Übergang von Schamanismus zur Religion haltbar?

Hi,

um in diesen interessanten, aber chaotischen Artikelbaum noch
mehr Verwirrung zu bringen: Laut Wikipedia ist die Definition
von Schamanismus umstritten, strittig ist auch, wie dieser
Begriff von „Religion“ abzugrenzen ist!

Wikipedia ist sicherlich eine wichtige und gute Quelle, wenn es um den Einstieg in ein Thema geht. In die Tiefe hinein sollten aber andere Quellen herangezogen werden.
Für den von mir angesprochenen Bereich eignet sich Wikipedia nicht wirklich, denke ich, daher frage ich ja hier im Kompetenznetzwerk, von dem ich eine stärker Nähe zur Wissenschaft erwarte und auch erlebt habe.
Gruß
C.

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Hallo Karl,

Und in der
Brockhaus-Enzyklopädie wird Schamanismus gar direkt als Religion bezeichnet!

wenn da so viel Verwirrung präsent ist (oder sein soll, was ich nicht erkennen kann)
dann bleibt uns nur unsere Logik.
Weder Religion noch Schamanismus sind „Naturkonstanten“, also vorgegeben, sondern
Ordnungsbegriffe (Definitionen)welche Menschen gesetzt haben.
Wenn Schamaismus innerhalb vieler Naturreligionen vorhanden ist und „praktiziert“ wurde
(wird), kann er keine selbständige Religion sein auch wenn sich Praktiken des Schamanismus
verselbständigt haben sollten , also irgendwo isoliert auftreten.
Er kann auch keine Religion hervorbringen - wie soll das gehen ?
Der Schamane braucht i.R. das Umfeld eines „Glaubens“ einer irgendwie gelebten
Religion, er schafft dieses Umfeld nicht.
Gruß Viktor

Hallo,

Für den von mir angesprochenen Bereich eignet sich Wikipedia
nicht wirklich, denke ich, daher frage ich ja hier im
Kompetenznetzwerk, von dem ich eine stärker Nähe zur
Wissenschaft erwarte und auch erlebt habe.

… und dann antwortet Dir auch tatsächlich eine Religionswissenschaftlerin, Glückwunsch. Übrigens durchaus zutreffend, auch wenn Dir die Antwort nicht passt. Das klassische ‚schamanistische‘ Evolutionsmodell - so, wie Du es in Deiner Frage zusammenfasst:

immer wieder findet sich die Behauptung, dass der Schamanismus als Vorläufer der Religionen gesehen wird.
[…]
Frage also: Ist eine derartige Vorstellung zum Übergang vom Schamanismus zur Religion wissenschaftlich haltbar oder bleibt es eine nicht nachweisbare Behauptung?

  • ist in der Religionswissenschaft definitiv überholt und vor allem aufgrund der einschlägigen Feldforschung seit Mircea Eliades ‚Schamanismus und archaische Ekstasetechnik‘ nicht mehr haltbar. Was natürlich keineswegs der Tatsache widerspricht, dass es häufige Querbezüge (in beiden Richtungen!) zwischen diversen Religionen und Praktiken / Techniken des schamanistischen Formenkreises gibt - @Karl2: es beruht bestenfalls auf einer nur oberflächlichen Lektüre ihres Postings, Kate zu unterstellen, sie würde dies in Abrede stellen.

Dass Du stattdessen die Antwort eines notorischen Schaumschlägers und Bluffers vorziehst, steht zu Deinem Anspruch in einem unübersehbaren Widerspruch. Spätestens bei der steilen These über religiöse Riten als instinktbasiert und dem besonders schrägen Verweis auf das Sexualverhalten von Bonobos als Analogie müsste selbst einem blutigen Laien klar werden, dass da blanker Unsinn verzapft wird.

