Direkte Demokratie auf Kommunalebene

Guten Abend

Direkte Demokratie gibt es in Deutschland bekanntlich nur im Ausnahmefall bei wenigen Entscheidungen.
Das Internet bietet die großartige Möglichkeit, praktisch unbegrenzt viele Abstimmungen ohne nennenswerten Verwaltungsaufwand zu machen. Als sinnvoll sehe ich das allerdings nur auf der Kommunalebene, wo der einzelne Bürger eine unmittelbare Nähe zu dem hat, was entschieden werden soll. Das können auch durchaus mal kleine Dinge sein: „Welche Farbe soll das Wartehäuschen der Bushaltestelle haben?“

Die technische Umsetzung ist kein Problem wenn jeder am PC eine eigene geheime ID zum Abstimmen hat. Wer keinen PC besitzt oder nicht mit einem PC arbeiten will, kann auch einen angekreuzten Abstimmungsbogen aus Papier im Rathaus einscannen lassen.

Rein juristisch werden solche Abstimmungen wahrscheinlich nur eine Empfehlung für den Gemeinderat sein, keine verbindlicher Handlungsauftrag. Ein Anfang wäre es allemal. Ich bin mir des Problems bewusst, damit Projekte, die ein notwendiges Übel sind, politisch durchzusetzen. Die Trägheit der Bürger könnte ggf. auch ein solches Projekt scheitern lassen.

Jetzt bin ich auf Eure Meinung gespannt.

Hallo,

grundsätzlich halte ich das für eine gute Idee, aber die technischen Probleme unterschätzt Du wohl.

Die Abstimmung über das Internet ist zu anonym, wer da manipuliert, kann das im Verborgenen vorbereiten. Wenn die Identifizierung z.B. über den Personalausweis sicher wäre, könnte das klappen, aber der wurde ja schon vor seiner Einführung gehackt. Die Funktion wird auch nur auf Wunsch gebührenpflichtig frei geschaltet. Ich habe darauf verzichtet, so kann ich immer nachweisen, daß ich meinen Personalausweis dafür nicht eingesetzt habe.

Dazu kommt, daß bei einer Abstimmung über das Internet nicht überprüfbar ist, wer da abstimmt. In vielen Haushalten hätte einfach nur der Hausherr so viele Stimmen, wie das Haus Einwohner hat. Oft mit Zustimmung der Stimmberechtigten, aber auch das nicht immer. Häusliche Gewalt soll man nicht unterschätzen.

Wenn Du ein fälschungssicheres System hast, das funktioniert, ohne daß alle PCs ausgetauscht werden müssen und das Personen identifizieren kann, kann man das einführen. Lass es Dir aber patentieren, das hat noch Niemand geschafft!

Bis dahin sehe ich keine Alternative zum Wahllokal.

Gruß Chewpapa

Hallo Fragewurm,

Die technische Umsetzung ist kein Problem wenn jeder am PC
eine eigene geheime ID zum Abstimmen hat. Wer keinen PC
besitzt oder nicht mit einem PC arbeiten will, kann auch einen
angekreuzten Abstimmungsbogen aus Papier im Rathaus einscannen
lassen.

Zuerst einmal, ich bin Schweizer, kenne die direkte Demokratie aus der Praxis.

Etwas aufwändiger ist es schon, aber technisch kein grundsätzliches Problem. Die Finanzierung der Umsetzung ist wohl das grösste Problem.

  1. Zuerst muss die Liste der Stimmberechtigten aus den Daten des Einwohnermeldeamtes erstellt und gepflegt werden.
    Hier weiss ich nicht wie heterogen die Softwarestruktur in D ist. Hier in der CH hat sich für Software i der ganzen Gemeindeverwaltung ein Standard entwickelt, mit entsprechend definierten Datenschnittstellen, sodass ein erstelltes Modul heute in fast allen Gemeinden verwendet werden kann. Früher hatte fast jede Gemeinde eine eigene Lösung und entsprechend musste für jede Gemeinde dann etwas eigenes programmiert werden, was alles sehr teuer macht.

  2. Hier wurden einige manipulationsichere Systeme für Abstimmungen entwickelt. Einige sind in manchen Kantonen im Einsatz, andere wurden bis jetzt erst in einer normalen Abstimmung getestet. Überall kann man aber seit Jahrzehnten per Brief abstimmen. Die elektronischen Systeme sind gleich sicher wie die briefliche Abstimmung, kontrollieren wer das Kreuz gemacht hat, kann man dabei nicht.

  3. Um entscheiden zu können, muss man erst mal bescheid wissen. Vor der Abstimmung muss sichergestellt werden, dass jeder Stimmberechtigte auch informiert ist um was es geht. Da braucht es also einiges im Vorfeld. Hier wird dies zusammen mit der Zustellung des Stimmrechtsausweises per Post erledigt.

