Gefunden: junge Welt

ohne alles unterschreiben zu wollen, finde ich vieles an diesem Beitrag in „die junge Welt“ so interessant, dass ich ihn hier veröffentlichen will.
Ich weiß, er ist etwas lang. Doch eine Kürzung durch mich wäre schon wieder eine politische Verfälschung.
Schon meine Ansicht, dass ein Einmischen der NATO dringend nötig war: die Unmenschlichkeit der Zivilbevölkerung gegenüber verlangte es.
Grüße
Raimund

Die imperialen Absichten der USA
NATO-Krieg gegen Jugoslawien sollte Fehlentscheidung Eisenhowers korrigieren. Von Rainer Rupp


Der Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ist geführt worden, um eine strategische Fehlentscheidung von General Eisenhower aus dem 2. Weltkrieg zu revidieren.« Das hatte der ehemalige CDU-Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Willy Wimmer, der zur Zeit des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE war, in einer Fernsehdiskussion im WDR im Februar dieses Jahres erklärt. Die Diskussion hatte im Anschluß an die Ausstrahlung des Films »Es begann mit einer Lüge« in der ARD am 8. Februar stattgefunden. In dem Film wurde die wissentliche Irreführung von Parlament und Öffentlichkeit durch Verteidigungsminister Rudolf Scharping und Außenminister Joseph Fischer dokumentiert. Mit Hilfe antiserbischer Greuelpropaganda hatten sie versucht, die deutsche Beteiligung am ersten Angriffskrieg der NATO gegen einen souveränen Staat in Europa zu rechtfertigen.

Klartext gesprochen

Mit seiner Behauptung, daß geostrategische Interessen der USA der wirkliche Grund für den NATO-Angriff auf Jugoslawien waren, berief sich Willy Wimmer auf die Aussagen hoher Vertreter der amerikanischen Regierung bei einer Konferenz in Bratislava, die Ende April 2000 vom US-Außenministerium und dem American Enterprise Institute (außenpolitisches Institut der republikanischen Partei) in der slowakischen Hauptstadt zu den Schwerpunktthemen Balkan und NATO- Ostexpansion veranstaltet worden war. Bei dieser Konferenz hatten die Amerikaner über ihre Pläne für die Neuordnung Europas Klartext gesprochen. Der offensichtlich empörte Bundestagsabgeordnete Wimmer hatte es daraufhin für notwendig befunden, Gerhard Schröder über die wichtigsten Punkte zu informieren. In seinem vom 2.5.00 datierten Brief an den Bundeskanzler wies der Abgeordnete Wimmer auf die politische Brisanz der Konferenz in Bratislava hin, auch weil sie »sehr hochrangig besetzt« gewesen sei, »was sich schon aus der Anwesenheit zahlreicher Ministerpräsidenten sowie Außen- und Verteidigungsminister aus der Region« ergeben hätte. Das Schreiben Wimmers, das dem Autor dieser Zeilen in Kopie vorliegt, sollte einer möglichst breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden. Das Wissen um die imperialen Absichten der USA und ihrer NATO darf nicht auf den Kanzler und eine kleine politische Elite beschränkt bleiben. Deshalb werden die von MdB Wimmer im Kanzlerbrief aufgeführten Punkte nachfolgend jeweils wortwörtlich wiedergegeben und kommentiert.

»Anerkennung Kosovos«

»1. Von seiten der Veranstalter (US-Außenministerium und American Enterprise Institute) wurde verlangt, im Kreise der Alliierten eine möglichst baldige völkerrechtliche Anerkennung eines unabhängigen Staates Kosovo vorzunehmen.«

