Rechtslage bei lebensbedrohlichem Gesundheitsproblem

Liebe Experten,

angenommen, eine (soweit bekannt ansonsten weitgehend gesunde) Frau Mitte 70 leidet seit geraumer Zeit an einer immer schlimmer werdenden Schluckstörung unbekannter Ursache, die dazu führt, dass sie inzwischen beim Essen praktisch jeden Bissen wieder ausspucken muss.

Weiterhin nehmen wir an, die Frau sei mittlerweile stark abgemagert, weigere sich jedoch beharrlich , sich untersuchen zu lassen oder wenigstens auf Nahrung umzusteigen, die besser geeignet wäre (Pudding, Spezialnahrung, etc.).

Angenommen, der Ehemann sieht der Angelegenheit tatenlos zu, während die 100 km entfernt lebende Tochter sich große Sorgen macht, zumal die Eltern den Kontakt auf ein Minimum reduziert haben und nun sogar noch den Besuch von Tochter und Schwiegersohn zu Weihnachten unterbinden wollen.

Müsste man in einer solchen Situation wirklich tatenlos zusehen, wie die Mutter sich zu Tode hungert oder gäbe es da auch eine Grenze des freien Willens, die vielleicht sogar die rechtliche Pflicht beinhalten könnte, dort (wie auch immer) einzuschreiten?

Vielen Dank und viele Grüße
Gwen

Hallo Gwen,

harte Situation bei der man sich genau überlegen sollte, ob man hier wirklich einschreiten möchte!

Wenn man zu dem Entschluß kommt sich hier wirklich einbringen zu wollen und quasi das „Kommando“ auch gegen den Willen der Eltern zu übernehmen, ist nur der Gang zum Vormundschaftsgericht möglich.

Aber das kann zweischneidig enden. Wenn das Gericht zur Entscheidung kommt dass hier „bevormundet“ werden muss, dann wird zumeist ein amtlich bestellter Betreuer eingesetzt, welcher dann ABSOLUTE VOLLMACHT im amtlichen Rahmen mit festgelegten Aufgaben übertragen bekommt! Auch hinsichtlich des Einsatzes und der Verwendung des vorhandenen Vermögens! Wenn dieser zur Entscheidung kommt, das bestehende Vermögen ist restlos aufzubrauchen für ärztliche Betreuung…dann ist das so. Sollte das Vermögen aufgebraucht sein, hat der Vormund die Verpflichtung, auch die Kinder der Betreuten, im Rahmen der gesetzlichen Unterhaltspflichten, zur Kasse zu bitten.

Dann hat hier auch eine Tochter keinen Einfluß mehr auf dessen Entscheidungen!

Ein anderes Ergebnis könnte lauten, dass die Tochter zum Vormund bestellt und feste Aufgaben auferlegt bekommt, welche diese dann (z.B. in dieser Situation) gegen den Willen der eigenen Eltern umzusetzen hätte. Das dürfte eine unangenehme Sache werden.

Grüße
majowi

Hallo,

könnte man einfach mal die Finger still halten, wenn man nichts Richtiges beizutragen hat?

Fakt ist, das Instrument heißt Betreuung und nicht Vormundschaft. Fakt ist weiterhin, dass eine Betreuung nur für die Aufgabenkreise eingerichtet wird, in denen eine solche notwendig ist. D.h. z.B. die finanzielle Sorge steht hier nach der Schilderung überhaupt nicht zur Debatte. Fakt ist ebenso, dass Gerichte immer heilfroh sind, wenn jemand aus der Familie eine Betreuung anregt, und sich selbst als Betreuer vorschlägt (und dafür auch geeignet erscheint). Alle anderen Optionen werden nur gezogen, wenn sich aus der Familie niemand findet/der Fall so speziell ist, dass sich dies verbietet.

Konkret für den Fragesteller könnte sich hier allerdings das Problem der recht großen Entfernung stellen. Aber vielleicht findet sich ja auch jemand anderes in der Familie, der näher dran ist.

Gruß vom Wiz

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Hallo Wiz,

danke für deine Antwort!

Im Falle einer Betreuung kann dem Betreuer ja auch die medizinische Fürsorge übertragen werden, d.h. er könnte entscheiden, dass ein Arztbesuch stattfinden soll.

Angenommen, besagte Frau weigert sich weiterhin, sich untersuchen oder gar behandeln zu lassen. Was würde dann geschehen?

Man könnte sie ja schlecht mit Gewalt zum Arzt bringen und sie (womöglich auch noch fixiert) zwangsernähren, oder?

