Anteil gescheiterter Existenzgründungen?

Hallo,

ich bin immer wieder überrascht, wie ahnungslos sich manche in die Selbständigkeit stürzen wollen.

Wenn ich lese „Ich will einen Onlineshop aufmachen, weiß jemand was man da gut (mit viiiel Gewinn!!!) verkaufen kann und wo man die Teile billig kaufen kann?“ oder „Ich möchte eine Kneipe / ein Cafe eröffnen, beste Lage im Zentrum, was brauch ich alles? Habe 15.000€ Eigenkapital, aber keine Erfahrung.“ - dann schlag ich mir echt vor den Kopf.

Und das sind ja nur die Fragen der Leute, die überhaupt _irgendjemanden_ fragen!

Also:
Wie viele Existenzgründer scheitern denn so in den ersten 3, 6 oder 12 Monaten?

Hallo xstrom,

Einen guten Beitrag dazu fand ich hier >>

http://www.gruenderlexikon.de/magazin/viele-existenz…

Der relevante Ausschnitt:

_Für viele platzt der Traum von der Selbständigkeit, sobald sich erste Schwierigkeiten einstellen und unternehmerisches Handeln gefragt ist. Das belegen die Statistiken. Binnen sechs Jahren geben 50 Prozent der Existenzgründer auf. Laut KfW-Gründerkompass 2008 erwischt es ein Drittel bereits innerhalb der ersten zwei bis drei Jahre. Besonders häufig von Pleiten betroffen sind Arbeitslose, die eine eigene Firma als Ausweg sehen. Sie scheitern zu 41 Prozent. _

Das erste Jahr überstehen sehr viele recht problemlos - besser gesagt, die Probleme werden nicht wahrgenommen, verdrängt …

Wenn dann fällige Zahlungen vom Finanzamt (incl. angedrohten Zwangsgeldern) Mahn- und Vollstreckungsbescheide erboster Lieferanten, evtl. sogar Gerichtsvollzieherbesuche u. ä. anstehen, dann kommt das böse Erwachen und es beginnt der Kampf um das - in den wenigsten Fällen eintretendes - Überleben der Firma!

Wie blauäugig manche sind, ein Paradebeispiel aus meinem ehemaligen Wohnort:

Angestellter einer Imbissbude übernimmt selbige gegen eine Abschlagszahlung vom Vorbesitzer, monatliche Restraten werden vereinbart!

Mit der Übernahme dieses Imbisses „leistet“ sich der Betreiber im Imbiss eine Verkaufskraft, er selbst beginnt seine Wohnung zu renovieren, als kleine Highlights der Renovierung werden mal nebenbei eine Leder-Couchgarnitur und eine Fernseh/Video/Stereo-Kombination vom feinsten angeschafft. Ach ja, für Einkaufsfahrten musste es noch ein angesagter Geländewagen sein!

Nach ca einem Jahr steht er wieder selbst im Imbiss, Waren wie Grillwürstchen, Pommes usw. bekommt er nur gegen Barzahlung im Markt, dessen Parkplatz er nutzt. Die Mengen, die er pro Einkauf holt, sind bekannt, 10 Würstchen, 2,5 kg Pommes, 10 Dosen Getränke …

Zu diesem Zeitpunkt stehen Couchgarnitur und Fernseher - durch den Gerichtsvollzieher verwertet - schon in der benachbarten Gaststätte, das Auto ist schon lange weg!

Ein wenig krass, aber so lief es tatsächlich!

Beste Grüße

H.

wahnsinns geschichte

Wie blauäugig manche sind, ein Paradebeispiel aus meinem
ehemaligen Wohnort:

Angestellter einer Imbissbude übernimmt selbige gegen eine
Abschlagszahlung vom Vorbesitzer, monatliche Restraten werden
vereinbart!

Mit der Übernahme dieses Imbisses „leistet“ sich der Betreiber
im Imbiss eine Verkaufskraft, er selbst beginnt seine Wohnung
zu renovieren, als kleine Highlights der Renovierung werden
mal nebenbei eine Leder-Couchgarnitur und eine
Fernseh/Video/Stereo-Kombination vom feinsten angeschafft. Ach
ja, für Einkaufsfahrten musste es noch ein angesagter
Geländewagen sein!

Nach ca einem Jahr steht er wieder selbst im Imbiss, Waren wie
Grillwürstchen, Pommes usw. bekommt er nur gegen Barzahlung im
Markt, dessen Parkplatz er nutzt. Die Mengen, die er pro
Einkauf holt, sind bekannt, 10 Würstchen, 2,5 kg Pommes, 10
Dosen Getränke …

Zu diesem Zeitpunkt stehen Couchgarnitur und Fernseher - durch
den Gerichtsvollzieher verwertet - schon in der benachbarten
Gaststätte, das Auto ist schon lange weg!

Ein wenig krass, aber so lief es tatsächlich!

Glaub ich sofort. Geile Geschichte übrigens. Könnte noch andere erzählen, z.b. als seinerzeit der Tattoo-Studio-Gründerwahnsinn begann. Es gibt schon geile Ideen sein Geld zu verbrennen. Egal. Aber mich würde mal interessieren, wieso im Grunde kein Wandel in der Existenzgründermentalität aufkommt. Man muss die Leute mitunter echt da zu zwingen, sich Gründer-/Unternehmerwissen anzueignen. Es ist immer wieder erschreckend, wie (es tut mir leid) unwissend die Leute im Bezug auf Unternehmertum/BWL/Steuern/Marketing sind.
MfG

Nicht nur weniger gut ausgebildete trifft sowas.

