Nachrichtenqualität Nachtrag

Hi,

das Euro-Bargeld ist da. Und alle wollen ihn haben. Eigentlich eine logische Sache, aber das muß natürlich noch betont werden. Die Europhorie der Deutschen muß vorblidlich sein. Genau.

Was liegt also näher, als zu berichten, daß in Berlin in der ersten halben Stunde 200.000 Abhebungen vorgenommen wurden.
(Sat.1 Teletext, Seite 112).

Also rechnen wir: 200.000 geteilt durch 30 Minuten = 6.667 Abhebungen pro Minute. In ganz Deutschland gibt es rund 64.000 Geldautomaten. Da scheint es nicht allzu verwegen, anzunehmen, daß es in Berlin mit seinen rund 4 Mio. Einwohner (=1/20 der Bundesbevölkerung) maximal 5.000 Geldautomaten hat.

Macht also 6.667/5.000=1,33 Abhebungen je Minute, an allen Geldautomaten Berlins, 30 Minuten lang. Wohlgemerkt: Um 0.00 Uhr dürften wohl die allermeisten Berliner andere Sachen im Kopf gehabt haben, als sich an einen Geldautomaten zu stellen.

Ich habe aufgrund des Artikels bei der Teletext-Redaktion in Hamburg angerufen (an eine Firma asv ausgelagert). Unter der auf Textseite 106 angegebenen Rufnummer meldet sich tatsächlich ein echter Mensch. Kurz die Argumente geliefert und schon kam die Antwort: „Das muß richtig sein, das ist eine Agentur-Meldung.“

Na, wenn das so ist…

Soweit geht also das journalistische Selbstverständnis: Bloßes Abschreiben und nicht drüber nachdenken allein reicht also auch nicht mehr. Jetzt werden schon von den Konsumenten vorgedachte Überlegungen mit Hinweis auf die vermeintliche Unfehlbarkeit der nächsten Hierarchieebene der Nachrichtenbranche abgewiesen.

Gruß
Christian

Also rechnen wir: 200.000 geteilt durch 30 Minuten = 6.667
Abhebungen pro Minute. In ganz Deutschland gibt es rund 64.000
Geldautomaten. Da scheint es nicht allzu verwegen, anzunehmen,
daß es in Berlin mit seinen rund 4 Mio. Einwohner (=1/20 der
Bundesbevölkerung) maximal 5.000 Geldautomaten hat.
Macht also 6.667/5.000=1,33 Abhebungen je Minute, an allen
Geldautomaten Berlins, 30 Minuten lang. Wohlgemerkt: Um 0.00
Uhr dürften wohl die allermeisten Berliner andere Sachen im
Kopf gehabt haben, als sich an einen Geldautomaten zu stellen.

hallo exc,

du hast ja sorgen. seit wann glaubst du sat1 und den anderen kirchsendern? aber um deine rechnung zu entzaubern, ich denke nicht an eine gleiche allgemeine verteilung der geldautomaten. in landstrichen wie hier, wo es die SPK und eine RaiBa gibt und privatbanken nur in städten mit mehr als 20.000 EW, gibt es sicherlich keine gleiche anzahl automaten pro EW wie in berlin, wo alle privatbanken an jeder schicken strasse eine adresse haben, wo in jeder mall 10 stehen etc. ich denke in berlin stehen nicht 5.000 sondern viel mehr automaten…

achso, im übrigen öffneten in B keine banken m.E. ihre pforten um 0:00 uhr wie in FFM, da muss alles aus den automaten gekommen sein. des weiteren denke ich auch, das viele so handelten: mehrmals ran an den automaten, das man verschiedenes geld bekommt. einmal 30,- und einmal 50,- und einmal 100,- dann hat man potentiell den 10er, 20er, 50er und ggf. den 100er… das hiesse auch min. 1,1 abhebungen pro nase m.E. …

aber die berechnung ist müssig und mein milchmädchen ruft schon :wink:

gruss vom

showbee

Hallihallo,

hehe, Kirch glaube ich gar nix, aber Sat.1 recherchiert ja nicht selber, sondern kauft die Meldungen von dpa und Konsorten. Insofern wird man die „Information“ morgen in den allermeisten Zeitungen finden. Über die Anzahl der Automaten kann man natürlich trefflich spekulieren. Aber selbst wenn sie bei 10.000 liegen würde, kämen da schon anspruchsvolle um nicht zu sagen nahezu unmögliche Abhebegeschwindigkeiten heraus. Wie gesagt, bei der Berechnung kam ja heraus, daß alle Automaten über 30 Minuten (inkl. Mitternacht und der darauffolgenden Nachobenglotzerei) voll genutzt hätten werden müssen, also auch in den ausgestorbenen Geschäftsvierteln oder entlegensten Wohnviertel. Eine Annahme, die man wohl als definitiv falsch bezeichnen kann.

