Doch trotzdem

nahm er nicht den angebotenen Hut…

Liebe „Deutschler“,

Es ist üblich geworden, auch Nebensätze mit diesen Worten als Konjunktion einzuleiten:
„Trotzdem er spinnt, kommt oft die Wahrheit raus.“
Anders herum leitet man manchmal (im Umgangsdeutsch) Hauptsätze mit solchen Bindewörtern ein, „Weil(,) er spinnt nämlich!“, wie ja schon früher besprochen. Meine Frage ist nun eine ganz „autorosinenpuperpotentielle“: `weil´ ist eine Konjunktion.
Wie nennt man „trotzdem-Wörter“ in der Sprachwissenschaft?
Ich würde mich sehr auf Expertenantwort froien, auch auf eine Besprechung des oa Phänomens.
Große, Manfred.

Hallo Manfred!

Die „trotzdem“-Wörter sind natürlich Adverbien, haben also oft ähnliche „Umstands“-Funktionen wie Präpositionen (oder eventuell Konjunktionen), bestimmen also Prädikationen näher, ohne wirklich Substanz zu sein: Ort, Zeit, Art und Weise, Grund, Gegengrund usw. Der entscheidende Unterschied zur Präposition liegt in der Satzgliedfähigkeit von Adverbien: Erststellenfähigkeit im Aussagesatz vor dem Prädikat, tendenziell beliebige Umstellbarkeit („Ich will trotzdem meine Suppe nicht essen.“)
Die von Dir festgestellte Austauschbarkeit ist m.E. restringierter Code bzw. dialektal gefärbte Umgangssprache. Ich würde eine Phrase wie „Ich sags dir nicht, trotzdem ichs weiß.“ so klassifizieren. Ich bin Sprecher des Ostfränkischen und kenne vor allem Sätze wie „…weil ich weiß das nicht.“ Das dürfte für viele oberdeutsche Dialekte gelten. Fürs Niederdeutsche bist Du wohl kompetenter. Im letztgenannten Fall wurde grammatisch allerdings eine unterordnende Konjunktion („weil“ als Nebensatzeinleitung mit Prädikat am Ende) mit einer beiordnenden („denn“ als Hauptsatzeinleitung mit anschließendem Prädikat verwechselt) verwechselt. Ist also wieder was anderes als das eingangs beschriebene Phänomene.
Ich denke, dass vor allem solche Formwörter für Verfälschungen in umgangssprachlicher Syntax besonders anfällig sind, die auch besonders häufig verwendet werden.

Gruß, Wolfgang

Hallo, lieber Manfred,

zunächst muss man unterscheiden: „doch, aber, sondern, allein, nur“ werden adversative Konjunktionen genannt, weil sie einen „Gegensatz“ zum Ausdruck bringen.

„trotzdem“ ist eine konzessive Konjunktion, diese Sätze geben den Gegengrund ohne Folge an.

Nach der Dudengrammatik und im allgemeinen Sprachgebrauch sind doch aber sondern trotzdem Hauptsätze einleitende Konjunktionen, wobei sie entweder die Nullposition oder Position 1 einnehmen. Manche können auch nachgestellt werden.

Ich bin müde, aber ich kann nicht schlafen.
Ich bin müde, kann aber nicht schlafen.
Ich bin müde, doch kann ich nicht schlafen.
Ich bin müde, doch ich kann nicht schlafen.
Ich bin müde, trotzdem kann ich nicht schlafen.
Ich bin müde, ich kann trotzdem nicht schlafen.

obwohl obgleich leiten Nebensätze ein.

Ich kann nicht schlafen, obwohl/obgleich ich müde bin.

Nun ist sowohl im österreich-böhmischen, als auch im schweizerdeutschen Sprachraum durchaus üblich, dass trotzdem auch als Nebensatzkonjunktion genützt wird.
Kafka, Werfel, Stifter, Keller, Hauptmann, Gotthelf, Frisch, Dürrenmatt bilden ohne Skrupel solche Sätze.

Selbst der Duden akzeptiert inzwischen in einer Anmerkung zur Regel 735 die Möglichkeit, trotzdem als Nebensatzkonjunktion zu gebrauchen. Das halte ich für richtig, da ein Regelwerk nicht einfach den Sprachgebrauch einer größeren Sprachgruppe für falsch erklären kann.

Wer an Sätzen wie: Trotzdem es regnete, ging er ohne Regenschirm los. Anstoß nimmt, zeigt, dass er den Deutschunterricht und die Dudengrammatik akurat gelernt und internalisiert hat.

