Hallo A.,
erste Frage: Eine allseits beliebte Adresse ist Paul Lohmann „Das Lied im Unterricht“, ein Heft, das eine Sammlung von Klassikern bietet, das existiert auch „für tiefe Stimme“. Daraus sollte man nicht gerade die allerbekanntesten Gassenhauer wählen (also eher nicht Schuberts „Du holde Kunst“), sondern Stücke, bei denen man denkt „ich kann das Gefühl X oder die Haltung Y damit schön und klar unterstreichen, ohne übertrieben zu wirken“.
Dazu nimmt man mit Vorteil noch etwas Altes, z. B. ein italienisches Barockstück oder (für Altstimme immer gut) einen Schemelli-Choral. Die beiden Hefte (Lohmann & Schemelli) wirst Du in der klassischen Ausbildung so oder so brauchen, das ist also keine grosse Investition, überdies gibt es sie auch ab und zu im Gebrauchthandel.
Den Schwierigkeitsgrad kannst Du dann innerhalb dieser Sammlungen selber wählen (Schemelli wird oft unterschätzt), denk daran, dass ein langer, getragener Brustton technisch schwieriger sein kann als Triller und Koloraturen, und dass ein Piano in hoher Höhe für eine Aufnahmeprüfung nur geht, wenn man es 100% im Schlaf intus hat.
„Die Kartenlegerin“ ist vor allem im Zusammenspiel mit dem Pianisten kein Spaziergang, das muss also lange und oft zu zweit geprobt werden, wenn es Eindruck machen soll. Vom Ausdruck her wirkt es nur natürlich, wenn die Töne tadellos sitzen. Insgesamt ist es eher schwer und relativ lange. Falls Du es vorträgst, rate ich Dir zu schauen, dass vorher und nachher eher leichte Stücke stehen, weil sonst Deine Konzentration nachlassen kann, wenn Du Dir nicht gewohnt sein solltest, stundenlang konzertant vorzusingen.
Als Sprechvortrag ist die Stauffacherin immer noch eine gute Adresse (dreimal darfst Du meine Nationalität raten). Sie ist ruhig im Ton, eindringlich, aber nicht überschäumend, und verträgt eine starken, sonoren Klang. (Wilhelm Tell, 1. Akt, 2. Szene).
Schilderung: Alles, was nach echtem Ausdruck riecht, also was Charakter hat und zugleich nicht übertrieben ist, wird geschätzt. Die Stimmung ist sehr unterschiedlich. Am schlechtesten kommen die weg, die sich im Zauberland wähnen und vermuten, sie stehen einer Bande mit Geheimwissen gegenüber. Das zeigt sich darin, dass sie die Experten fragend anschauen und den Gedanken übertragen, dass sie keinen blassen Schimmer hätten, was die Experten von ihnen wollen.
Weit besser haben es die, die etwas so vortragen, als hätten sie eh alle in der Tasche. Es gibt da zwar manchmal Enttäuschungen, aber wenigstens hört man, was so jemand auf der Platte hat. Am besten geht es normalerweise, wenn jemand seine Liebe zur Sache präsentiert. Sollte Dir die „Kartenlegerin“ also echt ans Herz gewachsen sein, kommt das auch bei den Experten 'rüber und Du kannst sie ruhigen Gewissens vortragen. Ansonsten würde ich eher Kürzeres nehmen, Du kannst ja auch dort etwas wählen, das Dir und Deinen Ressourcen entgegenkommt.
Was zieht man bei solchen Anlässen an
eher schlicht, dunkel, nicht allzu auffällig aber gepflegt, evtl. ganz leichtes (!) Makeup, gepflegte Frisur.
schlechtes Zeichen, wenn Vorträge abgebrochen werden
selten. Wenn der Experte anfangen sollte, bei einem Stück etwas zur Sache zu sagen, nachdem er abgebrochen hat, ist das meistens eher sogar ein Hinweis, dass er mit einem arbeiten möchte. Muss aber auch nicht sein. Am ehesten ist es dann ein schlechtes Zeichen, wenn man gewaltige Aussetzer hatte. Häufiger bedeutet der Abbruch aber einfach, dass der Experte bald seine Pause will, egal wie gut man war.
Im übrigen (vor allem im Falle „Kartenlegerin“): Schau, dass Du einen Pianisten hast, mit dem Du Dich musikalisch verstehst. Und wenn Musik Deine Berufung ist, wird es beim nächsten Mal klappen, auch wenn Du durchfallen solltest, also strahl keine Ängste aus, das nützt keinem.
Gruss,
Mike