LEOs LISTE 5/2001 - Bitte begutachten!

Die folgende „Weltrangliste toter Denker“ hat sich nach Auswertung von sieben philosophiegeschichtlichen Handbüchern ergeben. Die vorläufige Rangfolge ist dadurch zustandegekommen, dass ich berücksichtigt habe, in welchen und wie vielen der Handbücher der jeweilige Philosoph porträtiert wurde. (Literaturhinweise am Ende dieses Artikels.)

Ich bitte alle, die Auswahl oder Rangfolge korrekturbedürftig finden, herzlich um Mitteilung. Daraufhin wird es in einigen Wochen eine neue Version von LEOs LISTE geben. Zu jedem Verbesserungsvorschlag werde ich unterdessen in einer persönlichen Email Stellung nehmen.

Hier nun die „erste Version“:

  1. Platon
  2. Kant
  3. Spinoza
  4. Aristoteles
  5. Hegel
  6. Nietzsche
  7. Descartes
  8. Wittgenstein
  9. Leibniz
  10. Marx
  11. Schopenhauer
  12. Augustinus
  13. Fichte
  14. Schelling
  15. Kierkegaard
  16. Thomas von Aquin
  17. Heidegger
  18. Hume
  19. Nikolaus von Kues
  20. Locke
  21. Sokrates
  22. Adorno
  23. Francis Bacon
  24. Hobbes
  25. Feuerbach
  26. Husserl
  27. Russell
  28. Berkeley
  29. Plotin
  30. Anselm von Canterbury
  31. Sartre
  32. Popper
  33. Comte
  34. Epikur
  35. Frege
  36. Dilthey
  37. Peirce
  38. James
  39. Dewey
  40. Mill
  41. Carnap
  42. Horkheimer
  43. Jaspers
  44. Parmenides
  45. Heraklit
  46. Wilhelm von Ockham
  47. Rousseau
  48. Voltaire
  49. Meister Eckhart
  50. Thales

Die sieben herangezogenen Quellen sind folgende:

Höffe (Hg.): Klassiker der Philosophie (Beck)
Hoerster (Hg.): Klassiker des philosophischen Denkens (dtv)
Jaspers: Die großen Philosophen (Piper)
Sloterdijk (Hg.): Philosophie jetzt! (Diederichs/dtv)
Speck (Hg.): Grundprobleme der großen Philosophen (UTB)
Spierling: Kleine Geschichte der Philosophie (Piper)
Weischedel: Die philosophische Hintertreppe (dtv)

Hallo Leo,

Spannend, und sicher eine ziemliche Recherchier-Arbeit.
Was mich aber interessieren würde: Nach welchen Kriterien hast Du die „Rangordnung“ festgelegt?
Warum zum Beispiel liegt Platon auf Platz eins und Kant auf Platz zwei?

Gespannt wartend & grüßend,
Nike

Warum Platon vor Kant
Hallo Nike,

Du fragst:

Nach welchen Kriterien hast
Du die „Rangordnung“ festgelegt?
Warum zum Beispiel liegt Platon auf Platz eins und Kant auf
Platz zwei?

Platon, Kant und Spinoza sind die drei einzigen, die in allen sieben Quellen vorgestellt werden. Sie haben also sozusagen dieselbe Höchstpunktzahl erreicht.

In derartigen Fällen habe ich mir erlaubt, meine persönliche Wertschätzung einfließen zu lassen. Ich denke also, dass Platon vor Kant und dieser vor Spinoza rangiert.

Hier eine kurze Begründung: Platon steht mit dem ersten vollständig erhaltenen und so durchdachten wie durchgeformten Werk der Philosophiegeschichte schlechterdings für die Grundlegung dieser Disziplin. Kant gelingt eine ähnlich geniale Versammlung der modernen Denkansätze. Mit jeweils einem Wort: Kant war ein durchaus epochemachender, Platon der schlechterdings fundamentale Philosoph. Gegen solche „Größen“ kommt ein Spinoza nun doch nicht an - bei allem Respekt vor seinem auf der Höhe seiner Zeit stehenden Werk.

Schöne Grüße

Leo

Geht es ohne Meinung? Wer ist ‚bedeutend‘?
Hallo zurück,

In derartigen Fällen habe ich mir erlaubt, meine persönliche
Wertschätzung einfließen zu lassen. Ich denke also, dass
Platon vor Kant und dieser vor Spinoza rangiert.

Hm, macht Sinn - wertneutral formuliert.
Du bist also nach häufigkeit des Genanntwerdens in einschlägigen Quellen vorgegangen und hast dort Deine Meinung mit einfließen lassen, wo es Gleichstand gab, richtig?

