Aggressiver Kläffer - nützt ein blickdichter Zaun?

hallo Hundeexperten,

ich habe durch meine Freundin einen mittelgroßen, 7 jährigen Schäfer-Mischlingshund geerbt (kastriert). Der Hund gehört eindeutig in die Kategorie Problemhund. Er hat einen riesigen Garten „zu bewachen“, der mit einem ca. 1m hohen Maschendrahtzaun umgeben ist. An 3 Seiten ist nichts los, an der 4. Seite führt ein Weg vorbei. Wenn sich dort etwas bewegt, verwandelt sich der Hund egal wo er gerade rumliegt in eine Furie: egal wo er sich gerade befindet (ich habe schon erlebt wie er vom Balkon im oberen Stock losgestartet ist, über zwei Treppen durchs Haus runter und dann in den Garten) stürzt er sich an den Zaun und macht dort ein Höllenspektakel mit einer Aggressivität die man sonst nur von Kettenhunden kennt.

Zu ändern ist daran wohl nichts, Hundeschule, Trainer und Tierpsychologin haben nichts gebracht, alles Bestrafen (Wasserschlauch, sofort rufen, schimpfen, Hausarrest nach jeder Attacke) ist ohne jede Wirkung.

Obwohl er, wie wir aus der Hundeschule wissen, äußerst intelligent ist und den Zaun leicht überqueren könnte, ist er nie über den Zaun gegangen um jemanden tatsächlich anzugreifen. An der Leine dagegen hat er mehrmals zugeschnappt und 3 Mal in 7 Jahren war er leider schneller als seine Aufsichtsperson. Sobald man sich einige hundert Meter von zu Hause wegbewegt hat wird er übrigens zunehmend unproblematisch, in der Fremde (Urlaub/Ferienwohnung) ist er ein ganz normaler Hund, jedenfalls die ersten paar Tage. Dann wird er zunehmend aggressiver.

Nun überlegen wir, auch wegen der Proteste der Nachbarn wegen des Lärms, den Maschendrahtzaun durch einen blickdichten Bretterzaun gleicher Höhe zu ersetzen. Die Hoffnung dabei ist, dass der Hund dann weniger auf den Weg sieht und deswegen möglicherweise weniger oft den Ernstfall gekommen sieht.

Meine leise Befürchtung ist, dass er trotzdem losgeht und dann möglicherweise den Zaun überquert, gerade weil er die „Bedrohung“ nicht mehr sehen kann. Oder dass er sich hinter dem Bretterzaun die Seele aus dem Leib kläfft, oder sich bald ein Loch in den Zaum kratzt.

Was meint ihr dazu? Ist das Ersetzen des Maschendrahts, der immerhin 7 Jahre lang ernsthafte Probleme verhindert hat, gegen eine solide Barriere eine gute Idee?

Danke

Armin.

Hallo Armin,

ihr habt einen Hund mit offenkundig starkem territorialen Verhalten. Das, was er als sein Revier definiert, verteidigt er entsprechend. Wenn er irgendwo fremd ist, gibt es nichts, was er verteidigen müsste, aber sobald er sich länger dort aufhält, wird das zu seinem Besitz.

Bekannt ist dieses Verhalten vor allem von Herdenschutzhunden, bei denen oft das zweimalige Begehen eines Weges ausreicht, um diesen zum Revier zu erklären und als solches zu verteidigen.

Da euer Hund das ebenfalls deutlich ausgeprägt zeigt (Ferienwohnung), würde ich vermuten, dass dahinter eine starke genetische Komponente steckt. Und genau darin dürfte auch das Problem der „Unerziehbarkeit“ in diesem Bereich liegen. Genetische Dispositionen kann man nicht einfach aberziehen, man kann sie bestenfalls kanalisieren. In dem Alter, in dem sich euer Hund befindet, scheint mir das allerdings beinahe unmöglich.

Heißt: Ihr solltet ihn in dieser Beziehung akzeptieren wie er ist. Dass er bisher nicht über den Zaun gegangen ist, halte ich allerdings eher für einen Glücksfall. Und entsprechend hoch schätze ich das Risiko ein, dass er es früher oder später tun wird und dann Mensch oder Tier erheblich verletzen könnte.

Mein erster Rat wäre, den Zaun entsprechend zu erhöhen (das Doppelte seiner jetzigen Höhe scheint mir angemessen). Es sei denn, ihr wollt bewusst ihn Kauf nehmen, dass es irgendwann zum GAU kommt.

