Ich mag des Genitivobjekts zu sehr

Liebe Germanisten,

ich hab neulich mal - ganz frei von der Schnapsleber weg - geschrieben, das Genitivobjekt sei ja vor allem eine Mode des 18. Jahrhunderts, und nur so sprachreaktionäre Ärsche wie ich würden dessen noch gebrauchen.
Ich hoffe ich habe, suffschwankend, trotzdem nicht allzu weit daneben getroffen: Ist der Genitiv wirklich früher so exzessiv gebraucht worden, wie meine trügerische Literaturerinnerung es mir flüstert?
Was sind Ihre historischen Erfahrungen mit dem Genitivobjekt?

Mit freundlichem Grinsen
Andreas Neumenn

PS: Soeben habe ich, Belege suchend, 12 Seiten Musäus gelesen, aber - merkwürdig, merkwürdig! - fast kein einziges Genitivobjekt entdeckt. Das schüttelt meine These ganz schön durch!

Ich habe gerade noch ein „sie genössen einander“ bemerkt. (Woher weiß man eigentlich, dass dies Genitv und nicht Akkusativ ist?)

Ich habe gerade noch ein „sie genössen einander“ bemerkt.
(Woher weiß man eigentlich, dass dies Genitv und nicht
Akkusativ ist?)

Seien Sie dessen sicher, lieber Andreas, daß das Genitiv-Objekt durchaus noch Liebhaber und Verehrer hat. „Sie genössen einander“ ist nun freilich kein Genitiv, sondern eindeutig Akkusativ, während „er genoß des Weins“ ein Genitiv ist. Man merkt es wirklich nur am Artikel.
Das schönste Genitiv-Objekt finde ich übrigens „sie genas eines Kindes“.

Gruß - Rolf

ich hab neulich mal - ganz frei von der Schnapsleber weg -
geschrieben, das Genitivobjekt sei ja vor allem eine Mode des
18. Jahrhunderts, und nur so sprachreaktionäre Ärsche wie ich
würden dessen noch gebrauchen.
Ich hoffe ich habe, suffschwankend, trotzdem nicht allzu weit
daneben getroffen: Ist der Genitiv wirklich früher so exzessiv
gebraucht worden, wie meine trügerische Literaturerinnerung es
mir flüstert?
Was sind Ihre historischen Erfahrungen mit dem Genitivobjekt?

Also, ich hatte den gleichen Eindruck, und habe sofort zu Walter Scotts Ivanhoe gegriffen, durch den ich mich gerade durchkaue (ich gestehe, der Sprachstil jener Zeit ist für mich ziemlich schwer verdaulich). Und siehe da, es sind tatsächlich nicht so viele, wie mir vorkam. Offensichtlich fahren solche für uns ungewöhnliche Wendungen jedesmal, dass sie vorkommen, dermaßen ins Gedächtnis, dass der Eindruck entsteht, sie kämen ununterbrochen vor.

Grüße
Livia

ich auch!
Ein lieblicher Hauch von «schöner alter Welt»
umfliesst Sentenzen wie «Hat er noch genug des
Geldes?» …

Rolf, der andere

Ein lieblicher Hauch von «schöner alter Welt»
umfliesst Sentenzen wie «Hat er noch genug des
Geldes?» …

Rolf, der andere

Hallo anderer Rolf,

ist das nicht schön: „Um baren Geldes erwürbe ich gern ein Pfund weißen Brotes“?

Einen schönen Tag noch - Rolf, der eine

Liebe Germanisten,

Ich bin zwar keiner, aber meine Freundin ist eine Germanistin mit
Magister in der Tasche. Und die lachte mich neulich aus, als ich
sagte, ich koenne doch nicht ungeputzter Zaehne das Haus verlasssen.
Gerade ihr sollte doch ein Herz aufgehen, wenn ich so spreche, oder?

Gruss, Tychi

Lieber Rolf,

Ich habe gerade noch ein „sie genössen einander“ bemerkt.
(Woher weiß man eigentlich, dass dies Genitv und nicht
Akkusativ ist?)

Seien Sie dessen sicher, lieber Andreas, daß das
Genitiv-Objekt durchaus noch Liebhaber und Verehrer hat.

danke, jetzt fühle ich mich gleich nicht mehr gar so einsam.

