der Logos im Johannesevangelium
Bei Johannes heisst Er „Wort Gottes“.
Im Joh. wird er ausschließlich im Prolog als ho logos bezeichnet. Die Übersetzung, die bereits in der Vulgata mit lat. verbum wiedergegeben wurde und von daher von und seit Luther mit „das Wort“ eingedeutscht, trifft den griechischen logos aber bei Weitem nicht.
logos spielt in der Zeit der Abfassung des Textes eine Wesentliche Rolle:
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in der Stoa
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bei Philo Alexandrinus - teils als Eigenschaft Gottes neben der Weisheit (sophia), teils als göttliche Gestalt, sogar mit der Bezeichnung monogenes huios theou („einziggeborener Sohn Gottes“), wodurch er auch als Einflußgeber der späteren Trinitätsproblematik gilt; auch die Bezeichnung psyche kosmou („Weltseele“, das ist von Platon entlehnt) und parakletos („Tröster“, wie das pneuma bei Joh.) wählt er für den logos
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in einigen griech. Mysterienkulten als göttliches Wesen, vor allem in der Orphik neben der sophia und dem pneuma
Der Begriff sophia (Weisheit) kommt im Joh. nicht vor. Dagegen finden sich aber in alttestamentlichen Texten über sophia, hebr. chokma einige Aussagen, die auf ihren primordialen Charakter hinweisen: Sie ist vor der Schöpfung und ewig, aber: Sie ist geschaffen:
Sirach 1.4 „Früher als sie alle [d.h. Himmel, Erde, Meer] ist die Weisheit erschaffen, von Ewigkeit her …“
Sirach 1.9 „Er hat sie geschaffen, geschaut und gezählt, sie ausgegossen über all seine Werke“
Sirach 24.9 „Vor der Zeit, am Anfang, hat er mich erschaffen, und bis in Ewigkeit vergehe ich nicht“
Sprüche 8.30 „Als er die Fundamente der Erde abmaß, da war ich bei ihm als Geliebte [oder: gelibtes Kind]. Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit“
Insofern kann man die sophia schon irgendwie mit dem logos des Joh.-Autors in Verbindung sehen. Aber der entscheidende Unterschied ist: Der johanneische Logos ist nicht als Geschöpf verstanden, sondern umgekehrt ist durch ihn alles geschaffen:
Joh. 1.3 panta di’autou egeneto …
Daß er primordial gedacht ist, zeigt sich in
Joh. 17.5 pro tou ton kosmon einai „vor dem Sein der Welt“
und
Joh. 17.24 „weil du mich geliebt hast pro kataboles kosmou vor Grundlegung der Welt“
Nun zu deinen Fragen:
Ist das Wort Gottes, das - wie Johannes erläutert - von Anfang an bei Gott
ist, bzw. ist die Weisheit, welche in Christus inkarniert
wird, als Gott selber oder als bei Gott zu bezeichnen;
Zunächst: Auch die Übersetzung Joh. 1.1 „war bei Gott“, Vulgata erat apud deum (mit Akkusativ!), ist nicht ganz unproblematisch. Das lat. apud wurde zwar generell als statisch örtlich „bei jmd“ verwendet, aber nicht nur, sondern auch als „auf/zu jmd. hin“. Das griech. pros ton theon (ebenfalls Akkusativ) hat aber die statische Bedeutung nicht, sondern gibt eine Bewegungsrichtung an.
Joh.1.1 muß daher eigentlich mit „und der logos war auf Gott hin [sc. gerichtet]“ wiedergegeben werden. Mit kai theos en ho logos „und Gott war der logos“ ist daher eine innergöttliche „Gerichtetheit auf sich selbst“ ausgedrückt.
Und diese wird nun mit „durch ihn ist alles geschaffen, und außerhalb seiner [so muß es korrekt heißen] wurde nichts geschaffen“, wodurch die Absolutheit dieses Geschehens ausgesagt wird, mit Joh. 1.14 auf die Geschöpflichkeit (griech. sarx „Fleisch“) gewendet: „und der logos ist sarx geworden und hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen“.
die Frage ergibt sich aus dem Wortlaut bei Johannes, namentlich
dem griechischen Wortlaut, der erlaubt, Gott in der Ewigkeit
als mit der Weisheit, also nicht bloss ein weises Wesen,
sondern eben mit einem Wesen Weisheit an Seiner Seite, vorzustellen.
Das wäre genuin johanneisch, ja - bis auf die Tatsache, daß logos nicht „Weisheit“ ist, sondern eine ganz andere Begriffsextension hat (sonst wäre er nicht zB in der Orphik eine (männliche) Gottheit neben der (weiblichen) Gottheit sophia. Und dennoch kommt es in die Nähe der „Weisheits“-Aussagen (chokma) in „Sprüche“ und „Sirach“. Nur mit dem wesentlichen Unterschied, daß die chokma, obwohl ewig, ein Geschöpf ist. Der johanneische Logos ist aber nicht Geschöpf.
Das ergäbe dann eine neue Sicht des Schöpfers: Wenn der
Schöpfer in der Ewigkeit jemanden bei Sich hat, als die ewige
Weisheit, dann hat er nicht nötig, die Schöpfung zu schaffen,
um etwas oder jemanden lieben zu können, sondern die Weisheit
ermöglicht Ihm Beziehung schon im Jenseits ohne ein Diesseits;
wenn man den Monotheismus streng durchhalten will, muss man
dann allerdings damit rechnen, dass die Weisheit in der
Ewigkeit aus Gott hervorgeht, von Ihm selber ist und Ihm in
allem gleich ist, aber eben doch nicht eine Eigenschaft
Gottes, sondern eine eigenständig bestehende Weisheit. Dennoch
muss sie aus Ihm hervorgegangen sein vor der Zeit.
Du siehst: Du gibst damit exakt die Aussagen von „Sprüche“ und „Sirach“ wieder. Der Autor des Joh. aber spricht von einer „Liebe, bevor die Welt war“, nicht von einem Hervorgehen. Der monogenes theou, „der Einziggeborene Gottes“ (das auch „der Einziggezeugte“ heißen kann - auch etwas, das gerne unterschlagen wird) bezieht sich johanneisch auf den fleischgewordenen logos. Sonst hätte es der „Ewiggezeugte“ heißen müssen.
Also: Wozu tendieren die Experten, zur Annahme einer Weisheit
bei Gott oder zur Annahme eines Schöpfergottes, der ohne
Schöpfung allein und einsam wäre.
Das Letztere folgt ja gar nicht aus dem Vorhergehenden. Der johanneische Gottesbegriff enthält eben eine „Einsamkeit“ nicht. Der „Einsame Gott“ vor der Schöpfung ist ein Theologoumenon, das vielmehr andere orientalischen Göttern zukommt: Es wird z.B. von dem ägyptischen Ra ausgesagt, der seine Einsamkeit aufhebt, indem er aus seinem Samen die Welt hervorgehen läßt.
Auch im Neuplatonismus, genauer gesagt bei Plotinus, findet sich Analoges: Plotin führt ja mit deinem EINEN (Unum) den ersten Absolutheitsbegriff in die Philosophie ein (der dann auch auf den jüdisch-christlichen Gott übertragen wird). Und auch von diesem Unum sagt Plotin in metaphorischer rede, daß es „seiner selbst überdrüssig“ sei und sich daher „ergießt“ (eben die „Emanation“) und die niederen Seinsebenen hervorbringt.
Bei Joh. finden sich solche Ideen derweil nicht.
Gruß
Metapher
Gruss
Mike