Viele Grüße
Gwen

Hallo,

bei erheblicher Eigengefährdung kann durchaus durch richterlichen Beschluss die ein oder andere Zwangsmaßnahme durchgesetzt werden, wenn mildere Mittel ausgeschöpft sind. D.h. das mündet dann in so einem Fall normalerweise in der Einweisung in die Psychiatrie, wo dann notfalls sediert wird, um eine Untersuchung/Behandlung durchführen zu können, wenn der Patient nicht kooperativ ist.

Inwieweit hier wirklich so scharfes Geschütz notwendig ist, lässt sich natürlich nicht aus der Ferne beurteilen. Eben so wenig, war ein konkreter Richter vor Ort für notwendig erachtet/bereit ist anzuordnen. Aber wenn es eher Starrköpfigkeit als Geisteskrankheit ist, sich nicht untersuchen und behandeln lassen zu wollen, obwohl es dringend Not tut, dann reicht oft auch alleine die Androhung entsprechender Dinge vollkommen aus, das Mütchen zu kühlen.

Gruß vom Wiz

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Hi,

Man könnte sie ja schlecht mit Gewalt zum Arzt bringen und sie (womöglich auch noch fixiert) zwangsernähren, oder?

Auf der anderen Seite kann man sie auch nicht einfach sterben lassen. Kann hier nicht sogar die Polizei zusammen mit einem Arzt tätig werden und die Einweisung in ein Krankenhaus gegen den Willen der Person anordnen? Den Anruf/Besuch beim nächsten Revier wäre mir das wert.

Gruss
K

Hallo!

Aber wenn es eher Starrköpfigkeit als Geisteskrankheit ist, sich nicht
untersuchen und behandeln lassen zu wollen, obwohl es dringend
Not tut…

Ohne mich auf diesem Gebiet aufs juristische Parkett begeben zu können/zu wollen:

Manche Menschen, zumal in bereits fortgeschrittenem Lebensalter, nehmen im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte auch lebensbedrohliche Entwicklungen hin und lehnen Behandlungen ab. Sie wollen weder von Apparaten noch von medizinischem Personal abhängig sein oder welche Gründe auch immer zu solchem Verhalten führen. Man bewegt sich auf ganz dünnem Eis, wenn man an das Verhalten anderer Menschen den eigenen Maßstab anlegt. Von der Betroffenen in dieser Schilderung geht keine Gefahr aus, sie gefährdet nur sich selbst und entscheidet für sich selbst. Dieses Recht muß man Menschen zugestehen.

Man kann eine Behandlung nahe legen, aber wenn der/die volljährige Betroffene bei klarem Verstand ist und keine Behandlung wünscht, hat man diese Entscheidung zu respektieren. Dabei darf man aber nicht den bequemen Fehler begehen, den klaren Verstand des Betroffenen anzuzweifeln, nur weil man mit der Entscheidung nicht einverstanden ist.

Gruß
Wolfgang

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Hallo,

wie ich hier ja ständig schreibe, bin ich vollkommen bei Dir, wenn es darum geht, dass jemand am Ende seines Lebens steht, und es nur um eine Leidensverlängerung geht. Der hier geschilderte Fall klingt aber mE nicht danach. Es wird nichts von einer Diagnose, nichts von sonstiger extremer Gebrechlichkeit, extrem hohem Alter, … berichtet.

Es gibt z.B. - gerade bei älteren Menschen - eine durchaus nicht so seltene „Angst vor Diagnose“, die verhindert, dass Menschen sich wider besseres Wissen nicht zum Arzt begeben, und dadurch vollkommen unnötig leiden, und sich das Leben verkürzen. Denn Hilfe wäre im Fall der tatsächlich zu stellenden Diagnose durchaus möglich (bei der es gerade eben nicht um „Leidensverlängerung“ geht). Eine solche Angst kann durchaus krankhaft sein, worauf hier der zunehmende Abbau aufgrund Mangelernährung hindeuten könnte. Da noch von „freiem Willen“ zu sprechen, könnte problematisch werden. Daher wird es im Rahmen eines anzuregenden Betreuungsverfahrens ja auch zu einer entsprechenden Untersuchung des Geisteszustands kommen.

Stell Dir vor, man lässt die Frau sich jetzt zu Tode hungern, und im Nachhinein stellt sich dann eine vollkommen harmlose, gutartige Wucherung an der Speiseröhre heraus, die man problemlos hätte behandeln können, was der Dame noch viele schöne Jahre hätte bescheren können. Würdest Du da als Angehöriger gut damit leben können, ihr „ihren Willen“ gelassen zu haben, unvernünftiger Weise sich keiner Diagnose zu stellen?

Gruß vom Wiz

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Hallo Kasi,

danke für deine Antwort!

