Sarazin: Warum wird er nicht widerlegt?

Hallo,

ZITAT:
»Das Muster des generativen Verhaltens in Deutschland seit
Mitte der sechziger Jahre ist nicht nur keine Darwinsche
natürliche Zuchtwahl im Sinne von ›survival of the fittest‹,
sondern eine kulturell bedingte, vom Menschen selbst
gesteuerte negative Selektion, die den einzigen nachwachsenden
Rohstoff, den Deutschland hat, nämlich Intelligenz, relativ
und absolut in hohem Tempo vermindert.« (S. 353)).

Genau das ist wissenschaftlich nicht haltbar. Hier stellt sich der Autor über die Natur und glaubt, selbst definieren zu können, was „fittness“ bedeutet und welchen evolutiven Rahmen die Natur setzt.

Es mag der Wunsch des Autors sein, dass die Intelligenten die „fitteren“ sein sollten. Der Natur ist das aber egal. Wer langfristig (und das geht weit über ein „Tausendjähriges Reich“ u.ä. hinaus!) den größeren Fortpflanzungserfolg hat, ist eben der „fittere“ gewesen. Es liegt in der Natur der Evolution, dass es immer nur möglich ist, „Fittness“ retrospektiv zu beurteilen.

Weiterhin sinde die Deutschen keine Population und Deutschland ist keine ökologische Nische. Als Gegenbeispiel könnte man anführen, dass gerade die Intellektuellen mehr Geld haben und „genetische Verbindungen“ über die Landesgrenzen hinweg pflegen (also Kinder mit Intellektuellen andere Länder/Nationalitäten haben). Das brauchen nicht viele zu sein, aber wegen der guten, globalen wirtschaftlichen Absicherung ist diese „Zuchtlinie“ sehr stabil und wenig betroffen von Krisen und Kriegen. Kriege um Öl und Trinkwasser, Seuchen und Krankheiten können sehr schnell 99% der „normalen Bevölkerung“ dahinraffen, während die wenigen Kinder der Oberschicht fast alle überleben.

ZITAT:
»Intelligenz ist aber zu 50 bis 80 Prozent erblich.

Kennt jemand die Quelle, auf die er sich hier bezieht? Der Anteil der Vererbung an der Intelligenz wird in der Fachliteratur, die ich kenne, sehr kontrovers diskutiert. Sich da EINE Studie rauszusuchen, ist NICHT wissenschaftlich, sondern populistisch. Das auch noch als eine feststehende Aussage zu formulieren, ist es erst recht. Was völlig unterschlagen wird, ist die Unklarheit darüber, was Intelligenz eigentlich ist. Fachleute sprechen auch nicht von „der Intelligenz“, sondern von bestimmten kognitiven Fähigkeiten. Sogar „problemlösendes Denken“ wird differenziert in die Art von Problemen, die gelöst werden. Und wenn überhaupt von „Intelligenz“ gesprochen wird, so versucht man doch, etwas zu spezifizieren (soziale/emotionale/sprachliche/mathematische/… Intelligenz).

Deshalb
bedeutet ein schichtabhängig unterschiedliches generatives
Verhalten leider auch, dass sich das vererbte intellektuelle
Potenzial der Bevölkerung kontinuierlich verdünnt.«

Hier werden also zwei vage Aussagen verknüpft, was das Ergebnis umso fragwürdiger macht.

my 2 cents

VG
Jochen

Hallo,

sämtlichen Zuspruchs seitens der NPD hat sich Sarrazin aber
deutlich erwehrt.

natürlich hat er sich erwehrt. das macht jeder in der anklagebank.

Rundumschlag
Hallo an alle im Sub-Thread beteiligten …

Es ging um meine Variante des auf-den-Punkt-bringens
durch geeignete Übertreibung durch eine vermeintlich
sachliche und vorgeblich nachprüfbare Aussage aus dem
vorigen Jahrhundert:

Der Jude kontrolliert beträchtliche Teile der deutschen
Wirtschaft, des Handels, des Rechtswesens und der
Medien in Deutschland.

Hier geht es natürlich nicht um „Juden“ und nicht
um „Antisemitismus“. Die doppelte Indirektion,
um von dieser Aussage auf die darunterliegende
Problemstellung „Deklaration einer Out-group durch
unterschwellige Betonung von deren Schädlichkeit“
und „Ansprechen weithin vorhandener Ressentiments“
sollte meiner Meinung nach hier im Forum von den
langjährigen Schreibern geleistet werden können.

