Hallo Alexander,
einige Unterschiede sind heir ja schon genannt worden.
Ursächlich sind sie alle in der Theologe.
Das fängt dann bei dem protestantischen sola scriptura an, d.h. die Bibel allein beinhaltet die Glaubensnormen, an ihr allein ist alles zu prüfen und zu bewähren. Dabei ist das Verständnis der Bibel ein historisches, wobei innerhalb der Protestanten die Ansichten divergieren: Gottes Wort von Menschen geschrieben, die Niederschrift menschlicher Erfahrung mit Gott. Wichtig an dem sola scriptura ist das Fehlen weiterer normierender Instanzen, bei den rk wäre das dann das Lehramt (Papst) und die Tradition. Aufgrund der Bedeutung der kirchlichen TRadition haben ev und rk auch ein anderes Geschichtsverständnis: Bei den rk gibt es die Vorstellung zeitloser Gültigkeit und Wahrhaftigkeit von geschichtlich formulierten Lehrsätzen, in der evangelischen Theologie geht man von der Geschichtsbedingtheit auch eines Luthers aus. Das sola scriptura verweist weiterhin auf die Mündigkeit des einzelnen Christen, denn jeder Gläubige gilt als Bibelinterpret. Die hier zum Tragen kommende Vorstellung des „Priestertums aller Gläubigen“ bedeutet einen gleichberechtigten Zugang aller zur SChrift, kein Prae eines Pfarrers o.ä. - damit auch eine hohe individuelle Verantwortung.
Das sola fide, allein der Glaube, besagt, dass nur dieser zum Heil führen kann. Dabei ist nach lutherischer Lehre der Glaube völlig ausreichend, es muss nichts weiter hinzukommen. Hier sind wir bei der Rechtfertigungslehre, die besagt, dass Gott dem Menschen die Gerechtigkeit durch Jesus Christus im Glauben schenkt.
Der Mensch selbst bedarf dieses göttlichen Geschenks, denn, hier ist ein entscheidender Unterschied zwischen rk und ev.: Der Mensch ist Sünder und kann auch nichts anderes sein. Der Sündenbegriff darf dabei weder mit einem Tatsündenbegriff verwechselt werden noch mit unserem allgemeinen. Der Mensch ist nach lutherischer Lehre Sünder, weil er verstrickt in sich selbst ist, oder einfacher: weil er nicht Gott ist. Luther hat es (wenn ich mich richtig erinnere mit Hilfe eines Psalms) so erklärt: Der Mensch liebt, was er als schön vorfindet, Gott aber hat eine schaffende Liebe, er liebt das Häßliche schön. Dahinter steht eine anthropologische Grunderfahrung, dass man eben nicht alles aus vollem Herzen lieben kann (geschweige denn jeden Nächsten). Dies ist aber der Unterschied zwischen Mensch und Gott und deswegen ist der Mensch ein Sünder. Gott nun liebt den Menschen und liebt ihn so „schön“. Das ist gemeint mit der Formel „zuleicht Gerechter und Sünder“ (simul iustus et peccator). Der Mensch, der eigentlich ein Sünder ist, wird von Gott geliebt, so dass Gott ihm die Gerechtigkeit schenkt. Dieses Gnadengeschenk Gottes, zu dem der Mensch selbst nichts beitragen kann, gilt absolut. Allerdings, so Luther: Wenn wir annehmen, dass Gott dem Menschen etwas schenkt, dann müssen wir, wollen wir Gott souverän denken, auch annehmen, dass er anderen Menschen keine Gerechtigkeit schenkt. Wichtig ist hier, dass wir die Frage, ob jemand erwählt ist oder nicht, nicht entscheiden können.
Von rk Seite aus kam dazu die Kritik, dass wenn Gott sowieso die Gerechtigkeit schenkt, es keinen Grund für den Menschen gibt, ethisch gut zu handeln. Der Grund ist tatsächlich nicht die Reinigung des diesseitigen Lebens von Sündenschuld (so z.B. durch eine Beichte mit Absolution) oder die Verkürzung des Reinigungsfeuers nach dem Tod, sondern der Grund für das ethische Handeln soll die bejahende Reaktion auf die Liebe Gottes sein (wie ein kleines Kind etwas tut, weil es die Freude seiner Eltern vorherahnt).
Luther hat die diesseitige Ethik in seiner berühmten Schrift „von der Freiheit eines Christentmenschen“ zusammengefasst:
„Ein Christenmensch ist sein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Frei ist der Christ in seinem Glauben und seinem Gewissen, wo ihm niemand, also weder ein Kleriker, seine Kirche oder das Kirchenrecht, etwas vorschreiben darf, aber er ist als Christ in dieser Welt auch untertan, denn in Antwort auf seine Freiheit ist er ein demütiger Diener in dieser Welt.
Dies sind nur einige theologische, typisch evangelisch-(lutherische) Charakteristika.
Sie bleiben selbstverständlich (und nachweislich) nicht ohne Folgen auf die Frömmigkeit. Gerdae im evangelischen Bereich hat es immer wieder Laienbewegungen gegeben, die versucht haben, die innerliche Frömmigkeit zu fördern (Pietisten - die dann manch ein Nicht-Pietist als wenig frei empfindet). Auch der seltene Gottesdienstbesuch selbst frommer Protestanten hat seinen Grund in dem oben genannten Freiheitsverständnis. Andererseits wird der evangelische Gottesdienst schon allein dadurch anders, dass hier die Predigt im Zentrum steht.
Typisch evangelisch ist ein Absehen von äußerlich sichtbaren Formen von Frömmigkeit, zumindest in weitgehend rk bestimmten Gebieten. Damit erscheint der Protestantismus oftmals „formloser“ als der Katholizismus. Protestantische Frömmigkeit ist meist mehr auf das Leiden und Sterben Christi bezogen (da das Rechtfertigungsgeschehen seinen Grund im Opfertod Jesu hat - allerdings ist hier auch ein Protest gegen den Katholizismus zu sehen).
Besonders deutlich wird der Unterschied in der Frömmigkeit meist auf einer Beerdigung: Während man in der rk Kirche für den Verstorbenen betet, ist genau dies in der ev Kirche (eigentlich tabu): Denn ein Beten für den Verstorbenen würde bedeuten, dass man Gottes Geschenk nicht traut, quasi sicherheitshalber noch mal betet. Daher stehen in einer ev. Beerdingung die Angehörigen im Zentrum.
Kurzum: Eine BEschäfitigung mit den Unterschieden, die ich in der Lehre für sehr groß halte, ist sicherlich sinnvoll. Aber man darf nie übersehen, dass es bei Religiösität auch um so etwas wie Heimat und Sicherheit geht, asbeits aller intellektuellen Fragen. Ich würde dir raten, einfach mal eine rk Messe und dann einen ev. Gottesdienst zu besuchen. Wo fühlst Du Dich wohler und wo hast Du eher das Gefühl, einen Weg zu Gott zu bekommen? Denn um Letzteres geht es letztlich beiden.
Grüße,
Taju