Was macht eine Romanfigur 'liebenswert'?

Hallo!

In dem Buch „Über das Schreiben“ sagt Sol Stein:

Zitat: Was waren in all den Jahren, in denen ich als Lektor und Herausgeber gearbeitet habe, meine Erwartungen, wenn ich in meinem Büro ein Manuskript zur Hand nahm? Ich wollte mich verlieben, ich wollte mich so schnell wie möglich in das Leben einer Figur hineinversetzen lassen, die so interessant war, dass ich es nicht ertragen konnte, das Manuskript über Nacht in der Schreibtischschublade verschwinden zu lassen. Vielmehr nahm ich es mit nach Hause, wo ich die Lektüre fortsetze. Zitat-Ende.

Wie erschafft man als Autor eine solche Figur?

Im Realen Leben würde ich mir diese Frage ja nie stellen. Aber wie überträgt man das, was echte Menschen liebenswert macht, mit Buchstaben und Sätzen auf eine fiktive Figur?

Was macht eine Romanfigur „liebenswert“, so dass man sich in sie verlieben kann?

Wenn ich im Internet suche, welche Eigenschaften „liebenswert“ machen, finde ich „höflich, nett, freundlich, charmant“ und derartiges Gesülze. Demnach sind Zicken und Machos mangels Fortpflanzungsmöglichkeit sowieso ausgestorben, und Garfield muss bei Kindern äußerst „unbeliebt“ sein, weil er nur selten „nett“ ist. Das kann es doch nicht sein, oder?

Für Ideen, Tipps, Beispiele oder Ratgeber bin ich dankbar.

Grüße

Andreas

Hallo Andreas

Wie erschafft man als Autor eine solche Figur?

Mit Talent.

Im Realen Leben würde ich mir diese Frage ja nie stellen. Aber
wie überträgt man das, was echte Menschen liebenswert macht,
mit Buchstaben und Sätzen auf eine fiktive Figur?

Hast du noch nie mit einer Figur mitgelitten, mitgefiebert, dich mitgefreut? Wenn nein, tut’s mir Lied, wenn ja, dann schau, wie der Autor es dort gemacht hat.

Was macht eine Romanfigur „liebenswert“, so dass man sich in
sie verlieben kann?

Das ist genausowenig vorherzusagen und zu definieren, wie die Frage, was einen realen Menschen liebenswert oder attraktiv mache.

Wenn ich im Internet suche, welche Eigenschaften „liebenswert“
machen, finde ich „höflich, nett, freundlich, charmant“ und
derartiges Gesülze. Demnach sind Zicken und Machos mangels
Fortpflanzungsmöglichkeit sowieso ausgestorben, und Garfield
muss bei Kindern äußerst „unbeliebt“ sein, weil er nur selten
„nett“ ist. Das kann es doch nicht sein, oder?

Alex aus Clockwork Orange ist ein echt mieser Typ, aber doch mag man ihn irgendwie. Wie gesagt, es gibt keine eindeutige Zuordnung derart: wenn die Person so und so ist, dann lieben ihn alle.

Tychi

Hallo Tychi!

Danke für den Beitrag, auch wenn er etwas mager ist. Hast du nicht noch mehr Beispiele?

Grüße

Andreas

1 Like

Hi,

das ist jetzt sicher nicht erfüllend, aber was andere Menschen (Freunde ebenso wie Romanfiguren) für mich liebenswert macht (wohlgemerkt: liebenswert, nicht etwa bewundernswert, attraktiv, interessant o.ä.) ist, wenn sie zu ihren Schwächen stehen.
Verlieben tu ich mich ja (zumindest wenn’s wirkliches Verlieben ist und nicht glorifizieren) in jemanden, in dem ich einen Teil meiner selbst wiedererkennen kann. Der meine Bedürfnisse und Ängste usw. versteht und selber kennt.
Eine Figur, in der ich mich wiederfinde und die ich deswegen „lieb haben“ kann, ist eine, die Schwächen und Ängste hat, die ich kenne, aber ebenso Stärken. Überwindet eine Figur im Laufe der Geschichte ihre Schwächen/ Ängste, könnte sie ein Held werden.
Wenn man sich z.b. mal die zwei unterschiedlichen Helden aus der „unendlichen Geschichte“ anschaut, dann ist Bastian der Liebenswertere, der, der Fehler macht, Scheiße baut, dadurch aber reift und lernt. Atreju im Gegensatz ist der Perfekte, zu dem man aufschaut, der Held, der alles richtig macht - er ist insofern sehr bewundernswert und attraktiv, aber nicht wirklich liebenswert, außer vielleicht am Anfang, wenn ihm sein Pferd wegstirbt. Später aber empfand zumindest ich ihn immer als Besserwisser.
Atreju ist der Held, Bastian der Antiheld, und Antihelden sind immer eher die Sympathen (es sei denn, sie sind strohdumm, lernen nicht im Laufe der Geschichte, versinken im Selbstmitleid o.ä., das wäre dann schon wieder zuviel des Guten).

Ist sicher nur ein Aspekt, aber das habe ich bei mir halt festgestellt.

Hallo Punch&Judy!

Vielen Dank für den ausführlichen Beitrag! Ich habe das Buch auch gelesen und stimme, jetzt wo du es sagst, weitgehend zu. Das ist sehr hilfreich und beantwortet genau meine Frage.

