Liebe JaiJaiBD,
nachdem ich nun die Antworten anderer Forenteilnehmer gelesen habe, bin ich doch etwas schockiert. Daher habe ich mir nun etwas Zeit freigeräumt, um dir sofort vollständig zu antworten. Die meisten Forenteilnehmer, die dir geantwortet haben, scheinen mir deine Situation zu unterschätzen und aus ihrer Laune heraus zu antworten. Dies beides möchte ich nicht tun.
Liebe JaiJaiBD, aus deinem Schreiben entnehme ich, dass du mit der Vergangenheit noch nicht abschließen kannst und du sehr mit Selbsthass, aber auch mit Hass deinem Umfeld gegenüber zu kämpfen hast. Ich habe den Eindruck, du bist insgesamt sehr verzweifelt und fühlst dich trotz angebotener Hilfe auch etwas allein, durch Vertrauensmangel und Schuldgefühlen. Du möchtest niemandem zur Last fallen und du erkennst dich selbst und deine Probleme anscheinend nicht als wichtig genug an. Du sprichst davon, keine Hilfe verdient zu haben…
Du hast deinen Text bereits mit dem Stichwort „Depression“ betitelt. Hast du dich schon damit auseinander gesetzt, was die typischen Symptome einer Depression sind?
Eine Depression kann sich sowohl durchch psychische (seelische) als auch durch physische (körperliche) Symptome zeigen. Ich möchte mich hier des Platzes wegen kurz auf die psychischen Symptome konzentrieren. Am häufigsten treten bspw. Trostlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, verschiedene Ängste (bezogen auf seine Mitmenschen, die eigenen Leistungen, die Schule, Geld…), Aggressionen und das Gedankenkreisen auf. Dabei sind fast alle Gedanken des Betroffenen negativ und er grübelt sehr viel über sich und sein Leben nach. Dabei kann es auch zu Selbstmordgedanken kommen. Außerdem haben viele depressive Menschen Konzentrations- und Entscheidungsprobleme. Sie stellen an sich sehr hohe Anforderungen, denken aber schon im voraus, diesesn nicht gerecht werden zu können. Viele klagen auch über Probleme beim Schlafen, Albträume und die angebliche perspektivlose (hoffnungslose) Zukunft. Findest du dich in einem Teil der hier beschriebenen Symptome wieder?
Es gibt verschieden schwere Depressionen. Da du in deinem Text von Gefühlen wie Hass und Liebe sprichst, du aber auch unter Selbstmordgedanken leidest, würde ich auf eine „mittelschwere unipolare Depression“ tippen.
Was heißt das? „Mittelschwer“ klingt meiner Meinung nach immer verharmlost. Im Grunde heißt es aber nur, dass du noch fähig bist, Gefühle zu zeigen. Sehr schwer betroffene Patienten leiden häufig unter absoluter Gefühllosigkeit. Sie nehmen innerlich gar nicht mehr an dem äußeren Geschehen teil.
„Unipolar“ bedeutet, dass du keine manischen Phasen durchlebst. Das sind Momente von einigen Stunden, Wochen oder Monaten, in denen du unbeschreiblich gut drauf bist, ohne einen echten Grund.
Durch die Art der Gefühle die du beschreibst (Liebe vs. Hass) und deinen Selbsthass, könnte ich allerdings auch noch eine Borderline-Erkrankung vermuten. Borderline wird teilweise immer noch zu den Depressionen gezählt. Ein häufiges Symptom für diese Erkrankung ist zum einen die Hefigkeit der Gefühle (dazu zählen Liebe und Hass als unsere stärksten Gefühle) und der Wunsch nach Nähe mit dem bald darauf folgende Wunsch nach Einsamkeit. Diese Einsamkeit wird für die Borderliner allerdings schnell wieder unerträglich. Sie haben also Angst vor Nähe und Angst vor dem Alleinsein. Außerdem können Betroffene sehr implusiv reagieren. Häufig empfinden Betroffene Wut, Verzweiflung, Hass, Schuldgefühle, Angst. Schlafstörungen sind häufig. Der sicherste Unterschied zu den Depressionen besteht wohl in der inneren Anspannung. Man Ist wütend, aber auch verzweifelt. Man möchte Menschen um sich herum, aber man erträgt sie auch nicht. Manchmal gelten Depressionen aber auch als Begleitsymptom einer Depression.