Die Theorie mit den mehrfachen Abhebungen der einzelnen Personen hatte ich auch kurz, aber letztlich wird davon die zweite Abhebung je Person auch nicht schneller, denn der Vorgang bleibt ja der gleiche. Nur die vielleicht 3 Sekunden, wo der nächste Kunde an den Automaten herantritt fallen dann weg.

Letztlich sei es jedem selbst überlassen, die Meldung zu glauben oder ihr gar irgendeinen Wert beizumessen. Erstaunlich bleibt der Kommentar der Mitarbeiterin, daß eine Meldung einer Agentur richtig sein müsse. Es kann eigentlich nicht sein, daß der Wahrheitsgehalt einer Meldung erst (wenn überhaupt) vom Endkonsumenten hinterfragt wird.

Gruß
Christian

Erstaunlich
bleibt der Kommentar der Mitarbeiterin, daß eine Meldung einer
Agentur richtig sein müsse. Es kann eigentlich nicht sein, daß
der Wahrheitsgehalt einer Meldung erst (wenn überhaupt) vom
Endkonsumenten hinterfragt wird.

[…]

rehi,

im endeffekt kauft die nachrichtensendung ja auch die recherche um eigene recherchearbeiten zu sparen. wenn man dann nachrecherchieren würde, wäre der spareffekt für die katz. sicher ist man immer den nachrichtenagenturen ausgeliefert. die eine baut mal mist, aber bei den WICHTIGEN nachrichten kommen meist auch gleichlautende meldung von den versch. agenturen, oder?

zumindest einigen sich die meldungen dann auf den kleinsten gemeinsamen vielfachen bzw. in der heute sendung sagt man "lt. dpa wurden in … ". da schiebt man die verantwortung für falschmeldung einfach ab.

so ist das eben. wer halt nachrichten bei SAT1 für lau (nur für werbeeinblendung) haben will, muss auch mit mankos leben. wer dagegen geld ins zeitungsabo investiert bekommt qualitativ sicherlich besser ausgereifte meldungen…

gruss vom

showbee

wer dagegen geld ins zeitungsabo investiert bekommt qualitativ
sicherlich besser ausgereifte meldungen…

Hähä,

dann lies mal meinen Nachrichtenwualitätsreport von letzter Woche weiter unten. Da ging es um eigene Meldungen der FAZ.

Von der Sorte könnte ich Dir jeden Tag 10 Stück liefern, und alle in seriösen Zeitungen, wie FAZ, Handelsblatt, SZ usw.

Nein, das Nachdenken ist in den Redaktionen aus der Mode gekommen.

Gruß
Christian

Nein, das Nachdenken ist in den Redaktionen aus der Mode
gekommen.

Ist sicher richtig (und liegt an der von Showbee beschriebenen Kosteneinsparung). Aber selbst wenn Deine obige Rechnung stimmt (was ich nicht beurteilen kann), entscheidend für diese Rechnung war doch, die Kenntnis über die Zahl der Bankautomaten in Deutschland.

Frag mal rum, wieviel Leute das wissen und was dann für horrende Schätzungen rauskommen. Da das niemand weiß, wird wohl noch nicht einmal jemand aufgefallen sein, dass die Zahl vielleicht falsch sein kann. Und das wäre ja der erste Grund für die Recherche.

Mir wäre der Fehler jedenfalls nicht aufgefallen.

Aber selbst wenn Deine obige Rechnung
stimmt (was ich nicht beurteilen kann), entscheidend für diese
Rechnung war doch, die Kenntnis über die Zahl der
Bankautomaten in Deutschland.

