Gehirntumor Bronchial-CA

Hi,

haben aktuell eine Patientin. Rö-Th und CCT haben einen Bronchial-CA und einen Hirntumor ergeben. MRT folgt zur weiteren Abklärung.

Ich leite mal die Frage des Pflegeteams weiter, waren uns da alle nicht so sicher:

  • Würde ein maligner Primärtumor aus dem Gehirn in die Lunge streuen? Könnte ich mir gut vorstellen.
  • Würde eher das Bronchial-CA in das Gehirn streuen? Ich meine nein, aufgrund der Blutschranke im Gehirn.
  • Oder sind es gar zwei Tumore gleichzeitig?

Patientin hat einen langjährigen C2 und Nikotinabusus hinter sich. Raucht ca. 20 Zigarretten/d, kein Husten (weder produktiv noch unproduktiv). Zudem Korsakow-Syndrom (Einweisungsgrund mit örtlichlichen und zeitlichen Orientierungsstörungen). 56 Jahre alt, Polyneuropathien. Ob Lymphknoten betroffen sind, weiß ich jetzt nicht. Kein Mamma-CA.

Ich weiß aus dem Urologie Einsatz, dass ein maligner Prostatatumor in die Lunge streut, bin mir allerdings nicht mehr so sicher, da 5 Leute 6 verschiedene Aussagen gemacht haben.

An die Übertragungswege kann ich mich auch nicht mehr so gut dran erinnern, wenn es sogut wie nie vorkommt, vergisst man manche Dinge schneller als man glaubt…

gruss levi

Hallo!

Ich würde davon ausgehen, daß die Herde im Gehirn Ableger vom Lungentumor sind.
Hirnmetastasen beim Bronchialkarzinom sind echt der Klassiker, Metastasen eines bösartigen Hirntumors in andere Organe dagegen die Ausnahme.

Gruß
Peter

Hi!

Peter hat die Fragen ja schon beantwortet, ich ergänze nur mal:

Ich leite mal die Frage des Pflegeteams weiter, waren uns da
alle nicht so sicher:

Wenn ihr das nächste Mal ein Kerlchen in Weiß über die Station huschen seht - das kommt häufiger vor, allerdings sind die Kerlchen wirklich wahnsinnig schnell - dann fängt ihn mit einem Lasso ein und stellt ihm die Frage :wink:

An die Übertragungswege kann ich mich auch nicht mehr so gut
dran erinnern, wenn es sogut wie nie vorkommt, vergisst man
manche Dinge schneller als man glaubt…

Sowas gehört auch zu den Dingen, die man nicht auswendig lernt, sondern sich mit bißchen Hirnschmalz selbst herleiten kann :wink:
Schlag einfach ein Anatomiebuch auf (falls dir die grobe Anatomie auch nicht mehr so klar sein sollte) und sieh nach, wie die Venen des betreffenden Organs verlaufen.
Zum Beispiel wirst du dann feststellen, daß die Venen von einigen (nicht allen!) Bauchorganen zunächst zur Leber laufen - und ja, da findet man dann auch die ersten Metastasen. Von der Leber führt der weitere (Venen-)Weg zur Lunge --> zweiter Ort, wo Metastasen auftauchen können. Bei den anderen Bauchorganen, deren Venen nicht zur Leber sondern direkt zur unteren Hohlvene verlaufen, findet man dementsprechend eher Metastasen in der Lunge (Hohlvene führt übers Herz in die Lunge) und kaum/gar nicht in der Leber.
Beispiel 2: Lungentumor --> Venen führen direkt zum Herzen. Weiter geht der Weg dann zur Aorta. Von der Aorta gibt es aber viele Abzweigungen, von denen die kürzeste zum Gehirn führt.

Diese anatomische Herleitung kann man fast immer nehmen, allerdings gibt es schon paar Ausnahmen :wink:
Beispielsweise sollte man wissen, daß Metastasen am Herzen eine wahre Rarität sind, genauso selten ist auch, daß primäre Hirntumore streuen und andere Ausnahmen…

Gruß,
Sharon

Hallo !