Mir bekannt ist das Beispiel eines Arztes, der im Zuge des Niederlassens von einem Finanzberater unterstützt wurde.

So ein unabhängiger Finanzoptimierer.

Folgende Entscheidungen hat der empfohlen:

  1. Bei der Praxiseinrichtung aus dem Vollen schöpfen - ob man nun 0,7 oder 1,2 Millionen Schulden macht, ist praktisch egal.

  2. Am besten gleich auch ein Einfamilienhaus kaufen und durchrenovieren.

  3. Überschüssiges Geld (Kredite!) in Aktien anlegen, die Gewinne finanzieren einen Teil der Tilgung/Zinsen.

Ein Jahr hat er durchgehalten. Es folgten Privatinsolvenz, dann die Scheidung.

Nun seit ca. 30 jahren beobachte ich die Gründerentwicklung und deren Betriebsaufgaben. Der Gründermonitor der KfW gibt da schon aussagekräftige Zahlen. Dennoch ist jede Statistik nur so gut, wie die Fragen gestellt werden und welche Absicht damit verfolgt wird.

Die Faustregel 80% ex nach 8 Jahren und 50% nach 5 Jahren ist nach wie vor existent. Dennoch haben sich die Qualitäten der Gründungen verschoben. Vor 20 und 30 Jahren gab es noch keine Ich-AGs oder Gründungen aus der Arbeitslosigkeit wie heute. Gründerzuschüsse waren Fremdworte.

Vor mehr als zehn Jahren waren lagen die Investitionsvolumina von Gründungen bei 250.000 - 350.000 DM - heute begingt man Existenzgründungen mit 10.000 - 50.000 Euro. Viele Gründungen erfolgen nebenberuflich. Das war vor vielen Jahren nicht so. Das muss man alles beachten, will man die Statistiken richtig deuten oder auf entsprechende Fragen richtig antworten.

Das Scheitern von Gründungen in den ersten 3 - 12 Monaten ist in der Regel nur dann bei völligem Dillentantismus zu vermuten, wenn Gründungen rechtlichen Vorschriften nicht entsprechen. Gründer, die alles auf eine Karte setzen, im Vollerwerb und das volle Risiko tragen, - also keine Nebenerwerbsgründungen - überstehen in der Regel das erste Jahr, wenn sie entsprechende Betriebsmittel in ihrem Investitonsplan eingesetzt haben. Kritisch werden dann die Geschäftsjahre 2 - 4. Im zweiten Jahr, wenn zu wenig Eigenkapital eingesetzt wurde oder der Umsatz nicht den erwarteten Umfang erreicht. Das sind nicht selten mehr als 80%. Haben die Gründer in ihrem Businessplan ein Worst-Case-Szenario, haben sie den berühmten längeren Atem und können vielleicht noch etwas drehen. Die nächste Hürde kommt dann bis zum vierten Geschäftsjahr, wenn Tilgungen im größeren Rahmen die Liquidität beschneiden.

Dies sind meist die berühmten Tropfen, die das Fass zum Überlaufen bringen und für die Quote sorgen, dass sich in den ersten fünf Jahren 50% wieder verabschieden. In diese Darstellungen habe ich bewußt die Nebenerwerbsgründungen nicht mit einbezogen, da hier ein anderes Einkommen im Vordergrund steht, - eine Vollexistenz nicht vorliegt.

30 Jahre Gründererfahrungen habe ich ich vielen Publikationen zusammengefasst. Auf eines der letzten Werke - Unternehmenscoaching in der Reihe des Masterplans - möchte ich hierbei aufmerksam machen. Es befasst sich mit dem denkbaren Niedergang von Gründungen bzw. wie man dieses finale Risiko eingrenzen, vielleicht vermeiden kann.

Titel: Insolvenzgefahren vermeiden - ISBN 978-3-938684-11-5 Buch anschauen
Inhaltsverzeichnisse und Rezensionen unter www.uvis-verlag.de/uv5100.htm

Hier werden neben Motivationmerkmalen und Gründerbeispielen auch Problemzonen junger Unternehmen vorgestellt, aber auch Analysen von Firmenzusammenbrüchen, deren typische und atypische Merkmale geschildert. Mehr noch, - es werden Chance für Fortführung und Wege aus Krisen beschrieben.

Auf jeden Fall ist es ein Thema, das spannend ist und bleibt. Jüngst ist wieder zu beobachten, dass der Anteil der Firmengründungen wieder nachlässt. Sicherlich auch mit eine Folge, der längst überfälligen Beschneidung von Gründerzuschüssen. Dies wird zwar mit Gründungen befasste Initiativen und manche Beraterzunft ärgern, aber sicherlich ein Wink in die richtige Richtung darstellen, Gründungsvorhaben wieder seriös zu planen und nicht auf Zuschüssen und Beihilfen zu bauen, die letztlich wiederum nur bestimmten Statistiken dienlich sind, - und nicht wirklich der Gründerkultur helfen.

MfG Jürgen Arnold - Buchautor