Das heißt mit anderen Worten, daß die Schlußakte von Helsinki über »Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit« (OSZE) für die Vereinigten Staaten nicht einmal mehr das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben steht, obwohl unter diese Akte neben den USA fast alle europäischen Staaten ihre Unterschrift gesetzt haben. Die besondere zivilisatorische Errungenschaft dieser Schlußakte von Helsinki war die Verpflichtung aller Unterzeichnerstaaten, daß in Zukunft Staatsgrenzen in Europa nie wieder mit Gewalt verändert werden dürften. Die amerikanische Forderung nach einer »möglichst baldigen völkerrechtlichen Anerkennung eines unabhängigen Staates Kosovo« bedeutet jedoch nichts anderes als den Rückfall in jene barbarischen Zeiten, in denen Europas Staatsgrenzen mit Blut immer wieder neu gezogen wurden. Die völkerrechtliche Anerkennung eines unabhängigen Staates Kosovo würde de facto die Aufkündigung der Schlußakte von Helsinki bedeuten, wodurch auch ihre Nachfolgeorganisation, die OSZE, in Frage gestellt würde, mit weitreichenden und gefährlichen Implikationen für Gesamteuropa. Wegen der vielen ungelösten Grenz- und Minderheitenfragen auf dem alten Kontinent würde durch einen solchen Schritt die Büchse der Pandora geöffnet. Nicht zuletzt deshalb stehen die meisten europäischen NATO-Partner diesen Vorstellungen ihrer amerikanischen Verbündeten äußerst skeptisch gegenüber. Mit einem formaljuristischen Trick versuchten die Amerikaner jedoch, diese europäischen Bedenken einfach hinwegzudefinieren, wie Punkt zwei in Willy Wimmers Brief zeigt:

»2. Von den Veranstaltern wurde erklärt, daß die Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb jeder Rechtsordnung, vor allem der Schlußakte von Helsinki, stehe.«

Mit diesem formaljuristischen Trick wäre für Washington das Problem gelöst, denn so könnte Kosovo mit dem Segen der NATO seine Unabhängigkeit bekommen, ohne daß diese gegen die Regeln der OSZE verstoßen hätte. Denn wer wie Jugoslawien angeblich »außerhalb der Schlußakte von Helsinki steht«, für den kann auch deren Inhalt nicht gelten. Da spielt es keine Rolle, daß die Bundesrepublik Jugoslawien zu den Erstunterzeichnern der Schlußakte von Helsinki gehörte. Kraft ihres Status als einzige Supermacht entscheiden die Vereinigten Staaten willkürlich, wer außerhalb der Schlußakte von Helsinki steht und wer nicht, d.h. wessen Staatsgrenzen mit Gewalt verändert werden können und wessen nicht. Auch hier zeigt sich die verstärkte Neigung der US-Amerikaner, überall dort das internationale Recht auszuhebeln, wo es den Interessen Washingtons im Wege steht.

The New Empire

»3. Die europäische Rechtsordnung sei für die Umsetzung von NATO-Überlegungen hinderlich. Dafür sei die amerikanische Rechtsordnung auch bei der Anwendung in Europa geeigneter.«

Washington zeigt hier unverhüllt seinen imperialen, weltweiten Macht- und Rechtsanspruch. Das geschieht in einer Art und Weise, die deutliche Parallelen zum imperialen Gehabe der römischen Kaiser aufweist. Nicht umsonst wird das neue Washington mit seinem Anspruch auf globale Vorherrschaft, die auch mit der angeblichen zivilisatorischen Überlegenheit der amerikanischen Werteordnung begründet wird, selbst von kritischen Amerikanern zunehmend als »the New Empire«, als das »Neue Reich« bezeichnet.

»4. Der Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien sei geführt worden, um eine Fehlentscheidung von General Eisenhower aus dem 2. Weltkrieg zu revidieren. Eine Stationierung von US-Soldaten habe aus strategischen Gründen dort nachgeholt werden müssen.«