Das wirft eine weitere Frage auf: Geht So etwas objektiv? Oder auch: Ohne Meinung? Versteh mich nicht falsch: Ich will Deine Liste nicht madif machen, im Gegenteil. Ich will nur herumdenken. :smile: Und dumme Fragen stellen. Also:

Gäbe es denn wohl eine Möglichkeit, eine „Rangliste“ der wichtigsten Philosophen zu erstellen und dabei "objektive Kriterien zu verwenden?

Da denke ich an Metaphers hervorragende Aufstellung zu obligatorisch lesenswerten Philosophen (danke nochmal, Metapher!):
Anaximander, Parmenides, Heraklit, Zenon, Empedokles, Anaxagoras, Demokrit = die Haupt-Vorsokratiker
Platon - Parmenides, Sophistes, Timaios, Politeia, Symposion, Theaitetos,
Aristoteles - Metaphysik, Physik, Über die Seele, Nik. Ethik
Augustinus - Bekenntnisse
Thomas v. Aquin - Über das Sein und das Wesen
Nikolaus v. Kues - Über die gelehrte Unwissenheit, Über den Ursprung
Giordano Bruno - Über das unendliche Weltall
Descartes - Regeln, Prinzipien der Philosophie, Über die Methode
Leibniz - Monadologie, Hauptschr. zur Grundlegung der Philosophie
Spinoza - Ethik
Hume - Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand
Locke - Untersuchung über den menschlichen Verstand
Kant - Kr. d. reinen Vernunft, Kr. d. praktischen Vernunft, Kr. d. Urteilskraft
Fichte - Wissenschaftlehre 1804
Schelling - System des transzendentalen Idealismus, Entwurf eines Systems der Naturphilosophie
Hegel - Phänomenologie des Geistes, Wissenschaft der Logik
Marx - Das Kapital…
Schopenhauer - Die Welt als Wille und Vorstellung
Nietzsche - (vieles fast gleich wichtiges)
Wittgenstein - Tractatus logico philosophicus, Philosophische Untersuchungen
Heidegger - Sein und Zeit

Objektiverweise chronologisch geordnet- Könnte man sie in eine objektive Rangfolge überhaupt bringen? Was macht einen Philosophen zu etwas besonderem?

Bei meiner Recherche für die Bücherliste bin ich immer wieder auf den Satz in der Amazon-Beschreibung gestoßen: „Einer der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit“ oder „…des Existentialismus“ etc. Wer legt das fest?

Bedeutend wird ein Philosoph wohl dann, wenn er das Denken seiner zeit verändert hat? Aber wo sind da Ursache und Wirkung?

Fragen über Fragen. Wer will drauf eingehen?

Liebe Grüße, Nike

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Wer oder was ist bedeutend in Phi?
Hi Nike

(Vorsicht - mal wieder lang - sorry *ggg*)

Gäbe es denn wohl eine Möglichkeit, eine „Rangliste“ der
wichtigsten Philosophen zu erstellen und dabei "objektive
Kriterien zu verwenden?

Das geht sicher - aber: leider keine eindeutige. Denn für die Bedeutsamkeit können sehr unterschiedliche Kriterien angegeben werden.

Wenn man sich z.B. darauf fokussieren wollte, einzelne Philosophen zu nennen (und nicht „Schulen“ oder „Disziplinen“ oder gar „Epochen“), dann könnte man vielleicht die Intensität der Bezugnahme auf sie in 1. der zeitgenössischen Literatur und 2. in der Literatur späterer Zeiten als Kriterium anführen.

Diese Liste wäre aber wiederum in der Antike (Anaximander 6. Jhdt v.Ch. bis Proklos 5.Jhdt. n.Ch.) anders zu bewerten als in der Scholastik (Anselm v. Canterbury und Abäelard bis Suarez), dann Cusanus und Bruno auf einsamer Flur, dann die Neuzeit mit Bacon, Descartes bis Marx, Schopenhauer (mit Deutschem Idealismus Fichte, Schelling, Hegel) und die sog. Gegenwartsphil. ab Frege, Russel bis heute (nein um Himmels willen nicht Sloterdijk! Ihn überhaupt mitzuzählen halte nicht nur ich für einen Witz der Medienkultur).

Von den bedeutendsten Ph. der Antike weiß man zum Teil fast überheupt nichts: von Anaximander gibt es ein einziges Originalzitat, ebenso von Heraklit, von Parmenides gibt es nur Fragmente, von Pythagoras (sicher eine der bedeutendsten - und strengsten - Schulen der Antike) gibt es kein einziges Zitat. Die Akademie (Platon) hat ihre fundamentale Auswirkung erst im Neuplatonismus (Plotin, Proklos) gewonnen und der Peripathos (Aristoteles) hat Jahrhunderte geschlafen und wurde erst durch die arabische Philosophie (z.B. Ibn Sinna = Avicenna) in die Scholastik eingetragen, die Aristoteles erst zum wichtigsten Philosophen überhaupt aller Zeiten machte.

