Liebe Heike,
es ist schwer auf deinen Brief zu antworten
Ein Kind wächst innerhalb eines Wertesystems auf, das es
selbst nicht beeinflussen kann und kann Gut und Böse nur
danach unterscheiden, wie es ihm in seinen Erfahrungen
begegnet. Sieht es in seiner Umgebung, das Kriminalität normal
ist und zum Unterhalt der Familie beiträgt, wird es von selbst
nichts böses daran erkennen können. Nur zusätzliche
Erfahrungen von außen, können da beeinflussen. Die Frage ist
hier doch nicht, ob der Jugendliche später die Freiheit hat
sich zu entscheiden, wenn er die Alternativen gar nicht sieht.
Nach dieser Stellungnahme ist, das Verhalten des Jungen vorherbestimmt. Du versuchst dies rational zu begründen, indem
du vorab die These für richtig setzt, dass jeder Mensch ein Produkt seiner äußeren Einflüße ist. (Ist da sonst nichts anderes?)
Hinzu kommt, die Sache mit der Stigmatisierung. Menschen
neigen dazu sich der Erwartungshaltung zu unterwerfen, die die
Umgebung an sie stellt. Ein Ausbruch aus einer solchen
Umgebung bzw. Vorprägung, wie Du sie schilderst ist deshalb
ungleich schwerer, als mit entsprechend ‚gutem‘ sozialen
Background. Die Vorurteile verlangen von einen Menschen aus
kriminellen Verhältnissen sozusagen tadelloses Verhalten,
jeder Fehler wird als Beweis des Rückfalles gewertet. Da muß
der Charakter schon außergewöhnlich sein, um nicht den
Erwartungen zu entsprechen und eben doch kriminell zu werden,
damit man seine Ruhe hat (ganz so einfach ist es natürlich
nicht, ich weiß!)
Insofern verneine ich aus sozialer Sicht die Möglichkeit einer
freien Entscheidung, bzw. sehe sie als eingeschränkt an.
Du versuchst in deinem Brief zu unersuchen, ob der Mensch nun frei ist oder vorherbesimmt. Mit deiner ‚soziale Sicht‘ meinst du, glaube ich, eine für dich logische Schlussfolgerung, die dir sagt, dass dieser Junge nichts für sein tun kann und unschuldig ist. Du entsprichst also der Vermutung meines ersten Briefes, dass man bei einem Täter, dem man sein Handeln nachfühlen kann, gern eine Vorherbestimmtheit zuschreibt, damit niemand über ihn richtet. Damit folgst du aber nicht meinem pragmatischen Ansatz. Es ging mir nicht darum, ob der Mensch WIRKLICH frei ist, sondern ob es NÜTZLICH ist, dies anzunehmen. Die Schuldfrage sollte nicht im Vordergrund stehen.
Nimmt man beispielsweise an, dass die Völker der Industrienationen alle an einem VORHERBESTIMMTEN Egoismus leiden, der sie hindert sich für eine Sozialfürsorge einzusetzen, denn besonders engagiert sind sie ja nicht, endet man dann nicht als Individuum in einer tiefen Hoffnungslosigkeit, der einem jede humanitäre Tat verleidet?
Vielleicht hätte ich allerdings meine Frage noch präziser stellen sollen. Als ich von der Annahme der Freiheit des Menschen sprach, meinte ich natürlich eine rein subjekitve Annahme. Ich wollte diskutieren, ob es für mich selbst nützlich ist, wenn ich für mein Handeln in Ausrichtung auf das Wohl der Menschheit (zu der ich übrigens auch gehöre. um der christlich-verklärten totalen Selbstlosigkeit vorzubeugen) die Freiheit des Individuums annehme?
Nochmal:
Ist es für in Ausrichtung auf das Wohl der Menschheit für mein Handeln NÜTZLICH, von einer Freiheit des Individuums auszugehen?
Es hofft nun präziser zu klingen:
Dennis