Politische Situation in Russland

Hallo liebe w-w-w Gemeinde

Angeregt durch die zahlreichen Diskussionen und Meldungen zu Faschisten und ähnlichem in Kiew, habe ich mir mal die momentane politische Landschaft in Russland angeschaut. Dabei kam ich zu der für mich etwas überraschenden Erkenntnis, dass wir zahlreiche Merkmale für Faschismus als auch für Rechtsextremismus finden. Als Ausgangslage habe ich die Definitionen von Wikipedia genommen. 

Faschismus :
http://de.wikipedia.org/wiki/Faschismustheorie#Defin…

„Faschismus ist eine Form rechtsextremer Ideologie, die die Nation oder Rasse als organische Gemeinschaft, die alle anderen Loyalitäten übersteigt, verherrlicht. Er betont einen Mythos von nationaler oder rassischer Wiedergeburt nach einer Periode des Niedergangs und Zerfalls.“
Dass für Putin die Rassenzugehörigkeit wichtiger als der Pass ist, hat er ja mittlerweile bewiesen. Auch dass er den Niedergang der Sowjetunion als eine große Katastrophe empfinden ist bekannt.  

 „Faschismus tendiert dazu, Männlichkeit, Jugend, mystische Einheit und die regenerative Kraft von Gewalt zu verherrlichen.“
Wer die zahlreichen Propagandabilder Putins kennt wird auch hier Parallelen finden. 

 „Oft – aber nicht immer – unterstützt er Lehren rassischer Überlegenheit, ethnische Verfolgung, imperialistische Ausdehnung und Völkermord.“
Zum Völkermord ist es bisher zum Glück noch nicht gekommen und ich bezweifle auch sehr stark, dass es dazu kommen wird. Allerdings gibt es viele Berichte über Verfolgung von Minderheiten (http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenrechte_in_Russl….%C2%A0)

„Faschismus kann zeitgleich eine Form von Internationalisums annehmen, die entweder auf rassischer oder ideologischer Solidarität über nationale Grenzen hinweg beruht. Normalerweise verschreibt sich Faschismus offener männlicher Vorherrschaft, obwohl er manchmal auch weibliche Solidarität und neue Möglichkeiten für Frauen einer privilegierten Nation oder Rasse unterstützen kann.“
Auch hier finden sich zahlreiche Überschneidungen. Auch wenn sich nicht alle Merkmale finden lassen (hier steht nur ein Auszug) finde ich die Übereinstimmungen doch beachtlich. 

Nun zum Begriff Rechtsextremismus 
http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextremismus#Haupt…
 
Ethnizismus
Ist in Russland auf jeden Fall gegeben.

Ungleichheit der Menschen
Auch hier müssen wir glaube ich angesichts der jüngsten Gesetze nicht viel darüber reden. 

Antipluralismus
Ein schwieriges Thema, aber wenn man sich ansieht, wie in Russland mit politischen Gegenspielern umgegangen wird, gibt es zumindest einige Denkanstöße. 

Autoritarismus
Wieder muss man feststellen, dass es keine ethnischen Säuberungen in Russland gab. Allerdings gibt es sehr wohl nationale Eliten und eine deutliche Ausrichtung auf den starken Mann Putin. 

Es ist klar, dass man hier nicht einfach eine Strichliste machen kann und dann ist jemand ein Faschist. Aber ich denke von diesem schwarz/weiß Denken hat man sich realistischer Weise schon länger verabschiedet.Ist es jetzt aufgrund dieser (meiner Meinung nach) objektiven Kriterien vertretbar, in Russland faschistische und rechtsextreme Grundzüge festzustellen? 

Ich würde mir sachliche und vor allem belegbare Argumente für und wieder wünschen, da mich das Thema wirklich sehr interessiert und ich mich gerne eines besseren belehren lasse. 

Lg,
Penegrin

Lieber Penegrin,

die Antwort lautet „Ja“.

Meine Frage: Warum muss ein Historiker bei Wickipedia nachschlagen, was Faschismus ist?

Fassungslose Grüße

Hans-Jürgen Schneider

Servus

Es ist klar, dass man hier nicht einfach eine Strichliste
machen kann und dann ist jemand ein Faschist. Aber ich denke
von diesem schwarz/weiß Denken hat man sich realistischer
Weise schon länger verabschiedet.Ist es jetzt aufgrund dieser
(meiner Meinung nach) objektiven Kriterien vertretbar, in
Russland faschistische und rechtsextreme Grundzüge
festzustellen? 

Zunächst einmal ist Faschismus nicht zwangsläufig immer nur rechtsextrem. Der Begriff „Linksfaschismus“ ist schon vor hundert Jahren zurecht diskutiert worden und nicht erst 1968 von Jürgen Habermas. Wenn eine autoritäre Gruppe gewaltsam ein Land oder einen Staat zu regieren und reglementieren versucht, haben wir bereits das wesentliche Kriterium des Faschismus als erfüllt anzusehen. Dabei ist es sekundär, ob rechtsradikale oder linksradikale Kräfte da unterdrücken.
Also haben wir es in Russland (man kann schon sagen: traditionell) mit Linksfaschismus zu tun.
Gruß,
Branden

Lieber Penegrin,

Servus Hans Jürgen

die Antwort lautet „Ja“.