Die Bedeutung von Giordano Bruno wird erst heute entdeckt. Cusanus (Nikalaus v. Kues), der als Vorläufer der Dialektik gesehen werden könnte, wird von Hegel überhaupt nicht erwähnt(Hegel, der die erste Philosophie geschichte schrieb - auch die einzige, in der ein systematischer, „logischer“ Zusammenhang der Philosophien entwickelt wird. Andere - wie Diogenes Laertius - hatten die Ph. nur einfach aufgelistet, so wie wir es hier versuchen).

Kant hat sicher die grandioseste Wirkungsgeschichte der neuzeitlichen Ph. Aber Hegel, der ganz sicher die radikalste Revolution philosophischer Methode geleistet hat und die Natur des Denkens bzw. des „Begriffs“ (Aristoteles hatte als die primäre Aufgabe der Philosophie das „Denken des Denkens“ bestimmt) am gründlichsten durchschaute, wird heute nur von -relativ - wenigen als außerordentlich fundamental angesehen und weiterentwickelt (gehöre selbst zu diesem Häuflein).

Im 20. Jhdt. stehen sicher rezeptionsmäßig, schulmäßig und folgenmäßig Wittgenstein einerseits und Heidegger andererseits an einsamer Spitze…

Ganz anders sähen die Charts aus, wenn man in die Geschichte einzelner Disziplinen ginge:
Erkenntnistheorie
Ethik
Logik („formale“)
Naturphilosophie
Rechtsphilosophie
Religionsphilosophie
Ästhetik usw.

Oder wenn man „Schulen“ auflisten würde z.B.:
Akademie (Platon…)
Peripathos (Aristoteles…)
Pythagoras…
Stoa (Zenon d.J. Cicero…)
Neuplatonismus (Plotin…)
Empirismus (Locke, Berkeley, Hume…)
Positivismus (Comte…)
Marxismus…
Wittgenstein…
Wiener Kreis…
Existentialismus (Sartre, Camus…)
Frankfurter Schule…

Wenn man die jeweils zeitgenössische Berühmtheit einzelner Leute als Kriterium heranziehen würde, stünde ein Philosoph an einsamer Spitze, den man ansonsten nur als phil.-Historiker oder als Spezialist für scholastische Phil. kennt: Johannes Duns Scotus (Cambridge, Oxford, Paris, Köln) hat an die 30 000 Zuhörer gehabt… :smile:

Du - Nike - fragst völlig zurecht, was solche Formulierungen wie
„Einer der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit“
„… wenn er das Denken seiner zeit verändert hat“
selbst wieder für eine Bedeutung haben könnten. Denn genau diese Merkmale kann eine Philosophie überhaupt erst in späteren Zeiten bekommen - das ist genauso wie in der Kunstgeschichte. Eines der Kriterien ist ganz sicher das Maß, in dem man sich auf bestimmte Werke bzw. darin festgehaltene Ideen, Perspektiven, Analysen, später bezieht, daraus Lehren zieht, darauf aufbaut.

Manche Gedankengänge haben aber tatsächlich fundamentale Bedeutung („fundamental“ hier wörtlich: „grundlegend“), indem sie etwas „auf den Punkt bringen“. So z.B. die Auseinandersetzung bei Parmenides und Heraklit über die Rede von „Sein“ und „Nichts“, Sokrates mit dem Anfang der Fragestellungen „wo haben wir eigentlich unsere Begriffe her?“ (mit den späteren Höhepunkten: Hegel, Frege, Wittgenstein), Platon mit der Dialektik von „Eins“ und „Vieles“ (im „Parmenides“) und der Entwicklung des Gegensatzes „Idealität“ und „Realität“, Aristoteles mit unzähligen Ausarbeitungen von von Grundlagen (was ist ein Beweis, was ist eine Widerlegung, wie funktionieren Schlußfolgerungen, was ist eine Begründung, ein Grund, wann ist ein „Etwas“ ein „bestimmtes Etwas“, Unterscheidung von Gattung und Einzelding, von Ding und Eigenschaft…).

Andere besondere Leistungen wären zu nennen z.B. die konsequente Analyse eine Problems und die stringente Durchführung eines Gedankenganges in den „Bekenntnissen“ des Augustinus, die radikale Infragstellung der Gewißheit von Wissen bei Descartes, die Entdeckung, daß alle Begriffe einen Widerspruch in sich enthalten (Hegel)… man könnte ein ganzes Wochenende damit verbringen, allein solche „Pointen“ aufzulisten…

Aber die Frage bleibt, ob man soetwas in eine eindeutige Perlenkette von Wichtigkeit aufreihen könnte… es ist wohl eher ein sehr komplexes Gewebe: wenn man eine beliebige Ecke hochzieht, fällt alles andere herunter.

