Zeiterleben: Dehnung & Stauchung
Hi Enno
in dem Konflikt zwischen subjektivem Zeiterleben und objektiver Uhrzeit gibt es ebenso Zeitdehnung wie Zeitstauchung. Beide, Stauchung wie Dehnung spielen sich in der Spannung zwischen Gegenwart (Ich, Jetzt, Hier, Dies) und Zukunfsterwartung (also einer Vorstellung) ab.
Wir können 4 Grenzfälle betrachten:
- die Gegenwart ist von einem zukünftigen Angenehmen, Erwünschten geprägt
- die Gegenwart ist von einem zukünftigen Unangenehmen, Unerwünschten geprägt
- die Gegenwart ist von einem Unangenehmen, von einem „nichts wie weg hier“ geprägt
- die Gegenwart ist von einem „so bleibe doch, du bist so schön“ geprägt.
Bei 1. zieht die Imagination das Zukünftige in das Jetzt hinein: Die Zeitspanne zwischen Jetzt und imaginiertem Ereignis wird dadurch kürzer als die objektive Zeit. Diese „will und will nicht vergehen“ und zwar umso mehr, desto ersehnter das Zukünftige ist.
Bei 2. ist das genau umgekehrt. Das Zukünftige wird weg-imaginiert, so weit wie möglich und im Kontrast dazu vergeht die objektive Zwischenzeit „wie im Fluge“
Bei 3. ist die Stuation ähnlich 1. nur daß der Vorstellungsinhalt die reale gegenwärtige Situation ist und die Zukunft vorstellungsleer (bei 1. ist die Gegenwart vorstellungsleer). Der Gedanke ist „nur weg hier“ - die Grundsituation der Panik. Das „weg-sein-wollen“ ist der Hauptgedanke und der steht im Kontrast zu dem objektiven Ablauf der gegenwärtigen Ereignisse, die infolgedessen „wie in Zeitlupe“ erlebt werden.
Bei 4. ist die Situation ähnlich 2. und zugleich analog 3. Die Gegenwart hat die volle Aufmerksamkeit, die Zukunft ist vorstellungsleer, die Gegenwart wird sogar in die Zukunft ausgedehnt („kann mir nicht vorstellen, daß das einmal vergehen kann“), das „hier-bleiben-wollen“ ist der Hauptgedanke, der die (vorstellungsleere) Zukunft in die Gegenwart kontrahiert erlebt. Er steht wieder im heftigen Kontrast zum objektiven Zeitablauf, der daher „wie im Fluge“ abläuft.
Langeweile findet sich (ebenso wie das angenehmere Gegenstück: die „gleichschwebende Aufmerksamkeit“) in diesem Grundgerüst, wenn das Zeiterleben zwischen erlebter Gegenwart und (vorgestellter) Zukunft synchron mit der objektiven Zeit ist, also nicht durch Kontraktion oder Dehnung imaginierter Dauern (gegenüber der obj. Dauern) verzerrt wird.
Ist nun sowohl Gegenwarterleben als auch Zukunftvorstellung „leer“ von bewertet erlebten Ereignissen (also egal ob angenehm oder unangenehm), dann findet sich (unangenehme) Langeweile ein. Die Aufmerksamkeit hat nichts, worauf sie sich konzentrieren kann und es gibt daher keine Möglichkeit, Spannungsdynamik (Kontraktion oder Dilatation) ins Zeiterleben zu bringen.
Ist sowohl Gegenwart als auch Zukunftsvorstellung „voll“ mit Ereignissen, die aber auch nicht bewertet zwischen angenehm oder unangenehm stehen, dann gibt es die (angenehme) freischwebende Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit hat beliebige Möglichkeiten, sich auf Aktuelles oder Erwartendes zu konzentrieren und es gibt daher jede Menge Möglichkeit, Spannungsdynamik ins Zeiterleben zu bringen.
Wieteres seh Interessantes dazu, vor allem jede Menge Beispielberichte, finden sich in dem Buch, das ich schon in dem von Thomas erwähnten Thread zitierte:
Hermann Schmitz: System der Philosophie. 5 Bde (= 11 Bücher)
Bouvier Vlg. Bonn. 1964ff
Zum Thema speziell der Bd.1: „Die Gegenwart“
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3416002849/qid…
(gibts nicht mehr, weil der Verlag Bouvier Pleite gemacht hat)
Schmitz spannt diese Beobachtungen zwischen den Begriffen „Engung“ und „Weitung“ (des Gegenwartsbewußtseins) auf und gewinnt dadurch erstaunliche Möglichkeiten, z.B. Angst/Panik-Erlebnisse zu beschreiben und zu verstehen.
Gruß
Metapher