Das einzige, was an Chans Posting ernstzunehmen ist, ist der Verweis auf Lewis-Williams, der tatsächlich versucht, das evolutionistische Modell - allerdings in stark modifizierter Form - teilweise zu rehabilitieren. Dazu ist jedoch vor allem anzumerken, dass der von ihm postulierte ‚paläolithische Schamanismus‘ nicht mehr als eine hochspekulative Theorie ist. Zum einen beruht diese Theorie vor allem nicht auf Beweisen (das kann sie auch gar nicht), sondern auf einer weitgehend subjektiven und nicht empirisch verifizierbaren Deutung von Artefakten (überwiegend Felszeichnungen), zum anderen bleibt völlig unklar, wie dieser hypothetische ‚paläolithische Schamanismus‘ von magischen, animistischen oder totemistischen Systemen usw. abzugrenzen wäre. Was wiederum Voraussetzung für ein ethnographisches oder anthropologisches Standardmodell von Schamanismus und damit für die Einordnung bestimmter Phänomene als ‚schamanistisch‘ ist. D.h. dass der sog. paläolithische oder prähistorische Schamanismus ebenso an einer Begriffsunschärfe leidet (wenn man das nicht als Begriffsmissbrauch bezeichnen will) wie der schon im 19. Jahrhundert postulierte (und längst aufgegebene) prähistorische Animismus und ebensowenig wie dieser mit einem real existierenden und ethnografisch beschriebenem Schamanismus bzw. Animismus gleichzusetzen ist. Lewis-Williams argumentiert durchaus überzeugend dafür, dass bestimmte schamanistische Praktiken und Techniken bis weit in die menschliche Frühgeschichte zurückgehen - ein „schamanistisches System“ (vgl. dazu Kates Posting) in prähistorischer Zeit nachzuweisen, daran muss er zwangsläufig scheitern. Das ist nicht einmal mehr Theorie, sondern nur Hypothese.

Erst recht ist es ein unmögliches Unterfangen, historisch nachweisbare Religionen aus solch einem postulierten prähistorischen Schamanismus abzuleiten - und soweit ich das übersehe, versucht dies Lewis-Williams auch gar nicht. Solche - notwendigen - Differenzierungen liegen unserem Generalisten und Hobbyreligionswissenschaftler freilich fern. Dir rate ich, an Deiner Medienkompetenz etwas zu arbeiten.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo,

Das kann man nur verstehen

möglicherweise kannst ja nur Du das nicht anders verstehen.

als: Alle klugen
Wissenschaftler wissen inzwischen, dass sich aus dem
Schamanismus niemals eine Religion entwickeln kann (sagst du)!

nein, sagt sie nicht. Näheres dazu in meinem Posting weiter oben.

Freundliche Grüße,
Ralf

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OT: Sinn und Funktion des Bretts

… und dann antwortet Dir auch tatsächlich eine
Religionswissenschaftlerin, Glückwunsch.

Dass Du stattdessen die Antwort eines notorischen
Schaumschlägers und Bluffers vorziehst, steht zu Deinem
Anspruch in einem unübersehbaren Widerspruch.

Hallo,
ich verstehe dieses Forum und Brett nicht so, dass ich bei einer Frage erst einmal alle verfügbaren postings lese um daraus ein Profil der kompetenzlosen Nutzer und kompetenten Spezialisten zu erstellen.
Ich komme in die „Sprechstunde“, und von den beiden zufällig Anwesenden ist einer pauschal und beleglos, der andere differenziert und belegt.
Da ich ja (im Sachgebiet kompetenzloser) Frager bin, kann ich die Antworten nicht beurteilen, also urteile ich nach dem Auftreten, die Polemiken weiterer Poster ignorierend.

Welcher Aussage würdest du dich als vergleichbarer Fragesteller eines dir nicht vertrauten Sachgebiets anschließen?

Trotz dem ein Danke für deine Ausführungen.

Gruß
C.

Ich denke die Frage warum wir Religionen haben ist gar nicht so schwer zu beantworten.

Religionen beantworten Fragen.

Die ersten religiösen Systeme beantworteten noch recht einfache Fragen - was ist Feuer, woher kommen Blitze, was sind Krankheiten etc. etc.

Mit sowas halten sich die modernen Religionen gar nicht mehr auf - da gehts gleich um die ganz großen Fragen - wo kommen wir her, wo gehen wir hin, welchen Sinn hat unsere Existenz.

