Zeitwahrnehmung

Hallo,
im „Plauderei“-Brett ist eine interessante Frage aufgetaucht, für die mich wissenschaftliche Erklärungen interessieren würden

http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarticl…

Es geht um die Frage, warum die subjektiv empfundene Zeit bei Langerweile langsamer verläuft als sonst und umgekehrt bei Beschäftigung mit interessanten Dingen, sie scheinbar nur so dahinfliegt.

Gruss
Enno

…zusätzlich zu Ennos Frage würde mich interessieren, warum - nicht nur - mir es so vorkommt, also ob die Zeit insgesamt rasend schnell vergeht in den letzten Jahren. Ich hatte mal gedacht, es könnte am Alter liegen, je älter man wird, umso schneller fliegt die Zeit an einem vorbei. Aber selbst meine Tochter sagt häufiger, dass sie das GEfühl hat, die letzten drei Jahre sind so schnell wie drei Monate vergangen…

neugierige Grüße
Gerry

Hallo Enno,

vielleicht kennst Du den Witz mit den beiden Greisen auf der Parkbank, wo der eine dem anderen die Relativitätstheorie erklärt?

Also was ist relativ?

Wenn Du zehn Sekunden ein hübsches Mädchen küsst, ist das relativ kurz.
Wenn Du Dich zehn Sekunden mit den blanken Hintern auf eine heiße Herdplatte setzt, ist das relativ lang

Wenn Du dich langweilst, hast Du wenige Eindrücke, die Du zu verarbeiten hast und die Aufmerksamkeit hängt sehr stark daran.
Wenn Du beschäftigt bist, hast Du gar nicht die Zeit, Dich allen Eindrücken zu wittmen. Die Eindrücke werden von Deinem Unterbewustsein bewertet und selektiert.

So einfach ist das.

such mal unter ‚subjektive Zeit‘ oder ‚subjektives Zeitempfinden‘, dann wirst Du Dich vor Treffern nicht mehr retten können.

Gandalf

DIE Darstellung schlechthin
Hallo Enno!
Hi Gemeinde!
Mein Lieblingsmaler Salvador Dalí hat genau mit folgendem Bild:

http://www.minorminstrel.de/minmin/die%20weichen%20u…

genau das kunstlerisch dargestellt:

Die Uhrzeigern, wenn sie fallen (im Bild), bewegen sich schneller (wir haben Spaß; erleben gerade was schönes, usw…). Die Zeit war für ihn (nach diesem Bild) keine mathematische, wissenschaftliche Angabe, sondern vielmehr eine Empfindung. ER lehnte sich dabei an die Relativitätstheorie Einsteins und an Freud, die Ähnliches gesagt haben soll.

Auf eine andere Seite der Uhren (an die 2 größere Uhren von 6 bis 9 Uhr), müssen die Zeigern eben einen sehr „steilen Weg“ vor sich. Damit wird das Gegenteil vom obigen Beschriebenes, dargestellt: Wir haben Langeweile oder Schmerz. Die Zeit scheint uns stehen zu bleiben. Die Uhrzeigern bewegen sich nicht. Es scheint als ob sie mühe hätten, sich vorwärts zu bewegen.

Findet Ihr nicht auch, daß es eine ausgezeichnete, meisterliche Leistung ist, auf so eine „einfache“ Weise, diese Theorien darzustellen? Für alle leicht verständlich?

Schönen Gruß
Helena

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Hallo,

Wenn Du Dich zehn Sekunden mit den blanken Hintern auf eine
heiße Herdplatte setzt, ist das relativ lang

hmm … das erinnert mich an ein Pizzablech, war allerdings

Hallo,
das Bild ist zwar unzweifelhaft schön & interessant aber die Interpretation wäre mir beim besten Willen nicht eingefallen.