We proudly present: Den Link, der in diesem Forum von mir (außer google) am häufigsten gepostet wurde:
http://www.bdb.de/presse/index.asp?channel=141810&ar…

Im Endeffekt bin ich einfach dadurch drauf gekommen, daß ich die Anzahl der angeblichen Abbuchungen durch die Zahl der genannten Minuten geteilt habe. Der Rest war berufsbedingte Ahnung und grundsätzliche Kenntnis über das Verhalten von Menschen in der Silvesternacht. :wink:

Ich hoffe, daß sich niemand von den Meldungsentlarvungen belästigt fühlt. Der tiefere Sinn, der dahinter steckt ist, schnell erklärt: Sekundärberichterstattung in den Nachrichten allgemein wird kritiklos akzeptiert und (hoffentlich) zur eigenen Meinungsbildung verwendet. Ist jedoch die erworbene Datenbasis fehlerhaft, wirkt sich das auch auf die gebildete Meinung aus und damit auch auf die Sicht der Realität.

Kritischer Umgang mit den Medien ist gerade in den heutigen Zeiten notwendig, findet aber leider zu selten statt.

Noch ein Merksatz: Akzeptiere nicht, was jemand sagt, sondern frage, warum er dieses sagt. Achja: Das ist nicht speziell auf Dich bezogen. Da gibt es in diesem Forum andere.

Gruß
Christian

Hallo Christian,

diese Nachricht stiess mir ebenfalls auf, wenn auch in anderer Hinsicht: Ich hätte gerne als Vergleich erfahren, wie hoch die Abhebungen an sonstigen Jahreswechseln waren, denn allein die Nennung von 200.000 bleibt ohne Vergleichsmöglichkeit ohne echten Wert. (Abgesehen davon, woher hat dpa diese Information, und welchen Nachrichtengehalt besitzt eine solche Meldung?)
   Eine weitere Seltsamkeit war die ständige Berichterstattung über die angebliche Europhorie, und als Beleg zeigte man Schlangen vor Geldautomaten. Man konnte den Eindruck gewinnen, ganz Deutschland wollte möglichst schnell den Euro haben, nachdem man die letzte D-Mark an Weihnachten und Silvester ausgegeben hatte. Doch als ich am 1. Januar spätabends in einer Pizzeria war, beklagte sich der Besitzer, nun hätte er extra Euro als Wechselgeld, aber fast alle hätten in D-Mark bezahlt. Und in einer ZDF-Nachrichtensendung wurde (nachmittags) am 2. Januar berichtet, am Vormittag hätte die überwiegende Mehrheit der Deutschen noch mit D-Mark bezahlt. Anscheinend haben die Bürger in Schlangen das Euro-Geld am Automaten abgeholt, um es für die nächsten Wochen unters Kopfkissen zu legen…
   Der SAT.1-Videotext wusste am 2. Januar ausserdem zu berichten, dass mittlerweile eine Milliarde Euro von den Konten abgehoben wurden. Bei einer 80-Millionen-Bevölkerung macht das 12,5 Euro pro Nase, und da ja angeblich die Leute schon wenige Minuten nach Jahreswechsel die Automaten „stürmten“, ist diese Zahl nicht sonderlich hoch. Zudem wird sie ebenfalls ohne einen Vergleichswert genannt.

Alles in allem über die letzten Tage/Wochen/Monate/Jahre gesehen: Eine eher „hoheitliche“ Berichterstattung pro Euro. Kritische Meinungen - wie etwa die des Prof. Wilhelm Hankel - waren selten, und dass noch immer 50 Prozent gegen den Euro sind, wurde am 1. Januar nur kurz am Rande erwähnt. Schaute man jedoch Fernsehen, musste man den Eindruck gewinnen, es herrsche tatsächlich eine Europhobie, ähm, Europhorie.

Zu Deinem Betreff hier und weiter unten: Ich kann auch noch ein wenig Lektüre empfehlen, obwohl die Bücher heute schwer zu erhalten sein dürften, da sie bereits 30 bzw. 15 Jahre auf dem Buckel haben. Vor allem, was dort über die Monopolisierung des privatwirtschaftlichen Medienmarktes beschrieben wurde, hat sich in den letzten Jahren nur allzu bewahrheitet. Somit sind Deine Zeilen „Kurz die Argumente geliefert und schon kam die Antwort: ‚Das muß richtig sein, das ist eine Agentur-Meldung.‘ Na, wenn das so ist…“ wenig überraschend. Die beiden Bücher:

„Zensierter Alltag“
Ursula Gröttrup (Hg.)
Steidl-Verlag

„Die Tabus der bundesdeutschen Presse“
Eckart Spoo (Hg.)
Reihe Hanser

Hallo Marco,

inzwischen habe ich gehört, daß in dieser Zahl auch die Anzahl der Abhebungen bei den Berliner Banken enthalten sein sollen, von denen wohl doch ein paar nachts geöffnet hatten. Das macht es aber auch nicht unbedingt glaubwürdiger.

