Der Stern von Bethlehem

OK, OK, ich gebe zu:

a) die Story heißt anders
b) sie ist geklaut aber
c) sie ist rührend und sooooo süüüüüüß und
d) wolltet Ihr nicht schon immer wissen, wie es denn nun wirklich mit dem Stern von Bethlehem war? Die von Michael Mittermeier propagierte Variante, daß Kaschperl, Melchi und Balti auf Koks waren, kann man in Anwesenheit von Tante Erna auch nicht wirklich einem Vierjährigen auftischen, gelle? Na also! Hier nun die wahre Geschichte des besagten Sterns…

Angenehme Lektüre wünscht

Renee

* * *

Vor vielen Jahren nach menschlicher Berechnung, aber erst gestern im Himmelskalender, da war einmal im Paradies ein sehr unglücklicher Cherub, der im ganzen Himmel als der kleinste Engel bekannt war. Er war genau vier Jahre, sechs Monate, fünf Tage, sieben Stunden und zweiundvierzig Minuten alt, als er vor dem ehrwürdigen Torhüter erschien und darauf wartete, in das strahlende Reich Gottes eingelassen zu werden.

Trotzig stand er da, spreizte die kurzen braunen Beinchen und gab sich den Anschein, als ob ihm der unirdische Glanz keinen Eindruck machte und als hätte er nicht die geringste Angst. Dabei zitterte seine Unterlippe, und Tränen liefen ihm über das verweinte Gesicht. Während der freundliche Torhüter den Namen in sein großes Buch eintrug, versuchte der kleinste Engel, der wie gewöhnlich sein Taschentuch vergessen hatte, sein Weinen durch Schneuzen zu verbergen. Das war ein ganz unengelhaftes Geräusch, worüber der Torhüter so sehr erschrak, dass er etwas tat, das ihm nie zuvor wiederfahren war: Er machte einen Tintenklecks!

Von diesem Augenblick an war es mit dem himmlischen Freiden nicht mehr wie früher, denn der kleinste Engel brachte die himmlischen Heerscharen zur Verzweiflung. Sein schrilles, ohrenbetäubendes Pfeifen ertönte zu allen Stunden auf den goldenen Strassen. Es erschreckte die Propheten und störte sie beim Nachdenken. Überdies sang das Englein bei den Proben des Himmelschores unweigerlich und schauerlich falsch und verdarb damit die zauerhafte Wirkung. Da es so klein war, dass es immer doppelt so viel Zeit brauchte wie die anderen, um zum Abendgebet zu kommen, verspätete es sich jedes Mal und stieß die Flügel der andern durcheinander, wenn es an seinen Platz drängelte.

Dieses Betragen hätte man übersehen können, aber das Aussehen des kleinsten Engels war noch schlimmer als sein Benehmen. Zuerst ging im Himmel nur ein Geflüster um, doch schließlich wurde es von den Engeln aus-gesprochen: Er sah gar nicht wie ein Engel aus! Das stimmte leider. Er sah wirklich nicht wie ein Engel aus. Sein Heiligenschein wurde immerzu trübe, weil er ihn bei Rennen mit seinen Patschehändchen festhielt und er rannte ja fortwährend. Stand er aber einmal still, dann saß ihm der Heiligenschein nicht so auf dem Kopf, wie es sich gehörte. Er rutschte ihm stets über das rechte Auge. Oder über das linke Auge. Oder rutschte ihm vom Hinterkopf und rollte eine goldene Straße hinab, so dass ihm das Englein nachjagen mußte.

Ja, es muß auch gesagt werden, dass seine Flügel weder nützlich noch zierend waren. Im Paradies hielten alle den Atem an, wenn sich der kleinste Engel wie ein unglückliches Spätzlein am äußersten Rand einer vergolde-ten Wolke niederließ und sich auf den Abflug vorbereitete. Er tippte zaghaft hin und her, und nach viel gutem Zureden schloss er die Augen, hielt seine sommersprossige Nase zu, zählte bis dreihundertdrei und stürzte sich in den weiten Raum. Es wurde auch berichtet, dass der kleinste Engel an den Flügelspitzen knabberte, wenn er aufgeregt war, was häufig vorkam. Man kann also leicht verstehen, dass früher oder später etwas geschehen mußte.

