Hallo Marie,
hat dein Hund einen anderen Hund schon mal ernsthaft verletzt? „Ernsthaft“ bedeutet, dass dein Hund richtig zugebissen und/ oder den anderen geschüttelt hat. Und: Reagiert er auf Hündinnen genauso wie auf Rüden?
Meistens passiert Folgendes: Ein Hund verhält sich über einen gewissen Zeitraum völlig unproblematisch mit anderen Hunden. Irgendwann - meist um das Alter des psychischen Erwachsenwerdens - kommt es zu einer Rauferei. In aller Regel passiert da außer viel Gebrüll nichts Großartiges, aber der Besitzer wird jäh aus seiner heilen Hundewelt gerissen.
In der Folge wird er wachsam, wenn der Hund mit anderen Hunden Kontakt hat. Manchmal reicht auch schon eine einzige Rauferei, um den Hund künftig an der Leine zu lassen. In jedem Fall überträgt der Besitzer seine Anspannung auf den Hund, was wiederum zu einer Erhöhung aggressiver Verhaltensweisen führt. Symptomatisch ist dabei oft, dass auch gegengeschlechtliche Hunde attackiert werden.
Der Hund ist nun zum einen der normalen Kontaktaufnahme zu Artgenossen beraubt und kriegt zum anderen den Stresspegel seines Besitzers mit. Das führt dazu, dass er zu einer (scheinbaren) Bestie an der Leine mutiert.
Die Tatsache, dass Kontaktaufnahmen - wenn überhaupt - nur an einer kurz gehaltenen Leine stattfinden, fördern dieses Verhalten nur. Selbst ein verträglicher Hund reagiert oft aggressiv, wenn er an einer gespannten Leine auf andere Hunde trifft, weil Bewegungsfreiheit und Körpersprache eingeschränkt sind.
Aus diesem Grund solltest du es vermeiden, deinen angeleinten Hund zu anderen zu lassen. Ich vermute stark, dass dein Hund kein Hundekiller ist, sondern sein aggressives Verhalten stark leinenbedingt ist. Wenn dein Hund bisher nicht ernsthaft verletzt hat und du dich traust, kannst du bei der nächsten Hundebegegnung (möglichst bei einer Hündin) einfach mal die Leine fallen lassen (geht nicht mit der Flexi, also normale Leine verwenden). Du selbst gehst einfach weiter, bleibst nicht stehen und siehst dich auch nur aus den Augenwinkeln nach deinem Hund um.
Du kannst ihn mal rufen (nicht öfter als zwei Mal, sonst wird die Anspannung in deiner Stimme möglicherweise wieder zum Auslöser für aggressives Verhalten), ansonsten hältst du Abstand. Geschickt ist es, wenn die Hündin zu einer schnellen, wendigen Rasse gehört, so dass sie im Fall des Falles einfach ausweichen kann. Du musst bei den ersten derartigen Begegnungen damit rechnen, dass die Aggressionsbereitschaft deines Hundes noch recht hoch ist. Im Normalfall bessert sich das aber von Begegnung zu Begegnung, wenn der Hund die Erfahrung macht, dass er die Situation kontrollieren kann. Zwischen Rüden kracht es erfahrungsgemäß schneller mal, aber wenn dein Hund zumindest mit Hündinnen klarkommt und mit diesen frei laufen kann, hast du viel gewonnen.
Wenn du dich das nicht traust, kannst du ihn zuhause stressfrei an das Tragen eines Maulkorbs gewöhnen und ihn dann mit Maulkorb laufen lassen. Das nimmt die Angst raus, dass dein Hund einen anderen verletzen könnte. Wenn du merkst, dass da nichts passiert, kannst du den Maulkorb wieder weglassen.
Für das Gehen an der Leine würde ich empfehlen: Verzichte auf die Flexi, denn mit einer solchen Leine kann man den Hund nicht führen. Wenn ein Hund entgegenkommt, hältst du die Leine fest und gehst einfach zügig vorwärts - egal, was dein Hund tut. Rede nicht auf ihn ein, geh nur stur weiter. Schleif ihn mit, wenn es sein muss, aber bleib nicht stehen. Sobald er sich wieder eingekriegt hat und ruhig neben dir geht, wird er gelobt. Wenn du das jedesmal so handhabst, wird er im Laufe der Zeit ruhiger und sicherer werden.
Schöne Grüße,
Jule