Der BGH geht offenbar - wie übrigens die meisten Kunden - davon aus, dass der Zeitwert sich aus den gezahlten Prämien unter Abzug von Kosten einschliesslich Abschlusskosten sowie Berücksichtigung von Zinsen und Risikobeiträgen berechnet. Also etwa wie die Entwicklung eines Sparkontos - man nennt dies eine sogenannte retrospektive Berechnung.
Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sieht aber eine Zeitwertberechnung vor, und die erfolgt prospektiv, also ausgehend von der zugesagten Versicherungsleistung und den noch zu zahlenden Beiträgen. Als einfaches Beispiel sei dies - ohne weitere Kosten außer Abschlusskosten und ohne Zins - erläutert. Wenn der Vertrag vorsieht, dass 20 Jahre lang jährlich 1000 EUR an Beiträgen gezahlt und am Ende 18.000 EUR ausgezahlt werden, weil - egal wie intransparent und ob überhaupt vereinbart - die ersten zwei Jahresbeiträge mit den Abschlusskosten verrechnet wurden - dann erhält der Kunde nach 2 Jahren einen Rückkaufswert - Zeitwert - von 0 EUR, obwohl er ja 2000 EUR gezahlt hat. Der BGH glaubt nun, dieser Abzug von den gezahlten 2000 EUR sei unzulässig, weil der Abzug der Abschlusskosten nicht transparent vereinbart ist.
Darauf kommt es aber gar nicht an: nach dem Gesetz berechnet sich der Rückkaufswert nämlich als Zeitwert. Und das bedeutet: von der vereinbarten Leistung in Höhe von 18.000 EUR werden die noch zu zahlenden Beiträge für 18 Jahre - ebenfalls 18.000 EUR - abgezogen, so dass als Zeitwert 0 EUR verbleiben. Diese 0 EUR sind gleichzeitig auch das sogenannte gezillmerte Deckungskapital - 2000 EUR betragen die gezillmerten Abschlusskosten.
Dass dieses Resultat letztlich durch die Verrechnung der Abschlusskosten verursacht ist, muss nach dieser gesetzeskonformen Methode der Bestimmung des Rückkaufswertes/Zeitwertes aber gar nicht erläutert werden oder sonst irgendwie vereinbart sein. Jedwede Erklärung dazu, dass Abschlusskosten verrechnet werden, hätte nur rein beschreibenden Charakter ohne unmittelbare Wirkung - sie wird für das Ergebnis nicht benötigt. Die Unwirksamkeit einer Klausel, die diesen Umstand beschreibt, ist daher völlig irrelevant; es genügt die gesetzliche Bestimmung alleine.
Klagerisiko der Versicherer
Doch was ist nun der Zeitwert eines Vertrages? Dazu ist jedenfalls auch ein Diskontierungszins zu berücksichtigen. Der Zeitwert beispielsweise eines beitragsfreien Vertrages, der in 20 Jahren eine Leistung von 100.000 EUR vorsieht, ist ja keinesfalls zum heutigen Zeitpunkt schon 100.000 EUR. Die Versicherer diskontieren hier mit dem Rechnungszins des Vertrages, also je nach Vertragsbeginn mit 4%, 3,5% , 3,25 %, 3 % oder 2,75 %. Damit hat ein beitragsfreier Vertrag, der in 20 Jahren 100.000 EUR Leistung vorsieht, einen Zeitwert von z. B. 45.639 EUR (bei 4 % Rechnungszins) oder 58.125 EUR (bei 2,75 % Rechnungszins).
Ob diese starken Unterschiede gerechtfertigt sind, hängt davon ab, ob vielleicht aus anderen Quellen - z. B. durch Überschusszins - noch ein Ausgleich erfolgt. Denn ohne jeden weiteren Überschuss sind 100.000 EUR, die in 20 Jahren gezahlt werden, heute gleich viel wert und hängen nicht etwa davon ab, mit welchem Zins der Versicherer gerechnet hat.
Finanzmathematik und Gerichtslogik
Eklatante Verstöße gegen die Denkgesetze in Urteilen können Entscheidungen vor dem Verfassungsgericht angreifbar machen, denn die Logik ist Bestandteil der verfassungsgemäßen Rechtsordnung. Insbesondere könnten Verbraucher mit sachverständiger Hilfe auch finanzmathematisch den Zeitwert nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ins Feld führen und vorrechnen, um gegebenenfalls zusätzliche Auszahlungen bei vorzeitiger Vertragskündigung zu erreichen.
Doch wenn die Versicherer gegenüber dem BGH diese gesetzlich vorgegebene Berechnungsmethode zu sehr ins Feld geführt hätten, so wäre genau die Frage der adäquaten Berechnung eines Zeitwertes aufgetaucht. Und damit wäre die eindeutig bestimmbare und in der Regel verwendete - aber im Prinzip sich gar nicht immer zweifelsfrei aus dem Gesetz ergebende - Ausgangsbasis „gezillmertes Deckungskapital“ zu hinterfragen gewesen. Dies aber könnte angesichts der derzeitigen Kapitalmarktsituation noch nachteiliger sein, wenn nämlich Versicherer bei Verträgen mit z. B. 4 % Rechnungszins den Rückkaufswert/Zeitwert nicht mehr mit 4 %, sondern mit einem Kapitalmarktzins von vielleicht demnächst nur noch 3 % oder weniger berechnen müßten.
Kontrolle ist wichtig
Soweit man dem Versicherer nicht zutraut, den Rückkaufswert richtig und transparent berechnet zu haben, kann man dessen Berechnungen durch einen unabhängigen mathematischen Sachverständigen überprüfen lassen. Dazu bedarf es zunächst keiner Klage. Aber der Versicherungskunde muss, auch bei längst abgerechneten bzw. gekündigten Verträgen, beim Versicherer eine Neuabrechnung zunächst einmal verlangen, wenn er auf sein gutes Geld nicht verzichten möchte.
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