Hmmm. Ich wollte eben gerade *kein* analoges
Beispiel, bei denen „der Jude“ als „parasitärer,
niederwertiger und volksfremder Parasit“ antizipiert
wird verwenden. Obwohl letzteres vom Deutschen Volk
seinerzeit mit größerer Leichtigkeit aufgenommen wurde
als mein gegebenes Beispiel.

Wie gesagt. Ich sehe Parallelen - und der
einfältige Sarrazin ist (vielleicht sogar
unbeabsichtigt) eine Art „moderner Prophet“.

Grüße

CMБ

was hat da noch gefehlt, damit es vergleichbar wäre?

Einfach ein Realitätscheck.

Das Angebot der NPD demjenigen vorzuwerfen, der es ungefragt
bekommen hat, ist schon ziemlich schräg.

der vorwurf richtet sich nicht gegen irgendein angebot, sondern gegen den fakt, dass herr sarrazin statistiken emotionalisiert und sich als richter aufgeführt hat, indem er eine wortwahl getroffen hat, die seines amtes unwürdig ist.
damit hat er bewusst und mit voller absicht in ein wespennest gestoßen und muss nun die konsequenzen ziehen.

dass der deutsche stinkt, wenn er aufm klo sitzt, entspricht auf der realität, trotzdem schreibt in frankreich keiner ein buch darüber, wenn er sein amt behalten will.

Ich teile auch einige meinungen von sarrazin, aber wer sowas vor der kamera sagt oder gar aufschreibt und veröffentlicht, braucht sich über kritik nicht wundern.
wenn er nicht so viele deutsche gegner hätte, wäre er vielleicht schon tot…erschossen von einem kopftuchmädchenproduzierer.

Weil es nicht geht. Abgesehen von seinen genetischen
Verirrungen, die man ihm verzeihen kann, hat er nun einmal
recht.

Du meinst, Deutschland wird tatsächlich immer dümmer und in den 60ern waren alle hochintelligent?
Vielleicht sollte man die Blöd-Zeitung verbieten.

Gruß
T.

Hallo,

Ansonsten habe ich seine Zahlen nicht überprüft und kann ihm
glauben oder nicht glauben. Da ich aber keinen Anlass habe, an
seinen Quellen zu zweifeln, halte ich seine Gedanken und die
Argumentation für einen sinnvollen Diskussionsansatz.

danke für Deine Antwort. Ich wollte es wissen, weil ich u.a. genau die erwähnten Punkte seit bald zehn Jahren immer und immer wieder hier anbringe und dafür von den meisten (und auch von Dir) Kloppe kassiert habe. Wenn wir uns nun über die Tatsachen weitgehend einig sind, können wir uns ja zukünftig über Ursachen und Lösungsansätze unterhalten.

Das wäre auf jeden Fall ein Fortschritt - zumindest aus meiner Sicht.

In der Vergangenheit wurde nämlich vielfach so (gegen mich) argumentiert, daß alle nur nicht die Betroffenen selbst an eigentlich fast gar nicht existierenden Problemen schuld sind. Daraus wurde dann geschlossen, daß es gar kein Problem gibt.

So funktionieren aber weder Realität noch Analyse. Die Realität ist eh da und eine Analyse funktioniert nach dem Prinzip des Beschreibens der Realität. Dies ist in der Regel ein wertfreier Vorgang, so daß es darüber eigentlich gar keine Grundsatzdiskussionen geben müßte.

Hat man die Realität beschrieben, kann man sich über die Ursachen Gedanken machen und dann auf der Basis Lösungsansätze zu finden versuchen.

Das Verfahren, erst über die Ursachen zu spekulieren oder - noch besser - erst den Sollzustand zu postulieren und auf der Basis Lösungsvorschläge zu formulieren, die dann leider an der doch unerwarteterweise vorhandenen Realität scheitern, ist hier allzu häufig anzutreffen, mir aber auch von der Arbeit wohlbekannt. Das Ergebnis ist in beiden Fällen unbrauchbar.

Ich hoffe nun auf Besserung - zumindest hier. Bei der Arbeit mache ich mir da keine Illusionen mehr :wink:

Gruß
Christian

Moin,

So funktionieren aber weder Realität noch Analyse. Die
Realität ist eh da und eine Analyse funktioniert nach dem
Prinzip des Beschreibens der Realität. Dies ist in der Regel
ein wertfreier Vorgang, so daß es darüber eigentlich gar keine
Grundsatzdiskussionen geben müßte.

