Aufklärung

Mit 11 Jahren wurde ich von meinem Freund Leo aufgeklärt. Leo hatte
dafür geeignete Vorraussetzungen, denn er hatte 11 Geschwister.
Ursprünglich waren es 12 gewesen, doch eines der Kinder wurde
unbeabsichtigt beim Baden verbrüht — also dann waren es wie bereits
gesagt, nur noch elf.

Kinder, so versicherte mir Leo, treten bei ihrer Geburt aus dem
Bauchnabel der Mutter aus. Damit die Frischgeborenen das Bett nicht
vor der Zeit verlassen können, werden sie wie die Katzen blind
geboren, was ich als geniale Strategie der Evolution ansah. In den
folgenden Tagen modifizierte er seine Darstellungen allerdings
ständig, bis der Vorgang der Geburt wurde so grotesk beschrieben
wurde, dass ich davon absehe, seine Vorstellungen hier näher zu
erläutern. Ich war fest überzeugt, dass seine Ausschweifungen nur
seiner verderbten Phantasie entsprungen waren.
Auch auf unserem Schulhof war das Kinderkriegen ein populäres Thema.
Zur näheren Erörterung wurde eine hintere Ecke des Pausenhofs
gewählt, zu der Kinder unter zwölf keinen Zugang hatten. Die dort
besprochenen Vorgänge gelangten aber dennoch zu uns. Viel Zeit wurde
der Darstellung über die Entstehung von Kindern gewidmet. Die
beschriebenen Vorgänge ähnelten der Schilderungen von Leo sehr.
Erst als ich meiner guten Mutter meine erste Erektion präsentierte,
hielt sie die Zeit für gekommen, mich mit den Geheimnissen des Lebens
vertraut zu machen. Ihre Erklärungen entsprachen den bereits auf dem
Schulhof gehörten Schilderungen, allerdings verwendete sie bei ihrer
Erklärung völlig andere Ausdrücke. Die Quintessenz ihrer Ausführung
war, dass ein Kind durch der Liebe ihres Gatten in den Leib der
Mutter gelange. Wie genau dies geschah, darüber wolle sie mir zu
einem späteren Zeitpunkt Auskunft erteilen. Ich vertiefte
anschließend das Gehörte durch eine ergänzende Lektüre in Mayers
Konversationslexikon.
Leo versuchte mir diesen Vorgang etwas einfacher zu erläutern, da er
das Gefühl hatte, dass ich den Vorgang doch nicht so richtig
verstanden hatte.