Du hast schon recht, das ist eine typische Nullinformation, wie es sie inzwischen so zahlreich gibt. Mit den Zahlen läßt sich so wundervoll spielen, daß sich letztlich wohl beweisen ließe, daß jeder Euro-Schein schon in den Händen mindestens einer kahlköpfigen 35jährigen mänllichen Frau mit braunen Haaren war.

Ich hab mir die Buchtitel mal notiert, vielleicht klappt das mit der Bestelluung ja genauso gut, wie mit dem von Dir empfohlenen Buch von Noam Chomsky. :wink:

Gruß
Christian

P.S.
Willkommen zuhause.

Hallo Christian!

das ist eine typische Nullinformation,
wie es sie inzwischen so zahlreich gibt.

Exakt das!

Ich hab mir die Buchtitel mal notiert, vielleicht klappt das
mit der Bestelluung ja genauso gut, wie mit dem von Dir
empfohlenen Buch von Noam Chomsky. :wink:

Die beiden Bücher tat ich bei www.justbooks.de und www.booklooker.de auf; „Die Tabus der bundesdeutschen Presse“ lässt sich zweimal vorfinden, aber „Zensierter Alltag“ leider überhaupt nicht.

Willkommen zuhause.

Das liegt nur daran, dass ein Schreibschutz auf der cookie.txt-Datei des Netscape liegt. Normalerweise dürfte ich hier gar nicht 'rein. ;o)

Hallo nochmal.

das ist eine typische Nullinformation,
wie es sie inzwischen so zahlreich gibt.

Exakt das!

btw: Newsticker von http://www.rheinzeitung.de (letztlich auch wieder dpa) von 14.52 Uhr: Der Hund von Bill Clinton („Buddy“) wurde überfahren.
Mein Tip: Dritte Meldung heute abend bei RTL Aktuell.

Das liegt nur daran, dass ein Schreibschutz auf der
cookie.txt-Datei des Netscape liegt. Normalerweise dürfte ich
hier gar nicht 'rein. ;o)

Wir lassen auch langmonatige Abstinenzler wieder in dieses Brett, da haben masc und ich uns drauf geeinigt. :wink:

Gruß
Christian

Der Hund von Bill Clinton („Buddy“)
wurde überfahren.

Bin Laden?

btw: Newsticker von http://www.rheinzeitung.de (letztlich auch
wieder dpa) von 14.52 Uhr: Der Hund von Bill Clinton („Buddy“)
wurde überfahren.
Mein Tip: Dritte Meldung heute abend bei RTL Aktuell.

Grmpff, Du wirst wahrscheinlich (will sagen: um Himmels willen) Recht haben. Und in Bild werden morgen „Der Hund von“ und „wurde“ klein geschrieben und der Rest gross betitelt. ;o)
   Ich wüsste gerne einmal, ob es eine Erhebung darüber gibt, inwieweit das oft so genannte „Infotainment“ Einzug in vermeintlich seriöse Nachrichten gehalten hat. Ich frage deshalb, weil ich den Eindruck habe, Sport und Prominenz werden auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern immer häufiger in die Nachrichten eingeflochten. Die Zeit für echte Infos und Hintergründe fehlt dann natürlich.

Wir lassen auch langmonatige Abstinenzler wieder in dieses
Brett, da haben masc und ich uns drauf geeinigt. :wink:

Danke, aber es war eigentlich gar nicht gewollt. Ich stellte die Sache mit dem w-w-w-Cookie bloss einmal zufällig fest, als ich zu einem bestimmten Themen die Ansichten des „gemeinen Volkes“ im Innenpolitik-Brett einsehen wollte. ;o) (Denn ansonsten kommen mir keine Kekse 'rein.)