Gruss
Enno

hallo!

genaues hab ich jetzt nicht im kopf-aber ist es nicht so dass
bestimmte drogen die zeitwahrnehmung beeinflussen können? das müsste
über eine veränderung des chemischen milieus passieren-und das macht
unser körper auch so dauernd.

in extremen stressituationen (wenn man angegriffen wird,
verkehrsunfall, …) steht ja auch zum teil die zeit still;
vielleicht hat adrenalin da einen effekt?!

was anderes könnte mit der reizdichte einen zusammenhang haben, d.h.
wenn wenig bis sehr wenig reize auf den körper eintreffen dann bleibt
die zeit auch „stehen“. deshalb kann man ja auch durch eine
10minütige entspannung in absoluter ruhe den „gleichen“ effekt
erzielen wie durch eine stunde schlaf (zumindest fühlt man sich
kurzfristig wie neu).
in diesen „sensory isolation tanks“ glauben doch die leute auch dass
stunden vergangen sind obwohl sie nur 15 minuten drin waren (müsste
man nochmal genauer nachlesen).

zeit wäre demnach ein von unserem körper beobachtetes von aussen
kommendes phänomen. wenn nix passiert „gibt“ es keine zeit.

tschüss

matthias

Hallo,
im „Plauderei“-Brett ist eine interessante Frage aufgetaucht,
für die mich wissenschaftliche Erklärungen interessieren
würden

http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/

showarticle.fpl?ArtikelID=1697100

Es geht um die Frage, warum die subjektiv empfundene Zeit bei
Langerweile langsamer verläuft als sonst und umgekehrt bei
Beschäftigung mit interessanten Dingen, sie scheinbar nur so
dahinfliegt.

Gruss
Enno

Hallo,
der Vergleich Extremsituation und „Isolationstank“ ist interessant. In beiden Fällen läuft die interne Uhr schneller. Das könnte ich mir nur so erklären, daß im Isolationstank Neurotransmitter ausgeschüttet werden, um das Reizdefizit auszugleichen.

genaues hab ich jetzt nicht im kopf-aber ist es nicht so dass
bestimmte drogen die zeitwahrnehmung beeinflussen können?

Ja. Grob würde ich sagen das sedierende Mittel das Zeitempfinden verlangsamen, aufputschende beschleunigen. Würde dann schon passen, daß die interne Uhr von Events getriggert wird.

Gruss
Enno

hallo!

die beiden situationen sind nicht nur ähnlich sondern werden gleich
vom körper aufgefasst; was gibt es denn schon schlimmeres als völlig
alleine zu sein und nichts von seiner aussenwelt mitzukriegen?
im prinzip ist das eine unglaubliche bedrohung für uns.

es gibt jede menge experimente an ratten die isoliert wurden und
deren verhalten man danach untersucht hat. schöne zusammenfassung in
„The tangled wing“ von Melvin Konner.

in den isolationstanks fangen viele (alle?) an zu halluzinieren; man
nimmt an dass das gehirn sich selbst input erzeugt um nicht
durchzudrehen. das gleiche (behaupte ich mal) kann man auch in
zoossehen in denen die tiere auf der stelle stehen und hin und her
wackeln (nennt man hospitalismus soviel ich weiss)-so erzeugt man
wenigstens etwas feedback von den muskeln her.

vielleicht spielt da auch selbstverletzendes verhalten mit rein?
schmerz gibt dem gehirn was zum verarbeiten.

ein buchtip noch zum thema zeit: „Faster-the acceleration of just
about everything“ von James Gleick. nett geschrieben und sehr
informativ-v.a. das kapitel über aufzüge.

tschüss

matthias

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Hallo,

es gibt auch in der Philosophie Erklärungsversuche hierfür.

Nach Immanuel Kant wird die Zeit in der Langeweile deshalb als länger wahrgenommen, weil die Empfindungen sich in diesen Momenten auf nichts richten, als auf die Zeit selbst. Die „Leerheit“ der Empfingungen lässt uns die Zeit selbst empfinden.

Arthur Schopenhauer hat diesen Ansatz ausgebaut. Seiner Darstellung nach ist das für den Menschen ständig präsente Wollen in der Langeweile ohne Objekt. Wir wollen also zwar etwas, wissen aber nicht, was wir wollen bzw. werden daran gehindert, das was wir wollen zu erreichen, und können das Gewollte nicht durch ein anderes Gewolltes ersetzen. Weil nun aber das Zeitempfinden an die Objekthaftigkeit gebunden ist, fehlt mit dem Objekt auch die Zeit bzw. deren Verlauf. Der Wille zu Wollen wird uns nicht mehr bewusst als einer, der etwas will, sondern erscheint als ein Wille, der will, aber nicht weiß, was er will. Der Wille ist also ziellos, er tritt als „reiner Wille“ in seiner „Dasshaftigkeit“ (nicht in seinem „Sosein“) auf. Dadurch leiden wir, weil ein unerfüllter Wille immer Leiden verursacht.

Sören Kierkegaard verbindet die Langeweile mit dem Gefühl der Unfreiheit, etwas Lustvolles tun zu können.