Ein Blick in die Archive läßt den Schluß zu, daß es sich bei der angeblichen Fehlentscheidung nur um den aus westlicher Sicht folgenschweren Entschluß anläßlich der alliierten Konferenz von Teheran im Jahre 1944 handeln kann, bei der die Westalliierten dem bereits legendären, royalistischen, serbischen Guerillaführer General Draza Mihailovic beim Kampf gegen die Deutschen ihre Unterstützung entzogen und statt dessen auf den bis dahin kaum bekannten Tito setzten. So entschied nach dem Krieg der Kommunist Tito über die staatliche Verfaßtheit Jugoslawiens und nicht der royalistische Freund des Westens, Mihailovic, der nach dem Ende des 2. Weltkriegs seinen Partisanenkrieg weiterführte, jetzt allerdings gegen die neue kommunistische Ordnung Titos. Mihailovic wurde schließlich gefangengenommen, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Es würde hier zu weit führen, auf die Einzelheiten der Desinformationskampagne einzugehen, mit deren Hilfe es dem für die Sowjetunion arbeitenden britischen Doppelagenten James Klugmann - in Abstimmung mit Moskau - in jener Zeit gelungen war, General Mihailovic bei der britischen Regierung so sehr in Mißkredit zu bringen, daß er bei der Konferenz von Teheran schließlich fallengelassen und statt dessen der von Moskau vorgeschlagene Tito vom Westen unterstützt wurde. Soviel sei jedoch noch zu General Mihailovic gesagt: Er war nicht nur ein großer Stratege des Guerillakrieges, sondern auch einer, der mit seinen serbischen Widerstandskämpfern auf diese Art im von den Nazis besetzten Europa den Krieg gegen die Nazis fortführte. Dabei war er so erfolgreich, daß er auf dem Balkan erhebliche deutsche Kräfte band. Als Rommel vor El- Alamein stand, gratulierten und bedankten sich deshalb die alliierten Oberbefehlshaber General Eisenhower, General Auchinleck, Air- Marshal Tedder, Admiral Harwood und General de Gaulle bei General Mihailovic für seine Hilfe. Trotzdem wurde Mihailovic später fallengelassen, woran sicherlich auch die vom sowjetischen Geheimdienst gestrickte und über den britischen Doppelagenten Klugmann verbreitete Legende schuld war, daß Mihailovic in Wirklichkeit mit den Deutschen zusammenarbeitete. Die Folge war, daß zum Kriegsende Jugoslawien und der ganze Balkan unter den Einfluß Moskaus statt des Westens kam. Selbst nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus in den Warschauer Vertragsstaaten und dem Zerfall der Sowjetunion konnten sich wesentliche Formen sozialistischen Wirtschaftens und der sozialistischen Gesellschaftspolitik erst in Jugoslawien und dann unter Präsident Slobodan Milosevic in Serbien bis in die jüngste Zeit halten. Wegen der strategischen und wirtschaftlichen Bedeutung des industriell relativ weit entwickelten und volkreichen Serbien blockierte das Festhalten der Jugoslawen an Resten sozialistischer Politik die neoliberale Neuordnung des gesamten Balkans entlang amerikanischer und westeuropäischer Vorstellungen. Das alles ist auf den »strategischen Fehler Eisenhowers« zurückzuführen, der General Mihailovic zu einem kritischen Zeitpunkt in der Geschichte des Balkans fallengelassen hatte. Dies war wohl »der Fehler«, den die amerikanischen Regierungsvertreter bei der Konferenz in Bratislava meinten und der durch den NATO-Angriff auf das souveräne Jugoslawien und durch die Stationierung amerikanischer Truppen auf dem Balkan hätte korrigiert werden müssen.

»5. Die europäischen Verbündeten hätten beim Krieg gegen Jugoslawien deshalb mitgemacht, um de facto das Dilemma überwinden zu können, das sich aus dem im April 1999 verabschiedeten ‚Neuen Strategischen Konzept‘ der Allianz und der Neigung der Europäer zu einem vorherigen Mandat der UN oder OSZE ergeben habe.«

Das »Neue Strategische Konzept« der NATO wurde mitten im Bombenkrieg gegen Jugoslawien am 28. April 1999 auf dem NATO-Gipfeltreffen in feierlicher Sitzung zum 50. Jahrestag der Gründung der NATO von den Staats- und Regierungschefs der NATO-Länder unterzeichnet. Außer den territorialen Grenzen der Mitgliedsstaaten »verteidigt« nun die »neue« NATO unscharf definierte Sicherheitsinteressen aller Art, die allerdings auch explizit »den Zugang zu Rohstoffen« umfassen. Diese »Interessen« werden offensiv außerhalb des traditionellen Zuständigkeitsbereichs der NATO im euro-atlantischen Raum verteidigt. Dieser Raum erstreckt sich vom Kaspischen Meer über den Persischen Golf, über Nordafrika und den Atlantik. Dabei nimmt sich die NATO das Recht heraus, wie im Fall Kosovo, sich selbst das Mandat zu militärischen Interventionen zu erteilen, um sich unter dem Mantel »humanitärer Interventionen« den gar nicht so humanitären »Zugang zu Rohstoffen« zu sichern, wie im Artikel 24 des »Neuen Strategischen Konzeptes« nachzulesen ist. Mit seiner Unterschrift vom 28. April 1999 unter das »Neue Strategische Konzept« hat Bundeskanzler Schröder nichts anderes getan, als den alten imperialistischen Raubkrieg auch in Deutschland wieder gesellschaftsfähig zu machen.

