Hallo Robert,
die Darstellung der Unterschiede fällt natürlich perspektivisch aus. Meine Perspektive ist die eines Theologen, der vor 13 Jahren von der ev. zur kath. Kirche konvertierte.
Das eigentlich Wichtige im Christentum sind nicht die Unterschiede. Es gibt eine „Rangliste der Wahrheiten“, und auf der rangieren die konfessionellen Differenzen ziemlich weit unten. Ganz oben steht der gemeinsame Glaube an den einen Gott, der sich in Jesus von Nazareth zeigt und als heiliger Geist Glauben, Hoffnung und Liebe in den Menschen bewirkt - so wie es in den biblischen Büchern erzählt wird und in den ersten Jahrhunderten der Kirche in Glaubensformeln zusammengefasst wurde. Und ganz oben steht der schwierige Versuch, diesem Glauben entsprechend zu leben.
Schon in dieser gemeinsamen Basis kann man unterschiedliche Akzente entdecken. Es gibt schon im Neuen Testament „objektivistische“ und „spiritualistische“ Strömungen. Für die ersteren ist wichtig: Leib - Wunder - Sakramente - Kirche - Glaube-als-Bejahen-der-Lehre - Kontinuität. Für die zweiten: Geist - Innerlichkeit - Personalität - Glaube-als-Vertrauen - Spontanität. Das Miteinander und Gegeneinander dieser Strömungen durchzieht die Kirchengeschichte. Die extremen Spiritualisten wurden meistens als Ketzer eingestuft, ausgeschlossen und ggfs. hingerichtet (wobei staatliche und kirchenleitende Interessen zusammentrafen).
Die spätmittelalterliche Kirche vor der Reformation war in vieler Hinsicht ein objektivistisches System, das auf fast magisch verstandenen Sakramenten, einem unbeweglichen Lehrgebäude und einem intensiven Reliquienkult beruhte - objektivistisch bis dahin, dass das Allerpersönlichste, nämlich die Sünden des einzelnen - in Katalogen eingestuft und in Fegefeuerjahren und Geldwerten quantifizierbar gemacht worden war. Es gab allerdings auch eine Gegenströmung (Mystiker, Devotio moderna).
Martin Luther brachte gegen diese Objektivierung, die beim real existierenden Menschen Verängstigung bewirken musste, die andere Linie zur Geltung (mit Berufung auf Paulus, Johannes, Augustinus, Meister Eckhard u.a.). Sein (paulinisches) Schlüsselwort heißt dabei: Glaube , und zwar als persönliche Christusbeziehung verstanden. Nur diese Glaubenshinwendung bringt dem Menschen Rettung, Vergebung, Seligkeit („Rechtfertigung allein durch den Glauben“). Von dieser Basis aus durchforstete Luther das Kirchenwesen, was zu einer starken Konzentration und (langfristig) zum Verschwinden fast der ganzen katholischen Sakramenten- und Symbolwelt führte. Das Papsttum lehnte Luther ab, weil es seinen Zentralsatz nicht akzeptierte. Das Mönchtum, weil es (nach seiner Einschätzung) der quantifizierenden Leistungsfrömmigkeit verfallen war.
Luther selbst wollte allerdings kein einseitiger Spiritualist sein. Er hielt an den Grundsakramenten Taufe und Abendmahl eisern fest, ebenso am unveränderlichen Bibelwort und am daraus abgeleiteten kirchlichen Credo. Er war überzeugt, dass die Kirche Christi ein „ordentliches Lehramt“ brauche. Seine leidenschaftlichsten Kämpfe hatte er seit 1525 nicht mehr mit „Papisten“, sondern mit „Schwärmern“, die mit Kirche als einer vorgegebenen Größe gar nichts mehr anfangen konnten und sich direkt auf den Geist beriefen.
Die katholische Theologie hat nach der Reformation einige Kurskorrekturen vorgenommen, teils durch das Konzil von Trient, mehr noch durch große mystisch begabte Heilige, schließlich durch das 2. Vatikanische Konzil. Die Kirchen der Reformation haben nach dem Kahlschlag der Aufklärungszeit viele der traditionellen Zeichen und Riten wiederbelebt. Insgesamt aber war das konfessionelle Zeitalter (von - sagen wir - 1530 bis 1950) eine Zeit der bequem aufgeteilten Gegensätze. Dabei hatte der Katholizismus den objektivistischen Part, der Protestantismus den spiritualistischen.
Aus dieser Darstellung kannst du leicht meine eigene Position erkennen, nämlich dass Christsein ein Leben mit beiden Polen (auch in ihrer Spannung) bedeutet.
Vorösterliche Grüße,
Peter