„Sie genössen einander“ ist nun freilich kein Genitiv, sondern
eindeutig Akkusativ,

Da allerdings bin ich anderer Meinung: man kann, wenn man will, dies durchaus auch als Genitiv lesen. (Muss man aber nicht. Insoweit muss ich meine Aussage revidieren.) Und irgendwie kommt es mir als Genitiv auch schöner vor. Es klingt für mich dann eher nach Zweisamkeit, als wenn es als Akkusativ gelesen wird. Letzteres ergibt nach meinem Sprachgefühl eher den Sinn „einer den anderen“, so in der Richtung von „jeder genießt für sich allein“. Aber das Sprachgefühl ist ja verflucht (echt!) subjektiv, und so kann ich kaum hoffen, in dieser eher unwichtigen Frage Zustimmung zu finden.

während „er genoß des Weins“ ein Genitiv
ist. Man merkt es wirklich nur am Artikel.
Das schönste Genitiv-Objekt finde ich übrigens „sie genas
eines Kindes“.

Das liest man leider wirklich zu selten (eigentlich nie) in den Zeitungsanzeigen, die von diesem Thema handeln.

Gruß - Rolf

Gruß (gebraucht) zurück
Andreas

Aga.

Sie genossen einander

(Woher weiß man eigentlich, dass dies Genitv und nicht
Akkusativ ist?)

Dieses Wissens Besitz ist nur der Deine, sintemalen allhiero meiner nur des Akkusativs Präsenz ersichtlich wurde. Jedoch seiest Du dessen versichert, dass des Genitivobjektes Gebrauch durchaus des Aussterbens Anheimfallung voraussichtlicher Erwartung noch der näheren Überprüfung bedarf.

Unter Zurücklassung eines Grußes,
kw
Mitglied im Verein für die Rettung von dem Genitiv

Von dem Verein würde ich gerne Mitglied werden, weiß aber weder von dem die Adresse, noch, ob ich mir dem seine - gewisslich hohen - Beiträge von den Mitgliedern leisten könnte.

Gruß aufgelesen, zurückexpediert,
Andreas

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Tach Tychi, (Diese informelle Anrede entstand allein aus dem Grunde, dass die Alliteration zu sehr lockte. Richtiger [oder am allerrichtigtsen] wäre gewesen: „Tach, sehr geehrter Herr Tychi“)

genau.
Das isses, was ich meinte: Wenn sogar die Germanisten sich über so (in meinen Ohren) schöne Konstrukte beeumeln, dann…
Ja was dann? Ich kann mich nicht entscheiden. Soll ich jetzt schwarz sehen oder gar rot, darf ich traurig sein oder allenfalls eingeschnappt? Hass auf die Genitivobjekt-Nichtgebraucher wäre sicherlich überzogen, aber Mitleid mit ihnen - wäre das legitim?

Verwirrt wie immer,
nicht zu verwirrt, den Gruß zu vergessen. Da isser:
Gruß,
Andreas

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Noch mal zurück zur Frage
Liebe Board-Gemeinde,
danke nochmals für die Aufmunterung.
Vermutlich ist meine - ernst gemeinte - Frage in meinem Geschwafel untergegangen: Gab es wirklich einmal einen besonders exzessiven Gebrauch des Genitivobjekts, möglicherweise im Rahmen einer allgemeinen barocken Sprachverschnörkelung, oder bilde ich mir das jetzt nur ein?
Wie (fast schon) gesagt: Bei einer Stichprobe im Musäus fand ich nur anderes: das schöne alte Präteritum, den Konjunktiv I, das Dativ-e, komische Valenzen wie „etwas fliehen“ und einen gewaltig großen Wortschatz plus hübsche Wendungen á la „das Mittagsmahl halten“. Dazu erschreckenderweise ein „demungeachtet“. Und dafür kaum einen Genitiv.
Andere Stichproben aus Texten anderer Zeiten sind aus Enfallslosigkeit nicht gemacht worden.
Wo also kommt dieser unangenehme unterschwellige Stolz her, den man beim außerattributiven Gebrauch des Genitivs verspürt, vergleichbar mit dem Gefühl, das beim Verwenden von „Zwist“, „mißhellig“ oder „beiwohnen“ entsteht? (Diese Frage bitte ich nicht psychologisch zu verstehen, sondern reinewech sprachgeschichtlich. Danke.)

Grüße (aber bitte jeder nur einen nehmen),
Andreas

Allerbester Andreas,

vielleicht macht just das Genitivobjekt sich ein solches Nest in unserem Ohr, weil es uns besonders ungewohnt in selbiges zu poltern pflegt? Dünkt doch das Fremde uns gemeinhin im Doppelsinne merkwürdig.

Ah, alte Wendungen! Einst verliebte ich mich in einen hochgelahrten Italiener, der seine Deutschkenntnisse an Goethen schulte & den ich nicht zuletzt ob seines selbstverständlichen Alltagsgebrauchs des Wortes „allüberall“ zu erkiesen gewillt war.

Ich verabschiede mich mit einer Fallstudie Christian Morgensterns…

_Der Werwolf

Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!