Präzedenzfall

»6. Unbeschadet der anschließenden legalistischen Interpretation der Europäer, nach der es sich bei dem erweiterten Aufgabenfeld der NATO über das Vertragsgebiet hinaus bei dem Krieg gegen Jugoslawien um einen Ausnahmefall gehandelt habe, sei es selbstverständlich ein Präzedenzfall, auf den sich jeder jederzeit berufen könne und auch werde.«

Die Beschwörungen von Bündnis90/Die Grünen und der SPD, es habe sich beim Angriff auf Jugoslawien um einen »Ausnahmefall« gehandelt, sind Wunschdenken und entsprechen nicht der politischen Realität der NATO und der EU-Interventionstruppe, die von vielen weiteren »Ausnahmefällen« in Zukunft ausgehen und dementsprechend aufrüsten.

»7. Es gelte, bei der jetzt anstehenden NATO- Erweiterung die räumliche Situation zwischen der Ostsee und Anatolien so wiederherzustellen, wie es in der Hochzeit der römischen Ausdehnung gewesen sei.«

Ohne Kommentar.

Feindbild Rußland

»8. Dazu müsse Polen nach Norden und Süden mit demokratischen Staaten als Nachbarn umgeben werden, Rumänien und Bulgarien die Landesverbindung zur Türkei sicherstellen, Serbien (wohl zwecks Sicherstellung einer US- Militärpräsenz) auf Dauer aus der europäischen Entwicklung ausgeklammert werden.«

Seit es im Herbst letzten Jahres Washington unter Einsatz von viel Geld gelungen ist, eine dem Westen genehme und unterwürfige Regierung in Belgrad zu etablieren, ist der zweite Teil von Punkt acht sicherlich überholt.

»9. Nördlich von Polen gelte es, die vollständige Kontrolle über den Zugang aus St. Petersburg zur Ostsee zu erhalten.«

Es fällt den Amerikanern offensichtlich schwer, sich vom russischen Feindbild zu lösen. Rußland, das unter Putin die russischen Sicherheitsinteressen wieder energischer vertritt, soll nach wie vor im Zangengriff gehalten werden.

»10. In jedem Prozeß sei dem Selbstbestimmungsrecht der Vorrang vor allen anderen Bestimmungen oder Regeln des Völkerrechts zu geben.«

Auf diese Weise läßt sich fast jeder Staat zerstören, denn in fast jedem Staat gibt es ethnische Minderheiten oder Minderheiten, die sich als solche fühlen. Gibt der Westen dem »Selbstbestimmungsrecht« dieser Minderheiten völkerrechtliche Priorität, dann verschafft er sich ein scheinlegales Instrument zur Zerschlagung fremder Staaten nach eigenem Gutdünken.

Macht vor Recht

»11. Die Feststellung stieß nicht auf Widerspruch, nach der die NATO bei dem Angriff gegen die Bundesrepublik Jugoslawien gegen jede internationale Regel und vor allem einschlägige Bestimmungen des Völkerrechts verstoßen habe.«

Dieser Punkt betrifft offensichtlich die Reaktion der Konferenzteilnehmer auf eine persönliche Stellungnahme Willy Wimmers gegen den NATO-Angriff. Seiner Kritik, daß dabei gegen jede internationale Regel und vor allem gegen einschlägige Bestimmungen des Völkerrechts verstoßen wurde, wurde von den Amerikanern zwar nicht widersprochen, sie blieb aber - Ausdruck des zunehmenden Rechtsnihilismus der Supermacht in den internationalen Beziehungen - ohne eine US-Reaktion des Bedauerns oder andere Folgen.

Zum Abschluß seines Briefes an Kanzler Schröder nimmt Willy Wimmer eine Bewertung der auf der Konferenz in Bratislava gemachten Aussagen vor und schreibt: »Die amerikanische Seite scheint im globalen Kontext und zur Durchsetzung ihrer Ziele bewußt und gewollt die als Ergebnis von zwei Kriegen im letzten Jahrhundert entwickelte internationale Rechtsordnung aushebeln zu wollen. Macht soll Recht vorgehen. Wo internationales Recht im Wege steht, wird es beseitigt. Als eine ähnliche Entwicklung den Völkerbund traf, war der 2.Weltkrieg nicht mehr fern. Ein Denken, das die eigenen Interessen so absolut sieht, kann nur totalitär genannt werden.«