Bei Martin Heidegger erschließt sich in der Langeweile sogar eine Wertlosigkeit des Daseins als Dasein (Dasein ist hiernach also immer auf ein Sosein gerichtet).

Ernst Bloch deutet die Langeweile als allgemeines (unspezifisches) Sehnen und nimmt implizit die Theorie Schopenhauers auf.

Weitere Texte zur Langeweile finden sich bei Tugendhat und Theunissen.

Ob der Vortrag von Mike Sandbothe über „Die langeweiletheoretischen Überlegungen Arthur Schopenhauers im Lichte der modernen Langeweile-Forschung“ (Schopenhauer-Kongress 1988, Abstract im Schopenhauer-Jahrbuch 1989, S. 123f.) inzwischen erschienen oder ausgearbeitet veröffentlicht ist, vermag ich nicht zu sagen.

Ein interessanter Aufsatz findet sich aber im Schopenhauer-Jahrbuch 2001: Roswitha Dörendahl, „Über die Bedeutung der Langeweile in Schopenhauers erstem Band der Welt als Wille und Vorstellung“, S. 11-29.

Über den Bezug der Langeweile zur Ästhetik findet man einiges in dem 1996 erschienenen Buch „Ästhetische Autonomie als Abnormalität“ von Barbara Neymeyr ISBN: 3110152290 Buch anschauen .

Eine geschichtliche Darstellung von Auseinandersetzungen mit dem Phänomen der Langeweile ist von Ludwig Völker unter dem (naheliegenden) Titel „Langeweile“ (München 1975) ISBN: 3770511700 Buch anschauen erschienen.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

es gibt auch einen ähnlichen früherer Thread
Hi nochmal,

http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

Herzliche Grüße

Thomas Miller

the tank
tach matthias,

in den isolationstanks fangen viele (alle?) an zu
halluzinieren;

meine erfahrung mit den dingern ist schon ne weile her, aber ich
erinnere mich gut: es war himmlisch. kein körpergefühl, kein
sinnesreiz, der rödelnde verstand sucht input und ist auf einmal nur
mit sich selbst beschäftigt. nach einer weile gibt er auf, und ruhe
tritt ein.
ich habe das sehr genossen. allerdings hörte ich von vielen anderen,
die angst bekamen, panikanfälle und hysterie waren an der
tagesordnung.

halluzinationen kann ich nicht bestätigen, vollkommene entspannung
schon.

gruß,
frank

Super
Danke,
da habe ich erstmal genügend zum durchwühlen.

Gruss
Enno

Zeiterleben: Dehnung & Stauchung
Hi Enno

in dem Konflikt zwischen subjektivem Zeiterleben und objektiver Uhrzeit gibt es ebenso Zeitdehnung wie Zeitstauchung. Beide, Stauchung wie Dehnung spielen sich in der Spannung zwischen Gegenwart (Ich, Jetzt, Hier, Dies) und Zukunfsterwartung (also einer Vorstellung) ab.

Wir können 4 Grenzfälle betrachten:

  1. die Gegenwart ist von einem zukünftigen Angenehmen, Erwünschten geprägt
  2. die Gegenwart ist von einem zukünftigen Unangenehmen, Unerwünschten geprägt
  3. die Gegenwart ist von einem Unangenehmen, von einem „nichts wie weg hier“ geprägt
  4. die Gegenwart ist von einem „so bleibe doch, du bist so schön“ geprägt.

Bei 1. zieht die Imagination das Zukünftige in das Jetzt hinein: Die Zeitspanne zwischen Jetzt und imaginiertem Ereignis wird dadurch kürzer als die objektive Zeit. Diese „will und will nicht vergehen“ und zwar umso mehr, desto ersehnter das Zukünftige ist.

Bei 2. ist das genau umgekehrt. Das Zukünftige wird weg-imaginiert, so weit wie möglich und im Kontrast dazu vergeht die objektive Zwischenzeit „wie im Fluge“

Bei 3. ist die Stuation ähnlich 1. nur daß der Vorstellungsinhalt die reale gegenwärtige Situation ist und die Zukunft vorstellungsleer (bei 1. ist die Gegenwart vorstellungsleer). Der Gedanke ist „nur weg hier“ - die Grundsituation der Panik. Das „weg-sein-wollen“ ist der Hauptgedanke und der steht im Kontrast zu dem objektiven Ablauf der gegenwärtigen Ereignisse, die infolgedessen „wie in Zeitlupe“ erlebt werden.