Liebe Grüße
Metapher

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‚bedeutend‘ oder: Die Parallelität der Disziplinen
Hallo,

(Vorsicht - mal wieder lang - sorry *ggg*)

lang ja, abr sehr spannend. :smile:

Das geht sicher - aber: leider keine eindeutige. Denn für die
Bedeutsamkeit können sehr unterschiedliche Kriterien angegeben
werden.

Das „leider“ möchte ich anzweifeln. Macht das nicht alles viel spannender? *g*
Ja, das habe ich mir auch so gedacht. Ich wollte aber meine Meinung nicht den Antworten vorausschicken.

Wenn man sich z.B. darauf fokussieren wollte, einzelne
Philosophen zu nennen (und nicht „Schulen“ oder „Disziplinen“
oder gar „Epochen“), dann könnte man vielleicht die Intensität
der Bezugnahme auf sie in 1. der zeitgenössischen Literatur
und 2. in der Literatur späterer Zeiten als Kriterium
anführen.

IMHO wäre es noch schwieriger, zu entscheiden, welche Schule oder Strömung wichtiger war als die andere.
Und da komme ich zum Titel: Wie sich die Disziplinen gleichen. Studiert habe ich Geschichte, nicht Philosophie (aus gutem Grund, aber das gehört nicht hierher *g*).
Und da ist es ähnlich, wenn auch erst auf den zweiten Blick.

Was „bedeutend“ war, entscheidet sich immer erst hinterher. Oft weit nach dem eingentlichen Ereignis, der Person, der Veränderung. Sogar eine Parallele zur Psychologie läßt sich ziehen: Auch wir Menschen spüren oftmals erst viel später, daß etwas unser Wesen entscheidend verändert hat.
Gut bebildern läßt sich das an berühmten Irrtümern. Es gibt etliche Zitate anerkannter Größen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die besagen, daß Fernsehen wohl niemals ein Medium sein kann, das die Massen erreichen wird.
Ich vermute, daß viele Philosophen, ebenso wie viele Wissenschaftler oder „Politiker“, nicht wußten, daß sie mit dem, was sie gerade denken oder sagen, die Welt verändern würden.

Und gerade deswegen ist ein Wertung so schwierig. Gutenberg und Columbus haben die Welt so rasant verändert, daß sie sie aus dem Mittelalter in die Neuzeit „zerrten“. Damals war das niemandem bewußt, die Epochendefinition kam erst viel später. Und ob der Buchdruck und die Bekanntmachung des neuen Kontinents (entdeckt wurde er ja schon früher) für sich alles verändert hätten, ist auch sehr zweifelshaft. Vieles kam zusammen. Und auch in dieser Zeit gab es Philosophen, die das ihre beigetragen haben zu der Veränderung. Hätten sie die Welt verändert, wenn nicht im gleichen Jahrhundert die Osmanen Konstantinopel gefällt hätten?
Hätte Nikolaus von Cues’ „Individualitätsgedanke“ (vereinfacht formuliert) die Welt verändert, wenn Gutenberg nicht die Weichen gestellt hätte, um Bücher unter’s Volk zu bringen?

Vielleicht sind viele, die wir als „bedeutend“ bezeichnen, Teil einer Zusammenkunft von Ereignissen und Denkweisen gewesen, ohne die wir heute nicht mehr von ihnen sprechen würden?
Gerade in den Fällen, in denen es wenig Überlieferung gibt: Wie viele Denker mag es gegeben haben, von denen wir aus einer übrlieferungsamrne Zeit nichts wissen, die vielleicht schon viel früher Gedaknen hatten, die später die Welt verändern würden? Wieviele sind verloren gegangen, weil sie allein waren auf weiter Flur?

Darauf gibt es natürlich keine Antwort. Ich finde nur die Frage spannend. :smile:

Aber die Frage bleibt, ob man soetwas in eine eindeutige
Perlenkette von Wichtigkeit aufreihen könnte… es ist wohl
eher ein sehr komplexes Gewebe: wenn man eine beliebige Ecke
hochzieht, fällt alles andere herunter.

Ja, sehr schön formuliert.
Danke für Deine Ausführungen.
Und liebe Grüße, Nike

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Gang der Geschichte
Hi Nike

IMHO wäre es noch schwieriger, zu entscheiden, welche
Schule oder Strömung wichtiger war als die andere.