Grüße

Andreas

Ihre emotionale Unsicherheit
In Anlehnung an den Thread drunter
:wink:

Hi Judy

Antihelden sind
immer eher die Sympathen

Ich kann dir da nur zustimmen.
Deswegen mochte ich den bösen Onkel von dem kleinen König der Löwen auch am liebsten. Der war so schön sarkastisch, während die anderen nur kitschig-amerikanisch waren.
Übrigens mochte ich deswegen vielleicht auch nie Asterix und Obelix. Aber ich glaube, die mochte ich nicht, weil es immer derselbe Scheiß war. Die Römer wurden als ewige Verlierer dargestellt und immer gewannen die kleinen Scheißer aus Gallien. Ekelhaft. Ich hab schon 1970 nicht verstanden, warum Schüler und Studenten Asterix so toll fanden. Ich fand die nur blöde. Ich las damals lieber comix von Robert Crumb, insbesondere Mr.Natural.
Es grüßt dich
Branden

Übrigens mochte ich deswegen vielleicht auch nie Asterix und
Obelix. Aber ich glaube, die mochte ich nicht, weil es immer
derselbe Scheiß war.

Igitt, ja, stimmt, aber hin und wieder waren so manche Kommentare da doch noch ganz lustig, aber Asterix selbst ist ein prima Beispiel dafür, wie ein Held einfach mal nicht liebenswert ist. James Bond fällt mir da auch sofort ein.
Gestern hatte ich kurz in einen Film reingezappt, wo mir auch sofort wieder einfiel, dass ich keinerlei Bezug zu den Personen herstellen konnte, die Personen handelten quasi nur, zeigten allenfalls die Gefühlsregungen, die an der Stelle erforderlich waren (heulen bei Verurteilung, angstverzerrtes Gesicht beim Erkennen, dass man eingesperrt ist usw.), aber nichts drüber hinaus: ich erlebte sie nicht denken, fühlen, mit sich ringen, sprich: die Person war eigentlich nicht wichtig, nur die Handlung.

Allerdings hat das mit dem „Schwächen zeigen“ auch Grenzen. Wenn die Person Schwächen hat, die mir auch an anderen Personen zutiefst unsympathisch sind wie Besserwisserei, Dummheit, Neigung zur Schuldabwälzung auf andre oder so, dann kann sie nur dann für mich liebenswert werden, wenn sie sich vielleicht im Laufe des Films/ Buchs verändert und etwas erkennt. Aber vielleicht erkennen sich in solchen Personen ja dafür andere. Möglicherweise erkennt sich jemand ja auch in James Bond oder Asterix und findet sie deswegen liebenswert.

Ich mag das Wort „greifbar machen“ so gerne, denn indem ich mich „greifbar“ mache, indem ich mich traue, irgendwo anzuecken, vielleicht zu polarisieren, indem ich dazu stehe, was ich kann und was ich nicht kann und was meine Bedürfnisse sind, nur dann kann es passieren, dass Leute mich wirklich erkennen und mögen (und andere Leute wiederum eben nicht) und nicht allenfalls „nett“ finden. Und genauso muss eben auch eine Romanfigur sein. Sie muss Charakter haben.

Gruß
Judith

2 Like

Hi Judith

Ich mag das Wort „greifbar machen“ so gerne, denn indem ich
mich „greifbar“ mache, indem ich mich traue, irgendwo
anzuecken, vielleicht zu polarisieren, indem ich dazu stehe,
was ich kann und was ich nicht kann und was meine Bedürfnisse
sind, nur dann kann es passieren, dass Leute mich wirklich
erkennen und mögen (und andere Leute wiederum eben nicht) und
nicht allenfalls „nett“ finden. Und genauso muss eben auch
eine Romanfigur sein. Sie muss Charakter haben.

Das hast du schön gesagt.- Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Es grüßt dich
Branden

Hi Branden,

Die Römer wurden als ewige Verlierer

dargestellt und immer gewannen die kleinen Scheißer aus
Gallien. Ekelhaft.

hey, hey, was ist denn da los? Ich als psychologischer Laie würde sagen, du hast dich da persönlich getroffen gefühlt: Na, sei ehrlich, was isses: neidisch auf Asterix wegen seiner verdammen Disziplin, auf Methusalix wegen seiner jungen Frau oder kämpfts du gar gegen deine eigene Gutemine? Aber mal ehrlich: Die gallische Truppe hatte wenigstens nichts amerikanisches an sich…

Salve und carpe diem usw.,
SusanneAntje

hey, hey, was ist denn da los? Ich als psychologischer Laie
würde sagen, du hast dich da persönlich getroffen gefühlt: Na,
sei ehrlich, was isses: neidisch auf Asterix wegen seiner
verdammen Disziplin, auf Methusalix wegen seiner jungen Frau
oder kämpfts du gar gegen deine eigene Gutemine?

Ich würd mal sagen: Weder noch. Auf den abgebrochenen Zwerg da (Asterix) kann ja wohl keiner neidisch werden, ne jüngere Frau hab ich selber und ne Gutemine zum bösen Spiel mag ich auch nicht machen.

Aber mal
ehrlich: Die gallische Truppe hatte wenigstens nichts
amerikanisches an sich…

Das reicht aber nicht. Die sind einfach zu doof, zu einfallslos. Diese ewigen doofen Prügeleien da, bei denen die Römer immer verlieren. Das hätte mich schon im Kindergarten angeödet. Wieso Studenten das so toll finden, wird mir wohl auf immer unbegreiflich bleiben.
Es grüßt dich
Branden

Hallo vanBranden!

Danke für den Beitrag und auch die anderen weiter unten. Du hast damit eine interessante Diskussion ausgelöst.

Grüße

Andreas