Parallelen schneiden sich in der Unendlichkeit!?

Hallo Experten!

Wer kann mir sagen, mit welcher Begründung „gebildete“ Leute behaupten, dass sich Parallelen in der Unendlichkeit schneiden?

Ich freue mich auf Antworten …

David

Hier ein Ansatz für eine Antwort:

Die allgemeine Darstellung einer Gerade lautet y=m*x+b, zwei Geraden wären also y=m1*x+b1 und y=m2*x+b2. Der Schnittpunkt errechnet sich (Cramersche Regel) zu xs=(b2-b1)/(m1-m2) und ys=(b2m1-b1m2)/(m1-m2).

Die Geraden werden parallel, wenn m1 gegen m2 geht, damit geht der Schnittpunkt gegen Unendlich.

Hilft Dir das weiter?

Gruß
Ted

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einander!
Hi David,

Geraden schneiden SICH gar nicht. Wenn dann einander und das tun Parallele eben erst in der Unendlichkeit am St. Nimmerleinstag.

Nahe Grüße
S_

Hallo!

Hier hast Du eine ziemlich lange Antwort:

Euklid (ein alter Grieche ca. 300 v.Chr.) hat in seinem Buch „Die Elemente“,
die Grundlage der klassischen Geometrie (zumindest fuer die Ebenen) geschaffen.
Dieses Buch ist streng logisch aufgebaut und versucht, wie alle guten
Mathematikbuecher, bei einem Beweis nur Tatsachen zu verwenden, welche schon
bekannt waren, weil sie schon bewiesen waren. Natuerlich hat das einen Haken.
Es ist unmoeglich einen „ersten Satz“ zu beweisen, da man ja keine Aussagen zur
Verfuegung hat, aus denen man etwas folgern koennte.
Deshalb beginnt das Buch mit sogenannten Axiomen. Das sind Aussagen, die ohne
Beweis als richtig angesehen werden, auf denen dann die gesamte Theorie aufbaut.
Eines dieser Axiome ist das Parallelen Axiom. Es lautet ungefaehr so:
Sind in der Ebene eine Gerade g und ein Punkt P, der nicht auf dieser Geraden
liegt, gegeben, so existiert genau eine Gerade die durch P geht und g nicht
schneidet.
Geraden, die keinen Punkt gemeinsam haben (d.h. die sich nicht schneiden), nannte
Euklid parallel.
Viele Mathematiker fanden dieses Axiom jedoch als „unfein“ und versuchten das
Parallelenaxiom zu beweisen (mit Hilfe der anderen Axiome).
Wenn man es beweisen koennte, so braeuchte man es nicht mehr als richtig
vorauszusetzen.
Allerdings ist den Mathematikern dieser Beweis nicht gelungen, und
Gauss (1777-1855), also ca. 2000 Jahre nach Euklid, hat gezeigt, dass es
unmoeglich ist, das Parallelenaxiom mit Hilfe der anderen Axiome zu beweisen.
Sein Gedanke war recht einfach:
Er hat die Axiome von Euklid genommen und das Parallelenaxiom durch ein anderes
ersetzt (z.B. je 2 verschiedene Geraden schneiden sich in genau einem Punkt).
Danach zeigte er, dass die Axiome noch immer widerspruchsfrei (d.h. sich nicht
gegenseitig wiedersprechen) sind, und dass man mit ihnen genauso gut Mathematik
„machen“ kann, wie mit den urspruenglichen Axiomen. Auf diese Weise gelangte
Gauss zu den sogenannten „nicht - euklidischen Geometrien“.
Zunaechst galten diese als „abstrakte Hirngespenster“, bis Albert Einstein
„auftauchte“ und bei seiner allgemeinen Relativitaetstheorie Nicht-Euklidische
Geometrien benutzte.
Das einfachste Beispiel einer Nicht-Euklidischen Geometrie ist die „projektive
Ebene“: Stell Dir einen ganz normalen 3-dimensionalen Raum mit einem
Koordinatensystem x-y-z vor. Die Ebene E sei parallel zur xz-Ebene und schneide
die y-Achse bei 1.
Die Geraden die durch den Ursprung gehen bezeichnet man nun als Projektive Punkte
(im Gegensatz zu den „normalen“ Punkten des 3-dim. Raumes).
Jeder projektive Punkt schneidet entweder die Ebene E oder liegt in der xz-Ebene.
Andersrum kann man sagen, dass jeder Punkt der Ebene E genau einen projektiven
Punkt representiert, naemlich die Gerade die durch diesen Punkt und den Ursprung
geht.
Fuer jede Punktmenge der Ebene E (z.B. Kreise, Strecken) gibt es also eine
aequivalente Menge projektiver Punkte.
Zusaetzlich gibt es noch die projektiven Punkte, die in der x-z-Ebene liegen.
Diese nennt man unendlich ferne projektive Punkte oder auch kurz - Fernpunkte.
Ein Fernpunkt ist also immer ein projektiver Punkt.
Unter einer projektiven Geraden oder einer Geraden in der projektiven Ebene,
versteht man eine Ebene im dreidimensionalen Raum, die den Ursprung enthaelt.
Oder ganz korrekt: Die Menge aller projektiven Punkte, die in einer solchen Ebene
enthalten sind.
Jede projektive Gerade - bis auf die x-z-Ebene, schneidet die Ebene E in einer
Geraden.
Ausserdem gilt: Jede projektive Gerade (ausser die x-z-Ebene) besteht aus
(projektiven) Punkten, die von Punkten einer Geraden auf E erzeugt werden, und
einem Fernpunkt.
Die x-z-Ebene besteht genau aus allen Fernpunkten und wird deshalb Ferngerade
genannt.
Erklaert man auf diese Weise, was man unter einer Geraden und einem Punkt in der
projektiven Ebene verstehen will, so erhaelt man eine neue Geometrie, die
offensichtlich sehr aehnlich der Geometrie auf der Ebene E ist, nur dass sie
noch zusaetzliche Fernpunkte enthaelt, die zusammen die Ferngerade bilden.
Nimmt man nun zwei Geraden, die in der Ebene E liegen, dann schneiden sich diese
in einem Punkt P oder sie sind parallel. Die entsprechenden Geraden der
projektiven Ebene schneiden sich dann in dem projektiven Punkt der durch P
representiert wird, oder, im Fall das beide Geraden in E parallel sind, in einem
unendlich fernen Punkt (kurz: im unendlichen).
Das ist die Antwort auf Deine eigentliche Frage!