Völlig richtig - denn sie haben ja irgendwie alle aufeinander Bezug genommen, oder sind gar in irgendeiner Art von Opposition gegeneinander entstanden - so z.b. der Nominalismus gegen den Realismus in der Scholastik, oder später der Rationalismus gegen den Empirismus. Kaum denkbar auch Hegel ohne (den jüngeren) Schelling, und beide zunächst engste Freunde und kaum liegen zwei grundlegende Philosophien so nah beieinander: und dennoch gab es von einem bestimmten Zeitpunkt an einen so abgrundtiefen - rein philosophischen - Streit (es ging um den Begriff des Absoluten), daß er zeitlebends die Freundschaft zerstörte…
Aber auch Schelling hat sich umgekehrt an der Kritik Hegels weiterentwickelt…

Deine Beispiele aus Politik, Weltgeschichte und Kulturgeschichte sind super ausgewählt, aus der Kunstgeschichte könnte man zahlreiche dazunehmen… und dies hier:

Vielleicht sind viele, die wir als „bedeutend“
bezeichnen, Teil einer Zusammenkunft von Ereignissen und
Denkweisen gewesen, ohne die wir heute nicht mehr von ihnen
sprechen würden?

ist wohl das Entscheidende. Nichts hat einen Wert für sich allein und entsteht aus sich allein erst gar nicht - ganz ähnlich wie bei den biologischen Individuen und Populationen. Man müßte bei der Frage der Wichtigkeit immer ebenso die mit dazunennen, die Katalysatoren waren oder die kreative Atmosphäre produzierten in denen andere Pflänzchen wuchsen. Das betrifft natürlich gerade auch die Rolle der Frauen in der patriarchalisch geschriebenen Geschichte (die soo patriarchalisch ja bekanntermaßen gar nicht war). Hinter wievielen „bedeutendsten“ Weltpolitikern standen Frauen? Was wäre die „Romantik“ ohne Bettina v. Arnim, George Sand, die Günderode usw. usw…

Also wird der Wichtigkeitsgrad der Früheren immer von Späteren hergestellt, und da es zu diesen Späteren wiederum Spätere gibt, die diese wiederum bewerten, wird „Wert“ immer dem Gang der Geschichte ausgeliefert sein…

Das ist übrigens nicht anders als in eigenen individuellen Biografien: manches scheinbar längst Vergessene wird nach Jahrzehnten plötzlich als entscheidender Wendepunkt im eigenen Leben entdeckt und Höhepunkte ohne gleichen oder Krisen, in denen jmd nicht mehr ein und aus wußte, zerfallen zur Nebensache…

Wie viele Denker mag es gegeben haben, von denen wir aus einer
überlieferungsarmen Zeit nichts wissen, die vielleicht schon
viel früher Gedanken hatten, die später die Welt verändern
würden?

Diogenes Laertius teilt die Philosophen der Antike noch ein in solche, die geschrieben haben und solche, die nicht geschrieben haben (heute undenkbar)… und wenn von denen, die geschrieben haben nur Fetzen übrig sind, wieviel mag in den Versammlungen von denen, die nicht geschrieben haben (und die sich darauf verlassen haben, daß ihre Schüler alle Tassen beisammen haben) an Bedeutendstem gesagt und entwickelt worden sein…

Wieviele sind verloren gegangen, weil sie allein waren
auf weiter Flur?

…oder weil sie ihren Weit- und Tiefblick mit in die Eremitage genommen haben…

Darauf gibt es natürlich keine Antwort. Ich finde nur die Frage spannend. :smile:

ja - mal wieder ein Beispiel, daß das Fragestellen wichtiger ist, als die Antworten :smile:

Danke dito

Metapher

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Hallo Metapher,

was Du schreibst (oder: was wir hier kreieren), hat viel mit meinen drei Maximen zu tun: „Change, Challenge, Choice“ (in Alliteration klingt es viel schöner :smile:). Alles ist in ständigem Wandel. Und das ist gut so. Der Ausdruck sagt es schon: Alles ist im Fluß. Und genau wie bei einem Fluß kann man die Strömungen nicht voneinander trennen, das Wasser, das rasant zwischen den Steinen herschießt und das, das ruhig am Rande fließt. Untrennbar.

Nichts hat einen Wert für sich
allein und entsteht aus sich allein erst gar nicht - ganz
ähnlich wie bei den biologischen Individuen und Populationen.
Man müßte bei der Frage der Wichtigkeit immer ebenso die mit
dazunennen, die Katalysatoren waren oder die kreative
Atmosphäre produzierten in denen andere Pflänzchen wuchsen.

Wie bei den Individuen: Wer steht dahinter? In welchen Gesprächen sind Denkanstöße gegeben worden, die irgendwann der Same für eine große Philosophie wurden. In welchen verrauchten Studentenkneipen, an welchem Küchentisch? Welche Menschen haben dort angestoßen, von denen heute niemand mehr spricht?

