Hallo Ralf,
Pi-mal-Daumen kann man sagen, dass die
Karajan-Aufnahmen im Laufe seiner Karriere immer schlechter
wurden.
Da ist allerdings was dran … Ich würde sie allerdings eher
‚unbedeutender‘ nennen.
Darauf können wir uns einigen. Karajans Problem war es ja in gewisser Weise, dass er sich in seinen guten Anfangsjahren eine treue aber auch unkritische Fangemeinde aufgebaut hat, die mit ihm alterte und mehr oder weniger alles kaufte, was Karajan auf den Markt warf, so dass er nie (kommerziell) gezwungen war, seine Arbeit kritisch zu hinterfragen. Am Ende seiner Karriere blieb bei Karajan nur hochglanzpolierter Schönklang zurück, ohne jeden musikalischen Tiefgang.
Fairerweise muss man Karajan zugestehen, dass historisch
informierte Aufführungspraxis von Werken der Wiener Klassik
erst in den 80ern allmählich das Bewusstsein und die Ohren der
Hörer erreichte - und dass deren Protagonisten einer sehr viel
jüngeren Generation angehörten. Dass Karajan da keine
Vorreiterrolle spielte; dass er als 70-Jähriger kein
‚Avantgardist‘ war, kann man ihm nicht vorwerfen. Wenn er nie
mehr als ein unorigineller Epigone gewesen wäre, wäre das
etwas anderes - aber das war er nicht.
Moment, ich muss da glaube ich mit einem Missverständnis aufräumen. Es war nicht mein Anliegen, Karajan an der historischen Aufführungspraxis zu messen. Ich habe als Ergänzung zu deinem Hinweis auf Krips (den ich auch durchaus schätze) vier weitere Einspielungen genannt, die ich guten Gewissens empfehlen kann, und darunter waren zufällig drei in historischer Aufführungspraxis. Einen Primat dieser Aufführungspraxis wollte ich damit nicht implizieren, schon gar nicht für Musik der Wiener Klassik oder der Romantik.
Übrigens hast du ganz richtig formuliert, dass die historische Aufführungspraxis erst in den 80er Jahren ein Massenphänomen im Bewusstsein des Publikums wurde - in der Fachwelt reichen die Wurzeln natürlich viel weiter in die Vergangenheit zurück. Insofern möchte ich diese Generalabsolution Karajans auch wieder etwas relativieren, zumal z.B. sein eigener Bruder Wolfgang von Karajan mit seinen historischen Orgeln durchaus so etwas wie ein kleiner Pionier der historischen Aufführungspraxis war. Kleines pikantes Detail am Rande: in einem Interview kurz vor seinem Tod wurde Wolfgang von Karajan mal gefragt, ob er denn seinen Bruder auch mal seine Orgeln spielen lässt. Die Antwort war: Um Gotteswillen nein, der hat doch keine Ahnung von Musik … (nicht ganz wörtlich, aus dem Gedächtnis zitiert).
Das verringert Karajans Bedeutung nicht und schmälert auch
seine Fähigkeiten als Künstler nicht - er ist nur mittlerweile
(nun ja - seit 30 Jahren …) unzeitgemäß geworden. Trotzdem -
wenn man sich mal so richtig gruseln will, sollte man sich mal
seine Vivaldi-Einspielungen anhören, die Vier Jahreszeiten mit
Schwalbé oder die ‚7 Concerti‘ … (SCNR)
Gilt natürlich auch für seine späteren Vivaldi-Einspielungen, v.a. die Vier Jahreszeiten mit Anne-Sophie Mutter. Eine der meistverkauften, und zugleich überflüssigsten Aufnahmen dieser Konzerte. Selten zwei so hochgelobte Künstler so blutarm musizieren gehört.
Auch schöne Grüße
Wolfgang