Zusätzlich würde ich ihm schlicht und ergreifend nicht mehr ermöglichen, an den Zaun zu gelangen. Das bedeutet, dass er unbeaufsichtigt nicht mehr in den Garten darf. Sollte es bisher üblich gewesen sein, dass der Hund den Garten oft für sich alleine hatte, habt ihr sein Revierdenken und seine Verselbstständigung damit extrem gefördert.

Eine Alternative könnte eine Laufkette sein (Anregungen dazu gibt’s im Internet), an der der Hund sich zwar bewegen, aber nicht verselbstständigen kann. Natürlich ist die Aufenthaltsdauer daran beschränkt und ersetzt keinen Spaziergang und schon gar nicht eine sonstige Beschäftigung mit dem Hund.

Ein Sichtschutz könnte das Verhalten ein wenig abmildern, muss es aber nicht. Hören und vor allem riechen kann der Hund dennoch hervorragend, was sich auf der anderen Seite des Zauns befindet. Und ja: Die Gefahr, dass er über den niedrigen Zaun geht, besteht in jedem Fall auch dann.

Sollte es im Moment so sein, dass der Garten dem Hund als frei zugängliches, (für die Menschen) bequemes Auslaufgelände dient, müsst ihr umdenken. Und wenn ihr das nicht möchtet, müsst ihr dafür Sorge tragen, dass der Hund in KEINEM Fall den Zaun überwinden kann. Alles andere ist grob fahrlässig.

Der Tag, an dem auf der anderen Seite ein Lebewesen verletzt wird, wird nach meiner Einschätzung kommen, wenn ihr nichts Wirksames dagegen unternehmt. Dann werdet ihr euch fragen (lassen) müssen, ob ihr das nicht hättet kommen sehen müssen. Sollten sich die Proteste mehren, steht ohnehin zu erwarten, dass ihr früher oder später zum Verhaltenstest müsst und danach entsprechende Auflagen kriegt.

Was das Beißen an der Leine betrifft, kann das viele Ursachen haben. Angefangen von der Möglichkeit, dass der Hund euch ebenfalls als seinen Besitz verteidigt, bis hin zu einer Angstreaktion halte ich ohne den Hund zu kennen alles für möglich. Es spricht einiges für die erste Variante - aber das ist aus der Ferne letztendlich nicht zu entscheiden.

Und: Ich mag mich irren, aber mir scheint es, als würdest du den Hund nicht besonders mögen. Mit einer solchen affektiven Ablehnung (wenn sie denn besteht), geht nach meiner Erfahrung oft die mangelnde Bereitschaft einher, die Umgebung dem Hund anzupassen. Man hält es - stärker als ein Hundefreund - für eine Zumutung, sich ästhetisch oder verhaltenstechnisch den Bedürfnissen des Hundes anzupassen und erwartet stattdessen, dass der Hund mit dem zurechtzukommen hat, was man ihm bietet.

Das mag in mancherlei Hinsicht auch gar nicht so falsch sein - in Bezug auf die Sicherheit anderer Lebewesen ist diese Sicht gefährlich. Die meisten Unfälle mit Hunden passieren, weil die Besitzer die Gefährlichkeit ihres Hundes unterschätzen. Das solltet ihr nicht tun.

Schöne Grüße,
Jule

Hallo Nimral,
ich kann Jule in allem nur zustimmen, sehr gut geschrieben. Nur möchte ich es noch um einen Gedanken ergänzen:
Kann es sein, dass der Hund auch den Garten so bewacht, weil er sich sonst langweilt? Er hat dort immerhin viel Erfolgserlebnisse. Es macht ihm Spaß, die Leute haben Angst vor ihm, sie gehen weg, wenn er kommt, er hat sie also immer verjagt.
Habt ihr schon Alternativen ausprobiert, um dem Hund Erfolge, Spaß zu vermitteln?
Ich würde ihn gar nicht mehr in den Garten lassen und dafür aber ein Hundesportprogramm ausprobieren, wo er nicht nur körperlich, sondern vor allem kopfmäßig sehr viel arbeiten muss.
Du schreibst ja, er sei sehr intelligent!
Dann braucht er auch Alternativen, um sich auszulasten.
Wie sieht sein Hundealtag sonst aus?
Und auch ich habe den Eindruck, dass du den Hund nicht besonders magst. Der Hund spürt das.
Vielleicht würde ein gemeinsamer Hundesport auch die Beziehung zueinander verbessern.
Fröschle

Hallo Armin,

kennst Du das Buch „Herdenschutzhunde“ von Thomas Achim Schoke (ISBN 3936188084 Buch anschauen)? Wenn ich das Buch richtig verstanden habe dann hilft ein Sichtschutz schon.

Noch nen ruhigen Abend!
Joachim

Hi Joachim,

danke für die ISBN, ich werde mir das Buch besorgen!