Das grösste Problem dürfte in D die rechtliche Seite sein. Es gibt zwar ein Initiativrecht, aber dieses entspricht nur einer Anregung und hat rechtlich keine weiteren Konsequenzen. Eine direkte Demokratie ist in D, wie auch in der EU, gar nicht vorgesehen. (Da ist auch das Problem welches wir Schweizer mit der EU haben. Faktisch würde bei einem EU-Beitritt hier die direkte Demokratie weitgehend abgeschafft, da EU-Recht über dem Landesrecht steht und zwingend umgesetzt werden muss. Da alle EU-Länder indirekte Demokratien sind, macht es für diese keinen grundsätzlichen Unterschied ob Beschlüsse aus der Landeshauptstadt oder aus Brüssel kommen, das Volk hat so oder so keinen direkten Einfluss auf diese Beschlüsse.)

Auch die Amerikaner könnten mit der heutigen Technik ihre Präsidentenwahl direkt
wählen. Das jetzige System war mit den damaligen technischen Möglichkeiten und der Grösse des Landes schon mal optimal:
Die Wahlbezirke wählen zuerst einen Stellvertreter (Elector). Dieser reist dann nach Washington, scheut sich die Kandidaten persönlich an und wählt dann stellvertretend für seinen Wahlbezirk den Präsidenten. dabei kann er sich frei entscheiden der aus der Ferne strahlende Kandidat könnte sich aus der Nähe als Niete erweisen.
Das Basisproblem, welches zu dieser Lösung führte, waren einfach die wochenlangen Reisewege und als schnellstes Informationsmedium der Morde-Telegraph, welche aber meistens nur entlang der Bahnstrecken vorhanden war.
Heute mit Radio, TV und Internet könnten die USA, den Präsidenten auch direkt wählen.

MfG Peter(TOO)

Hallo Peter,

danke! Daß auch bei der Breifwahl nicht sicher ist, wer das Kreuz gemacht hat, ist mir inzwischen auch schon aufgefallen. :smile:

Daß ich Deinen Beitrag gelesen habe, kann ich bewiesen! Der Telegraph war von Morse! *gg*

Ich nehme mal an, daß es eine Datenbank gibt, in der jeder Wahlberechtigte steht und daß dem ein Passwort zugesendet wird, das er bei der Wahl verwenden muss. Das kann dann durchaus auch per Mail sein. Um da zu fälschen, müssten alle Mails abgefangen und ausgewertet werden und kei Adressat dürfte sich beklagen, daß er nicht abstimmen konnte.

OK, technisch gelöst. :smile: Aber politisch wollen das die Parteien in Deutschland nicht. Jedenfalls nicht die, die gewählt werden.

Meine Entscheidung, '89 von Thüringen ins Saarland zu ziehen war wohl doch nicht optimal. Die Schweiz ist mir, warum auch immer, nicht in den Sinn gekommen. Ossi halt, ich hab’s nicht verstanden, daß das möglich gewesen wäre.

Gruß Chewpapa

Hi,

Peter hat den richtigen Anstoß gegeben, ich wüsste jetzt auch, wie das funktionieren kann.

Keine ID eines Rechners, einfach nur eine Liste der Wahlberechtigten.

Wer eine Mailadresse angibt, bekommt 'ne Mail mit Passwort, die anderen einen Brief.

Wer online wählt bekommt eine Bestätigung, daß er gewählt hat, oder es gibt Alarm. :smile:

Bei Alarm bekommt der Wähler Post und kann dann noch per Brief abstimmen.

… Du hast Recht, technisch wirklich kein Problem.
Welche Partei wäre dafür zu gewinnen? Mir fallen nur die Piraten ein …

Gruß Chewpapa

Moin,

das Problem auf Kommunalebene dürfte zum Einen sein, dass den meisten Leuten eben die meisten Entscheidungen völlig egal sind, und zum Anderen, dass eben bei „problematischen“ Projekten die Ablehnenden die Folgen der Ablehnung nicht konkret zu sprüen bekommen. Bei unserer Welt aus NIMBYs wird kein Projekt mehr durchgeführt werden können.

Gruß

TET

Hallo TET,

das Problem auf Kommunalebene dürfte zum Einen sein, dass den
meisten Leuten eben die meisten Entscheidungen völlig egal
sind, und zum Anderen, dass eben bei „problematischen“
Projekten die Ablehnenden die Folgen der Ablehnung nicht
konkret zu sprüen bekommen. Bei unserer Welt aus NIMBYs wird
kein Projekt mehr durchgeführt werden können.

Hier in CH sind es vielleicht um die 5% die auf Gemeindeebene mitmachen. Vieles wird hier an der Gemeindeversammlung beschlossen.