Unser Gespräch hier verändert uns beide, Dich und mich, auf irgendeine Art und Weise, stößt neue Gedanken an. Vielleicht werde ich später einmal einem Freund davon erzählen… „Damals sagte Metapher im Forum auch…“, und er erinnert sich daran, wenn sein Kind eine Frage stellt… "eine Freundin von mir hat vor langer Zeit mal gesagt… und vielleicht wird dieses Kind irgendwann einmal zu einem der „großen Denker“ erklärt…

Niemals wird jemand meinen Namen nennen, weniger noch Deinen, und dabei hast Du den Anstoß gegeben. Alles, was wir sagen oder tun, kann in irgendeiner Weise alles verändern. Völlig unerheblich, ob irgendjemand es später für nötig befindet, in den Geschichtsbüchern aufzunehmen. Darum geht es nicht.

Das ist übrigens nicht anders als in eigenen individuellen
Biografien: manches scheinbar längst Vergessene wird nach
Jahrzehnten plötzlich als entscheidender Wendepunkt im eigenen
Leben entdeckt und Höhepunkte ohne gleichen oder Krisen, in
denen jmd nicht mehr ein und aus wußte, zerfallen zur
Nebensache…

Ja, das meinte ich, als ich die Parallele zur Psychologie zog. Manche Dinge, wie das Gespräch mit meiner Mutter, als ich mit ihr über die X-Men sprach, schien in dem Moment völlig unerheblich. Zumindest ihr. Ich erinnre mich heute noch daran. Natürlich gibt es Begebenheiten und Begegnungen, bei denen man sofort spürt, daß sie das Leben verändern können. Aber vieles geschieht im Verborgenen und gewinnt erst viel später Sinn und Tiefe. Ich erinnere mich an viele kleine Dinge aus meiner Kindheit, einzelne Sätze, Worte, die demjenigen, der sie aussprach, schon nach Minuten wieder entfallen waren. Und das, obwohl ich mich an weite „bedeutende“ Strecken nicht erinnere.
Darum versuche ich, niemals etwas unbedacht zu sagen. Es könnte für irgend jemanden verändernd wirken, zum guten oder schlechten, auch, wenn ich das nie beabsichtigt habe.

Und schon wirft es eine weitere Frage auf… ist die Absicht wichtiger - oder das Resultat? Davon abgesehen, daß sich in den meisten Fällen weder das eine noch das andere einwandfrei feststellbar ist, habe ich oft den Eindruck, daß die Absicht in vielen Fällen völlig unerheblich ist… völlig konträr zu dem Ausspruch „Der gute Wille zählt“. :smile:

ja - mal wieder ein Beispiel, daß das Fragestellen wichtiger
ist, als die Antworten :smile:

Diese Unterhaltung macht mir wirklich Freude.

Nike

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Der Feuerhaken
Mein liebster Metapher,

nur eine kleine assoziative Randbemerkung, Zitat:

„Die Leuten sagen oft, alle Philosophie sei nur eine Fußnote zu Plato, aber sie sollten hinzufügen: ‚Bis Wittgenstein‘“ (Wasfi Hijab)

Entnommen dem schönen & sehr empfehlenswerten Buch der beiden Journalisten David J. Edmonds & John A. Eidinow:

„Wie Ludwig Wittgenstein Karl Popper mit dem Feuerhaken drohte. Eine Ermittlung“, DVA 2001.

Gewitzte Grüße
von
Diana

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auch Selbstbewertungen
Hi liebe Hunterin

„Die Leuten sagen oft, alle Philosophie sei nur eine Fußnote
zu Plato, aber sie sollten hinzufügen: ‚Bis Wittgenstein‘“
(Wasfi Hijab)

Entnommen dem schönen & sehr empfehlenswerten Buch der beiden
Journalisten David J. Edmonds & John A. Eidinow:

Danke Dir für den Tip - werd ich mir gleich mal reinzeihen :smile:

Ja - solche Bemerkungen von Fans, die sich in einen bestimmten Philosophen festgefressen haben, sind immer recht witzig…Bei den Wittgensteinianern ist es sogar durch die Bank zu finden.
Und Philosophen, die ihre eigene Ideenwelt so überragend bewerten, gibt es wie Sand am Meer, auch entsprechend andere abwerten - ich denke an Kierkegaard und Schopenhauer in ihrer Raserei gegen Hegel (bei Schopenhauer sogar Neid und Haß)…

Von Hegel selbst ganz zu schweigen, der meinte, daß die Philosophiegeschichte mit ihm ihr „absolutes“ Extremum erreicht habe (wobei ich ihm übrigens teilweise jedenfalls Recht gebe):

Er schreibt z.B. in seiner Philosophiegeschichte über Platon bzw. über eine Passage in dessen „Timaios“:

„…‚Zwei allein aber können nicht ohne ein Drittes vereinigt sein, sondern es muß ein Band in der Mitte sein, das sie beide zusammenhält‘ - einer der reinen [!] Ausdrücke des Platon; ‚der Bande schönstes aber ist, welches sich selbst und das, was von ihm zusammengehalten wird, aufs Höchste eins macht‘ Das ist tief [!]; da ist der Begriff, die Idee enthalten …“

und dann kommen ellenlange Ausführungen über diesen Satz, in dem er einen ersten Anflug der Entdeckung der Begriffs-Dialektik erkennt, die er selbst 2200 Jahre später erst auf den Punkt bringt.