Danke für diese wohlbegründete Antwort.

Meine Frage: Warum muss ein Historiker bei Wickipedia
nachschlagen, was Faschismus ist?

Ich musste nicht nachschlagen, sondern wollte für die Diskussion eine allgemeine Definition für beide Begriffe als Grundlage verwenden. Dafür schien mir Wikipedia geeignet.

Solltest du noch weitere Fragen zu meinem Privatleben haben, schick mir doch bitte eine Email.

Fassungslose Grüße

Hans-Jürgen Schneider

Neutrale Grüße,
Penegrin

Servus

Servus

Zunächst einmal ist Faschismus nicht zwangsläufig immer nur
rechtsextrem. Der Begriff „Linksfaschismus“ ist schon vor
hundert Jahren zurecht diskutiert worden und nicht erst 1968
von Jürgen Habermas. Wenn eine autoritäre Gruppe gewaltsam ein
Land oder einen Staat zu regieren und reglementieren versucht,
haben wir bereits das wesentliche Kriterium des Faschismus als
erfüllt anzusehen. Dabei ist es sekundär, ob rechtsradikale
oder linksradikale Kräfte da unterdrücken.

Das war mir bewusst. Umso spannender finde ich das Ergebnis, wenn man sich das Ganze vom ‚rechten‘ Blickwinkel ansieht.

Also haben wir es in Russland (man kann schon sagen:
traditionell) mit Linksfaschismus zu tun.

Das mit den Traditionen ist eben so eine Sache. Irgendwann hört man auf sie zu hinterfragen und nimmt sie als gegeben an.

Gruß,
Branden

Penegrin

Alles Definitionssache

Wenn eine autoritäre Gruppe gewaltsam ein
Land oder einen Staat zu regieren und reglementieren versucht,
haben wir bereits das wesentliche Kriterium des Faschismus als
erfüllt anzusehen. Dabei ist es sekundär, ob rechtsradikale
oder linksradikale Kräfte da unterdrücken.

Das war mir bewusst. Umso spannender finde ich das Ergebnis,
wenn man sich das Ganze vom ‚rechten‘ Blickwinkel ansieht.

Das ist die Sichtweise vom „rechten“ Blickwinkel. (Denn bekanntlich ist von links aus betrachtet alles rechts („rächz“), was nicht explizit links ist.)

Faktisch strebt jegliches ideologiebasierte System in der Endstufe zum Totalitarismus, einfach deshalb, weil das Menschenmaterial sich nicht freiwillig ideologiekonform verhält, sondern vielmehr natürlich, also individuell, und daher umerzogen (= gewaltsam gebrochen) werden muss, um Realität und Ideologie irgendwann zumindest vordergründig zur Deckung bringen zu können. Am besten hat man das Individuum im Kollektiv unter Kontrolle und Ideologien als Grundlage von Zwangsherrschaft begründen sich deshalb ja auch fast notwendigerweise kollektivistisch, das heißt durch Abgrenzung von anderen: Wir Arier, die Juden, wir Arbeiterklasse, die Kapitalisten usw.

Faschismus, dessen wesentliches Kennzeichen ideologisch begründeter Totalitarismus und Kollektivismus ist, als „rechts“ zu brandmarken ist daher im Prinzip nur linke Propaganda, die sich willkürlich des auch in Wikipedia erkennbaren Diktums bedient, dass Faschismus nur sein könne, was Rasse und Nation (statt etwa der Arbeiterklasse) zum Bezugspunkt der eigenen Gewaltherschaft nehme. Denn auch der Nationalismus ist, wenn die Zeit der monarchischen Reaktion in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts oder die Installation der Naziherrschaft irgendwas beweisen, keineswegs etwas bewahrendes („konservativ-rechtes“), sondern etwas umstürzlerisches („revolutionär-linkes“).

Faschismus ist also

  • die Abwesenheit der individuellen politischen Freiheit
    zugunsten eines von einer
  • Machtelite
  • anhand eines beliebigen ideologischen Realitätskonstrukts verordneten und
  • totalitär erzwungenen
  • Kollektivismus.

Man fand und findet die typischen Kennzeichen des Faschismus darum in vordergründig so unterschiedlichen Staaten wie dem Dritten Reich und der Sowjetunion, in der DDR wie im Italien Mussolinis, in Nordkorea wie in Saudi-Arabien.

Was man in anderen totalitären Herrschaftsformen dagegen nicht findet, sind zwei dieser Kennzeichen:

  • eine ideologiebasierte Fiktion und
  • Kollektivismus.