Wie du siehst, ist es schwer eine sichere Aussage zu treffen. Hierfür solltest du am besten einen Arzt aufsuchen. Manchmal kann dir schon der Hausarzt helfen, manchmal ist ein Neurologe besser. Lass dich nicht gleich entmutigen, wenn ein Arzt dich nicht vollkommen ernst nimmt und vergiss nicht, dass jeder von ihnen unter Schweigepflicht steht. Das gilt übrigens auch für Sozialarbeiter.
So, nun möchte ich allerdings noch etwas näher auf den tatsächlichen Inhalt deiner Nachricht eingehen:
Zunächst zu der Frage, ob deine Probleme überhaupt wichtig sind, ob du die Hilfe anderer verdient hast: Ja, sie sind wichtig und ja, du verdienst die Hilfe. Jeder Mensch hat ein natürliches Recht darauf, dass ihm Hilfe gewährt wird!
Du hast Recht, wenn du sagst, die Kinder in Afrika brauchen Hilfe. Aber sie leben in einer anderen Kultur und in einem anderen Land. Sie brauchen eine ANDERE Art von Hilfe. Würden sie in unserem Land leben und in deiner Situation stecken, da kannst du dir sicher sein, würden auch sie deine Probleme als wichtig kennzeichnen.
Im Grunde musst du dir nur eine Frage stellen, um von diesem Gedanken loszukommen: Leidest du unter deinen Sorgen? Quält es dich? Fühlst du dich zerrissen, kannst du nicht schlafen, musst du manchmal deswegen weinen? Ich denke die Antwort liegt auf der Hand. Du denkst darüber nach all deine Mitmenschen zu verlassen, deine Zukunft aufzugeben noch bevor du sie kennst und deinem Leben ein Ende zu setzen. Wenn das kein Zeichen von Verzweiflung ist, was ist es dann? Hierbei gibt es kein „aber“ - nimm dich ernst!
Zu deiner ehemaligen Freundin… du hast von ihr Abstand genommen, weil sie dich belastet hat. Du hast es nicht getan, um ihr zu schaden oder aus reiner Freude. Mach’ dir das bewusst. Im Grunde hast du keine Schuld auf dich geladen. Dass sie dauernd wieder zu dir kommt und dir vorhält, du seist schuld, ist ein psychologischer Trick. Ihr Ziel ist es, dass du genau das denkst: Du seist schuld. Und dass du sie als Freundin zurücknimmst. Aber was wäre das für eine Freundschaft, wenn sie nur auf Pflicht- und Schuldgefühlen beruht? Keine!
Wie fühlst du dich, wenn sie täglich zu dir kommt und dir die Schuld einredet, sich zwischen deine Freunde drängt? Ich nehme an, dass fühlt sich total mies an. Und wenn das so ist, dann ladet SIE sich damit eine Schuld auf.
Vertraue auf DIESES Gefühl. Deine eigentliche Abneigung ihr gegenüber, auf dieses dumpfe Gefühl im Bauch, wenn sie wieder auftaucht. Sprich mit deinen Freundinnen darüber, dass du das nicht mehr willst und frage sie um ihre Hilfe. Sicherlich sind die auch nicht begeistert davon, dass deine ehemalige Freundin immer wieder ankommt und wenn sie wissen, wie sehr du darunter leidest, dann werden sie dir GERNE helfen!
Du kannst deiner Freundin auch sagen, dass du nicht möchtest, dass sie ständig zu euch kommt. Dadurch wirst du sie nicht wirklich verletzen, selbst wenn sie das erst einmal sagt oder zeigt. Im Grunde hast du ihr längst gesagt, dass die Freunschaft vorbei ist. Nun muss sie beginnen, dass zu akzeptieren. Du erzählst ihr nichts neues und damit auch nichts neues, was sie tatsächlich verletzen könnte.
Du hast gesagt, du bist sehr enttäuscht von deinem Lehrer. Hast du ihm das einmal gesagt? Es könnte dir helfen, besser mit dieser Enttäuschung umzugehen und vllt. auch deinem Misstrauen gegen andere entgegenwirken. Du sagst, du kennst die Gründe dafür, dass er dein Heft weitergegeben hat, aber hat er sich einmal bei dir entschuldigt? Hattest du dir mal die Zeit mit ihm eingeräumt, ihm zu sagen, wie sich das anfühlte? Sicher erfordert das Mut, gerade jetzt, wenn du in den Lehrer verliebt bist. Aber es kann dir hinterher auch ein wenig Last von den Schultern nehmen und das kannst du zurzeit sicherlich gebrauchen. Traust du dich nicht allein, frag doch nach einem Gespräch zu dritt, mit deiner Direktorin. Sie wird dich bestimmt unterstützen!