Da jede projektive Gerade einen Fernpunkt besitzt, also auch die Ferngerade
schneidet, gilt in dieser Geometrie: Zwei beliebige voneinander verschiedene
Geraden haben (genau) einen gemeinsamen Punkt.

Ich hoffe der Text ist trotz seiner laenge einigemassen verstaentlich und hilft Dir weiter.

Muck

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Wer kann mir sagen, mit welcher
Begründung „gebildete“ Leute behaupten,
dass sich Parallelen in der Unendlichkeit
schneiden?

Ob die Geraden das tun, das kommt ganz darauf an… Lass mich ein wenig ausholen; ich hoffe, Du kannst mir folgen:

Betrachten wir die Geraden im R^2, also einer Ebene. R^2 ist eine offene Menge, d.h. jeder Punkt ist ein innerer Punkt. Um den Schnittpunt der Geraden im Unendlichen zu haben, brauchen wir aber den/einen Punkt „unendlich“. Wenn Du Dir jetzt vorstellst, Du nimmst an *jedem* Ende von R^2 einen Punkt dazu, dann ist der Raum, der entsteht homöomorph zu einem kompakten „Quadrat“. Es ist anschaulich klar, dass Die geraden sich immer noch nicht schneiden.
Wenn Du aber den R^2 (stell ihn Dir als offenes Quadrat vor!) nach oben „biegst“, so dass eine Kugel entsteht, kannst Du das so weit machen, bis ganz oben nur noch der „Nordpol“ fehlt. Bis jetzt ist R^2 homöomorph mit dem entstandenen Raum. Nimm diesen „Nordpol“ zu dem Raum und nenne ihn „unendlich“. Was entsteht ist auch wieder kompakt. Wenn Du jetzt zwei Parallelen im R^n betrachtest, ist es auch anschaulich klar, dass sie sich im „Nordpol“ schneiden (Schau Dir einen Globus an und betrachte die Breitengrade… oder waren es die Längengrade…?)