Eine absolutistische Monarchie oder eine südamerikanische Militärjunta beziehen sich nicht auf eine Ideologie und lassen ihre Bürger auch nicht alle von klein auf uniformieren, sondern verlassen sich einfach nur auf die Gewalt ihrer Bajonette.

Gruß
s.

Faschismus ist also

  • die Abwesenheit der individuellen politischen Freiheit
    zugunsten eines von einer
  • Machtelite
  • anhand eines beliebigen ideologischen Realitätskonstrukts
    verordneten und
  • totalitär erzwungenen
  • Kollektivismus.

Wie auch immer du zu dieser Definition kommst, wo der Faschismus durch Mussolini in Italien begründet wurde. Nach allgemeiner Lesart ist Faschismus nun mal eine rechtsextreme, nationalistische Ideologie. Eben dieser Nationalismus fehlt aber auf der linksextremen Seite. Insofern ist deine Privatdefinition schlichtweg falsch.

Irrtum
Servus

Nach
allgemeiner Lesart ist Faschismus nun mal eine rechtsextreme,
nationalistische Ideologie.

Das ist die populär-populistische Lesart. Eben dieser Nationalismus fehlt

aber auf der linksextremen Seite. Insofern ist deine
Privatdefinition schlichtweg falsch.

Im Gegenteil - er hat recht. Deine Privatdefinition ist falsch.
Für Linksfaschisten existiert natürlich nur ein rechter, nationalistischer Faschismus.
Der Faschismus wird aber definiert durch eine Gruppe, die gewaltsam und diktatorisch das Volk lenkt.
Gruß,
Branden

Hallo!

Wie auch immer du zu dieser Definition kommst, wo der
Faschismus durch Mussolini in Italien begründet wurde. Nach
allgemeiner Lesart ist Faschismus nun mal eine rechtsextreme,
nationalistische Ideologie. Eben dieser Nationalismus fehlt
aber auf der linksextremen Seite. Insofern ist deine
Privatdefinition schlichtweg falsch.

  1. Der Faschismusbegriff wurde leider durch den Versuch einer kategorisierenden Verwissenschaftlichung verwässert. Nicht zuletzt auch durch theoretischen Diskurs der Kommunisten (Kapitalismus->Krise->Faschismus). Der historische Faschismus ist einzig und allein in Italien anzutreffen.

Die allgemeine Lesart ist noch verwässernder und wird heutzutage auch gerne als politischer Kampfbegriff mißbräuchlich und fehlerhaft verwendet (z.B. von der AntiFa).

  1. Selbst unter der Prämisse eines wissenschaftl. Faschismusbegriffs ist der rechtsextreme Nationalismus keine Voraussetzung. Der Nationalismus bezieht sich zweifelsfrei auf das gesellschaftl. Konstrukt der Nation (des Staates). Der eigentliche Systemkern des Faschismus ist aber das Völkische, also eine biologistische Komponente, die genetische Herkunft.

  2. Hingegen ist es falsch, dass es keinen Nationalismus im Kommunismus gäbe. Er beruht aber auf dem Konstrukt des gesellschaftl. Kollektivs der Arbeiterklasse.

  3. Ein zentraler Punkt des Faschismus ist m.E. die theoretische Unterfütterung des Systems durch den Führerkult, die Zuspitzung aller Macht auf einen Diktator.

Aber - zugegeben - auch in kommunistischen Diktaturen (Stalin, Nordkorea, Mao, Pol Pot, Ho-Chi-Minh, Castro) kann es diesen Führerkult geben. Diese sind jedoch eher „Unfälle“ und wurden vor oder werden nach der Führerperson durch eine Oligarchie der Parteifunktionäre abgelöst [aktuelle Ausnahme ist Nordkorea].

Gruß
vdmaster

Lieferst du auch einen Beleg für deine Behauptung? In meinen Augen waren die ursprünglichen Faschisten doch wohl Nationalisten, oder nicht? Wieso sollte ausgerechnet dieser Aspekt für den Begriff Faschismus keine Rolle spielen?

Gruß

TET

Wieso sollte ausgerechnet dieser
Aspekt für den Begriff Faschismus keine Rolle spielen?

Das nimmt man so wie es gerade passt.
Wikipedia meint zum Linksfaschismus:
ein politischer Kampfbegriff, der ohne einheitliche Bedeutung für verschiedene Sachverhalte verwendet wird

Gruß
T.

Nabend!

Und weiter heisst es u.a.: „Manche Wissenschaftler verwenden den Begriff für antikapitalistische Elemente von rechts- oder terroristische und diktatorische Elemente von linksgerichteten Ideologien, Parteien, Regimes und Staaten, die sie als Faschismus einordnen.“

Richtig ist hingegen, dass die Politikwissenschaft den Begriff nicht verwendet. Und dies wäre die entsprechende Meßlatte.

Somit bleibt unter dem Strich, dass es sich um einen Begriff handelt, der nicht einheitlicht verwendet wird.

Gruß
vdmaster