Wie einen unheilbar Kranken motivieren?

Hallo Ihr,

mein Vater hat eine Motoneuronenerkrankung, wird also fast 100% gelähmt für den Rest seines Lebens sein. Jetzt ist er Anfang 70, sprechen, schlucken usw fällt im schwer, auch die Kraft ist fast weg und laufen tut er nur noch schlurfend. Wie lange es dauert, kann uns keiner sagen…

Schlimm, aber leider nicht zu ändern.

Möglicherweise hat er auch eine Depression, schon viele Jahre, aber zugeben oder gar behandeln lassen… aber damit ist er ja sicher nicht alleine. Macht es nur noch schlimmer für uns um ihm rum.

Wir versuchen alles menschenmögliche, ihm sein bißchen Leben noch lebenwert zu gestalten. Weiß ja keiner, wie lang auch das noch geht.

Gerade liegt er seit Mittwoch in der Klinik…ansich nur, um eine Magensonde zu bekommen. Dazu mussten wir ihn mit allen Mitteln überreden und jetzt geht natürlich in der Klinik schief, was schief gehen kann. Eine verständliche Erklärung, warum er noch  nicht wieder raus ist, gibt es nicht…aber das ist ein anderes Thema. Ohne die Sonde klappt er zusammen, lang dauert das nicht mehr.

Ich frage mich immer wieder, was geht in ihm vor. Über Probleme reden war noch nie sein Ding, dazu fällt es ihm jetzt auch sehr schwer. Und es scheint, wenn er was machen will, Garten oder so, er ist auf sich selbst sauer, weil ers nicht schafft.

Wie vermittelt man so einem, das man für ihn nur das Beste will? Bringt ja eh nichts mehr? Die üblichen Sprüche sind total überflüssig.

ABER AUFGEBEN WOLLEN, KÖNNEN WIR IHN DOCH AUCH NICHT!

Es gibt doch noch mehr totkranke, auch mit Spaß am Leben. Wie hilft man ihm, dahin zu kommen?

Hat wer Tipps für mich, für uns? Wäre schön.

Vielen Dank! BB

Hallo,

ich möchte Dir eine einzige Frage stellen:

Wieviel Spass am Leben hättest Du in der Situation deines Vaters… wenn dein Leben und vielleicht all das, was Dir wichtig ist, durch die Finger rinnt und Du zu langsam, zu stumm und zu traurig wirst, um an all dem aktiv teilhaben zu können?

Hört auf, Ihn zu Dingen zu überreden, die er nicht möchte.
Versucht herauszufinden, was für ihn ein lebenswertes Leben ausmacht… häufig ist dies auch die Selbstbestimmtheit verbunden.
Drängt ihm nicht Eure Vorstellung von dem auf, was Eurer Meinung nach jetzt passieren müsste.
Er liebt Euch… und er spürt Eure Hilflosigkeit… und auch Eure Verzweiflung… und er geht so manchen Schritt für Euch und nicht für sich selbst.
Ihr wollt ihn nicht aufgeben… nicht loslassen - das ist verständlich, nachvollziehbar, nachfühlbar. Er hat vielleicht schon begonnen loszulassen!?
Versucht realistisch Eure von seinen Wünschen zu trennen und ihn nach seinen Wünschen in den letzten Wochen, Monaten und vielleicht Jahren zu begleiten. Begleitet ihn nach seinen Wünschen… und versucht ein gemeinsames Tempo zu finden.

Liebe Grüsse und alles Gute
(B)Engel

War die Magensonde auch SEIN Wunsch? Mit der Perspektive? Vielleicht hätte er lieber nicht mehr so lange …

Das ist der Grund, warum ich eine Patienverfügung habe. Damit mir in so einer Situation keiner mit so einer „Lebensverlängerung“ kommt …

Hallo,

erstmal danke euch beiden.

ich möchte Dir eine einzige Frage stellen:

Wieviel Spass am Leben hättest Du in der Situation deines
Vaters… wenn dein Leben und vielleicht all das, was Dir
wichtig ist, durch die Finger rinnt und Du zu langsam, zu
stumm und zu traurig wirst, um an all dem aktiv teilhaben zu
können?

Wie oft ich mich inzwischen gefragt habe, wie muss er sich fühlen, wenn wir ihn nicht verstehen, er nicht mehr schafft, was er immer gemacht hat…das kann ich nicht mehr zählen. Frage ich auch jeden, der unterwegs mal blöd guckt.

Sollten wir deshalb ihm nachgeben, wenn er in der Sofaecke hängt, ins Bad schlurft, mal in den Garten und dann wieder zusammenfällt? Da zugucken ist alles andere als leicht.

Meine Mutti, die den ganzen Tag um ihn rum ist, hat er auch schon „gebeten“ im Wutausbruch, „tu doch was“…und echt, dass kann er ihr nicht vorhalten. Mir vielleicht schon, ich muss…leider… noch arbeiten gehen und bin deshalb nicht gleich immer da.

War die Magensonde auch SEIN Wunsch? Mit der Perspektive?
Vielleicht hätte er lieber nicht mehr so lange …

Gute Frage, ja, er hat sich überreden lassen. Hätten wir ihn verhungern lassen sollen? Er ist seit dem letzten Jahr 30 kg leichter… und erst seit wenigen Wochen ist klar, warum es wirklich so ist.