Das Problem am Atheismus ist nämlich: Wenn man die eigene Existenz objektiv wahrnimmt, dann sind wir nur kleine Lebewesen in einem gigantischen Universum. Unser Leben folgt keinem Plan und keinem Ziel und über kurz oder lang endet sowieso alles Leben. Das ist alles in allem eine eher triste Aussicht.

Wie schön ist es doch, wenn einen jemand bei der Hand nimmt und ihm erklärt, dass es nach dem Tod ein ewiges Leben an einem besseren Ort gibt und dass die Existenz auf der Erde einem bestimmten Plan folgt.

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Hallo Kate,
ich möchte dir an dieser Stelle versichern, dass ich dich nicht für inkompetent halte und dich auch nicht persönlich angreifen möchte. Wenn ich deinem persönlichen Profil traue, dann kann ich nur großen Respekt und meine Hochachtung vor deinen Kenntnissen zum Ausdruck bringen.
Allein: meine erste Wahrnehmung von dir war deine erste Antwort auf meine Frage, und das, was ich jetzt in den anderen postings schreibe, gibt diese Wahrnehmung wieder.
Also: es wird nicht gegen Personen diskutiert, sondern um Wahrnehmungen.

LG
C.

Hinweise / Sinn und Funktion des Bretts
Hallo,
Du solltest es Kate nachsehen, dass sie mit „Belegen“ so sparsam war. Nach meiner Vermutung liegt das daran, dass Deine Fragestellung eher der Wissenschaftsgeschichte zuzurechnen und kein (Diskussions-)Thema der aktuellen Religionswissenschaft mehr ist. Entwicklungsgeschichtliche (evolutionistische) Konzepte - häufig in Verbindung mit dem Versuch, eine ‚Urreligion‘ zu identifizieren oder zu rekonstruieren - waren ein typisches Thema der Religionsgeschichtsforschung des 19. Jahrhunderts und entsprechend dem Geist der Zeit nur allzu häufig von kulturellem Hochmut und kolonialistischer Ideologie geprägt, worauf Kate schon hinwies. Das geht bis in die Anfänge religionsgeschichtlicher Untersuchungen zurück - konkret der Klassiker ‚Du culte des dieux fétiches ou parallèle de l’ancienne religion de l’Égypte avec la religion actuelle de Nigritie‘ von Charles de Brosse, 1780 erschienen. Wissenschaftsgeschichtlich ist das Werk von Bedeutung, da de Brosse die Methode des religionsgeschichtlichen Vergleichs einführte und dabei den „Fetischismus“ (d.h. die Verehrung besonderer Objekte) als älteste Form der Religion identifizierte. Diese Rolle der ‚Urreligion‘ sollten dann im Folgenden - je nach Autor im fröhlichen Theorienwettstreit - u.a. der sog. Urmonotheismus, Animismus und last not least auch der Schamanismus übernehmen. Dass insbesondere der Schamanismus als Ur- oder Protoreligion im nichtwissenschaftlichen Diskurs derzeit anscheinend fröhliche Urständ feiert, liegt wohl in erster Linie an der esoterischen Mode des sog. Neoschamanismus. In der Religionswissenschaft jedoch kamen die religionsgeschichtlichen Ursprungs- oder Entwicklungstheorien bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich aus der Mode - u.a. durch die sog. ‚Myth-and-Ritual-School‘ / ‚Kultgeschichtliche Schule‘ (Vilhelm Groenbech, Sigmund Mowinckel, Geo Widengren, Samuel Hooke u.a.), die vereinfacht ausgedrückt die Diffusion eines einheitlichen Kultschemas (ein aus Riten und damit verbundenen Mythen bestehendes ‚pattern‘) postulierte, ausgehend von Friedrich Delitzsch’s Konzept des ‚Panbabylonismus‘. Eine andere ‚Gegenbewegung‘ kam aus der auf Leo Frobenius zurückgehenden Kulturkreislehre, die ebenfalls statt von gesetzmäßigen Entwicklungsphasen von einer historisch-geographischen Diffusion von Kulturelementen ausging, um damit religionsgeschichtliche Parallelen zu erklären. Ich will gar nicht vortäuschen, die genannten Autoren gelesen zu haben - wie oben schon angedeutet, ist das eher von (religions-)wissenschaftshistorischem Interesse. Mich interessiert so etwas nur sehr am Rande. Aber in den Werken der genannten Autoren findest Du bei Bedarf die gewünschten „Belege“ bzw. Argumente gegen die damals im Schwange gewesenen evolutionistischen Theorien.