Ohne jetzt allzu sehr ins Philosophische abdriften zu wollen, aber was ist „Realität“? Schon Birne Kohl wusste nämlich: „Die Wirklichkeit ist leider anders als die Realität.“ :smile: und im Film „Matrix“ gibt es ein schönes Zitat „Was ist Wirklichkeit? Elektrische Signale, interpretiert von Deinem Verstand…“
Damit kommt der Deutung dessen, was gemessen wurde, eine deutlich höhere Bedeutung zu - denn da entscheidet sich, wie gut die Fragestellung und die Messwerte zur erlebten „Realität“ passen…

An der Stelle ist es z. B. für mich ein Unterschied ob ein Student von 500 EUR im Monat lebt oder ob es ein älterer Mensch. Objektiv haben sie dieselbe Summe zur Verfügung, aber die verschiedenen Lebenssituationen bedingen, dass es nicht gleich wahrgenommen wird.

Hat man die Realität beschrieben, kann man sich über die
Ursachen Gedanken machen und dann auf der Basis Lösungsansätze
zu finden versuchen.

Das Verfahren, erst über die Ursachen zu spekulieren oder -
noch besser - erst den Sollzustand zu postulieren und auf der
Basis Lösungsvorschläge zu formulieren, die dann leider an der
doch unerwarteterweise vorhandenen Realität scheitern, ist
hier allzu häufig anzutreffen, mir aber auch von der Arbeit
wohlbekannt. Das Ergebnis ist in beiden Fällen unbrauchbar.

Nun, wenn wir hier diskutiert haben ging es ja meist um Themen, bei denen es nicht nur die zweidimensionale Auswahl „geht oder geht nicht“ gibt, sondern es sind komplexe Zusammenhänge mit verschiedenen Stellschrauben.

Nehmen wir mal das Thema Mindestlohn: da kann man natürlich vorrechnen, dass er an manchen Stellen nicht gezahlt werden kann weil das vorhandene Budget nur einen niedrigeren Lohn zulässt. Nach deiner Theorie müsste man das so hinnehmen weil wenn nicht mehr Geld zur Verfügung steht kann nicht mehr verteilt werden.

Man kann allerdings auch in Frage stellen, ob tatsächlich absolut nicht genug da ist, oder ob es ein eher relativer Mangel ist, weil bei etwas anderer Verteilung wäre durchaus genügend da um auch einen Mindestlohn bezahlen zu können - und es scheitert dann eher am Unwillen, es möglich zu machen.

Ich hoffe nun auf Besserung - zumindest hier. Bei der Arbeit
mache ich mir da keine Illusionen mehr :wink:

Na dann wünsche ich dir, dass der Weg zur Rente nicht mehr allzu lang ist… :smile:

Einen angenehmen Tag,

MecFleih

Hallo,

Ohne jetzt allzu sehr ins Philosophische abdriften zu wollen,
aber was ist „Realität“? Schon Birne Kohl wusste nämlich: „Die
Wirklichkeit ist leider anders als die Realität.“ :smile: und im

(…)

An der Stelle ist es z. B. für mich ein Unterschied ob ein
Student von 500 EUR im Monat lebt oder ob es ein älterer
Mensch. Objektiv haben sie dieselbe Summe zur Verfügung, aber
die verschiedenen Lebenssituationen bedingen, dass es nicht
gleich wahrgenommen wird.

Tatsache ist erst einmal, daß beide 500 Euro haben. Ob die Wahrnehmung davon abweicht, ist erst einmal uninteressant.

Nehmen wir mal das Thema Mindestlohn: da kann man natürlich
vorrechnen, dass er an manchen Stellen nicht gezahlt werden
kann weil das vorhandene Budget nur einen niedrigeren Lohn
zulässt. Nach deiner Theorie müsste man das so hinnehmen weil
wenn nicht mehr Geld zur Verfügung steht kann nicht mehr
verteilt werden.

Nach meiner „Theorie“ wäre zunächst einmal die Realität festzustellen, nämlich wie hoch die Gehälter tatsächlich sind. Alles, was dann danach kommt ist eben nicht eine Erfassung der Realität, sondern schon Auslegung bzw. Ursachenforschung bzw. Suche nach Lösungen - und damit schon nicht mehr objektiv.

Ich meinte aber auch mehr die Themen, die Sarrazin angesprochen hatte, nämlich die Bildungsmisere in ganzen Bevölkerungsgruppen usw.

Gruß
Christian