Unpünktlichkeit

Hallo,
was kann permanente Unpünktlichkeit für einen psychologischen Hintergrund haben?
Ein Mensch, der von sich sagt: „ich komme nie pünktlich, auch wenn mich etwas ganz Tolles erwartet, kann ich mir die Zeit nicht einteilen und komme zu spät. Das sorgt dann immer für Ärger. Ich leide selbst darunter“.
Damit lebe er nicht gut, könne es aber nicht ändern…sagt er.
Er war in Therapie, Inhalte kenne ich aber (noch) nicht .

Gruß
Kosmokatze

Hallo,
was kann permanente Unpünktlichkeit für einen psychologischen
Hintergrund haben?

so kompliziert würde ich es gar nicht machen (aber ja, hat es): wer immer und überall zu spät kommt, der hat (für ihn) wichtigeres im sinn.

dass er selbst darunter leidet, kann durchaus sein. aber eben noch nicht genug, sonst würde er es abstellen.

Damit lebe er nicht gut, könne es aber nicht ändern…

doch, er kann es ändern.
helft ihm doch dabei und duldet das verhalten nicht länger. d.h. wartet NICHT auf ihn mit dem essen, mit dem wegfahren oder was sonst ihr zusammen erledigen wollt.

herzliche grüße
ann

Hallo,

ich würde das im Gegensatz zu AnnJabusch nicht einfach so auf einen Punkt beschränken.

Es könnte auch sein, dass er eine soziale Störung hat (Asperger Syndroum) oder dass er Probleme mit seiner Persönlichkeit (Minderwertigkeitsgefühl) hat. Ich versuche das mal an einem Beispiel aus meiner Jugend fest zu machen. Damals hatte ich einen Freund, der mich schon bei unseren ersten Verabredung sage und schreibe 2 Stunden hat warten lassen (ja damals habe ich auf ihn gewartet). Sein Bruder hat mir hinterher erzählt, dass er solange gebraucht hat um sich für unsere Verabredung fertig zu machen. Später als ich dann mit ihm zusammen war habe ich das näher mitbekommen. Jedesmal wenn wir eine Verabredung hatten, hatte er arge Schwierigkeiten von zu hause wegzukommen. Er brauchte immer Ewigkeiten um sich fertigzumachen (obwohl er nicht der super gestylte Typ war). Dazu kam, dass er immer total hibbelig wurde, fahrig und unkonzentriert. Das war jedesmal richtig schlimm, so dass ich oft ziemlich genervt war.

Später stellte sich dann heraus, dass er am Asperger Syndrom leidet.

Ich will damit nicht sagen, dass das in diesem Fall jetzt zutrifft. Aber es wäre unter anderem eine Möglichkeit. Genauso wie es möglich ist, dass er aufgrund eines verminderten Selbstbewusstseins versucht das Treffen hinauszuzögern. Für den gesunden Menschenverstand unsinnig, aber solche Gedankengänge gibt es.

Gruß

Samira

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das hier habe ich gerade gefunden und finde es hochinteressant. Hat zwar mit dem Einzelproblem nichts zu tun, aber vielleicht gibt es, wie es durch kulturelle Prägung die zwei verschiedenen Zeittypen gibt, ja auch eine angeborenen mono/polychronen Umgang mit der Zeit:

http://de.wikipedia.org/wiki/Pünktlichkeit#P.C3.BCnk…

bzw. hier, ca. nach dem ersten Drittel, der Absatz direkt über der Brasilien-Ausschnitt-Karte:

http://www.payer.de/kommkulturen/kultur12.htm

Gruß

Hallo,

es gab mal eine längere Auseinandersetzung in einer Zeitung zwischen Archbishop Desmond Tutu (der mit dem Nobelpreis, aus Südafrika) und Kritikern, weil er das „African time syndrome“ anprangerte, mit dem soviel Zeit vergeudet würde.

Und nachdem wir von Afrika nach Arabien gezogen sind, hat mein Mann es vielen Westlern vorausgehabt, dass er bereits an dieses andere Zeitgefühl von Afrika gewohnt war. Die „typisch Deutschen“ sind daran verzweifelt.

Gruß
Elke

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Hi Elke,

…mit dem soviel Zeit vergeudet würde.

Es ist ja immer lustig, zu sehen, wie quasi die verschiedenen - ich nenn sie mal „Zeitkulturen“ ihre eigene Art für „besser“ halten oder auch gerade nicht. Zumeist regt man sich als Deutscher ja über die notorische Unpünktlichkeit der Südländer auf, weil sie als unhöflich eingeschätzt wird, was ja auch völlig klar ist. Man meint dann leicht (sagt ja auch Ann), dem anderen seien dann eben andere Dinge wichtiger, womit ich mir selbst ja ins eigene Fleisch schneide, denn dann denk ich ja, ich sei dem anderen nicht wichtig.

