Versailler Vertrag und Motorflug

Hallo, liebe Wissende,

an vielen Stellen im Netz und in der Literatur wird gesagt, dass mit dem Versailler Vertrag das Fliegen, speziell der Motorflug, in Deutschland verboten worden sei. Einige Autoren sprechen auch nur von „stark eingeschränkt“. Klar ist mir, dass es strikte Angaben für die militärische Nutzung gab (kein Wiederaufbau einer Luftwaffe), aber wie steht es mit der privaten Fliegerei?
Im Vertragstext kann ich keine Passage finden, in der ausdrücklich ein Motorflugverbot erwähnt wird.
Gibt es zum Vertrag noch Zusatzprotokolle oder Richtlinien, in denen das explizit festgelegt wurde?

Gruß
hps

Hallo !

Eine Textquelle habe ich nicht zur Hand, aber es heißt in vielen Texten ,das bis 1922 ein allgemeines Flugverbot von Motorflugzeugen bestand.
Auch der Besitz von solchen war verboten.

MfG
duck313

Hallo hps,
ich habe jetzt den Friedensvertrag von Versailles
http://www.documentarchiv.de/wr/vv.html
von vorn bis hinten durchgelesen und ebenfalls nichts gefunden, was auf ein allgemeines Motorflugverbot hinweist. Es gibt den Artikel 201, der besagt

" Während einer Frist von sechs Monaten nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrags ist die Herstellung und Einfuhr von Luftfahrzeugen und Teilen solcher, ebenso wie von Luftfahrzeugmotoren und Teilen von solchen für das ganze deutsche Gebiet verboten."
http://www.documentarchiv.de/wr/vv05.html

Nun bin ich kein Jurist, aber ich interpretiere das so, daß sechs Monate lang (Während einer Frist von sechs Monaten) keine Motoren usw. hergestellt bzw. eingeführt werden dürfen. Aber was ist nach Ablauf von diesen sechs Monaten? Man kann das sogar noch enger interpretieren, weil das Ganze unter der Überschrift „Bestimmungen über militärische und Seeluftfahrt“ läuft, aber selbst wenn ich es auf die gesamte Luftfahrt ausdehne, bleibt eben nur ein sechs Monate dauerndes Verbot von Motorenherstellung und -einfuhr, nicht etwa von Motor flug.
Auch der Teil XI über allgemeine Luftfahrt
http://www.documentarchiv.de/wr/vv11.html
stützt meine Meinung. Wenn dort ständig von „deutschen Luftfahrzeugen“ (Art. 314) „und dem heimischen öffentlichen Luftverkehr“ (Art. 315) die Rede ist und betont wird, daß dem allierten Luftverkehr „die gleiche Behandlung wie deutsche Luftfahrzeuge“ (ebenfalls Artikel 315) zuteil wird, dann kann ich nicht glauben, daß damit deutsche Segelflugzeuge gemeint sind. Oder ähnlich Artikel 319:
„Deutschland sagt zu, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, daß jedes über deutschem Gebiet fliegende deutsche Luftfahrzeug…“
Ja, von was für deutschen Luftfahrzeugen reden die denn da, doch wohl nicht von pedalgetriebenen Luftschraubern :wink:

mein Fazit: solange mir nicht jemand einen (Zusatz-)Text unter die Nase hält, in dem explizit von einem Motorflugverbot für zivile Maschinen die Rede ist, kann ich an diese tausendfach wiederholte und wahrscheinlich immer wieder voneinander abgeschriebene Behauptung „In Deutschland wurde durch den Versailler Vertrag der Motorflug nach dem ersten Weltkrieg verboten.“ nicht so recht glauben. Wie hps vermutet, mag es Zusatztexte oder gar andere Bestimmungen in diese Richtung gegeben haben, aber im Versailler Vertrag kann ich dergleichen nicht finden.

Viele Grüße
vom ungläubigen Marvin

Hallo,

Eine Textquelle habe ich nicht zur Hand,

das ist schade, das würde mir weiterhelfen.

aber es heißt in
vielen Texten ,das bis 1922 ein allgemeines Flugverbot von
Motorflugzeugen bestand.
Auch der Besitz von solchen war verboten.

Ja, das kann man oft lesen, aber wer genau hat das gestgelegt? Wie bereits erwähnt (und von Marvin bestätigt), findet sich da keine Literatur- oder Quellenangabe.

Gruß
hps

Hallo Marvin,

danke für Deine Arbeit, die mich ja in meiner Sichtweise bestätigt. Auch das kann zumindest moralisch weiterhelfen.
Ich bleib dran am Thema und melde mich, wenn ich weiteres Material finde.