Dass du deinen Lehrer liebst, ist im Grunde erst einmal nicht schlimm. Vielleicht kam es zu diesen Gefühlen durch die Sache mit dem Heft. Vielleicht hast du dich verliebt, weil du ihn irgendwo als eine Zuflucht, als einen vertrauensvollen Ansprechpartner siehst, selbst jetzt nach der Sache mit dem Heft. Aber selbst wenn das so ist, ändert das nichts an der Verliebtheit an sich! Man entscheidet sich nicht, in wen man sich verliebt. Man tut es einfach, ganz automatisch. Daher darfst du deinen Lehrer auch ruhig lieben und du musst deswegen auch kein schlechtes Gewissen haben. Du solltest dir nur stets bewusst darüber bleiben, dass es leider tatsächlich keine erfüllte Liebe sein kann. Aber vllt. helfen ja auch Gespräche mit deiner Schwester oder mit einer engen Freundin, um den Liebeskummer gelegentlich zu erleichtern?
Weißt du, dein Misstrauen kannst du nur dann wieder auf ein „normales“ Nivau reduzieren, wenn du den Sprung ins kalte Wasser wagst und einfach ein wenig testest, ob man manchen nicht doch vertrauen kann. Du musst dich ja nicht gleich jedem öffnen… wähle mit Bedacht, aber wähle.
Du hast auch geschrieben, du hast Angst, andere denken, du stellst dich in den Mittelpunkt oder nimmst dich zu wichtig. Warum fragst du deine Freunde nicht einfach mal, ob sie das so sehen? Sie werden dir dabei sicherlich ehrlich antworten. Entweder sie sind eh ein wenig genervt von deiner Mittelpunkt-Position, dann werden sie die Chance wahrnehmen, dir dass endlich offen sagen zu können, oder sie werden erschrocken dreinblicken, weil sie gar nicht verstehen, wie du auf den Gedanken kommst. So oder so wärst du nach der Frage deine Unsicherheit los.
Ich weiß, ich spreche hier viel von „drauf-zu-gehen“, „mutig sein“ usw. Das tut mir ein bisschen leid, weil ich weiß, dass das längst nicht so einfach ist, wie es klingt. Ich kann dir nur sagen: Ganz gleich was bei den einzelnen Situationen herauskommt, bei deinem Lehrer, bei deinen Freunden… es wird dir garantiert etwas mehr Klarheit verschaffen und einen Teil der Anspannung nehmen. Und Klarheit wiederum kann dir vielleicht genug Raum schaffen, um neue Lösungen für deine Probleme zu entdecken. Andere Wege als den Selbstmord.
Ich weiß leider nicht, warum du nicht mehr zu dem Sozialarbeiter gehen möchtest. Ich kann dir hierzu nur sagen, dass hiervon leider nicht alle tatsächlich qualifiziert sind, aber auch nicht alle untauglich. Vielleicht solltest du noch einmal einen anderen Sozialarbeiter, vllt. sogar eine Frau, aufsuchen. Frag deine Direktorin, ob sie das für dich einrichten kann. Sozialarbeiter haben meist einige Mittel an der Hand, um dir effektivzu helfen. Sie dürfen nichts gegen deinen Willen tun, außer dein Leben stände in AKUTER Gefahr (z. B. du rufst ihn an und sagst: „Ich bringe mich jetzt um“).
Deine Vergangenheit beschreibst du sehr kurz und daher fehlen mir ein paar wesentliche Informationen, um hier näher drauf einzugehen. Deutlich wird für mich nur, dass du noch nicht mit der Vergangenheit abschließen kannst. Sicherlich ist es wie ein Schock für dich, wenn du dir das Bild deines Vaters vor Augen rufst, wie er sich von dir verabschiedet. Gerade wenn man klein ist bindet man sich sehr an seine Eltern (mit Grund) und umso schwerer fällt es, einen davon zu verlieren. Je aktueller du dir die Bilder allerdings hältst, desto weniger kannst du sie (und die Situation) aber auch verarbeiten. Bildlich gesprochen kann man das so ausdrücken: „Ein im Dschungel geschlagener Weg kann zuwachsen - aber nur, wenn man ihn nicht mehr stetig betritt.“.
Natürlich kannst du noch an deinen Vater und die Geschichte denken! Aber versuche dich hin und wieder auch ein wenig mehr auf die Gegenwart zu konzentrieren. Schaffst du das eine Weile, tut die Erinnerung später nicht mehr so weh.