Ich kann mich den Vorrednern hier nur anschließen. Hirntumoren
metastasieren bis auf wenige Ausnahmen nicht in andere Organe,
sie bleiben auf das Zentralnervensystem beschränkt. Die Bronchial-
karzinome dagegen metastasieren häufig ins Gehirn, aber auch in Leber,
Nebennieren und auch Knochen. Ausschliessen kann man natürlich
auch nicht, dass der Pat. BEIDES hat, d.h. Bronchialkarzinom UND
einen Hirntumor. Wenn man das zu 100 % sicher wissen will, müsste man
eine Biopsie aus beiden Tumoren entnehmen. Allerdings lässt sich
aufgrund des Erscheinungsbildes im CT bzw. MRT ziemlich sicher
auf die Art der Raumforderung schließen, die da im Gehirn wächst.
Metastasen sind in der Regel von einem starken Ödem umgeben. Das
ist bei Hirntumoren weniger ausgeprägt. Außerdem sind Hirntumoren
im Vergleich zu Hirnmetastasen SELTEN. Insgesamt ist daher am ehesten
von einem Lungenkrebs auszugehen, der ins Gehirn gestreut hat.
Die Blut-Hirn-Schranke ist übrigens nicht in der Lage, Tumorzellen am Übertritt in das Gehirn zu hindern.

Gruß
Kai (Assistenzarzt)

Hi,

Beispiel 2: Lungentumor --> Venen führen direkt zum Herzen.
Weiter geht der Weg dann zur Aorta. Von der Aorta gibt es aber
viele Abzweigungen, von denen die kürzeste zum Gehirn führt.

ja, das war mir schon bewusst gewesen. Nur war ich mir bei der Blut-Hirn-Schranke nicht mehr so sicher. Das mit dem Gefäßsystem klingt logisch. Aber ich denke mal, jeder kennt das Problem der Mutation zum Fachidioten :wink: (und ich arbeite nun mal in einer Psychiatrie)

Beispielsweise sollte man wissen, daß Metastasen am Herzen
eine wahre Rarität sind, genauso selten ist auch, daß primäre
Hirntumore streuen und andere Ausnahmen…

Genau da lag ja der Knackpunkt. Streuen Hirntumore nun descendierend? Oder streut der Lungentumor ascendierend? Durch deine Erklärung und die der anderen läßt sich das nun wunderbar herbeileiten und hat doch eine wunderbare Grundlage für eine Diskussion geführt :smile:

Jetzt kann ich mit dem neu gewonnenem Fremdwissen morgen erstmal schön mit angeben :wink:

Grüßchen, levi

Kurze Nachfrage:
Hi,

Die Blut-Hirn-Schranke ist übrigens nicht in der Lage,
Tumorzellen am Übertritt in das Gehirn zu hindern.

wieso kommen Tumorzellen durch die Schranke und zB bestimmte Toxine nicht, wenn man aus der physiologischen Seite ausgeht? Das durch einen Defekt die Schranke auch für andere Stoffe durchlässig ist, ist klar.
Hat das eventuell auf der zellulären Ebene was mit der Zusammensetzung des Tumors zu tun, dass diese permeabel sind?

Wenn das so wäre, würde ansich von der Differenzierung des Tumors nicht jeder durchkommen, oder liegt da ein Denkfehler vor?
Würde es einen Unterschied machen, ob zB komplexeres Flimmerepithel oder einfaches Plattenepithel entarten würde und diese Schranke überwindet und das andere wiederum nicht?

Oder macht das alles überhaupt garkeinen Unterschied?
(ich sollte echt mit dem Rauchen aufhören)

gruss levi

Hi!

oder liegt da ein Denkfehler vor?

Oh ja, sieh mal:

Hat das eventuell auf der zellulären Ebene was mit der
Zusammensetzung des Tumors zu tun, dass diese [Bluthirnschranken] permeabel sind?

