Gottfried Benn, Nachtcafé

Hallo zusammen,

ich habe unlängst noch einmal Gottfried Benns Gedicht „Nachtcafé“ gelesen. Keine Angst, ich ersuche nicht um Interpretation. :wink:

Das Gedicht erschließt sich mir soweit problemlos, nur eines, eines versehe ich einfach nicht. Hier ist das Gedicht zur Erinnerung (oder für die, die es nicht kennen, zum ersten Mal):

_Gottfried Benn
Nachtcafé

824: Der Frauen Liebe und Leben.
Das Cello trinkt rasch mal. Die Flöte
rülpst tief drei Takte lang: das schöne Abendbrot.
Die Trommel liest den Kriminalroman zu Ende.

Grüne Zähne, Pickel im Gesicht
winkt einer Lidrandentzündung.

Fett im Haar
spricht zu offenem Mund mit Rachenmandel
Glaube Liebe Hoffnung um den Hals.

Junger Kropf ist Sattelnase gut.
Er bezahlt für sie drei Biere.

Bartflechte kauft Nelken,
Doppelkinn zu erweichen.

H moll: die 35. Sonate.
Zwei Augen brüllen auf:
Spritzt nicht dies Blut von Chopin in den Saal,
damit das Pack drauf rumlatscht!
Schluß! He, Gigi! -

Die Tür fließt hin: Ein Weib:
Wüste ausgedörrt. Kanaanitisch braun.
Keusch. Höhlenreich. Ein Duft kommt mit. Kaum Duft.
Es ist nur eine süße Vorwölbung der Luft
gegen mein Gehirn.

Eine Fettleibigkeit trippelt hinterher._

Soweit, so gut. Nur was, WAS, WAAAS bedeutet die 824?

Wirklich, dies ist eine ernst gemeinte Frage.

Liebe Grüße und auf Erleuchtung hoffend,
Nike

Hallo, Nike,

824: Der Frauen Liebe und Leben.
Das Cello trinkt rasch mal. Die Flöte
rülpst tief drei Takte lang: das schöne Abendbrot.
Die Trommel liest den Kriminalroman zu Ende.

Soweit, so gut. Nur was, WAS, WAAAS bedeutet die 824?

Wirklich, dies ist eine ernst gemeinte Frage.

eine mögliche Erklärung hab ich auf dieser Seite gefunden - es gibt auch andere Theorien (z. B. das Café sei gemeint oder ein Musikstück …)

http://www.webforumdeutsch.de/webforum/express/expre…

Auszug:
[…] Merkwürdigerweise gingen die Interpreten bislang an diesem Gedicht vorbei. Vielleicht ist die Zahl 824, mit der das Gedicht eröffnet wird, schuld daran. Weder die verfügbaren Ausgaben noch andere Quellen geben über sie Auskunft. Der Paragraph 824 des BGB hat nichts mit „Der Frauen Liebe und Leben" zu tun. Erst eine Einsichtnahme in Benns stellenweise schwer lesbare Manuskripte machte die Hypothese wahrscheinlich, daß es sich bei dieser Zahl um einen Lesefehler des Setzers handelt. Einen zweiten Fehler im gedruckten Gedicht, ein „H-Moll", verbesserte Benn in der späteren Ausgabe zu „B-Moll". Die Zahl 824 aber hielt sich hartnäckig, obwohl es um den Paragraphen 825, die „Bestimmung zur Beiwohnung", den außerehelichen Beischlaf, gehen dürfte. […]

M. Szyrocki in: M. Reich-Ranicki: Frankfurter Anthologie, Gedichte und Interpretationen, Insel-Verlag, Frankfurt 1982, S. 163 ff.

Gruß
Kreszenz

Überlegungen
Hallo Nike,

das ist ein schönes Rätsel. Ich habe einiges geprüft, weiter bin ich nicht gekommen, will dir aber die geprüften Daten nennen, damit du vielleicht weiter kommst.

