Kirche in Wissembourg - Frage zu ungewöhnlichen Fenstern

Hallo Wissende,
da ein kein Brett Architektur gibt, versuche ich es mal hier.

Es geht um die Kirche Peter und Paul in Wissembourg, Elsass. Mir kommen die großen gotischen Fenster seitlich am Hauptschiff ungewöhnlich vor, sie sehen wie abgeschnitten aus. Auf mich wirkt es so, als seinen die Seitenschiffe erst nachträglich hinzugefügt worden und daher habe man gewissermaßen den unteren Teil der Hauptschiff-Fenster „abgeschnitten“.

Ich habe bisher nirgend wo etwas darüber gefunden. Kennt jemand die Kirche, sieht das ähnlich oder anders als ich und kann mir weiterhelfen?

Gruß!
Kyrl

Guten Abend Karl,

ich kenne diese Kirche in Wissembourg /Weissenburg, wir waren mehrfach dort.

Es soll ja die größte Kirche nach dem Strasbourger Münster sein.

Alelrdings muss ich gestehen, dass ich nicht besonders auf die Fenster geachtet habe, d. h. mir ist da nichts Besonderes aufgefallen.

Aber: Man lernt ja nie aus.
Beim nächsten Besuch dort werde ich darauf achten - mehr kann ich leider im Augenblick nicht dazu sagen.

Gruß Waler VB

Hallo Karl,

dass die Fenster des Hauptschiffs „verkürzt“ sind und unporportioniert wirken, hängt bei St. Peter und Paul in Weißenburg damit zusammen, dass die Seitenschiffe im Vergleich zum Hauptschiff relativ hoch sind. An Bauten, bei denen das Hauptschiff die Seitenschiffe mehr überragt, ist Platz für schmalere, „gotischere“ Fensteröffnungen. Statisch hatte man so hohe Hauptschiffe auch erst ein wenig später mit seitlichen Strebebögen im Griff.

Dass das Hauptschiff nicht zunächst frei stand und später mit den Seitenschiffen ergänzt wurde, ist an den Wänden zwischen Hauptschiff und Seitenschiffen zu erkennen, die so schmal auch nicht als provisorische Außenwände errichtet worden wären, weil sie den spreizenden Kräften auch eines hölzernen Dachstuhls nicht gewachsen gewesen wären, vor allem aber (vom Innenraum aus gesehen) an der Fortsetzung der Seitenfenster des Hauptschiffs nach unten, die dort illusionistisch als „regulär proportionierte“ gotische Fenster gestaltet sind, aber nicht nachträglich zugemauert wurden - das lässt sich an den einzelnen Steinen erkennen, die die im Halbrelief ausgeführten „Leibungen“ der dekorativ nach unten fortgesetzten Fenster in ganz regulärem Mauerwerk überschreiten, sie sind in gleicher Weise über die Fugen gesetzt wie in der übrigen Wand, ohne dass eine unterschiedliche Struktur der Wand innerhalb und außerhalb der „Scheinfenster“ erkennbar wäre.

Die „abgehackten“ Fenster sind also offenbar eine Notlösung, um trotz des die Seitenschiffe nur wenig überragenden Hauptschiffes relativ große (da breite) Fensterflächen zu erreichen, und auf der „Schauseite“ im Innenraum dekorativ zu regelmäßigen Proportionen ergänzt, ohne dass dieser illusionistische untere Teil einmal offen gewesen wäre.

Beispiele für ähnliche Lösungen fallen mir auf Anhieb nicht ein, aber es gibt sie sicherlich. In etwas früheren, noch stärker von der Romanik geprägten Bauwerken sind die Seitenwände des Hauptschiffs entweder fensterlos oder mit Ochsenaugen (früher) oder (später) mit ausgewogener wirkenden, aber weniger Licht einlassenden Drillingsfenstern versehen. In Hoch- und Spätgotik bieten die Hauptschiffe mit übersteigerter Höhe genügend Platz für im Vergleich zur Höhe schmalere Fenster.

Schöne Grüße

MM

Hallo Aprilfisch,
ich hatte gar nicht gesehen, dass auf meine Detailfrage geantwortet wurde! Danke für die ausführliche Antwort und die bautechnischen Erläuterungen!

Dir fällt auf Anhieb keine vergleichbare Kirche ein und mir auch nicht, und ich habe schon sehr viele gotische Kirchen gesehen. Sonst ist, wie du sagst das Mittelschiff deutlich höher, oder auch etwa gleich hoch wie die Seitenschiffe (Hallenkirche), oder man hat wie in vielen romanischen Kirchen niedrigere und schmalere Fenster.

Gruß!
Karl

Gotische Fenster in die Breite geflossen
Hallo Karl,

wenn man bloß eine Weile hinsitzt und an garnichts denkt - jetzt ists mir wieder eingefallen, wo ich so eine Konstruktion vorher schon gesehen hatte: St. Nikolaus in Scheer bei Sigmaringen; dort allerdings nur noch zu ahnen, weil die Kirche im Rokoko neu dekoriert wurde (dort interessant, weil baulich anders als bei anderen Barockisierungen fast nichts geändert wurde, man beschränkte sich auf Stuck und Malerei) und bei dieser Gelegenheit auch einen vollständigen Außenputz erhielt, so dass man bloß noch die Umrisse der „stumpigen“, ungotisch breiten Fenster mit Spitzbögen über den Dächern der Seitenschiffe sieht.

Das Langhaus der Katharinenkirche in Oppenheim hat übrigens ähnlich in die Breite „verzerrte“ Fenster, dort allerdings auch unten in den Seitenschiffen - sichtlich mit dem Ziel, insgesamt so viel Fensterfläche wie möglich zu schaffen (man war zu Zeiten des Oppenheimer Rheinhafens reich und zeigte wohl ganz gerne, dass man sich solche Glasflächen leisten konnte); sie fallen nicht so unproportioniert auf, weil sich ihre Proportionen über die ganze Seite des Langschiffs in zwei Reihen immer gleich wiederholen, so dass sich eine Art Rhythmus bildet.

Schöne Grüße

MM

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