Die Bluthirnschranke läßt per se keine einzige Tumorzelle durch - sie ist also für diese nicht permeabel. Klingt paradox, weil es ja durchaus Metastasen gelingt, hindurchzukommen? Nee, denn genau hier liegt dein Denkfehler (vermute ich zumindest):
Gutartige Geschwüre/Tumore wachsen verdrängend, d.h. sie „schieben“ gesundes Gewebe beiseite. Bösartige Geschwüre - und genau deswegen nennt man sie so! - infiltrieren jedoch gesundes Gewebe und zerstören es!
Dasselbe passiert auch mit der Bluthirnschranke: sie wird einfach zerstört. Und dann ist der Weg frei. Das hat nicht wirklich was mit Permeabilität zu tun :wink:

Paradoxerweise gelingt das allerdings fast nur Metastasenzellen, die an irgendeinem winzigen Defekt an der Arterienwand hängenbleiben und an dieser Stelle die Bluthirnschranke (die ja aus Zellen besteht) zerstört und dann ins Gehirn eindringt. Dies gelingt jedoch umgekehrt, d.h. vom Hirngewebe in die Blutgefäße nur sehr selten. Warum weiß ich nicht, aber dies ist der Grund, warum bösartige Hirntumoren selten selbst Metastasen setzen.

Gruß,
Sharon

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Hallo,

ich meine auch, dass Metastasen über die Blut/Hirn-Schranke hinweg sehr selten sind (aus den bereits genannten Gründen).

Es ist daher wahrscheinlich, dass beide Tumore unabhängig voneinander entstanden sind. Sowas ist aber in der Regel selten, weil Tumore an sich ja schon ein seltenes (=unwahrscheinliches) Ereignis sind - Vergleich: Im Lotto zu gewinnen passiert selten. Dass aber gleich zwei Geschwister unabhängig voneinander gewinnen ist noch unwahrscheinlicher - sei denn, die haben sich vielleicht vorher abgesprochen oder beide genetisch bedingte „seherische Fähigkeiten“. Sowas kann man auch bei der Patientini vermuten: Möglicherweise besteht eine erbliche Veranlagung für ein erhöhtes Tumorrisiko (zB. eine Mutation in einem der p53-Allele oder in einem anderen zentralen Tumorsuppressorgen.

Etwas dahegen spricht allerdings die Tatsache, dass die Patientin raucht. Da sollte man sich über ein „extra“-Bronchial-CA nicht wundern.

Trotzdem, für die weitere Behandlung sollte man wohl mal prüfen, wie es mit ihrer genetischen Vorbelastung steht - womöglich sind bestimmte Therapien bei ihr ja kontraindiziert und (falls die Patientin überhaupt überlebt) um evtl. das Nachsorge-Diagnosenetz feinimaschiger zu machen.

LG
Jochen

Hi,

danke für diese anschauliche und nachvollziehbare Erklärung. Ist echt super verdeutlicht worden.
Keine weiteren Fragen, Euer Ehren :wink:

liebe Grüße, levi

Es wurde noch etwas vergessen…
Hallo !

Vergessen wurde hier noch zweierlei:

  1. Es gibt auch Areale im ZNS, an denen die Blut-Hirn-Schranke nicht
    existiert. Ein Beispiel ist die sog. „Area postrema“ im Hirnstamm-
    bereich. Sie beherbergt das Brechzentrum, muss also sogar für
    Toxine durchlässig sein, damit der Körper Gifte erbrechen kann.
    An diesen Stellen könnten auch Tumorzellen ins Gehirn eindringen.
    Dafür ist kein invasives Wachstum erforderlich.