Es heißt dann weiter:
„…Das Höchste [!] ist so in der Platonischen Philosophie enthalten… Diese Formen haben seit Platon ein paar tausend Jahre brachgelegen; in die christliche Religion sind sie nicht als Gedanken übergegangen… bis man in neueren Zeiten [i.e. Hegel !] angefangen hat, zu begreifen, daß Begriff, Natur und Gott in diesen Bestimmungen enthalten sind…“

Es lebe die Selbstsicherheit! - sine qua non… :smile:))

halali !

Metapher

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C-C-C
Hi Nike

was Du schreibst (oder: was wir hier kreieren), hat viel mit
meinen drei Maximen zu tun: „Change, Challenge, Choice“

…dein Exlibris? So könnte auch der Wahlspruch der Jäger-Kultur gelautet haben - trifft den Nagel auf den Kopf…

Und genau wie bei einem Fluß kann
man die Strömungen nicht voneinander trennen…

und nichtmal - wie bei Heraklit - kann man zweimal in denselben steigen…:smile:

… das Wasser, das rasant zwischen den Steinen herschießt und das, das ruhig am Rande fließt.

Also das Konstante nur das Knochengerüst für das eigentliche Leben - oder Bühnenbild, Staffage für das eigentliche Theater

Wie bei den Individuen: Wer steht dahinter? In welchen
Gesprächen sind Denkanstöße gegeben worden, die irgendwann der
Same für eine große Philosophie wurden. In welchen verrauchten
Studentenkneipen, an welchem Küchentisch?

… und in welchen Episoden des eigenen Lebens, die man längst vergessen hat…

Unser Gespräch hier verändert uns beide, Dich und mich, auf
irgendeine Art und Weise, stößt neue Gedanken an.

… der eigentliche Grund, sich in so einer verrauchten Foren-Kneipe aufzuhalten :smile:

Niemals wird jemand meinen Namen nennen, weniger noch Deinen,
und dabei hast Du den Anstoß gegeben. Alles, was wir sagen
oder tun, kann in irgendeiner Weise alles verändern. Völlig
unerheblich, ob irgendjemand es später für nötig befindet, in
den Geschichtsbüchern aufzunehmen. Darum geht es nicht.

Dazu fällt mir ein eine Bemerkung meines Lehrers (ein gründlicher Hegel-Kenner und - Lover) zu einem Satz von Hegel:
…der Anteil, der an dem gesamten Werke des Geistes auf die Tätigkeit des Individuums fällt, nur gering sein kann…“ - er sagte dazu: „Ganz falsch, Hegel! Hier liegt Hegel ganz falsch! Nichts ist der Anteil des Individuums!“

Darum versuche ich, niemals etwas unbedacht zu sagen. Es
könnte für irgend jemanden verändernd wirken, zum guten oder
schlechten, auch, wenn ich das nie beabsichtigt habe.

Wenn einem das nur immer so gelingen würde…:frowning:

…habe ich oft den
Eindruck, daß die Absicht in vielen Fällen völlig unerheblich
ist… völlig konträr zu dem Ausspruch „Der gute Wille zählt“.

Ja - super - volle Zustimmung!

ja - mal wieder ein Beispiel, daß das Fragestellen wichtiger
ist, als die Antworten :smile:

Diese Unterhaltung macht mir wirklich Freude.

Ja - mir auch - sowas ist gewissermaßen ein Bestandteil vom viel befragten „Sinn des Lebens“ :smile:)

gone with the wind…

o)

Metapher

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Hallo Metapher,

die vielen Doppelpunkte und Doppel-Doppelpunkte beginnen, den Augen wehzutun. Nicht jedoch dem Gehirn. Schön, daß wir Spaß haben.
Und schön, daß Du heute so fröhlich bist - das nur am Rande. Jezt aber zurück zu den Doppel-Doppelpunkten.

was Du schreibst (oder: was wir hier kreieren), hat viel mit
meinen drei Maximen zu tun: „Change, Challenge, Choice“

…dein Exlibris? So könnte auch der Wahlspruch der
Jäger-Kultur gelautet haben - trifft den Nagel auf den Kopf…

Mein Bekenntnis, Metapher.

