Burgen

Liebe/-r Experte/-in,

wüsste gerne, ob es in England vor Ankunft der Normannen 1066 schon Burgen oder zumindest Wohntürme gab. Oder waren irgendwelche Vorläufer-Formen verbreitet? Und wenn ja, waren diese aus Stein oder Holz. Was also setzte sich der angelsächsische Adel auf sein Anwesen? Und dann noch eine ganz spezielle Frage: Gab es um 1066 an den Adelswohnsitzen - wie auch immer diese aussahen, ob Burg oder Wohnturm - schon Abort- bzw. Abtritterker? Uh, viele Frage, ich weiß - bin für jeden Hinweis dankbar hoch zehn, ganz lieben Dank schon mal vorab!

Viele Grüße

Nina Hawranke

Hallo,
der folgende Text stellt natürlich nur eine ultrageraffte Kurzfassung dar.

Zu Festungsanlagen vor 1066:
in „England“ sind Festungsbauten seit der vorrömischen Eisenzeit (um 4000 v. Chr.) belegt (vergl. Maiden Castle bei Dorchester). Auch die Römer trafen bei Ihren Eroberungszügen schon Festunsanlagen aus Stein und/oder Holz an. (Vergl. hierzu die Kritik von Tacitus und die Aufzeichnungen unter Kaiser Claudius)
Die weitere Entwicklung des Festungs - Wehrbau auf der Insel brachte, ebenso wie auf dem Festland, Hölzerne Wohntürme wie auch steinerne Häuser und „Burgen“ hervor. Die Ausstattung und das Baumaterial dürften sich nach dem Stand und damit dem Geldsack bzw. Machtausübung des Erbauers gerichtet haben. (vergl. Lindisfarne, Den Offa’s Dyke,…)

Die Frage zu den Aborten:
Da die Überlieferungsdichte in diesem Bereich recht gering ausfällt, lässt sich darüber schwer eine absolute Angabe machen.
Wie archäologische Untersuchungen nahelegen hatten Wallanlagen eigens angelegte Abtritte in Form von Gruben / Löchern die dann jeweils verfüllt/zugeschüttet wurden. Aborterker kamen erst in Mode als man in die Höhe baute und sich ein"motte"te. Wobei aber trotzdem unter/neben manchen Motten Fäkaliengruben entdeckt wurden.

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Vielen Dank! :smile:

Den so genannten „Keep“, also den Bergfried, gab es dann also zur Zeit des Normanneneinfalls auf der britischen Insel eher noch nicht, verstehe ich das richtig?

LG

Nina

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Hallo,
Das was wir heutzutage als „Keep“ bezeichnen gab es seit dem 11 Jahrhundert.

Wenn man den „Keep“ aber als Wohn- und Wehrturm aus Stein oder Holz betrachtet dann gab es das vorher auch schon. Die Römer traffen ja bei Ihren Eroberungszügen unter Claudius schon auf „Keep“ ähnliche Wohn- und Wehrtürme. Archäologische Untersuchungen legen dementsprechend ja auch nahe, das selbst die Wallanlagen der Eisenzeit, in Ihrer Mitte ein „Keep“ ähnliches Gebäude sprich: besonders befestigtes Gebäude hatten. Zu dieser Zeit natürlich vornehmlich aus Holz.

Die Überlieferung vom Normanneneinfall ist ja zum großen Teil (aus naheliegenden Gründen) normannisch gefärbt.

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Hallo Nina,

das sind sehr spezielle Fragen, die ich aber leider nicht belegbar beantworten kann.Aus meiner Sicht sind nur Mutmaßungen möglich.Keine der mir zugänglichen Unterlagen sagen etwas genaues über die Zeit vor 1066 aus. Wenn die vornormannischen Burgen aus Holz errichtet waren, sind keine Reste mehr vorhanden an denen man Untersuchungen über das Alter vornehmen könnte. Ich vermute, daß diese aus Holz waren. ZB. Bamburgh Castle wurde 993 von den Wikingern zerstört und dann an gleicher Stelle von den Normannen 1095 in Stein aufgebaut. Ich gehe deßhalb davon aus, daß die vornormannischen Burgen aus Holz gebaut waren, da Steinbauten ja einen viel höheren finanziellen Aufwand bedeuten, der nur von mächtigen Herrschern mit entsprechender Bevölkerungsgröße finanzierbar war.Wenn die damaligen Bewohner bei den Römern nachschauen konnten, dürfte Deine 2. Frage mit ja zu beantworten sein.Die hatten Aborte und zwar für deren Zeit sehr komfortable. Ich vermute, daß der damalige Adel auch nicht gerne extra ins Gebüsch ging.

