Hallo
Jetzt wurde ihr der Antrag abgelehnt.Mit der Begründung, dass „sie sich ausschliesslich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhält“.
Es ist die Regel, dass die Jobcenter ALG2 für EU-Ausländer weisungsgemäß ablehnen und dabei auf den § 7 Absatz 1 Satz 2 SGB II verweisen. Dieser Paragraph besagt : Vom ALG2-Bezug ausgeschlossen"sind 1) Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2) Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen, 3) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes." -
Allerdings gibt es das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) - und das wurde auch von Deutschland unterzeichnet. Und dieses Abkommen regelt, dass die Angehörigen der Mitgliedstaaten in dem jeweilig anderen Land Sozialleistungen in Anspruch nehmen können. Die Beneluxstaaten sind meines Wissens ebenfalls EFA-Mitgliedsstaaten.
Ende 2011/ Anfang 2012 (?) hat die Bundesregierung aber ihren Vorbehalt gegen dieses Fürsorgeabkommen erklärt (und sich damit über die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hinweggesetzt); wegen der europäischen Wirtschaftskrise soll(te) so erreicht werden, dass EU-Ausländer von dem Bezug von ALG 2-/„Hartz IV“- Leistungen ausgeschlossen werden. Eine Zuwanderung in „unsere“ Sozialleistungssysteme ist halt nicht erwünscht…
Siehe auch http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/anweisung-des-…
Und nachdem dieser Vorbehalt seitens der Bundesregierung erklärt wurde, hat auch die Arbeitsagentur entsprechend reagiert… -> https://www.arbeitsagentur.de/nn_166486/zentraler-Co… )
Mehrere höherrangige Gerichte haben aber diesen Vorbehalt der Bundesregierung als unwirksam (und die Verweigerung von ALG2 für EU-Bürger aus EFA-Vertragsstaaten als unzulässig) beurteilt.
Z.B.
-
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.08.2012, Aktenzeichen L 19 AS 1851/12 B ER (Spanischer Staatsangehöriger hat Anspruch auf ALG II. Der allein auf der Arbeitssuche beruhende Leistungsausschluss gilt nicht für die Staatsangehörigen eines Vertragsstaats des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11. Dezember 1953 (EFA), zu denen u. a. die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Spanien zählen. Spanische Staatsangehörige hat Anspruch auf ALG II, weil sie sich auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) berufen kann. Der von der Bundesregierung erklärten Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeabkommen ist nicht wirksam.
-
Bayrisches Landessozialgericht vom 14.08.2012, Aktenzeichen L 16 AS 568/12 B ER (Spanischer Staatsangehöriger ist vom Leistungsausschluss des § 7 SGB II Abs. 1 Satz 2 nicht betroffen, weil er sich auf das Europäische Fürsorgeabkommen berufen kann. Der von der Bundesregierung gegen das Europäische Fürsorgeabkommen erklärte Vorbehalt ist wahrscheinlich unwirksam.)
-
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen vom 31.01.2013, L 2 AS 2457/12 B ER und L 2 AS 2458/12 B ER (Italienischer Staatsangehöriger, der sich zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhält, hat gleichwohl Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II).
Und siehe auch hier, vor allem Seite 4 Mitte („Der Alg II-Ausschluss ist gemäß Urteil des BSG v. 19.10.2010…“) -> wichtig, da Urteil des Bundessozialgerichts : http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/Eckpunk…
Wie muss sie denn den Widerspruch begründen, damit das Amt keine Möglichkeit hat, die Ablehnung aufrecht zu halten ?
Gut zusammengefasst ist das Ganze hier in der Antwort von VirtualSelf („Deine Schwester hat als EU-Bürgerin dann Anspruch auf H4, wenn mindestens einer der folgenden Punkte zutrifft:…“ http://www.gutefrage.net/frage/hart-4-antrag-abgelehnt
Der letzte Satz ist dabei wesentlich: FALLS bei deiner Bekannten keiner der ersten 4 genannten Punkte zutrifft… dann bleibt ihr nur, sich im Widerspruchsverfahren auf das EFA-Fürsorgeabkommen zu berufen. Und die Jobcenter lehnen diese Anträge aber ab (gemäß ihrer Weisungen „von oben“). In dem Fall würde Deine Bekannte sich auf das EFA-Abkommen berufen müssen… und um den Klageweg nicht herumkommen.
Soweit ich weiss, kann man auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft grundsätzlich Beratungshilfe bzw.Prozesskostenhilfe beantragen; nähere Auskunft dazu bekäme deine Bekannte ggf. beim zuständigen Amtsgericht oder vorab direkt beim Fachanwalt für Sozialrecht, den sie dann evtl. einschalten würde. (In Berlin kann man zwischen der öffentlichen Rechtsberatung und der anwaltlichen Beratungshilfe wählen. In Hamburg erteilen die Öffentlichen Rechtsauskunfts- und Vergleichsstellen (ÖRA) Auskunft, in Bremen die Arbeitnehmerkammern.)-
Siehe auch hier (vor allem letzter Abschnitt): http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/ha…
Ganz „allgemein“ sei vielleicht noch angemerkt:
Es ist gerade beim ALG2 gang und gäbe, dass die Betroffenen ihre Angelegenheit über Widerspruch und Klageeinreichung abschließend klären lassen müssen. (Jede zweite „Hartz IV“-Klage wird vor Gericht als teilweise oder vollumfänglich berechtigt angesehen… ) Bis vor ein paar Jahren mussten sich die Jobcenter mit einer Pauschalgebühr an jedem Klageverfahren vor dem Sozialgericht beteiligen. Das ist aber aufgehoben worden - d.h. eine Klage kostet sie nichts. Und sie wissen natürlich auch ganz genau, dass viele Antragsteller/ALG2-Betroffene sich scheuen, ins Widerspruchs-/Klageverfahren zu gehen, um ihre Ansprüche und Rechte durchzusetzen. Die Jobcenter haben nunmal in der Regel keinerlei Nachteile, wenn sie es auf eine Klage ankommen lassen - weder das Jobcenter als solches noch der „verantwortliche“ Sachbearbeiter persönlich. Im für sie „schlimmsten“ Fall bekommt der Kläger halt vor Gericht Recht und sie müssen die ihm zustehende Leistung (nach)zahlen, je nach Dauer des Verfahrens vielleicht noch mit ein paar Cent Verzugszinsen obendrauf. Das war’s. Eine Verfahrenskostenbeteiligung entsteht ihnen nicht (und auch seitens der Gerichte wird selten eine Missbräuchlichkeitsstrafe bzw. Kostenbeteiligung für das Jobcenter verhängt; das hier ist meines Wissens eine der wenigen Ausnahmen gewesen: http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/ha… ) Es ist auch eher selten, dass ein Betroffener z.B. Strafanzeige erstattet wegen Rechtsbeugung o.ä.
Also besteht generell sehr wenig „Anreiz“ für die Jobcenter, es ihrerseits nicht auf eine Klageeinreichung durch die Betroffenen ankommen zu lassen. Zehn unzulässige oder „wackelige“ Handhabungen des Jobcenters, aber nur 1 Betroffener klagt dagegen…heißt: Bei neun „Kunden“ hat man Geld gespart. Simple Rechnung. Als Betroffener sollte man das besser auch nicht zu „persönlich“ auffassen - es geht den Jobcentern rein um’s Geld und um’s Einsparen von Leistungen. Und zu diesem „Zwecke“ werden auch schon mal Gesetze und geltende Rechtsprechung ignoriert…
LG