Gruß
hps

Hallo hps,
ich habe nochmal in meinen Büchern gekramt und bin etwas fündig geworden. Folgende Zitate aus dem Buch von Gerhard Wissmann: „Geschichte der Luftfahrt von Ikarus bis zur Gegenwart“, Berlin: Verlag Technik 1979 (5. Aufl.) dürften für dich interessant sein:

„Nach der Ratifizierung des Versailler Vertrages wurde von Januar bis Juli 1920 auf der Grundlage des Paragraphen 198 des Friedensvertrages ein absolutes Verbot für den Neubau von von Motorflugzeugen erlassen.“ [S. 367]

Soweit waren wir ja schon, auch wenn hier von sieben statt sechs Monaten die Rede ist. Aber anschliessend kommt der entscheidende Punkt:
„Am 5. Mai 1921 erließen die Westmächte dann im sogenannten Londoner Ultimatum […] ein neues Bauverbot für Flugzeuge auf zunächst unbefristete Zeit. Fertiggestellte oder im Bau befindliche Verkehrsflugzeuge […] mußten zerstört werden. Die Einhaltung dieser Anordnung wurde von der Interalliierten Luftfahrt-Überwachungskommission für Deutschland streng kontrolliert.
Dieses zweite Bauverbot wurde 1922 aufgehoben und durch „Neun Regeln“ abgelöst, die den Bau von Verkehrsflugzeugen außerordentlich beschränkten. Die Höchstgeschwindigkeit durfte in 2000 m Höhe 170 km/h nicht überschreiten, die Nutzlast einschließlich der Besatzung nicht größer als 600 kg sein, die Reichweite wurde durch entsprechende Formeln auf etwa 300 km beschränkt, der Bau von Höhenmotoren war verboten und eine maximale Gipfelhöhe von höchstens 4000 m vorgeschrieben. Flugzeuge, die gegen diese „Regeln“ verstießen, wurden zu Militärflugzeugen erklärt, deren Erzeugung und Haltung in Deutschland verboten war. Die Einhaltung sämtlicher Bestimmungen kontrollierte weiterhin die Interalliierte Luftfahrt-Überwachungskommission.“ [S. 367]
„Diese den Bau von Verkehrsflugzeugen einschränkenden Bestimmungen fielen im Jahre 1926“ [S. 368]

Etwas lang dieses Zitat, aber da ich nicht weiss, wie intensiv Du dich mit der Materie beschäftigen willst/möchtest, habe ich lieber etwas mehr als zu wenig zitiert.
Bei einem kurzen Recherchieren nach den oben erwähnten Stichwörtern „Londoner Ultimatum“ und „Interalliierte Luftfahrt-Überwachungskommission“ habe ich dann noch diese Seiten gefunden:
http://www.flightglobal.com/pdfarchive/view/1945/194…
http://www.bochumer-bunker.de/verkehrsflugzeuge_1927…
http://www.fliegerrevue.de/fr_extra.asp?PG=172&AID=2…
Gibt sicher noch mehr, aber das überlasse ich jetzt dir :wink:
Auf jeden Fall könnte es interessant sein, das im ersten Link erwähnte Flightglobal Archive noch näher zu untersuchen.
http://www.flightglobal.com/pdfarchive/index.html

Für weitere Recherchen relevant könnte auch sein, daß die Interalliierte Luftfahrt-Überwachungskommission im Original „Inter-Allied Aeronautical Commission of Control (IAACC)“ hiess.

An Literatur zum Thema habe ich dieses Buch gefunden:
Salewski, Michael: Entwaffnung und Militärkontrolle in Deutschland 1919 - 1927. München: Oldenbourg 1966 (Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.; 24)

eventuell auch
Idelberger, Kurt: Die Militärkontrolle der Alliierten und das militärische Untersuchungsrecht des Völkerbundes nach dem Versailler Friedensvertrag. Borna-Leipzig: Noske 1926 (Dissertation Uni Frankfurt a.M.)

Viele Grüße
Marvin

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Hallo Marvin,

genau dieses zweite Zitat ist das, was ich brauche! Ich habe zwischenzeitlich versucht, aus der Biografie von (Militär-)Fliegern (u.a. Udet, Göring) herauszubekommen, was diese in dieser Zeit nach dem Krieg gemacht haben und war in meinen Ergebnissen soweit, dass es wohl ein zeitlich begrenztes Flugverbot gegeben haben muss.
Dank Deiner Hilfe habe ich es jetzt schwarz auf weiß.

Vielen Dank (und Sternchen)

Gruß
hps

Hallo Marvin,

jetzt beim nochmaligen Durchlesen Deines Posts sehe ich, dass das entscheidene Zitat von Gerhard Wissmann stammt. In seinem Buch „Abenteuer in Wind und Wolken“ (transpress, Berlin 1988) erwähnt er eben die Tatsache, dass im Versailler Vertragstext keine Rede von einem Flugverbot ist, geht aber nicht auf die Einschränkung ein.
Bei meiner Recherche geht es um die Entwicklung des Segelflugs in der Weimarer Zeit. Hier wird oft davon gesprochen, dass das Flugverbot die Entwicklung des Segelfliegens begünstigt habe. Allerdings haben einige der entscheidenden Ereignisse, die zur Verbreitung des Segelflugsports beitrugen (1. Rhön-Wettbewerb) schon 1920, also vor Inkrafttreten dieser Zusatzbestimmungen stattgefunden.

Gruß
hps