Viele Grüße
Hans

Danke, Hans! Dass die Gebäude, auch die befestigten, damals großenteils aus Holz waren, deckt sich mit dem, was ich recherchieren konnte.

LG

Nina

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Liebe Nina Hawranke

Entschuldigung, dass ich mich erst heute melde. Ich war außerhalb und musste mich auch erst einmal in die Materie einarbeiten. Zu viele Fragen waren das nicht.

>>wüsste gerne, ob es in England vor Ankunft der Normannen 1066 schon Burgen oder zumindest Wohntürme gab.
In England gab es vor der Ankunft der Normannen sicher schon Burgen. Das waren aber, wie auch im Römischen Reich, Wallanlagen. Sicher gab es auch welche, die schon Steinmauern statt der Palisaden aus Holz hatten. Unter Burgen verstanden sich die ehemaligen römischen Kastelle, die nun zu Städten heran gewachsen waren oder sich an diesen in ihrem Aufbau daran anlehnten („-burgh“, „-Castel“).
Der älteste Wohnturm in England ist der Hauptbau von Chepstow in Wales, der zwischen 1067 und 1075 errichtet worden sein soll. Am Tower in London wurde ab 1078 gebaut.

>> Oder waren irgendwelche Vorläufer-Formen verbreitet?
Vorläufer aller Wohntürme sind in nachrömischer Zeit der um 800 errichtete Granusturm in Aachen, der zur dortigen Pfalz gehörte, und der Plenarturm vom Kloster St. Johannes Müstair ab 958. Dieses waren aber reine Wohntürme und dienten der Repräsentation.
Als Wehrtürme wurden sie wohl in Frankreich auf Grund der Bedrohung durch die Normannen umgebaut. Ab Anfang des 12. Jahrhunderts verbreiten diese sich über ganz Europa. Im 13. Jahrhundert erschienen die ersten Wohntürme als schlichter viereckiger Wohnturm auch in Schottland.

>>Und wenn ja, waren diese aus Stein oder Holz.
Das waren schon Steintürme.

>>Was also setzte sich der angelsächsische Adel auf sein Anwesen?
Man muss sich ein Dorf (Egal ob England oder anderswo) etwa so vorstellen: Innerhalb einer Palisade mit ein oder zwei Toren war das eigentliche Dorf untergebracht. Das bestand aus höchstens 10 Hütten. Um die Palisade war ein Wassergraben gezogen. An einer Ecke war dann nochmals ein kleiner Teil durch Graben und Extra-Palisade abgeteilt. Hier hatte der Adlige des Dorfes sein Anwesen. Während das Dorf aus Lehmhütten bestand, leistete sich der Adel schon ein Haus aus Holz. Man musste sich ja von den anderen Dorfbewohnern abheben. Später (ab etwa 850) kamen an die Stellen der ebenerdigen Häuser Motten und das Haus wurde auf den erhöhen Standort gebracht. Noch später wurden diese Häuser dann sogar zwei- oder dreigeschossig und teilweise aus Stein (ab Ende des 14. Jahrhunderts) gebaut. Ab etwa 900 wurden auch die Holzpalisaden durch Steine ersetzt.
Ähnliches gilt auch für die Burgen des Hochadels. Eben nur eine Nummer größer.
Zum Bau einer steinernen Burg gehörte neben der Genehmigung des Landesherren eine Menge Geld. So eine Burg konnte nicht einfach durch irgendwelche Dorftölpel in einem imaginären Frondienst gebaut werden. Fachleute waren auch damals schon teuer und der Bau einer steinernen Burg zog sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnt hin.

>> Und dann noch eine ganz spezielle Frage: Gab es um 1066 an den Adelswohnsitzen - wie auch immer diese aussahen, ob Burg oder Wohnturm - schon Abort- bzw. Abtritterker?
Abtrittserker gab es erst mit der Verbreitung des Donjon, also des Wehr- und Wohnturmesturmes. Diese wurden aber auch nur relativ kurze Zeit im Burgen und Wohntürmen verwand, in spätgotischen Burgen kommen sie schon nicht mehr vor. Aus den Wohntürmen entwickelten sich die Bergfriede und die Burgen wurden um die Wohngebäude des Adels erweitert.
Übrigens: im Heiligen Römischen Reich unterscheidet man Anfang des 15. Jahrhunderts noch zwischen „Burg“ und „Schloss“. Wir sehen heute unter einem Schloss einen schönen barocken Bau. Damals war es aber das, was wir heute unter einer Burg verstehen.

Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen beantworten. Falls Si noch Fragen haben, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.

Jürgen Hönicke
(hoenicket-online.de)