So wurde ihm denn befohlen vor dem Friedensengel zu erscheinen. Der kleinste Engel kämmte sich das Haar, staubte seine Flügel ab, schlüpfte in ein beinahe sauberes Gewand und machte sich schweren Herzens auf den Weg. Er versuchte, den gefürchteten Urteilsspruch hinauszuschieben, indem er auf der Straße der Schutzen-gel trödelte und stehen blieb, um die lange Liste der Neuankömmlinge eingehend zu betrachten, obgleich der ganze Himmel wußte, dass er kein Wort lesen konnte. Hierauf verschwendete er mehrere unvergängliche Minuten mit der Prüfung der ausgestellten goldenen Harfen, obwohl jeder in der Himmelsstadt wußte, dass er nicht imstande war, eine Viertel- von einer Sechzehntelnote zu unterscheiden. Doch schließlich näherte er sich dem Portal, über dem eine goldene Waage kundtat, das dort die himmlische Gerechtigkeit geübt wurde. Zu seiner Überraschung hörte der kleinste Engel drinnen eine fröhliche Stimme singen.

Der kleinste Engel nahm seinen Heiligenschein ab, hauchte kräftig drauf und rieb ihn mit seinem Hemdzipfel blank, wodurch das unordentliche Aussehen seines Gewandes nicht gerade verbessert wurde und dann ging er auf den Zehenspitzen hinein. Der Sänger, den man den Engel des Verstehens nannte, schaute auf den kleinen Sünder hinab, worauf sich das Englein unsichtbar zu machen trachtete. Sehr schlau ging es dabei nicht vor; wie eine erschrockene Schildkröte zog es den Kopf in den Kragen seines Gewandes. Da lachte der Sänger und sagte: „Ah, du bist also derjenige, der den Himmel so unhimmlisch gemacht hat. Komm her, Cherub, und erzähl mir alles!"

Der kleinste Engel wagte einen schüchternen Blick, erst mit dem einen Auge und dann mit dem anderen. Plötzlich, ehe er sich versah, saß er auf dem Schoß des verständnisvollen Engels und erklärte, wie schwer es für einen kleinen Jungen war, sich auf einmal in einen Engel verwandelt zu sehen. Ja, was die Erzengel auch sagen mochten, er hatte nur einmal geschaukelt. Ja nun, zweimal. Also gut, dann hatte er eben dreimal auf dem Himmelstor geschaukelt. Aber das war ja nur aus Langeweile geschehen! Das war das ganze Übel. Es gab für einen kleinen Engel nichts zu tun. Und er hatte großes Heimweh. Oh,nicht etwa, dass es im Paradies nicht schön wäre! Aber die Erde war auch schön. Hatte Gott sie nicht selbst erschaffen? Dort gab es Bäume, auf die man klettern konnte, Bäche in denen man angeln, und Höhlen wo man Räuber spielen konnte; dort gab es einen Plantschteich, Sonne und Regen, Dunkelheit und Dämmerung und weichen, warmen Sand unter den Füßen!

Der Engel des Verstehens lächelte und in seinen Augen dämmerte die Erinnerung an einen anderen kleinen Jungen - das war lange her. Dann fragte er den kleinsten Engel, was ihn im Paradies denn am glücklichsten machen würde. Das Englein überlegte ein Weilchen und flüsterte ihm ins Ohr: „Die Schachtel. Ich habe sie zu Hause unter meinem Bett gelassen. Könnte ich sie wohl wiederbekommen?" Der Engel des Verstehens nickte. „Du sollst sie bekommen." versprach er. Und ein schnell fliegender Bote wurde abgesannt, die Schachtel ins Paradies zu bringen.

In der Zeit, die nun folgte, wunderte sich jeder über die große Veränderung des kleinsten Engels; denn von allen Cherubim im Reich Gottes war er der glücklichste. Sein Benehmen war tadellos. Er sah vorbildlich aus. Und auf Ausflügen flog er wie ein Engel, das konnte man wirklich sagen.

Dann geschah es, dass Jesus, der Sohn Gottes, in Bethlehem von Maria geboren werden sollte. Als sich die Kunde im Paradies verbreitete, freuten sich alle Engel und erhoben die Stimme, um die Ankunft des Christuskindes zu preisen. Engel und Erzengel, die Seraphim und die Cherubim, der Torhüter und der Flügelmacher, ja sogar der Heiligenscheinschmied ließen ihre Arbeit ruhen, um ihre Geschenke für das heilige Kind zu bereiten. Alle, außer dem kleinsten Engel.