Change. Alles verändert sich. Immer wieder, immer wieder neu. Und das ist gut so. Kannst Du Dir vorstellen, wie sehr mir dieses erste „C“ ein Trost war in Situationen schmerzlicher Veränderung. Gutes ist nicht immer schmerzlos. Oft hat mich allein der Gedanke getröstet, daß sich durch das, was geschieht, etwas verändert, daß Veränderung Leben bedeutet, daß es deswegen gut sein muß. Manchmal habe ich mich regelrecht daran geklammert… manchmal sogar, ohne es zuerst wirklich zu glauben. Aber siehe: Irgendwann konnte ich feststellen, daß es tatsächlich so war. Stillstand bedeutet: Eingefroren sein, auf der Stelle treten, Lähmung.
Der Phönix, der mythische Vogel, wird wiedergeboren aus seiner eigenen Asche: Aus Feuer und Schmerz, aber immer wiedergeboren. Ständige veränderung, ständiger Fluß. Nichts ist haltbar, und selbst das Ewige (an das ich durchaus glaube) verändert sich ständig.
Das ist keine Wahrheit, nur ein Credo.

Challenge. Herausforderung. Alles kann Herausforderung sein. Herausforderungen zu finden ist sehr leicht - und gleichzeitig unglaublich schwer. Die Suche danach, die Annahme von Herausforderungen bedeutet den Willen zu ständigem Wachstum. Und Wachstum ist Veränderung - in die Weite hinaus. Da schließt sich der Kreis. Für beides braucht man Mut. Und den braucht man auch für

Choice. Nicht nur die Wahl, die freie Entscheidung selbst, sondern die Möglichkeit. Wie heißt es in der Werbung? „Geht nicht gibt’s nicht!“ Ein einfacher, aber schöner Spruch. „Ich hatte keine andere Wahl“ ist (imho) lediglich der Rückzug auf die Entscheidung, aufzugeben. Das ist legitim. Aber ist die eigene Entscheidung, keine aufgezwängte. Ich kann aufgeben (auch wenn mir nahestehende Personen das möglicherweise abstreiten würden *g*), aber ich weiß dann immer : Das war meine Entscheidung. Ich ziehe mich nicht auf „keine Wahl“ zurück. Man hat immer eine Wahl. Es gibt immer allermindestens zwei Möglichkeiten. Tun oder lassen. Wollen oder ablehnen. Schweigen oder Reden… (machen wir mit letzerem weiter?)

Und genau wie bei einem Fluß kann
man die Strömungen nicht voneinander trennen…

Also das Konstante nur das Knochengerüst für das eigentliche
Leben - oder Bühnenbild, Staffage für das eigentliche Theater

Ja, nur das Bühnenbild, nur die Requisiten des Spiels, das wir selbst inszenieren. Wir, die Individuen, sind darin alles - und nichts. Denn:

Dazu fällt mir ein eine Bemerkung meines Lehrers (ein
gründlicher Hegel-Kenner und - Lover) zu einem Satz von Hegel:
"…der Anteil, der an dem gesamten Werke des Geistes auf
die Tätigkeit des Individuums fällt, nur gering sein
kann…
" - er sagte dazu: „Ganz falsch, Hegel! Hier liegt
Hegel ganz falsch! Nichts ist der Anteil des
Individuums!“

Denn alles geht von Individuen aus. Und doch: Nichts von diesen Individuen ist individuell - kommt das Wort nicht von unteilbar? Wie teilbar wir doch sind! Was für eine unendlich teilbare Gleichung, was für eine Summe unserer Erfahrungen, unzähliger Menschen, Einflüsse… und verrauchter (Foren-)Kneipen!
Und… wie gut das ist!

Darum versuche ich, niemals etwas unbedacht zu sagen. Es
könnte für irgend jemanden verändernd wirken, zum guten oder
schlechten, auch, wenn ich das nie beabsichtigt habe.

Wenn einem das nur immer so gelingen würde…:frowning:

Wie recht Du hast. Darum schrieb ich " versuche ich…" Es ist eine Maxime. Superlative sind schwer zu erreichen, wenn nicht unmöglich. Aber wichtig finde ich sie.

Diese Unterhaltung macht mir wirklich Freude.

Ja - mir auch - sowas ist gewissermaßen ein Bestandteil vom
viel befragten „Sinn des Lebens“ :smile:)

Der Sinn des Lebens… Change, Challenge, Choice. Wieder schließt sich ein Kreis. Und auch Kreise enden nirgendwo - oder vielmehr, niemals.

gone with the wind…

Ja, auch der Wind verändert sich immerzu.
Well put, Metapher. As always.

Liebe Grüße, Nike

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