Was ist ein Entwicklungsroman?

Liebe WWW-Experten,
ich bin einem Litaraturkreis beigetreten, in dem wir sehr viel über Literatur sprechen und diskutieren.
Demnächst soll der Schwerpunkt „Entwicklungsroman“ sein, worauf ich mich ein wenig vorbereiten will.
Kann mir jemand ein bisschen Fachwissen vermitteln und mir erklären worum es sich bei einem solchen Roman handelt?
Das wäre toll. Liebe Grüße, Roman

Lieber Namor,

beim Entwicklungsroman handelt es sich um einen Roman,
bei dem es um die (in der Regel)seelische Entwicklung
eines bestimmten Menschen geht.

Flagschiff des deutschen Entwicklungsromans ist
Wilhelm Meisters Lehrjahre von Goethe.
Gegen die Idee einer rational gesteuerten
Fortentwicklungen haben sich aber schon früh
die deutschen Romantiker gewehrt, unter anderem
Novalis mit seinem „Heinrich von Ofterdingen.“

Wer die beiden Bücher gelesen hat,
ist in Sachen „Entwicklungsroman“
schon mal auf der sicheren Seite.
Herzliche Grüße
von
Andreas

Liebe/r Namor88,

das finde ich schön, dass Ihr einen Literaturkreis veranstaltet. An einem vergleichbaren Kreis beteilige ich mich auch schon seit vielen Jahren. Dabei habe ich nicht nur viel dazu gelernt, sondern auch liebe Freunde gewonnen.

Zu Deiner Frage.

Da kann ich es mir zunächst mal ziemlich leicht machen, indem ich auf die Eintragung in der Wikipedia hinweise:

http://de.wikipedia.org/wiki/Entwicklungsroman

Ich habe diese Eintragung soeben mal zur Kontrolle gelesen und finde, dass sie den Begriff des Entwicklungsromans recht zutreffend und differenziert beschreibt.

Zur Ergänzung: Bei Durchsicht der Beispielliste wird Dir auffallen, dass fast nur deutsche Romane genannt werden. In der Tat ist dieser Typus des Romans eine typisch deutsche Angelegenheit. Außerdem kann man erkennen, dass diese Liste so richtig erst mit der deutschen Klassik beginnt. (Der Parzival und der Simplizissimus sind vereinzelte frühe Erscheinungen, deren Auftreten man wohl anders erklären muss.) Das hat, denke ich, viel mit dem humanistischen Bildungsideal zu tun, wie es der Begründer des Gymnasiums Wilhelm von Humboldt formuliert hat. (Auch hier würde ich mal in die Wikipedia sehen.) Wahrscheinlich spielen auch Immanuel Kant und seine Zeitgenossen und Kollegen eine wichtige Rolle.

Wenn ich mich nicht irre, dann findet man diesen Romantypus nicht oder fast gar nicht in anderen Nationalliteraturen, nicht in der französischen, nicht in der englischen oder amerikanischen, nicht in der russischen, schon gar nicht in der italienischen oder der spanischen Literatur. Vielleicht hat das etwas mit der Neigung zum oder dem Interesse der Deutschen am Prinzipiellen zu tun. Und das dann wieder etwas mit Martin Luther und dem Protestantismus. Dies jetzt alles aus dem Ärmel geschüttelt. (Es geht doch nichts über eine solide Halbbildung!)

Wenn man ein besonders typisches Beispiel sucht, dann liest man vielleicht am besten Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Die spätere Fortsetzung „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ (ein goethesches Alterswerk) halte ich nicht mehr für einen typischen Entwicklungsroman.

Ich habe nicht alle der Romane auf der Liste gelesen (vielleicht etwa die Hälfte) und kann deshalb nicht über alle etwas sagen (zumal die Lektüre zum großen Teil schon lange Zeit zurück liegt).

[Überhaupt: Deine Anfrage bringt mich regelrecht zum Nachdenken und auch ins Grübeln. Leider bin ich zur Zeit ziemlich mit ganz anderen Dingen beschäftigt, so dass ich mich jetzt nicht in dieses Thema vergraben möchte. (Am liebsten vielleicht drei oder vier Wochen extra Beschäftigung damit.) Allerdings finde ich die Frage schon sehr interessant.]

Klar scheint mir zu sein, dass es in jedem dieser Werke um Beispiele für ein größeres Ganzes geht. In der „Blechtrommel“ ist es eine ganze Zeit, die Grass darstellt (neben anderem).

Im „Törleß“ geht es um das besondere Milieu des Internats zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ähnlich wie im „Demian“.

Und passt die Kennzeichnung des Entwicklungsromans im Wikipedia-Artikel wirklich auf jeden der in der Beipielliste genannte Romane?

Wer wäre denn z. B. im „Nachsommer“ die Persönlichkeit, um deren Entwicklung es geht?

Außerdem sind es häufig ja nur relativ kurze und überschaubare Zeit- und damit Lebensabschnitte, die in den Blick genommen werden, also eigentlich nur ein sehr begrenzter Teil einer menschlichen Entwicklung.

Auffällig aber auch, dass es in den letzten Jahrzehnten keinen rechten Entwicklungsroman mehr gibt. Vielleicht deshalb, weil man nicht mehr glaubt, dass sich eine solche komplexe Sache wie die menschliche Persönlichkeit in einem Werk umfassen darstellen lässt.

Und jetzt wird’s wirklich philosophisch. Aber ganz ohne Philosophie geht es wohl nicht.

So, das soll jetzt genügen.

Aber mich würde schon interessieren, was Ihr in Eurem Kreis so herausfindet.

Jedenfalls viel Erfolg und viel Vergnügen und jede Menge neuer Einsichten bei Eurer Auseinandersetzung mit dem Thema.

Einen schönen Gruß

Peter

Er beschreibt die geistige und seelische Reifung des Protagonisten. Wird auch Bildungsroman genannt. Beispiel: Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ oder Gottfried Kellers „Der grüne Heinrich“. Es gibt noch andere Beispiele, in denen aber auch soziale etc. Gründe eine Rolle spielen.

Guck doch mal bei Wikipedia unter Bildungs-/Entwicklungsroman nach!

LG

Hallo, weil du nach Fachwissen gefragt hast. Schlag doch mal in einem Literaturlexikon nach: Kindlers Literatur Lexikon oder Killy, Walther: Literatur Lexikon z. B. Kennst du übrigens den Karlsruher Virtuellen Katalog? Da findest du sicher die Literatur, Lexika etc. die du suchst: http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html Hoffe ich konnte dir weiterhelfen. glg

Hallo Namor, weil du nach Fachwissen gefragt hast. Schlag doch mal in einem Literaturlexikon nach: Kindlers Literatur Lexikon oder Killy, Walther: Literatur Lexikon z. B. Kennst du übrigens den Karlsruher Virtuellen Katalog? Da findest du sicher die Literatur, Lexika etc. die du suchst: http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html Hoffe ich konnte dir weiterhelfen. glg