Der setzte sich auf die goldene Treppe und wartete auf einen guten Gedanken. Was konnte ein kleiner Engel schenken, das dem heiligen Kind gefallen würde? Die Zeit des Wunders stand nahe bevor, als sich der kleinste Engel endlich für seine Gabe entschied.

An dem großen Tage holte er sie stolz aus ihrem Versteck hinter einer Wolke hervor und legte sie bescheiden, den Blick gesenkt, vor dem Throne Gottes nieder. Es war nur eine kleine unscheinbare Schachtel; doch sie barg all die wunderbaren Dinge, die sogar ein Kind Gottes schätzen musste. Diese Schachtel lag zwischen all den anderen herrlichen Geschenken der Engel des Paradieses, zwischen Geschenken von solch seltener und strahlender Pracht, dass der Himmel und das ganze Weltall im Glanz erstrahlten. Als der kleinste Engel dies sah, erkannte er, dass sein Geschenk für Gottes Sohn unwürdig war und er hätte seine schäbige Gabe gern zurückgenommen. Sie war häßlich. Sie war wertlos. Könnte er sie nur vor dem Blicke Gottes verbergen, bevor sie bemerkt würde! Es war jedoch zu spät. Die Hand Gottes bewegte sich langsam über die Reihe glänzender Gaben, dann hielt sie inne, senkte sich und ruhte auf dem Geschenk des kleinsten Engels.

Der zitterte, als die Schachtel geöffnet wurde und vor den Augen Gottes und seiner himmlischen Heerscharen sichtbar ward, was er dem Christkind darbot. Und was wollte er dem heiligen Kind schenken? Oh, da war ein Schmetterling mit goldenen Flügeln, den er an einem hellen Sommertag in den Bergen über Jerusalem gefan-gen hatte und ein himmelblaues Ei aus einem Vogelnest in dem Olivenbaum, der die Küchentür seiner Mutter beschattete. Ja, und zwei weiße Steine von einem schlammigen Flussufer, wo er und seine Freunde wie Biber gespielt hatten, und auf dem Boden der Schachtel lag ein schlaffer, zerbissener Lederriemen - das Halsband seines Hundes, der gestorben war, wie er gelebt hatte: in unendlicher Liebe und bedingungsloser Treue.

Der kleinste Engel weinte heiße, bittere Tränen, denn jetzt erkannte er, dass sein Geschenk keine Ehrung sondern Gotteslästerung war. Wie hatte er die Schachtel nur so wundervoll finden können? Wie hatte er an-nehmen können, dass Gottes Sohn diese ganz und gar nutzlosen Dinge lieben würde? Verzweifelt drehte er sich um und lief davon, um sich vor dem Zorn des himmlischen Vaters zu verstecken. Aber er stolperte und fiel und rollte wie ein trauriges Häufchen Elend vor den Thron Gottes. Es herrschte unheilvolle, furchtbare Stille, die nur von dem herzzerreißenden Schluchzen des kleinsten Engels unterbrochen wurde.

Da erklang plötzlich wie Himmelsmusik die Stimme Gottes. Und Gott sprach: „Von allen Gaben der Engel gefällt mir diese kleine Schachtel am besten. Sie enthält Dinge der Erde und der Menschen, und mein Sohn ist geboren, ihr König zu sein. Dies sind Dinge, die auch mein Sohn kennen, lieben und wertschätzen wird, und trauernd wird er sie zurücklassen, wenn seine Aufgabe auf Erden vollendet ist. Ich nehme diese Gabe im Na-men des Jesuskindes an, das heute Nacht von Maria in Bethlehem geboren wird."

Es entstand eine Pause und dann erstrahlte die unscheinbare Schachtel des kleinsten Engels in hellem unirdi-schem Licht. Das Licht wurde zu einer leuchtenden Flamme und die Flamme wurde ein strahlender Stern. Keiner außer dem kleinsten Engel sah den Stern von seinem Platz vor Gottes Thron aufsteigen. Nur er, er ganz allein schaute zu, wie der strahlende Stern in hohem Bogen über das Himmelsgewölbe flog, stehen blieb und sein klares, weißes und lockendes Licht über den armseligen Stall ausgoss, wo ein Kind geboren ward. Dort leuchtete er in der Wundernacht und sein Licht strahlte durch die Jahrhunderte tief in die Herzen der Men-schen. Doch die irdischen Augen, die auch von dem Galnz geblendet waren, vermochten nicht zu erkennen, dass dies das geringe Geschenk des kleinsten Engels war.

Und so nannten die Menschen es immerdar den „Stern von Bethlehem".