Auf der anderen Seite kann man sie auch nicht einfach sterben
lassen. Kann hier nicht sogar die Polizei zusammen mit einem
Arzt tätig werden und die Einweisung in ein Krankenhaus gegen
den Willen der Person anordnen? Den Anruf/Besuch beim
nächsten Revier wäre mir das wert.

Man müsste leider annehmen, dass ein solches Vorgehen zu einer Eskalation führen würde und den völligen Kontaktabbruch zur Tochter nach sich ziehen würde. Das würde dann wohl heißen, dass die Tochter keinerlei Informationen mehr bekäme.

Viele Grüße
Gwen

Hallo Wiz,

Es wird nichts
von einer Diagnose, nichts von sonstiger extremer
Gebrechlichkeit, extrem hohem Alter, … berichtet.

In diesem Fall nehmen wir eine ansonsten vermutlich gesunde (wenn auch dürre und krumme) 75-jährige Frau an, die ihr Leben lang Arztbesuche möglichst vermieden hat, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ und die bis heute völlig ohne Medikamente auskommt.

Es gibt z.B. - gerade bei älteren Menschen - eine durchaus
nicht so seltene „Angst vor Diagnose“, die verhindert, dass
Menschen sich wider besseres Wissen nicht zum Arzt begeben,
und dadurch vollkommen unnötig leiden, und sich das Leben
verkürzen. Denn Hilfe wäre im Fall der tatsächlich zu
stellenden Diagnose durchaus möglich (bei der es gerade eben
nicht um „Leidensverlängerung“ geht).

Du triffst den Nagel damit vermutlich auf den Kopf. In besagtem Fall ist anzunehmen, dass die Frau Angst vor einer Diagnose hat, wobei allerdings auch eine starke Ablehnung der Diagnostik an sich und auch einer möglichen Therapie einhergeht. Als typische Äußerung könnte man hier Sätze wie „Ich lasse nicht an mir herumschnippeln“ annehmen. Fakt sei aber, dass die Chance auf eine harmlose Ursache tatsächlich recht hoch ist und diese Verweigerung als Selbstmord auf Raten betrachtet werden kann.

Daher wird
es im Rahmen eines anzuregenden Betreuungsverfahrens ja auch
zu einer entsprechenden Untersuchung des Geisteszustands
kommen.

Wie würde das erfolgen, wenn die Frau mitsamt ihrem Mann überhaupt nicht kooperiert und sich stur stellt?

Und wie würde die zuständige Behörde vorgehen, wenn Gespräche abgelehnt werden bzw. die Tür gar nicht erst geöffnet würde?

Stell Dir vor, man lässt die Frau sich jetzt zu Tode hungern,
und im Nachhinein stellt sich dann eine vollkommen harmlose,
gutartige Wucherung an der Speiseröhre heraus, die man
problemlos hätte behandeln können, was der Dame noch viele
schöne Jahre hätte bescheren können. Würdest Du da als
Angehöriger gut damit leben können, ihr „ihren Willen“
gelassen zu haben, unvernünftiger Weise sich keiner Diagnose
zu stellen?

Damit hast du völlig Recht. Leider müsste wohl angenommen bzw. befürchtet werden, dass jedes (vor allem öffentliche) Eingreifen durch die Tochter eine Eskalation zur Folge hätte, die zum völligen Kontaktabbruch oder gar zum Tod der Eltern führen könnte (Vater schwer herzkrank, Mutter ohne ihren Mann ziemlich hilflos).

Viele Grüße
Gwen

Hallo,

Du siehst die sich im Umfeld einer solchen Maßnahme ergebenden Probleme durchaus realistisch, und ich kann Dir die damit verbundenen Ängste auch nicht nehmen. Das ist eine dieser klassischen Situationen, in denen man als Angehöriger „nichts richtig machen kann“.

Der Ablauf wäre der, dass zunächst einmal jemand eine Betreuungsanregung an das zuständige Gericht schicken müsste. In der muss dargelegt werden, warum für welche Aufgabenkreise (hier Gesundheitssorge) eine Betreuung für notwendig erachtet wird. D.h. man muss darstellen, dass hier eine aufgrund mangelndem Einsichtsvermögen verursachte massive Selbstgefährdung vorliegt, und die bislang verweigerte ärztliche Diagnostik und Behandlung zwingend notwendig sind, um massive Folgeschäden begrenzen zu können. Das kann man freihändig machen, oder auch per Formular (kann man bei vielen Gerichten und Betreuungsbehörden unter dem Stichwort „Betreuungsanregung“ im Internet finden).