Bei diesem Problem kann dir übrigens tatsächlich ein Psychotherapeut sehr gut helfen. Er ist darin ausgebildet solche Erlebnisse mit seinen Patienten angemessen aufzuarbeiten. Ich erinnere an dieser Stelle vorsichtshalber noch einmal an die Schweigepflicht.
Es ist im Übrigen gar nichts schlimmes, zu einem Psychotherapeuten zu gehen. Das einzig wirklich schlimme sind die Wartezeiten auf einen Termin, was bei bestimmten Regionen mal 3 Monate dauern kann. Leidet man jedoch unter Selbstmordgedanken wie du, kann man auch als Kassenpatient privat und sofort behandelt werden. Dazu benötigt es nur ein Schreiben an die Krankenkasse, welche im Anschluss alle Kosten übernimmt.
In einer Psychotherapie wird man nicht zu einem völlig anderen Menschen. Man bekommt „Werkzeug“ in die Hand gelegt, um seine Probleme besser lösen und neuen vorbeugen zu können. Ob man diese einsetzt und wie man dies tut, entscheidet man letztlich selbst. Am wichtigsten ist zu nennen, dass man durch eine Psychotherapie neue Perspektiven kennen lernt.
Es wird einem nichts eingeredet, wie viele befürchten. Man sollte nie vergessen, dass man wegen einer Krankheit (z. B. Depressionen) zu einer Therapie geht und diese heilen möchte. Wenn wir uns nur etwas einreden lassen würden, wäre das keine Heilung. Dazu muss man sich nur einen Grippe-Patienten vorstellen, der sich einredet, er sei gesund. Er wird es aber nicht aufgrund seiner Worte werden, sondern nur durch richtiges Handeln (Bett, Medikamente…). Genau wie die Grippe zur starken Bronchitis werden kann, bei Schönrederei, könnte auch eine Depression schlimme Folgen haben, ginge es darum, sich etwas einzureden. Depressionen können allerdings sehr gut behandelt werden.
Gegen dein schlechtes Gewissen: Der Therapeut wird dafür bezahlt, die zuzuhören und dir zu helfen. Kommt er dem nicht nach, scheint er an deinen Problemen nicht interessiert oder zwingt er dir Themen auf, über die du nicht sprechen möchtest, ist er kein guter Therapeut. Du hast das Recht den Therapeuten jederzeit zu wechseln.
Um eine Therapie zu erhalten, solltest du dich zunächst an deinen Hausarzt oder einen Neurologen wenden und den Verdacht auf Depressionen äußern. Verschweige auch die Selbstmordgedanken nicht. Dann nehmen sie dich wesentlich ernster.
Wer außerdem denkt er sei minderwertig oder ähnliches, weil er zum Psychotherapeuten geht, der sollte bedenken, dass dies zurzeit jeder 3. bis 4. Mensch einmal in seinem Leben muss. Man rechnet sogar damit, dass Depressionen bis 2020 die zweithäufigste Krankheit sein werden.
Noch ein letzter Absatz zu deinem Text: Ich gewinne beim Lesen das starke Gefühl, dass du unter sehr, sehr großen Selbstzweifeln und einem noch größeren Selbstwertmangel leidest. Das solltest du dir bewusst machen. Ich denke, dein mangelndes Selbstwertgefühl hat sehr großen Einfluss auf dein Handeln, dein Fühlen und deine Gedanken. Auch diese Zweifel kannst du gut durch eine Therapie besiegen. Solange präge dir eines ein: Du hast Freunde, die dich mögen. Wäre es nicht so, würden sie sich gar nicht deine Freunde sein. Du hast eine Direktorin, die sich für dich einsetzt, auch wenn du sie bittest das nicht zu tun. Sie ist um dich besorgt und sie möchte für dich da sein - nimm ihre Worte ernst. Lass nicht zu, dass deine Unsicherheit die Worte verdreht! Nimm sie so, wie sie geäußert werden.
Ich bin mir sicher, dass du eine sehr mitfühlende Person bist (du möchtest z. B. niemanden verletzten), das ist heute selten. Du bemühst dich um die Lösung deiner Probleme, selbst über dieses Forum. Du bist mit Sicherheit nicht dumm!
Liebe JaiJaiBD, ich hoffe, ich konnte dir etwas weiterhelfen. Für Fragen stehe ich dir jederzeit gerne zu Verfügung.
Das Leben ist lebenswert, auch wenn es dir momentan vollkommen dunkel erscheint, ein Hauch von Licht ist immer da! Ich wünsche dir von Herzen alles Gute!
Viele Grüße,
nighthawk
P.S: Rechtschreibfehler bitte ich bei dem langen Text zu entschuldigen.