Während ich als chronisch Pünktliche, die immer auf andere warten muss, ständig mit ebendiesen Gedankengängen zu kämpfen habe, und mir auch nicht vorstellen kann, wie jeder Job, jeder Termin (v.a. ich hab ständig Interviewtermine) überhaupt zustandekommen kann, wenn alle zu unterschiedlichen Zeiten antanzen, und eigentlich zwangsläufig jemand ewig auf den anderen warten muss, was wir ja als unschön empfinden. Dem entgegengesetzt fand ich v.a. die Aussage im von mir angegebenen Text schön, dass die Studenten den Raum aber auch erst dann verließen, wenn die Vorlesung auch wirklich vorbei war, sprich auch der Dozent ging. Für die ist es wohl eher die unfeine Art, wenn jemand sich von einem Treffen entfernt, weil er einen anderen Termin hat, was bei uns hingegen an der Tagesordnung ist und gar nicht als unhöflich gilt.
Eigentlich könnte man aus diesen anderen Zeitauffassungen auch ableiten, dass bei den Südländern das eigene Bedürfnis über gesellschaftliche Verpflichtungen gestellt wird (z.b. in dem brasilianischen Fall, dass „eben was dazwischengekommen“ sei, wenn man einfach verpennt hat), was in meinen Augen zu mehr Selbstbewusstsein des einzelnen führt, während man in unserer Kultur sich den Strukturen mehr unterordnet. Reine Spekulation meinerseits im Moment, aber ich habe halt immer das Gefühl, die Südländer haben einfach ein selbstverständlicheres Selbstvertrauen, sozusagen „je nördlicher, desto verklemmter“. Das versuche ich immer, irgendwomit zu erklären, und die Zeitgeschichte wäre schonmal eins. (Rollengeschichte zwischen Mann und Frau wäre ein anderes, aber das sprengt den Rahmen).
Außerdem ist es wichtig, zu erkennen, dass keins dieser Zeitmodelle besser ist, sondern beide ihre Vor- und Nachteile haben. Ebenso kann man von chronisch Unpünktlichen eine Menge lernen, was ich mit meinen stets unpünktlichen Freunden (darunter eine Menge Südamerikaner) auch getan habe.

Und nachdem wir von Afrika nach Arabien gezogen sind, hat mein
Mann es vielen Westlern vorausgehabt, dass er bereits an
dieses andere Zeitgefühl von Afrika gewohnt war. Die „typisch
Deutschen“ sind daran verzweifelt.

wie lange dauert es denn, sich an so etwas zu gewöhnen? Ich würde auch verzweifeln, aber gern mal diese Gelassenheit lernen. Geht wohl aber nur direkt in einem Land mit anderem Zeitmanagement.

Grüße
Judith

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Moin Judith,

ich halte noch einen anderen Aspekt im Unterschied beider Kulturen für wichtig:
Die chronisch pünktlichen haben exakt zu der ausgemachten Zeit keine Beschäftigung mehr, da sie sich den vereinbarten Zeitraum freigehalten haben. Umso genervter sind sie bzgl. Verspätungen, da sie dann nutzlos warten.

Die chronisch unpünktlichen haben immer etwas zu tun, denn sie beginnen einfach den nächsten möglichen Schritt, sobald der vorherige abgeschlossen ist. Deswegen ist ihnen das „Problem“ der Pünktlichen nicht verständlich.

Was habe ich daraus gelernt: Ich bin immer pünktlich, versuche aber im Zusammenhang mit unpünktlichen immer ein backup dabei zu haben. Dann ist es mir egal, wann es wirklich losgeht. Ist aber leider nicht immer möglich und dann ticke ich auch wieder aus vor Verzweiflung:wink:

Grüße
Jürgen

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Hi Jürgen,

ich glaube, das ist gar nicht mal ein anderer Aspekt, sondern eine ziemlich knappe und treffende Zusammenfassung dessen, was ich da von mir losgelabert habe :smile:

Was habe ich daraus gelernt: Ich bin immer pünktlich, versuche
aber im Zusammenhang mit unpünktlichen immer ein backup dabei
zu haben. Dann ist es mir egal, wann es wirklich losgeht. Ist
aber leider nicht immer möglich und dann ticke ich auch wieder
aus vor Verzweiflung:wink:

Und genauso mach ich es und geht es mir auch!

N’abend,

Judith