Wir wissen von einer Studie, bei einer Uniklinik im erreichbaren Rahmen, bei der es um solche Erkrankungen geht, und hoffen, dort geht er noch hin. Und zwar nicht, weil wir ihn behalten wollen… sondern weil wir uns wünschen, dass er von dem, was noch bleibt, noch ein bißchen was hat.
Seine Ärztin sagt, alle, die sie dorthin geschickt hat, hatten es danach um einiges leichter.

Blöd ist es, so oder so. Aber mitunter ist das Leben blöd, und wir müssen notgedrungen damit zurechtkommen. Viel mehr bleibt nun mal nicht.

Hallo,

Da zugucken ist alles andere als leicht.

Das glaube ich Dir. Und es zeigt doch nur wie wichtig Euch dein Vater ist… Und ich wünsche jedem diese Menschen, die einen so lieben, dass ein Loslassen so schwer fällt…
Aber ich glaube fest daran, dass es manchmal grösseres Leid mit sich bringt, an jedem Strohhalm zu klammern und das Unausweichliche noch ein Stück von sich weg zu schieben.

All das nennt man Trauer. All diese Verzweiflung… all dieses Aufbegehren… das Hoffen… das Zurückziehen… und vielleicht auch irgendwann das Annehmen des Unausweichlichen.

Keiner macht Euch Vorwürfe… das darf auch keiner. Ich möchte Euch nur anhalten die Augen zu öffnen und wahrzunehmen, wo Euer Vater in seiner Trauer steht, denn auch er geht diesen Weg.

Ich möchte Euch raten, Kontakt zu Menschen zu suchen, die solche Situationen durchlebt haben oder gerade noch durchleben. Tauscht Euch mit Ihnen aus. Ihr seid nicht allein in dieser schweren, hoch emotionalen Situation. Oeffnet Euch auch ihren Gedanken und setzt Euch mit eurer eigenen Endlichkeit auseinander. Stell Dir selbst die Frage, wieviel Kraft Du in einer so „ausweglosen“ Situation brauchst, Dich gegen eine Ernährungssonde zu entscheiden… an welchen Punkt Du für eine solche Entscheidung bereits stehst… und wieviel Kraft Du bräuchtest, Dich gegen deine Lieben zu stellen, die das aus tiefstem Herzen als des Beste für Dich empfinden.

Wir wissen von einer Studie, bei einer Uniklinik im
erreichbaren Rahmen, bei der es um solche Erkrankungen geht,
und hoffen, dort geht er noch hin. Und zwar nicht, weil wir
ihn behalten wollen… sondern weil wir uns wünschen, dass
er von dem, was noch bleibt, noch ein bißchen was hat.

Entmündigt ihn nicht… lasst ihn allein entscheiden, ob er sich dort vorstellen möchte. Und lasst ihn auch allein entscheiden, ob er die sich dort eröffneten Möglichkeiten wahrnehmen möchte… oder nicht. Er muss für sich abwägen, ob wiederholte Vorstellungen im Krankenhaus ihn in seiner Lebensqualität - und vielleicht fühlt er sich zu Hause viel wohler - mehr einschränken und eine leicht gebesserte Zeit für ihn nicht rechtfertigen. Ueberlasst ihm diese Entscheidung selbst.

Blöd ist es, so oder so. Aber mitunter ist das Leben blöd, und
wir müssen notgedrungen damit zurechtkommen. Viel mehr bleibt
nun mal nicht.

Das ist leider so. Und ich wünsch Euch für diesen Weg sehr sehr viel Kraft und das richtige Augenmass.

Viele Grüsse
(B)Engel

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Hallo,
ich habe im Pflegedienst häufiger mit Patienten zu tun gehabt, die eine Motoneuronerkrankung hatten. Eine wirklich schlimme Sache, sowohl für den Erkrankten als auch für seine Umgebung. Häufig geht die Erkrankung mit einer Depression einher und ich rate deshalb zu stimmungsaufhellenden Medikamenten. Womit sonst könnte man jemanden aufmuntern, der täglich erlebt, wie ihn Schritt für Schritt unwiderruflich die eigenen Muskeln im Stich lassen? Wie es eine Patientin treffend formulierte: „Man hat sich gerade auf den Verlust eines Muskels eingestellt, da verlässt einen der nächste und man muss sich wieder neu einstellen. Es geht nur abwärts.“
Seine Depression hemmt seinen Antrieb, so dass er sich auch nicht selbst helfen kann. Deshalb sind Medikamente der erste Schritt, um ihm wieder etwas Antrieb zu geben. Und natürlich braucht er die ganze Unterstützung seiner Familie, sowohl mental als auch organisatorisch. Es tut mir leid, das ist eine enorme psychische Belastung, die auf Euch zukommt. Selbst ich als Pflegekraft war oft am Ende meiner Nerven.
Wenn Du Berichte von Betroffenen und Angehörigen lesen möchtest, empfehle ich Dir die Homepage von Sandra Schadek. Dort erzählt sie sowohl von ihrem eigenen Leben mit ALS und lässt viele andere zu Wort kommen. Vielleicht findet Ihr dort noch Anregungen.
Ich wünsche Euch allen ganz viel Kraft!
Freundliche Grüße, Norma.