Bei 4. ist die Situation ähnlich 2. und zugleich analog 3. Die Gegenwart hat die volle Aufmerksamkeit, die Zukunft ist vorstellungsleer, die Gegenwart wird sogar in die Zukunft ausgedehnt („kann mir nicht vorstellen, daß das einmal vergehen kann“), das „hier-bleiben-wollen“ ist der Hauptgedanke, der die (vorstellungsleere) Zukunft in die Gegenwart kontrahiert erlebt. Er steht wieder im heftigen Kontrast zum objektiven Zeitablauf, der daher „wie im Fluge“ abläuft.

Langeweile findet sich (ebenso wie das angenehmere Gegenstück: die „gleichschwebende Aufmerksamkeit“) in diesem Grundgerüst, wenn das Zeiterleben zwischen erlebter Gegenwart und (vorgestellter) Zukunft synchron mit der objektiven Zeit ist, also nicht durch Kontraktion oder Dehnung imaginierter Dauern (gegenüber der obj. Dauern) verzerrt wird.

Ist nun sowohl Gegenwarterleben als auch Zukunftvorstellung „leer“ von bewertet erlebten Ereignissen (also egal ob angenehm oder unangenehm), dann findet sich (unangenehme) Langeweile ein. Die Aufmerksamkeit hat nichts, worauf sie sich konzentrieren kann und es gibt daher keine Möglichkeit, Spannungsdynamik (Kontraktion oder Dilatation) ins Zeiterleben zu bringen.

Ist sowohl Gegenwart als auch Zukunftsvorstellung „voll“ mit Ereignissen, die aber auch nicht bewertet zwischen angenehm oder unangenehm stehen, dann gibt es die (angenehme) freischwebende Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit hat beliebige Möglichkeiten, sich auf Aktuelles oder Erwartendes zu konzentrieren und es gibt daher jede Menge Möglichkeit, Spannungsdynamik ins Zeiterleben zu bringen.

Wieteres seh Interessantes dazu, vor allem jede Menge Beispielberichte, finden sich in dem Buch, das ich schon in dem von Thomas erwähnten Thread zitierte:

Hermann Schmitz: System der Philosophie. 5 Bde (= 11 Bücher)
Bouvier Vlg. Bonn. 1964ff
Zum Thema speziell der Bd.1: „Die Gegenwart“
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3416002849/qid…
(gibts nicht mehr, weil der Verlag Bouvier Pleite gemacht hat)

Schmitz spannt diese Beobachtungen zwischen den Begriffen „Engung“ und „Weitung“ (des Gegenwartsbewußtseins) auf und gewinnt dadurch erstaunliche Möglichkeiten, z.B. Angst/Panik-Erlebnisse zu beschreiben und zu verstehen.

Gruß

Metapher

Hallo Enno!
Hi Gemeinde!

Dieses Bild ist von Salvador Dalí und hat mehrere Namen bzw. ist unter verschiedenen Namen bekannt, nämlich:

  • Die weichen Uhren
  • Die Beständigkeit der Erinnerung
  • Die zerrinende Zeit

und wurde 1931 gemalt.

Salvador Dalí selbst hat gesagt, daß er mit diesem Gemälde diese Theorie darstellen wollte. Und m.E. allein durch den Titeln kann man das auch erkennen.

Alles Gute und schönen Gruß
Helena

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

1 Like

Danke,
das macht Sinn.

Gruss
Enno

Hallo,
ok, das war mir nicht bekannt (auch die ersten beiden Namen nicht, ich kannte es nur unter „Die zerinnende Zeit“).

Gruss
Enno

Hi Enno,

mein einfacher Ansatz.

Ein interessanter Aspekt ist der Zeitpunkt der Betrachtung der Zeitbetrachtung.

Im Moment langsam vergehende Zeit mag Langeweile, negativen Streß anzeigen bzw. zuwenig angenehme, auch abwechslungsreiche positive Reize.

Führt jedoch jemand - extrem ausgedrückt - ein „langweiliges“ Leben, so mag ihm die Zeit in der Gegenwart subjektiv länger erscheinen. Jedoch am Lebensende angelangt, empindet er das Leben mangels Erlebnissen an denen er Zeit festmachen kann, als wie im Flug vergangen. Es fehlt das ausgefüllte Leben.

Ciao,
Romana