Zu „weil“ als Hauptsatzkonjunktion habe ich schon früher etwas geschrieben. Ich zitire mich: für diese Variante

„Ich esse Tomaten, weil die schmecken mir.“

weiß ich folgende Rechtfertigung:
Spricht jemand diesen Satz, so wird er nach „weil“ eine kleine Pause einlegen. Also:

Ich esse Tomanten, weil — die schmecken mir.

Mit dem „weil“ wird also kein Nebensatz eingeleitet, sondern es ist ein Signal, eine Ankündigung: Jetzt kommt der Grund! Und dann beginnt ein Hauptsatz.
Will man dies schriftlich darstellen, so müsste man schreiben:

"Ich esse Tomaten, weil: Die schmecken mir!

Vielleicht ein wenig weit hergeholt. Aber einsichtig, oder?

Gruß Fritz

Hallo Fritz!

Vielen Dank für den präzisen Artikel, der den zuvor von mir an Manfred verfassten zweifellos ergänzt und im dialektalen Bereich präzisiert.

Nur eine Anmerkung: aus streng strukturalistischer Sicht sollte man „trotzdem“ nicht als Konjunktion bezeichnen, eben weil es satzgliedfähig ist.

Herzliche Grüße,

Wolfgang Zimmermann

Hallo Wolfgang!

Nur eine Anmerkung: aus streng strukturalistischer Sicht
sollte man „trotzdem“ nicht als Konjunktion bezeichnen, eben
weil es satzgliedfähig ist.

Das verstehe ich nicht und darin kann ich dir auch nicht folgen.

_trotz|dem;
I: trotzdem ist es falsch;
II: auch als Konjunktion: trotzdem (älter trotzdem, dass) du nicht rechtzeitig eingegriffen hast;

© Dudenverlag.

trotz|dem
I. [’, auch: ‚‘] ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dessen ungeachtet: sie wusste, dass es verboten war, aber sie tat es t.; es ging ihm schlecht, t. erledigte er seine Arbeit.

II. [’] [entstanden aus: trotz dem, dass…]: (ugs.) obwohl, obgleich: er kam, trotzdem (standardsprachl.: obwohl) er krank war.

© Duden - Deutsches Universalwörterbuch 2001_

Du siehst, weder der große noch der kleine Duden sind „streng strukturalistisch“ und ich schon gar nicht.:wink: sorry!

Gruß Fritz

Hallo Fritz! Hallo Linguistik-Interessierte!

Als DaF-Lehrer bist Du genauso Grammatik-Experte wie ich und ich werde Dir im Folgenden kaum irgendetwas Neues erzählen können (vielleicht anderen). Vermutlich war aber meine obige Anmerkung zu knapp und implizit, wenn Du sie nicht verstehst und mir nicht folgen kannst, was ich Dir sowieso nicht glaube.

Daher noch einmal genauer und explizit:

Wortarten kann ich formal (z.B. Konjugierbarkeit von Verben), syntaktisch-strukturalistisch (z.B. Satzgliedfähigkeit) oder semantisch (z.B. Adjektive als Eigenschaftswörter) klassifizieren.

Gebrauchsgrammatiken wie der DUDEN gehen naturgemäß gemischt-eklektisch vor; der Spracherzieher, gleich ob vor jungen Gymnasiasten oder vor Ausländern, desgleichen.

Nehmen wir die Wörtchen „trotzdem“, „obwohl“ und „trotz“, so sind diese aus semantischer Sicht Konzessiva. Um sie nun zu differenzieren, genügt das strukturalistische Vorgehen.

Demzufolge ist - in der Standardsprache! - „trotz“ eine Präposition, da sie ein folgendes nominales Element verlangt und regiert, aber allein nicht satzgliedfähig ist; die Konjunktion „obwohl“ kann kein Satzglied sein und kein Element regieren, das Adverb ist normalerweise satzgliedfähig, kann also allein vor dem Prädikat stehen und mehrfach umgestellt werden, z.B.:
„Trotzdem kann ich dich morgen abholen.“
„Ich kann dich morgen trotzdem abholen.“ etc.

Genau in diesem Sinne unterscheidet ja auch der DUDEN in den von Dir zitierten Fällen, das heißt er geht strukturalistisch vor.

Nur wenn ich „trotzdem“ so verwende, dass es kein Satzglied mehr sein kann, spreche ich von einer Konjunktion:
„Trotzdem du so böse ist, liebe ich dich!“

Aber diese Verwendung ist eben nur bedingt standardsprachlich, regional oder soziolektal eingeschränkt, also eine bloße Variante.

Soweit dies.

