ein wenig offtopic
Hallo Tychi,
ich denke, dass eine Voraussetzung, die du stillschweigend mitführst, noch nicht zur Sprache gekommen ist, nämlich der Punkt, warum du überhaupt auf so eine Frage kommst. Mir scheint eine wesentliche Voraussetzung für die Frage zu sein, dass du annimmst, es gäbe so etwas wie Normalität, womit gleichzeitig gesagt wäre, dass Abweichungen von dieser Normalität als therapiewürdig einzustufen wären.
Hier muss man nun zwei Aufgaben von Therapien unterscheiden. Einmal hat Therapie die Aufgabe, den zu therapierenden Menschen das Leben zu erleichtern (das ist nicht ganz korrekt ausgedrückt, aber du weißt sicher, was ich meine). Daneben hat kann Therapie aber auch eine soziale Funktion haben. In solchen Fällen haben Therapien unter Umständen auch die Aufgabe, die Patienten sozialverträglich zu machen. Diese Patienten wären dann zu „normalisieren“. Ganz einleuchtend ist das beispielsweise bei bestimmten Triebtätern.
Dass diese Normalisierung nun auch auf die weniger krassen Fälle angewendet würden, scheint mir eine deiner Frage zugrundegelegte These darzustellen. Die meisten Therapeuten weisen diese Behandlung weit von sich, aber ich kenne einige Fälle (keine aktuellen, aber solche, die einige Jahre zurückliegen), wo ich eine solche Normalisierung zwar nach Angaben der Therapeuten nicht beabsichtigt war, aus der Sicht von Beobachtern aber als zwar unbeabsichtigte, aber dennoch stattgefundene Begleiterscheinung angesprochen wurde. (Du merkst, ich drücke mich hier mit Absicht sehr vorsichtig aus.)
Der Verdacht nun, dass alle Psychologie (im weiten Sinne) von einer normierten Persönlichkeit bzw. einem normierten Verhalten als anstrebenswert ausgeht, liegt da vielleicht nahe, insbesondere wenn Krankheitskataloge so gelesen werden, als wären sie Multiple-Choice-Tests oder wenn Therapien laienhaft so verstanden werden, als werde in jedem Fall den Patienten eine bestimmte Krankheit auf Verdacht aufgepfropft.
Glücklicherweise ist das nicht so, zumindest wohl nicht in der Mehrzahl der Therapien, wobei ich das „wohl“ im ersten Satzteil unterstrichen wissen möchte. Wenn ein Therapeut seine Sache richtig macht, dann sieht er nicht zuerst auf seine Methode, sondern auf den Menschen, den er vor sich hat. Und dieser Mensch ist eben kein Normmensch und muss auch nicht in jedem Fall zu einem gemacht werden. Ein Therapeut, der seine Sache richtig macht, versucht also zunächst herauszufinden, welche Methode auf die Symptome des Patienten am besten passt. Dazu muss er natürlich zunächst den Patienten so nehmen, wie er ich, und ihn nicht im Sinne seiner Vorstellungen verbiegen. Wenn er dann feststellt, dass seine Methode nicht passt, ist es eigentlich seine Pflicht, den Patienten weiterzugeben an einen anderen Therapeuten, der eine möglicherweise für diesen „Fall“ (eigentlich: für diesen Menschen!) besser passende Methode benutzt.
Und hier scheint es in der Tat in dem einen oder anderen Fall (ich drücke mich wieder vorsichtig aus) so zu sein, dass der eine oder andere Therapeut seine Methode über den Patienten mit seinen Eigenarten stellt. Und genau das führt dann zu deiner Frage danach, ob jeder notwendig an irgendwelchen Stellen als krank oder irgendwie unpassend diagnostiziert werden muss und in der Folge dann als behandlungswürdig gilt.
Sollte ich mit meiner Beschreibung daneben liegen, was deine Fragestellung angeht, dann entschuldige dies bitte. Ich vermute jedenfalls, dass solche Gedanken hinter deiner Frage stehen.
Herzliche Grüße
Thomas Miller