Der Dorfschulmeister stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:

»Der Werwolf« - sprach der gute Mann,
»des Weswolfs, Genitiv sodann,
dem Wemwolf, Dativ, wie man’s nennt,
den Wenwolf, - damit hat’s ein End.«

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!

Der Dorfschulmeister aber mußte
gestehn, daß er von ihr nichts wußte.
Zwar Wölfe gäb’s in großer Schar,
doch »Wer« gäb’s nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind -
er hatte ja doch Weib und Kind!!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben._

…und verbleibe dem anachronistischen Sprachgesindel hold.

Diana

Hochgeschätzte Diana,

dass ich solches noch einmal lesen darf… schnief!

Ja, den Herrn Morgenstern, den hätte man fragen können müssen, oder auch Herrn Arno Schmidt, der um Wörter so viel wusste. Aber es ist wohl so: Die Besten sind leider verschieden. (Und natürlich gottzeidank, je nachdem.)

Tausend Dank für die versehentliche(?) Anregung. Ich hatte gerade keine Idee mehr, was ich denn morgen mit in die S-Bahn nehmen könnte, um es zu lesen. Nun freue ich mich schon auf die strafenden Gesichter meiner Mitfahrgäste, wenn ich kichernd die „Galgenlieder“ wieder lese.

Schon jetzt ein verzücktes Grinsen im Gesichte habend verbleibe ich mit liebem Gruß (kriegt nicht jeder!),
Andreas

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Danke Okinaptz, Deine Sätze genaß ich!

Gruß
Gerald

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Anregendster,

Ja, den Herrn Morgenstern, den hätte man fragen können müssen,
oder auch Herrn Arno Schmidt, der um Wörter so viel wusste.

war’s nicht der wortmächtige Bargfelder Anachoret, welcher der „Thräne“ wieder zu ihrem alten Glanz verhelfen wollte? Wo nur find’ ich die Belegstelle?

Tausend Dank für die versehentliche(?) Anregung.

Nicht versehentlich, stets mit Bedacht :wink:
verbleibe ich
dankbar kurzweilend
Diana

Im ganzen Satz
Hallo,

Das schönste Genitiv-Objekt finde ich übrigens „sie genas
eines Kindes“.

diese Redewendung ist mir seit Jahren im Kopf hängengeblieben, nachdem ich „Angélique“ gelesen hatte (Lästern zwecklos, ich stehe dazu). Aus meinem Bücherregal habe ich extra den Band 2 hervorgekramt und zitiere aus der Übersetzung von Günther Vulpius den Satz einer verschrobenen und klatschsüchtigen alten Jungfer namens Philonide de Parajonc:

„Philonide schwatzte lange über ihrer beider Nachbarin, Madame de Gauffray, die soeben „die Folge der erlaubten Liebe verspürt“ hatte, indem sie nämlich nach zehnmonatiger Ehe eines prächtigen Knaben genesen war.“

Genial.

Gruß,
mowei

Ich suche noch (ver2felt)
Nettetteste,

war’s nicht der wortmächtige Bargfelder Anachoret, welcher der
„Thräne“ wieder zu ihrem alten Glanz verhelfen wollte? Wo nur
find’ ich die Belegstelle?

dermaleinst (ich mag die Jahre nicht nennen, die seitdem verflossen), also einst, da trug sich zu, dass ich in einen Liebesbrief (verschämtes Gekicher an dieser Stelle) hinein genau diese „Thrän’n“ (so schrieb sie Arno Schmidt wohl) klaute. Damals (es war ja dermaleinst) wusste ich noch nicht um Copyrigthts und solcherart Beschränkungen des freien Stehlens: Es war eine Zeit der gefühlten Unschuld. Heute jedoch bin ich zutiefst beschämt, wenn ich an mein dermaleinstiges Handeln denke. Vor allem aber, weil ich nicht mal mehr weiß, woher genau ich die „Thrän’n“ weggeklaut habe.

Als Buße lese ich (zu Hause, für die S-Bahn habe ich ja Leichteres) die AW des Arno Schmidt noch mal schnell durch. Und ich melde die Entdeckung etwelcher Thrän’n schleunigst an Dich.

Möge dieser Gruß bis dahin halten:
Gruß,
Andreas

Ich habe gerade noch ein „sie genössen einander“ bemerkt.

Ich habe in „Tristan und Isolde“ eine ähnliche Stelle gesucht, aber nicht den erwarteten Genitiv gefunden, sondern :

"Ihr Herren, gefällt es Euch, eine schöne Geschichte anzuhören von Liebe und Tod ? Es ist von Tristan und von Isolde, der Königin. Vernehmet, wie in großer Freud und großem Leid sie einander liebten, dann daran starben an einen Tag, er um sie, sie um ihn.

Ist das „um“ nicht fast so schön wie ein Genitiv ?

mfg
Klaus