Wenn die Schilderung plausibel ist, wird ein Richter eine psychiatrische Begutachtung veranlassen. Sollte der nicht freiwillig Folge geleistet werden, kann die auch zwangsweise erfolgen/kann ggf. nach Aktenlage entschieden werden. Der bestenfalls dann eingesetzte Betreuer muss dann wieder alle milden Mittel ausschöpfen, um zu einer ärztlichen Untersuchung zu kommen. Fruchten die nicht, kann er bei Gericht einzelne Zwangsmaßnahmen beantragen, die dann jeweils durch richterlichen Beschluss festzusetzen sind. Notfalls kommt dann eine etwas größere Mannschaft zum persönlichen Abholen ins Haus.

Was das für das Verhältnis in der Familie vorläufig bedeuten kann, ist uns beiden klar. Es könnte aber sein, dass nach Durchführung entsprechender Behandlung und Wiederherstellung der Lebensqualität die Sache auch von der anderen Seite aus als „notwendig“ erachtet wird. Was den herzkranken Partner angeht, …

Gruß vom Wiz

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Hallo,

das hört sich schlimm an, aber wie sieht es mit dem behandelnden Arzt aus? Man könnte mit dem Kontakt aufnehmen und die Sorgen, die man sich macht schildern. Vielleicht gibt es auch eine beim Arzt hinterlegte Betreuungsvollmacht oder Vorsorgevollmacht?
Auf jeden Fall Kontakt halten und ev. den Hausarzt dazuziehen,.Er kann eine Notaufnahme im Krankenhaus veranlassen. 
Alles, alles Gute- Schaddie

Hallo Schaddie,

danke für deine Antwort!

Es muss leider davon ausgegangen werden, dass kein wirklicher Hausarzt existiert, da Arztbesuche von ihr schon immer möglichst vermieden wurden. Ebenso wenig kann man vermutlich von irgendeiner Art der Verfügung ihrerseits ausgehen.

Alles, alles Gute

Danke!

Viele Grüße
Gwen

Hallo

In besagtem Fall ist anzunehmen, dass die Frau Angst vor einer Diagnose hat, wobei allerdings auch eine starke Ablehnung der Diagnostik an sich und auch einer möglichen Therapie einhergeht. Als typische Äußerung könnte man hier Sätze wie „Ich lasse nicht an mir herumschnippeln“ annehmen. Fakt sei aber, dass die Chance auf eine harmlose Ursache tatsächlich recht hoch ist und diese Verweigerung als Selbstmord auf Raten betrachtet werden kann.

Und mit Hinweisen darauf, dass es auch etwas völlig Harmloses sein kann, bei der eine Hilfe leicht möglich wäre, kann man gar nichts erreichen? Auch nicht beim Mann?

Ich kann mir andererseits aber auch vorstellen, dass manche Leute einfach wissen, ob eine Krankheit, die sie haben, harmlos ist oder nicht. Und wenn es irgendwas wäre, wobei vorübergehend eine Kehlkopfentfernung und dauerhaft gar nichts mehr helfen würde, da muss ich zugeben, da wäre es mir als Betroffene wahrscheinlich auch lieber, direkt zu verhungern, als diese ganze medizinische Prozedur drumherum vorher noch zu erleben.

Viele Grüße

Hallo Simsy Mone,

Und mit Hinweisen darauf, dass es auch etwas völlig Harmloses
sein kann, bei der eine Hilfe leicht möglich wäre, kann man
gar nichts erreichen? Auch nicht beim Mann?

Er sieht in diesem Fall zwar theoretisch die Notwendigkeit des Arztbesuchs, praktisch scheint er aber resigniert zu haben und lässt sie gewähren.

Ich kann mir andererseits aber auch vorstellen, dass manche
Leute einfach wissen, ob eine Krankheit, die sie haben,
harmlos ist oder nicht.

Leider hat besagte Frau in diesem Fall schon immer eine starke Abneigung gegen Ärzte und hat Arztbesuche schon immer vermieden. Zudem muss leider davon ausgegangen werden, dass besagte Frau schon seit über dreißig Jahren (!) behauptet, sie sei sterbenskrank und habe nicht mehr lange zu leben. Insofern könnte diese Verweigerung von Hilfe weniger mit Vorahnungen als vielmehr mit Gewohnheit zusammenhängen. Ihr schon recht heftiges Krampfaderleiden blieb über Jahrzehnte unbehandelt, diente ihr aber immer wieder dazu, dies als mögliche Ursache ihres baldigen Todes zu erwähnen.

Ein wirklich schwieriger Fall.

Viele Grüße
Gwen

Hallo Gwen

Ein wirklich schwieriger Fall.

In der Tat.
Bin im Moment völlig ratlos.

LG