Berufswunsch Psychotherapeut

Liebe/-r Experte/-in,

der Sohn aus 1. Ehe meines Mannes macht gerade sein Abitur und hegt nach langer Perspektivenlosigkeit nun den Wunsch, Psychologie zu studieren und Psychotherapeut zu werden. Sein Wunsch resultiert daraus, dass:

a) er in der Arbeitsamt-Berufsberatung gesagt bekam, seine Stärken lägen im sozialen Bereich,
b) er sich selbst wegen starker Depressionen mit Suizidgedanken in psychologischer Behandlung befindet,
c) er dadurch zu der Ansicht kam, dass es zu wenig gute Psychotherapeuten gibt (lange Wartezeiten, wenig therapeutische Erfolge) und er sich nun berufen fühlt, anderen Menschen zu helfen.

Wir sind jedoch der Ansicht, dass dies denkbar schlechte Voraussetzungen sind, Psychotherapeut zu werden, vor allem, wenn man selbst psychische Probleme hat. (Seine Eltern sind ebenfalls beide depressiv und seit Jahren immer wieder in Behandlung, es liegt also in der Familie.) Ferner ist der Junge sehr sensibel und wir fürchten einfach, dass er diesem Job überhaupt nicht gewachsen wäre. Außerdem hegt er dabei auch unserer Meinung nach noch völlig unrealistische finanzielle Aussichten, er ist der Meinung, dass ein Psychotherapeut ca. 5000-6000 EUR mnatlich verdient, obwohl überall im Internet ganz andere Zahlen stehen.

Seine Mutter unterstützt ihn auch noch in diesem Berufswunsch, und da der Junge nur 1-2x im Monat bei uns ist, brachten alle Warnungen unsererseits nichts, im Gegenteil, es wird noch von Mutter und Sohn so aufgefasst, als ob mein Mann ihn in irgendeine Ausbildung drängen will, bloß weg vom Studium, um der Unterhaltspflicht zu entkommen. Das trifft aber absolut nicht zu, wir sind einfach nur der Meinung, dass er da einen großen Fehler macht, der Wille mag da sein, aber wir glauben eben nicht, dass er auch die emotionale Stärke mitbringt, die dieser Beruf doch wohl erfordert, wenn man anderen Menschen helfen will und täglich deren emotionalem Dilemma ausgesetzt ist.

Daher wenden wir uns heute an Sie in der Hoffnung, dass Sie uns vielleicht raten können, wie herausfinden kann, ob dies wirklich die richtige Berufswahl ist. Wir haben schon gesagt, er soll doch bitte vor dem Studium mal ein mehrmonatiges Praktikum in einer psychiatrischen Abteilung im Krankenhaus absolvieren, um zu sehen, ob er damit wirklich umgehen kann, jeden Tag mit psychisch labilen Menschen umzugehen. Aber er ist der Meinung, in so einer „Geschlossenen“ geht es ja völlig anders zu als später in seinem Beruf, das wäre ja kein Vergleich.

Ist das denn wirklich so? Wir glauben, er sieht hier alles (Tätigkeit, seine Befähigung, finanzielles Einkommen) durch die absolut rosarote Brille. Sorry, dass es so lang geworden ist, aber wir wissen nicht, was wir machen sollen, es fällt uns schwer, den Jungen sehenden Auges in sein „Unglück“ rennen zu lassen, da wir glauben, dieser Beruf würde ihn einfach emotional überfordern und kaputtmachen, da ihm durch seine Sensibilität nicht möglich wäre, den emotionalen Abstand zu den Patienten zu wahren. Er meint aber, die meisten Psychotherapeuten sind unsensibel und deshalb auch unfähig, man müsse die Patienten verstehen können (ihnen aus eigener Erfahrung nachfühlen können), um ihnen wirklich zu helfen.

Lieben Dank schon mal fürs Lesen und hoffentlich haben Sie einen Rat für uns aus Ihrer eigenen Berufserfahrung. Jeder Tipp (Bücher, Links etc.) würde uns helfen.

LG
Claudia