Hallo Jule,
ich persönlich vermute, dass auch in Deutschland die „Lösung“
früher oder später in der vermehrten Schaffung von
Privatschulen liegen wird.
Ja, diese Tendenz ist da.
Nicht etwa, weil es darum ginge,
Eliten zu züchten, sondern schlicht und ergreifend deswegen,
weil private Schulen Sanktionen verfügen können, bei denen in
staatlichen Schulen ein Aufschrei des Entsetzens durch die
Schüler- und Elternschaft ginge.
Die Gründe für die Wahl einer Privatschule sind vielfältig. Es gibt die Eliteschüler, es gibt die, die es gerne wären, es gibt ganz normale bildungsorienterte Eltern, die genervt sind von dem maroden staatlichen Schulsystem, wo anscheinend jeder, der daran teilnehmen (muss) überfordert ist, es gibt die, die ein besonderes pädagogisches Konzept verfolgen, die die einer Konfession angehören und ihre Kinder in einer ebensochen Schule behütet wissen wollen und es gibt einfach die, die Geld haben und sonst Stroh im Kopf. Diese Sanktionen gibt es an den Privatschulen nicht mehr oder weniger als an den staatlichen, nur kooperieren die Eltern häufiger besser mit der Schule.
Interessanterweise erfahren diese Schulen gerade auch deswegen
regen Zuspruch. Neben manchen deutlichen Vorteilen, wie
kleinen Klassen, suchen viele Eltern dort genau das, worüber
im staatlichen Schulwesen trefflich diskutiert würde:
Disziplin.
Naja, die meisten privaten Schulen sind keine Eliteschulen á la Hanni und Nanni, sondern konfessionelle oder freie Schulen mit einem besonderen pädagogischen Konzept - meistens steht die Disziplin eben nicht an erster Stelle.
Das beginnt mit der Schuluniform als äußerem Zeichen, führt
weiter über restriktive Maßnahmen bei Verstößen gegen die - in
der Regel sehr umfangreichen - Schulregeln und gipfelt im
schnellen Ausschluss, wenn die Schüler sich nicht
einordnungsbereit genug zeigen.
Ich habe mir sehr viele Privatschulen angesehen - und keine davon hatte Schuluniformen (was ich allerdings persönlich eher gut fände). Unser Sohn ist auf einer „Eliteschule“ - auch dort gibt es keine Schuluniform. Es gibt Pullis, Basecapes und was weiss ich alles in der Farbe der Schule und mit deren Logo, aber das gibt es sogar an der Hauptschule in Neukölln und es gibt keinen Zwang diese zu tragen.
Wer in der Regelschule wiederholt massiv gegen Regeln verstösst bekommt auch einen Schulausschluss. Wenn die Privatschule komerzieller Natur ist, wird sie abwägen, ob ihnen bei Schülermangel das Geld lieber ist als einen Störenfried weniger. Das was Du schreibst ist nicht falsch, aber es deckt nicht die ganze Realität ab.
Mich erstaunt, wie viele Eltern bereit sind, dafür unter
Umständen eine Menge Geld zu zahlen, wenn gleichzeitig an den
staatlichen Schulen die Lehrer Gefahr laufen, verklagt zu
werden, wenn sie einen Schüler für Fehlverhalten bestrafen.
Wenn das Fehlverhalten des Schülers zu einem Fehlverhalten des Lehrers führt, dann müssen sich die Lehrer an einer Eliteschule sehr warm anziehen, denn dort haben sie es mit einer Elternschaft aus Psychologen, Ärzten, Juristen und PR-Managern zu tun - alles oft gute Multiplikatoren, die ganz schnell den Ruf der Schule gefährden können und im Ernstfall auch tun.
Deutschland gehörte lange zu den wenigen Ländern mit einem
guten öffentlichen Schulsystem. Jedem Kind war (und ist) eine
gute Bildung zugänglich - wenn es die Chancen denn nützt, die
sich ihm bieten. Gegen Verweigerungshaltung, Unlust und
fehlende Arbeitshaltung kann auch ein gutes Schulsystem wenig
ausrichten. Das heißt nicht, dass nicht vieles
verbesserungswürdig und überdenkenswert wäre - ein
Bildungsideal, dass jeden Schüler optimal fördern kann, kann
und wird es aber niemals geben
Du schreibst „gehörte“ und so ist es: sie gehören eben nicht mehr dazu. Da sitzen bereits Erstklässler gelangweilt und demotiviert im Unterricht, wo die Neugier und Motivation eigentlich am stärksten sein müsste. Da wird JüL eingeführt ohne Rücksicht auf Raumstruktur und Schulung der Lehrer mit dieser Form des Unterrichtens umzugehen. Da wird auf Teufel komm raus kein Frontalunterricht gemacht. Die Kinder sitzen in „Inseln“ und die Hälfte muss sich die Wirbelsäule und den Kopf verdrehen um etwas sehen zu können und es MUSS jeder integriert werden - Behinderte sitzen teilnahmslos im Mathe und Englischunterricht und ausländische Kinder müssen erstmal Deutsch lernen, bevor es irgendwie sachlich weitergeht.
Viele Privatschulen sind nicht allein deshalb erfolgreich,
weil sie kleinere Klassen und individuellere Betreuung
ermöglichen, sondern auch deswegen, weil sie durch einen
gewissen Zwang zu Disziplin und Ordnung dafür sorgen, dass in
einer Klasse überhaupt erst mal die grundlegenden Bedingungen
für Lernen und Arbeiten geschaffen sind.
Das ist wahr, löst aber nicht das Problem. Alle bildungsorientierten Eltern können ihre Kinder auf Privatschulen schicken - was ist mit dem „Rest“?
Je mehr diese Dinge an öffentlichen Schulen außer Kraft
gesetzt werden - und das geschieht maßgeblich durch
überfürsorgliche Eltern - wird es für die Schule schwierig bis
unmöglich sein, auf Situationen wie die, die du geschildert
hast, angemessen zu reagieren.
Es sind eben KEINE fürsorglichen Eltern: die Realität sieht anders aus: da dürfen Kinder nicht am Sportunterricht teilnehmen weil sie keine Sportschuhe haben, ihre Nasen laufen und sie haben keine Taschentücher (die Schulen haben keinen Etat für Taschentücher) und da haben Kinder keinen Bastelkleber…
Ich will Dir nicht widersprechen, teilweise hast Du ja Recht und ich verstehe worum es Dir geht - die Realität hat aber viele Gesichter und das vergessen leider die Politiker in ihren Entscheidungen auch zu oft.
Viele Grüße & schöne Weihnachtstage