  2. Die Tatsache, dass Hirntumoren außerhalb des Gehirns bzw. Rücken-
    marks kaum wachsen, liegt nicht an der Blut-Hirn-Schranke. Tumor-
    zellen können in bestimmten Geweben nicht wachsen, wobei die
    Fähigkeit, in ortsfremden Körperregionen zu wachsen vom Tumortyp
    abhängt. Hirntumorzellen finden außerhalb des Hirngewebes in der
    Regel keine Umstände vor, die ein Anwachsen und Überleben
    ermöglichen. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht das Gehirn
    über den Blutweg verlassen könnten (sehr wahrscheinlich tun sie
    das sogar, gehen aber dann rasch zugrunde). Andere Tumoren sind
    weniger anspruchsvoll, was das „Zielgewebe“ angeht. Der größte
    „Überlebenskünstler“ ist das Melanom (= bösartiger Hautkrebs).
    Seine Zellen können ÜBERALL wachsen. Entsprechend kann dieser
    Tumor sogar in den Herzmuskel metastasieren, was sonst bei Krebs
    an sich nicht vorkommt.

So weit noch meine Ergänzung.
Gruß Kai

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Hallo Jochen !

Hallo,

ich meine auch, dass Metastasen über die Blut/Hirn-Schranke
hinweg
sehr selten sind (aus den bereits genannten
Gründen).

Die Tumorzellen müssen die Blut-Hirn-Schranke auch nicht
überwinden (siehe meine Ausführung unten im Thread).

Es ist daher wahrscheinlich, dass beide Tumore unabhängig
voneinander entstanden sind. Sowas ist aber in der Regel
selten, weil Tumore an sich ja schon ein seltenes
(=unwahrscheinliches) Ereignis sind.

Wieder falsch !
Metastasen sind wesentlich häufiger im Hirn anzutreffen als
hirneigene Tumoren. Jedoch ist die Entstehung mehrerer Tumore
auch keine absolute Seltenheit. Ich habe schon Pat. mit mehreren
Tumoren gleichzeitig behandelt. Den traurigen „Rekord“ hatte ein
etwa 70jähriger Kettenraucher, der einen Kehlkopfkrebs (Larynx-
karzinom), Rachenkrebs (Hypopharynxkarzinom), Speiseröhrenkrebs
(Ösophaguskarzinom) und auch einen Lungenkrebs (Bronchialkarzinom)
zur gleichen Zeit hatte. Allerdings waren diese ganzen Tumore
schon nacheinander und nicht gleichzeitig entstanden.

  • Vergleich: Im Lotto zu

gewinnen passiert selten. Dass aber gleich zwei Geschwister
unabhängig voneinander gewinnen ist noch unwahrscheinlicher -
sei denn, die haben sich vielleicht vorher abgesprochen oder
beide genetisch bedingte „seherische Fähigkeiten“. Sowas kann
man auch bei der Patientini vermuten: Möglicherweise besteht
eine erbliche Veranlagung für ein erhöhtes Tumorrisiko (zB.
eine Mutation in einem der p53-Allele oder in einem anderen
zentralen Tumorsuppressorgen.

Lotto und Krebs miteinander zu vergleichen, erscheint mir
etwas gewagt…

Etwas dahegen spricht allerdings die Tatsache, dass die
Patientin raucht. Da sollte man sich über ein
„extra“-Bronchial-CA nicht wundern.

Nein, sollte man nicht. Aber auch Nichtraucher kriegen
durchaus Lungenkrebs.

Trotzdem, für die weitere Behandlung sollte man wohl mal
prüfen, wie es mit ihrer genetischen Vorbelastung steht -
womöglich sind bestimmte Therapien bei ihr ja kontraindiziert
und (falls die Patientin überhaupt überlebt) um evtl. das
Nachsorge-Diagnosenetz feinimaschiger zu machen.

Die Klärung der genetischen Vorbelastung ist für Familien-
angehörige u.U. wichtig (wegen des Tumorrisikos beim Nachwuchs).
Bei der Wahl der Therapie spielt das (zumindest derzeit noch)
eine eher untergeordnete Rolle.

Gruß Kai (Assistenzarzt für Innere Medizin)

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Grau teu’rer Freund ist alle Theorie…
… doch in der Praxis schert sich ein Melanom oder ein Bronchial-Ca nicht um die Blut-Hirnschranke.

Das ist ja, als wolltest Du einen Kampfpanzer mit einer japanischen Papierwand aufhalten.

Gruß
Peter

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