Der grösste Kulturschock dürften die Politiker erleben, denn diese müssten die Projekte sachlich begründen.

Das NIMBY-Problem haben wir hier vor allem mit Asylunterkünften und Atommülllagern.
Bei den anderen Projekten gibt es genügend Gegenkräfte, die sich auch beteiligen.

MfG Peter(TOO)

Hi,

Das können auch durchaus mal kleine Dinge sein: „Welche
Farbe soll das Wartehäuschen der Bushaltestelle haben?“

Das ist gerade das Problem, dass ich mit direkter Demokratie habe. Keiner ist mehr für das Große und Ganze verantwortlich, da jede kleine Entscheidung ja vom Volk so gewollt ist.
Das Ganze ist aber sehr oft nunmal mehr als die Summe seiner Teil. Auf das Beispiel der Bushaltestelle bezogen kann das einzelne Wartehäuschen in einer bestimmten Farbe vielleicht gut aussehen, die ganze Stadt würde aber mehr davon profitieren, wenn es eine abgestimmte Farbwahl für alle Wartehäuschen gäbe.
Ich bin durchaus ein Fan der repräsentativen Demokratie, denn dort muss derjenige, der heute für A stimmt sich das auch Morgen noch vorhalten lassen, wenn er für B stimmt.

Das gilt für den einzelnen Bürger bei der Volksabstimmung nicht, der kann heute hü und morgen hott sagen, ist ja alles geheim.
Es gibt gute Projekte für Volksabstimmungen, aber nur zum Selbstzweck oder damit der rumheulende Bürger sich endlich mal wieder wichtig fühlt halte ich sie für falsch.

Gruß

rantanplan

Moin,

Wer eine Mailadresse angibt, bekommt 'ne Mail mit Passwort,

„Mail mit Passwort“ steht auf der selben Stufe wie „Bismarckhering mit Pflaumenmus“: zwei Dinge, die einfach nicht zusammenpassen.*

Gruß
Stefan

*…wenn man nicht relativ hohen Aufwand mit Verschlüsselung betreibt, wozu 90% der Anwender/Wähler nicht imstande/willens wären.

Hallo Stefan,

…wenn man nicht relativ hohen Aufwand mit Verschlüsselung
betreibt, wozu 90% der Anwender/Wähler nicht imstande/willens
wären …

… Dann erreicht man eine Zuverlässigkeit, die mit der jetzigen Briefwahl vergleichbar ist.
Das scheint doch zu reichen, zumal Jeder bemerken kann, wenn er seine Stimme nicht selbst abgeben kann und sich dann beklagen kann.

Wenn Jeder nur einmal seine Stimme abgeben kann, kann auch Jeder eine mögliche Manipulation selbst bemerken und etwas unternehmen. Sicherer ist jetzt die Briefwahl auch nicht, denke ich.

Gruß Chewpapa

Hallo zusammen,

Direkte Demokratie gibt es in Deutschland bekanntlich nur im
Ausnahmefall bei wenigen Entscheidungen.

Was ja auch viele gute Gründe hat.

Da ist das Thema Sicherheit und Technik der Abstimmung sicherlich
das seit Jahren leicht lösbarste Problem.

„Welche Farbe soll das Wartehäuschen der Bushaltestelle haben?“

Das kann man ebenso dem Bauleiter oder dem Heimatverein delegieren.

Aber es deutet auf das Grundproblem von direkter Demokratie:

Komplexe Dinge lassen sich kaum in 20 oder 30 Ja/Nein-Fragen fassen
um sie per Volksabstimmung zu klären und Kleinkram läßt sie zu gut per
Volksabstimmung klären (Volksverdummung durch Scheinbeteiligung).
Alles was wichtig ist, ist eben komplex - aber teuer und interessant.
Alles was unwichtig ist, interessiert eh keinen.

Beispiel: Eine direkte Abstimmung über Konzept, Bauart, Baustil und
Finanzierung eines neuen Rathauses ist praktisch unmöglich. Alles
was geht ist 2 oder mehr Komplettpakete zur Abstimmung zu stellen.
Wenn dann noch alte Gebäude umgenutzt werden sollen und das Geld
fürs Rathaus per Steuer oder Einsparung aufgetrieben werden soll oder
es um die Auftragsvergabe geht ist es ganz aus mit Bürgerbefragung.

Was gut geht -um dem Bürger die Illusion der Beteiligung zu geben- ist
die Abstimmung über Name des Gebäudes und die Fasadenfarbe.

Rein juristisch werden solche Abstimmungen wahrscheinlich nur
eine Empfehlung für den Gemeinderat sein, keine verbindlicher
Handlungsauftrag.

Das wäre, notfalls per Grundgesetzänderung, lösbar.