Generell und grundsätzlich ist bei solchen Fragen zu beachten, dass Religionsgeschichte bzw. historische Religionswissenschaft denselben Beschränkungen und Begrenzungen unterliegt wie die Geschichtswissenschaft generell. Es handelt sich nicht um eine exakte empirische Wissenschaft, sondern der Religionshistoriker wertet seine Quellen aus seiner eigenen geschichtlichen Situation heraus aus. Klaus Hock beispielsweise spricht hier von einer „dynamischen Beziehung“ - keiner „Festschreibung von Gegebenem, sondern Ergebnis einer Interaktion zwischen den Forschenden und ihren Quellen“. Religionsgeschichte ist - wie jede Geschichtsschreibung - ein Narrativ. Was nicht heisst, dass sie damit einer inhaltlichen oder methodischen Kritik entzogen wäre … Und - um nochmals auf Kate zu verweisen - die evolutionistischen Theorien haben und hatten sich vor allem einer Ideologiekritik zu stellen, die Monotheismus (gerne in speziell christlicher Form) zum End- und Höhepunkt einer Entwicklung aus „primitiven“ Ansätzen deklarierte. Dass hinter aktuelleren populären evolutionistischen Ansätzen statt der alten Ideologie der Überlegenheit der europäischen Kultur (als der ‚fortschrittlichsten‘) heute eher eine kulturkritische, romantisch-schwärmerische Sichtweise vom ‚edlen Wilden‘ steht, macht es um keinen Deut besser.

Zu diesem Punkt:

Da ich ja (im Sachgebiet kompetenzloser) Frager bin, kann ich
die Antworten nicht beurteilen, also urteile ich nach dem
Auftreten, die Polemiken weiterer Poster ignorierend.

Welcher Aussage würdest du dich als vergleichbarer
Fragesteller eines dir nicht vertrauten Sachgebiets
anschließen?

  • das ist ein grundsätzliches Problem, das die Qualitätssicherung bei einem Expertenforum (oder Möchtegern-Expertenforum) betrifft. Ein Lösungsansatz über eine fachlich qualifizierte Moderation war (ist?) seitens des Betreibers hier nicht gewünscht, das könnte die Popularität der Website beeinträchtigen. Deswegen mein Hinweis auf eine persönlich zu entwickelnde Medienkompetenz. Um mit Schiller zu sprechen: man soll die Stimmen wägen, nicht zählen. Natürlich muss man das Wägen erst einmal lernen …

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo Viktor

dann bleibt uns nur unsere Logik.

Einverstanden.

Weder Religion noch Schamanismus sind „Naturkonstanten“, also
vorgegeben, sondern
Ordnungsbegriffe (Definitionen)welche Menschen gesetzt haben.

Einverstanden.

Wenn Schamaismus innerhalb vieler Naturreligionen vorhanden
ist und „praktiziert“ wurde
(wird), kann er keine selbständige Religion sein

Naja, das definierst du (und andere) so, und vermutlich ist das eine sinnvolle Begrifflichkeit. Ich stecke da viel zu wenig drin, um das beurteilen zu können. Aber ich lese eben, dass an anderer Stelle der Begriff „Schamanismus“ als „Religion mit bestimmten Kennzeichen“ verwendet wird. (der entsprechende Wikipedia-Artikel scheint nach meinem Dafürhalten sehr solide und ausgewogen zu sein).
Und dieser unbequeme, aber sehr typische wissenschaftstheoretische Aspekt darf in einer Diskussion, wo einer dem anderen vorwirft, Begriffe falsch zu verstehen, nicht unerwähnt bleiben.
Karl

auch wenn

sich Praktiken des Schamanismus
verselbständigt haben sollten , also irgendwo isoliert
auftreten.
Er kann auch keine Religion hervorbringen - wie soll das gehen
?
Der Schamane braucht i.R. das Umfeld eines „Glaubens“ einer
irgendwie gelebten
Religion, er schafft dieses Umfeld nicht.
Gruß Viktor