Zeugin muss für Fehler der Geschäftstelle aufkommen
Weil die Geschäftsstelle nicht weiss, was der Richter macht und umgekehrt der Richter nicht, was seine Geschäftsstelle (weil die linke Hand nicht weiss, was die rechte Hnad macht)
Frau Niesegang ist viel beschäftigt: als alleinerziehende Mutter zweier Kinder ist sie gerade dabei, sich in einen neuen Job einzuarbeiten und bereitet einen Umzug in eine andere Wohnung vor. Viel Arbeit und Vorbereitung für den Dreipersonenhaushalt, für den sie alleine zuständig ist Einen Gerichtstermin am Dienstag als Zeugin hat sie deshalb lange im vorraus mit ihrem neuen Arbeitgeber abgesprochen und entsprechend die Betreuung der Kinder geregelt. Doch dann: Montag morgen kommt der Anruf, der Termin bei Gericht sei kurzfristig verschoben. Misstrauisch ob dieser kurzfristigen Massnahme ruft Frau Niesegang auf der Geschäftsstelle des Gerichtes zurück, um sich die Abladung bestätigen zu lassen. Dabei möchte Sie auch gern in Erfahrung bringen, ob bereits ein neuer Termin festgelegt sei, um dies rechtzeitig mit ihrem Arbeitgeber abzusprechen. Die Geschäftsstelle bei Gericht bestätigt ihr die Abladung, ein neuer Termin sei allerdings noch nicht bestimmt worden. Ein Schreiben sei an sei unterwegs, in dem die Abladung formuliert sei, ein neuer Termin werde ihr in einem nachfolgenden Schreiben mitgeteilt. Frau Niesegang informiert entsprechend ihren Arbeitgeber und die für die Kinder bereitstehende Betreuung. Ein Beteiligter in diesem Prozess, Herr Morgenroth, ruft sie gegen Mittag an, dass sie den Termin bei Gericht am nächsten Tag nicht versäumen solle. Frau Niesegang informiert auch diesen über die neue Lage. Ebenfalls überrascht ruft Herr Morgenroth ebenfalls bei der Geschäftsstelle des Gerichtes an und erhält dort die gleiche Antwort, der Termin sei kurzfristig aufgehoben, ein neuer Termin noch nicht festgelegt, ein Schreiben mit genau diesem Inhalt sei an ihn unterwegs, ein nachfolgender Termin werde in einem weiteren Schreiben bestimmt . Herr Morgenroth meldet sich bei Frau Niesegang zurück und bestätigt ihr die Verlegung als auch dass noch kein neuer Termin bestimmt sei und dass sich das zu erwartende Schreiben lediglich auf die Abladung beziehe. Er selbst findet noch am selben Nachmittag das angekündigte Schreiben in seinem Briefkasten mit einem Doppel der mehrseitigen Begründung für die kurzfristige Massnahme. Er zieht das Schreiben aus dem gelben Gerichtskuvert, legt das Deckblatt, dessen Inhalt im ja bereits vorab mitgeteilt worden war, ab und liest sich die mehrseitige Begründung der Umladung durch, zu der dann auch noch schriftlich Stellung nimmt.
2 Monate später: Frau Niesegang wohnt bereits in ihrer neuen Wohnung, noch ist nicht alles eingerichtet, noch sind die Änderungen im Alltag mit Arbeit und Kindern zu regeln, da kommt ein erneutes Schreiben vom Gericht: Frau Niesegang sei zum Gerichtstermin nicht erschienen, sie habe deshalb ein Ordnungsgeld zu zahlen. Völlig konsterniert ruft Frau Niesegang auf der Geschäftsstelle des Gerichtes zurück, wie es denn dazu kommen könne, der Termin sei doch auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Dort wird ihr erklärt, dass es sich um einen neuen Termin handelt, zu dem sie nicht erschienen sei. Dieser Termin sei ihr in dem Schreiben mit der Abladung genannt worden, dem Schreiben, das laut Auskunft der Geschäftsstelle lediglich die Abladung bestätigen sollte, ohne dass ein neuer Termin bereits bestimmt worden sei. Frau Niesegang ruft völlig aus dem Häuschen bei Herrn Morgenroth an, der auch nicht zu dem Termin erschienen war. Auch er kann sich das nicht erklären und meldet sich auf der Geschäftsstelle zurück, wo ihm die gleiche Auskunft erteilt wird. Tatsächlich findet Herr Morgenroth im unteren Absatz des dreifach gefaltenen Deckblattes des Schreibens die Nennung eines neuen Termines. Allerdings hat auch er nicht darauf geachtet, nachdem ihm noch am selben Tag von der Geschäftsstelle des Gerichtes mitgeteilt worden war, dass das Schreiben lediglich die Bestätigung der Abladung enthalten würde.
Immer noch völlig ratlos entschuldigt sich Frau Niesegang bei Gericht, dass ihr der neue Termin nicht bekannt gewesen sei und sie deshalb bei Gericht gar nicht habe erscheinen können. Man möge doch bitte das Ordnungsgeld aufheben, da es deutlich nicht in ihrer Absicht lag, den Termin zu verpassen. Sie habe viel um die Ohren mit Kindern, Umzug und neuer Arbeitsstelle und sei im Gegenteil selbst sehr daran interessiert, dass diese Angelegenheit zu einem Ende finde. Der Richter lässt ihre ehrliche, aber allzu naiv verfasste Entschuldigung nicht gelten. Als sie daraufhin beim Richter anruft und ihm die Umstände mit dessen Geschäftsstelle erläutert, rät er ihr zu einer weiteren schriftlichen Stellungnahme. Darin formuliert Frau Niesegang dann zwar die Umstände mit der Geschäftsstelle des Richters, doch nimmt der Richter in seiner weiteren Ablehnung des Einspruches darauf überhaupt keine Stellung, sondern hält ihr im Gegenteil noch die auf Verständnis bedachten Formulierungen ihrer ersten Entschuldigung vor. Auch Herr Morgenroth kommt der Aufforderung des Gerichtes nach, sich zu dem Einspruch Frau Niesegangs gegen das Ordnungsgeld zu äussern und bestätigt darin die missverständlichen Auskünfte der Geschäftsstelle. Von dort erhält er sogar eine Entschuldigung für den „unglücklichen“ Verlauf: da die Akte noch einige Tage beim Richter gelegen sei, habe man dort keinen Einblick gehabt in den eigentlichen Inhalt des Schreibens, sondern lediglich den Abladungsbeschluss erhalten und dies so weitergegeben. Dass der Richter noch am selben Tag einen neuen Termin bestimmt habe, sei auch dessen Geschäftsstelle nicht bekannt gewesen. Man habe noch einmal mit dem Richter darüber gesprochen, doch sei das für diesen nicht relevant. Entsprechend nimmt der Richter in seiner Begründung für das Ordnungsgeld dazu auch erst gar nicht Stellung.
Das Ergebnis des amtsgerichtlichen Tohuwabohu: Frau Niesegang soll nun ein Ordnungsgeld in noch zu bestimmender Höhe zahlen und für die Aufwandskosten der zur Verhandlung erschienen Prozessteilnehmer aufkommen. Die waren immerhin aus Berlin angereist, so dass ein erklecklicher Betrag von gut eintausend Euro zusammenkommt. Und das alles für nix und wieder nix.