Schumanns Zyklus existiert nur mit der Klavierbegleitung, kein 824-Werk von Schubert oder Strauß, kein Werk Schumanns passt dazu.

Wie schon vor mir gesagt wurde, hat Benn offensichtlich nicht alles genau genommen (Chopins h-moll Sonate ist op.58, die b-moll Sonate ist op.35).

Kann es ein Nachtzug sein? Hausnummer?

Gruß

Hallo,

schwer lesbare Manuskripte machte die Hypothese
wahrscheinlich, daß es sich bei dieser Zahl um einen
Lesefehler des Setzers handelt.

In den Versionen, die man im Netz findet, steht im Unterschied
zu der Version von Nike immer eine Leerzeile zwischen

Die Tür fließt hin: Ein Weib:
Wüste ausgedörrt. Kanaanitisch braun.
Keusch. Höhlenreich. Ein Duft kommt mit. Kaum Duft.

und

Es ist nur eine süße Vorwölbung der Luft
gegen mein Gehirn.

Damit hat das Gedicht 8 Leerzeilen und 24 Textzeilen.
Vielleicht ja nur ein Zufall, aber wärs nicht auch möglich
dass der Setzer hier versehentlich eine Anmerkung Benns zur
Formatierung mit in den Text aufgenommen hat, die gar nicht
zum Druck vorgesehen war? Oder eine Arbeitsnotiz, die Benn
vergessen hat vorher zu entfernen?
Ist nur so eine Überlegung …

Grüße, Michl

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Hallo, Michl,

Vielleicht ja nur ein Zufall, aber wärs nicht auch möglich
dass der Setzer hier versehentlich eine Anmerkung Benns zur
Formatierung mit in den Text aufgenommen hat, die gar nicht
zum Druck vorgesehen war? Oder eine Arbeitsnotiz, die Benn
vergessen hat vorher zu entfernen?
Ist nur so eine Überlegung …

ja, man kann wohl nur spekulieren - vielleicht wollte der Verfasser auch nur die Leserschaft ins Grübeln bringen… :wink:

Gruß
Kreszenz

Hallo Michael & Kreszenz,

„Erst eine Einsichtnahme in Benns stellenweise schwer lesbare Manuskripte machte die Hypothese wahrscheinlich, daß es sich bei dieser Zahl um einen Lesefehler des Setzers handelt.“

Vielleicht ja nur ein Zufall, aber wärs nicht auch möglich dass der Setzer hier versehentlich eine Anmerkung Benns zur Formatierung mit in den Text aufgenommen hat, die gar nicht zum Druck vorgesehen war?

ja, man kann wohl nur spekulieren - vielleicht wollte der Verfasser auch nur die Leserschaft ins Grübeln bringen… :wink:

diesen Spekulationen schließe ich mich unter Berufung auf Alfred Polgar gerne an:

„…und oft sind es allein die Setzer, die dem Text den verwirrenden Opalglanz geben, den der Schriftsteller aus eigenem ihm nicht zu geben vermocht hatte. Klagen wir nicht über Druckfehler. Man weiß nicht, wodurch man tief wird.“

Viele Grüße
;-Diana

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Hallo Diana,

„…und oft sind es allein die Setzer, die dem Text den
verwirrenden Opalglanz geben, den der Schriftsteller aus
eigenem ihm nicht zu geben vermocht hatte. Klagen wir nicht
über Druckfehler. Man weiß nicht, wodurch man tief wird.“

Wundervolles Zitat!
Wo hast du es gefunden?

Gruß
Michael

Hallo Michael,

Wo hast du es gefunden?

gefunden habe ich es mal vor Jahren in Haffmans Rabenkalender, leider wie immer ohne Quellenangabe. Werde wohl demnächst mal durch meine Polgar-Ausgabe pflügen…

Viele Grüße
Diana

Hallo,

Damit hat das Gedicht 8 Leerzeilen und 24 Textzeilen.

Das ist mal eine interessante Version. :smile:

Liebe Grüße, Nike