasse Schäden dran waren (lebe allerdings gerade im Haus einer 50 Jährigen wo es nicht besser aussieht…) und das war für sie super! Lieben Menschen hat sie es immer versucht anzudrehen denn für sie war es gut. Heute braucht natürlich niemand mehr kaputtes Geschirr.

aber dann hat sie angefangen Plastiktüten zu sammeln, Becher, Suppentüten (!). Beim Ausräumen ihrer Wohnung haben wir einen Schrank voller Servietten gefunden - gebrauchter! Aber wenn nicht total bekleckst, hat sie die schrammeligen Dinger aufgehoben.

Natürlich hat man auch Jugendobjekte, die schmeißt man nicht weg - das war vor dem Digitalen Zeitalter die kann man nirgendwo abspeichern oder wiederherstellen!

Ich würde die mal ganz, ganz genau durchgehen und gucken mit wem sie so Briefe geschrieben hat oder ob noch Objekte mit Lokalcharme dabei sind - damit lässt sich durchaus das Erbe etwas aufbessern, wenn man es nicht behalten möchte*.

lg
Kate
* ich habe mit großem Bedauern festgestellt, dass es sowas wie Familienerbstücke kaum noch gibt - es wird ja alles weggeschmissen.

Hallo Kate,
ich durchsuche ihre Sachen gezielt nach Infos über meine Familie, da ich Ahnenforschung betreibe. Da gibt es manches Schätzchen, das bei anderen in den Müll fliegen würde. ZB. habe ich einen handschriftlichen Zettel von meiner Oma gefunden, auf dem sie die Geburts und Sterbedaten ihrer Geschwister notiert hat!
Insofern profitiere ich davon, dass meine Tante nichts wegschmeißen konnte.
Was ich nur nicht verstehe:
sie scheint diesen Sammelzwang schon immer gehabt zu haben, auch schon lange bevor die Demenz zum Vorschein kam.
Aber nur in einem Zimmer ???

LG,
Hitzlibutzli

Hallo,

Ich würde die mal ganz, ganz genau durchgehen und gucken mit
wem sie so Briefe geschrieben hat oder ob noch Objekte mit
Lokalcharme dabei sind - damit lässt sich durchaus das Erbe
etwas aufbessern, wenn man es nicht behalten möchte*.

ergänzend dazu: Selbst wenn Briefe und eventuell sogar Tagebücher keinen monetären Wert haben sollten (was wahrscheinlich ist), so haben sie eventuell doch historischen Wert.

Wenn man die gesammelte Korrespondenz des Lebens eines anderen Menschen nicht selbst aufbewahren möchte (was ebenfalls wahrscheinlich ist), kann man damit aber immer noch etwas Sinnvolles tun und sie dem Deutschen Tagebucharchiv (http://www.tagebucharchiv.de/) zukommen lassen; damit etwas wissenschaftliche interessant ist, muss das Leben auch gar kein „besonderes“ gewesen sein.

Beste Grüße

=^…^=

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Hallo,

es gibt durchaus Menschen mit einem gewissen „Tick“ oder einer besonderen Schwäche, die nicht gleich pathologisch sein muss, oder als Vorbote einer Demenz herangezogen werden kann. Gerade die Organisation eines Schreibtischs / privaten Büros gelingt sogar ganz vielen Menschen nicht, die trotzdem vollkommen normal sind.

Ich bin bei der Abwicklung von Nachlässen sogar überwiegend auf Arbeitszimmer gestoßen, die mehr oder weniger chaotisch waren. Und das bei Menschen, die zu Lebzeiten alles andere als psychisch irgendwie auffällig waren. Mal sah das Arbeitszimmer auf den ersten Blick sogar ordentlich aus, weil alles weggeräumt war. Aber in den Schränken, Regalen, Ordern und Kisten herrschte dann mehr oder weniger vollkommenes Chaos.

Und gerade, wenn es um „Erinnerungsstücke“ und „wichtige Dokumente“ geht, fällt es vielen Menschen schwer, sich zu trennen, oder diese in eine sinnhafte Ordnung zu bringen.

Insoweit solltest Du Dir nicht zu viel bei der Geschichte denken.

BTW: Einen besonders kuriosen Fall habe ich mal bei einem Schulfreund erlebt. Der bewohnte mit Verwandtschaft ein vollkommen verwinkeltes, schlossähnliches Gründerzeithaus, in dem eine Tante einen separaten Keller hatte, den sie häufig möglichst unbeobachtet aufsuchte. Nach ihrem Tode fand man darin neben anderen Vorräten eine komplette Palette Fritierfett, die sie in Einzelpackungen da nach und nach zusammen getragen hatte. Sie hatte im Krieg Hunger gelitten, und wollte insoweit vorbereitet sein (und war ansonsten vollkommen normal). Die nächsten Jahre gab es dann bei jedem Geburtstag, … Fettgebackenes.

Gruß vom Wiz

Sammelleidenschaft gepaart mit Demenz
Hallo!

Ehrlich gesagt finde ich das gar nicht soooo ungewöhnlich
.
Viele Leute haben einen Schrank, oder zumindest etliche Kartons mit jeder Menge alter Briefe und Post (ich auch, ich geb´s zu).

Deine Tante hatte vermutlich deutlich mehr Platz als viele andere, sodass sie sich ein „Erinnerungszimmer“ geschaffen hat mit den Dingen, die ihr wichtig waren.

Du schreibst ja, dass der Rest der Wohnung ordentlich war…

Mitunter kann sich auch aus der Marotte, alles aufheben zu wollen, in Kombination mit einer Demenz (die sich schon viele Jahre vor dem eigentlichen Ausbruch den Weg bahnt) dann so ein Sammelsurium entwickeln.

Vor einigen Jahren haben wir auch den Haushalt einer demenzkranken alten Dame aufgelöst, und wir mussten wirklich in jeden Briefumschlag und jedes Paar Socken hineinsehen, weil überall „Schätze“ versteckt waren.

Z.T. wirkliche Preziosen, z.T. Lebensmittel, oder auch Fotos und alte Dokumente.

Also tröste Dich, mit dieser oder ähnlicher Ausprägung von Nachlass und Sammelleidenschaft stehst Du nicht allein da. Es braucht nur viel Zeit und gute Nerven,

Angelika