Ich bin mir des Problems bewusst, damit Projekte, die ein notwendiges
Übel sind, politisch durchzusetzen.

Denk auch mal an die manipulative Macht der Massenmedien.

Oder Google mal, was in der Schweiz die ‚Zauberformel‘ ist und denk
drüber nach, ob eine so gebildete Regierung überhaupt noch Wahlen
nötig macht und ob wir in Deutschland mit unserer durch Wahlen
veränderbaren Regierung nicht wesentlich demokratischer dran sind.
Die Zauberformel ist die direkte Folge der direkten Demokratie!

Wenn, sollte man in Deutschland die Verhältnis- und damit die Listenwahl
abschaffen. Pro 100.000 Wahlberechtigte einen Wahlkreis und den gewinnt
derjenige, der die meisten Stimmen bekommt. Ende!

Viele Grüße

Jake

Moin Peter,

Der grösste Kulturschock dürften die Politiker erleben, denn
diese müssten die Projekte sachlich begründen.

Ich glaube, die Begründung muß vor allen Dingen populär und nicht unbedingt sachlich sein.

Das NIMBY-Problem haben wir hier vor allem mit
Asylunterkünften und Atommülllagern.

Hier wäre es Windrädern, Stromtrassen oder jedem anderen Infrastrukturprojekt ein Problem

Bei den anderen Projekten gibt es genügend Gegenkräfte, die
sich auch beteiligen.

Beim Verbot des Minarettbaus wohl nicht.

Gruß

TET

Servus,

„Welche Farbe soll das Wartehäuschen der Bushaltestelle haben?“

Das kann man ebenso dem Bauleiter oder dem Heimatverein
delegieren.

„In der Ausschreibung war die Farbe ‚Platin gebürstet‘ nicht näher spezifiziert - in der Anlage zum Aufmaß finden Sie alle Einzelheiten zum Material. Wir bitten um gelegentliche Überweisung von 4.960.000 € auf unser unten genanntes Konto.“

Schöne Grüße

MM

Hi,

Wenn, sollte man in Deutschland die Verhältnis- und damit die
Listenwahl
abschaffen. Pro 100.000 Wahlberechtigte einen Wahlkreis und
den gewinnt
derjenige, der die meisten Stimmen bekommt. Ende!

wenn man sich die Direktmandate für den Deutschen Bundestag mal anguckt kriegt man eine grobe Idee davon, wie unser Parlament bei einem solchen Wahlsystem aussähe.
Ich kann ehrlich gesagt darauf verzichten auf alle Zeiten von CDU und SPD regiert zu werden.

Gruß

rantanplan

Hi,

… Dann erreicht man eine Zuverlässigkeit, die mit der
jetzigen Briefwahl vergleichbar ist.
Das scheint doch zu reichen, zumal Jeder bemerken kann, wenn
er seine Stimme nicht selbst abgeben kann und sich dann
beklagen kann.

der Unterschied zwischen herrkömmlichen und digitalen Angriffen ist eigentlich fast immer die deutlich bessere Skalierbarkeit digitaler Angriffe. Das ist auch der Grund warum man selten Werbung für Penisverlängerungen in der Hauspost findet.

Gruß

rantanplan

soll. Das können auch durchaus mal kleine Dinge sein: „Welche
Farbe soll das Wartehäuschen der Bushaltestelle haben?“

Das Ergebnis wird mit großer Wahrscheinlichkeut „blau“ sein. Das ist ein immer wieder bestätigter Erfahrungswert – wird nach Abstimmungen danach gefragt, welche Farbe etwas haben soll, kommt dabei „blau“ heraus. Weil die Leute einfach ihre Lieblingsfarbe angeben und nicht darüber nachdenken, welche Farbe vielleicht sinnvoll und sachlich begründet ist.

Klar: Man kann natürlich zu jeder Abstimmung eine lange Erklärung des für und Widers mitliefern. Ob es sinnvoll ist, wenn sich 10.000 Leute im Ort je drei Stunden hinsetzen, um sich in Unterlagen zur Farbe der Bushäuschen einzulesen, halte ich für fraglich.

Wenn es um die Statik der neue Eishalle geht oder den Oberbau der Ortstraßen geht - würdest Du da eine Abstimmung durchführen? Nein.

Jetzt bin ich auf Eure Meinung gespannt.

Der Bürger soll Rchtungsentscheidungen geben. Dafür sind auch Volksabstimmungen gut. Aber bei Sachentscheidungen sollten Experten gehört werden. Da sind schon die Gemeinderäte nicht fachlich versiert genug - umso mehr die Bürger.

Gruß,
Max

Die Risiken, dass die Verwirrung erst richtig komplett wird, schrecken mit davor eher ab.