Wer oder was ist bedeutend in Phi?
Hi Nike
(Vorsicht - mal wieder lang - sorry *ggg*)
Gäbe es denn wohl eine Möglichkeit, eine „Rangliste“ der
wichtigsten Philosophen zu erstellen und dabei "objektive
Kriterien zu verwenden?
Das geht sicher - aber: leider keine eindeutige. Denn für die Bedeutsamkeit können sehr unterschiedliche Kriterien angegeben werden.
Wenn man sich z.B. darauf fokussieren wollte, einzelne Philosophen zu nennen (und nicht „Schulen“ oder „Disziplinen“ oder gar „Epochen“), dann könnte man vielleicht die Intensität der Bezugnahme auf sie in 1. der zeitgenössischen Literatur und 2. in der Literatur späterer Zeiten als Kriterium anführen.
Diese Liste wäre aber wiederum in der Antike (Anaximander 6. Jhdt v.Ch. bis Proklos 5.Jhdt. n.Ch.) anders zu bewerten als in der Scholastik (Anselm v. Canterbury und Abäelard bis Suarez), dann Cusanus und Bruno auf einsamer Flur, dann die Neuzeit mit Bacon, Descartes bis Marx, Schopenhauer (mit Deutschem Idealismus Fichte, Schelling, Hegel) und die sog. Gegenwartsphil. ab Frege, Russel bis heute (nein um Himmels willen nicht Sloterdijk! Ihn überhaupt mitzuzählen halte nicht nur ich für einen Witz der Medienkultur).
Von den bedeutendsten Ph. der Antike weiß man zum Teil fast überheupt nichts: von Anaximander gibt es ein einziges Originalzitat, ebenso von Heraklit, von Parmenides gibt es nur Fragmente, von Pythagoras (sicher eine der bedeutendsten - und strengsten - Schulen der Antike) gibt es kein einziges Zitat. Die Akademie (Platon) hat ihre fundamentale Auswirkung erst im Neuplatonismus (Plotin, Proklos) gewonnen und der Peripathos (Aristoteles) hat Jahrhunderte geschlafen und wurde erst durch die arabische Philosophie (z.B. Ibn Sinna = Avicenna) in die Scholastik eingetragen, die Aristoteles erst zum wichtigsten Philosophen überhaupt aller Zeiten machte.
Die Bedeutung von Giordano Bruno wird erst heute entdeckt. Cusanus (Nikalaus v. Kues), der als Vorläufer der Dialektik gesehen werden könnte, wird von Hegel überhaupt nicht erwähnt(Hegel, der die erste Philosophie geschichte schrieb - auch die einzige, in der ein systematischer, „logischer“ Zusammenhang der Philosophien entwickelt wird. Andere - wie Diogenes Laertius - hatten die Ph. nur einfach aufgelistet, so wie wir es hier versuchen).
Kant hat sicher die grandioseste Wirkungsgeschichte der neuzeitlichen Ph. Aber Hegel, der ganz sicher die radikalste Revolution philosophischer Methode geleistet hat und die Natur des Denkens bzw. des „Begriffs“ (Aristoteles hatte als die primäre Aufgabe der Philosophie das „Denken des Denkens“ bestimmt) am gründlichsten durchschaute, wird heute nur von -relativ - wenigen als außerordentlich fundamental angesehen und weiterentwickelt (gehöre selbst zu diesem Häuflein).
Im 20. Jhdt. stehen sicher rezeptionsmäßig, schulmäßig und folgenmäßig Wittgenstein einerseits und Heidegger andererseits an einsamer Spitze…
Ganz anders sähen die Charts aus, wenn man in die Geschichte einzelner Disziplinen ginge:
Erkenntnistheorie
Ethik
Logik („formale“)
Naturphilosophie
Rechtsphilosophie
Religionsphilosophie
Ästhetik usw.
Oder wenn man „Schulen“ auflisten würde z.B.:
Akademie (Platon…)
Peripathos (Aristoteles…)
Pythagoras…
Stoa (Zenon d.J. Cicero…)
Neuplatonismus (Plotin…)
Empirismus (Locke, Berkeley, Hume…)
Positivismus (Comte…)
Marxismus…
Wittgenstein…
Wiener Kreis…
Existentialismus (Sartre, Camus…)
Frankfurter Schule…
Wenn man die jeweils zeitgenössische Berühmtheit einzelner Leute als Kriterium heranziehen würde, stünde ein Philosoph an einsamer Spitze, den man ansonsten nur als phil.-Historiker oder als Spezialist für scholastische Phil. kennt: Johannes Duns Scotus (Cambridge, Oxford, Paris, Köln) hat an die 30 000 Zuhörer gehabt…
Du - Nike - fragst völlig zurecht, was solche Formulierungen wie
„Einer der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit“
„… wenn er das Denken seiner zeit verändert hat“
selbst wieder für eine Bedeutung haben könnten. Denn genau diese Merkmale kann eine Philosophie überhaupt erst in späteren Zeiten bekommen - das ist genauso wie in der Kunstgeschichte. Eines der Kriterien ist ganz sicher das Maß, in dem man sich auf bestimmte Werke bzw. darin festgehaltene Ideen, Perspektiven, Analysen, später bezieht, daraus Lehren zieht, darauf aufbaut.
Manche Gedankengänge haben aber tatsächlich fundamentale Bedeutung („fundamental“ hier wörtlich: „grundlegend“), indem sie etwas „auf den Punkt bringen“. So z.B. die Auseinandersetzung bei Parmenides und Heraklit über die Rede von „Sein“ und „Nichts“, Sokrates mit dem Anfang der Fragestellungen „wo haben wir eigentlich unsere Begriffe her?“ (mit den späteren Höhepunkten: Hegel, Frege, Wittgenstein), Platon mit der Dialektik von „Eins“ und „Vieles“ (im „Parmenides“) und der Entwicklung des Gegensatzes „Idealität“ und „Realität“, Aristoteles mit unzähligen Ausarbeitungen von von Grundlagen (was ist ein Beweis, was ist eine Widerlegung, wie funktionieren Schlußfolgerungen, was ist eine Begründung, ein Grund, wann ist ein „Etwas“ ein „bestimmtes Etwas“, Unterscheidung von Gattung und Einzelding, von Ding und Eigenschaft…).
Andere besondere Leistungen wären zu nennen z.B. die konsequente Analyse eine Problems und die stringente Durchführung eines Gedankenganges in den „Bekenntnissen“ des Augustinus, die radikale Infragstellung der Gewißheit von Wissen bei Descartes, die Entdeckung, daß alle Begriffe einen Widerspruch in sich enthalten (Hegel)… man könnte ein ganzes Wochenende damit verbringen, allein solche „Pointen“ aufzulisten…
Aber die Frage bleibt, ob man soetwas in eine eindeutige Perlenkette von Wichtigkeit aufreihen könnte… es ist wohl eher ein sehr komplexes Gewebe: wenn man eine beliebige Ecke hochzieht, fällt alles andere herunter.
Liebe Grüße
Metapher