Besonders interessant finde ich Deinen Erklärungsansatz zur falschen Verwendung von „weil“:
„Ich möchte dich heiraten, weil … du hast so viel Geld!“

Er würde (ausnahmsweise) das Chomsky-sche Primat von Subjekt und Prädikation in der Tiefenstruktur und damit die im Englischen feste SPO-Stellung auch für das Deutsche bestätigen.

Viele Grüße
Wolfgang

(in)zwischen Euch beiden
weil von hier kann ich zu/nach euch beiden blicken…
Hallo, liebe Froinde der Deutschen Sprache!
Hallo Fritz und Wolfgang!

Dabei war meine Frage eigentlich „nur“, wie solche Worte heißen in der dtschen Grammatik, wie „trotzdem“, „dennoch“, die früher ausschließlich einen Hauptsatz einleiteten und heute teilweise auch als Konjunktionen zu Nebensätzen „mißbraucht“ werden.
Und warum ist z:B. „doch“ eine „einen Hauptsatz einleitende Konjunktion“? Hat die Vorsilbe „Kon“ nicht die Bedeutung: „mit“, „junktion“ (engl/frz: join´, verbinden?). Ja, klar, irgendwie scheint das Doch´ als Einleitung eines Hauptsatzes ja einen Bezug auf etwas vorher angesprochenes herszustellen/nicht abreißen zu lassen. Sonst macht doch doch´ gar keinen Sinn, oder doch? "Doch er nahm seinen Hut". Doch´? Aber warum doch? "Doch, mach mal blubb´!" Doch´? Klar, weils nicht blubb´ machen zu wollen scheint, trotz Verona. Würde gerne konspirieren mit Veronas Heulen und Beulen. Zusammen atmen´ und (mich mit diesen/m) zusammenatmen´. Einem mit der Welt der Grammatik etwas auf dem Kriegsfuß stehendem Kosmopol fällt es schwer, vorwiegend definitorisch geführten Diskussionen zu folgen, obwohl man spürt, daß eurem Gespräch der Wille zur Bewältigung tieferer sprachlicher Probleme zugrundeliegt. Als vorwiegend mich auf die praktische Seite der Sprache(n) beschränkenden Zeitgenossen fällt mir jedoch ein Effekt auf, der mAn wesentlich bei der Entwicklung der Sprachen ist: der der Zusammenfassung/Vereinfachung. Z.B. scheint mir "trotzdem ich müde bin,..." einfach nur eine Verkürzung von "trotzdem daß ich müde bin,...", oder auch "trotz dem, daß ich müde bin,..." oder vielleicht grammatisch korrekter: "trotz dessen, daß ich müde bin,..." zu sein, und, v.v. "weil....ich bin müde" eine Verkürzung/Bündelung von "weil es so ist, ich bin müde". Ähnlich soll ja das daß´ entstanden sein, im Beispiel:
„Ich weiß, daß ich müde bin“ aus „ich weiß das, ich bin müde“ (nach Wasserzieher, er demonstriert am Beispiel „er sagt, daß er kommt“ > „er sagt das, er kommt“),wo das daß´ also als Verkürzung/Bündelung der Pause, die man beim sprechen macht, aus dem das´ entsteht.
Ich finds faszinierend, diese verschiedenen Fascetten des das, z.B., und die Kunst des Spielens damit/mit das
verfeinert sich´ sicher mit tieferer Kenntnis der Bedeutungsvarianten und Bedeutungsüberschneidungen, mathematisch-mengentheoretisch gesprochen: mit Durchschnitt und Vereinigung, besser mit (nicht als minderwertig zu verstehender) "Durchschnittlichkeit" und Vereinigungsfähigkeit, Differenzierung und Kombination. Ein anderes Gebiet ist das des Auseinander- und Zusammenschreibens, bzw., des auseinander und des zusammen schreibens. Trotz aller möglichen komplizierten Reflektionsmöglichkeiten bin ich mit meinen Haupt- und Realschülern zusammen dazu übergegangen, erstmal nach dem „Gehör“ zu gehen: wenn das erste Wort betont wird: zusammenschreiben; wenns das zweite Wort ist: auseinanderschreiben. Das wird nur etwas kompliziert, wenn man betonen will, daß man sich nicht (hin)setzen sondern (hin)legen will, aber sehr bedeutungsvoll, wenn man sich nicht dabei legen, aber dabeilegen will.
„Fassen wir zusammen:“ Wollen wir es nicht lieber dem Zusammenhang und unserer Kombinationsfähigkeit überlassen, Nack Knitterton, was in diesem Satz für eine Interpretationsbreite verborgen ist? Nicht zuletzt zusammenfassen´ im Sinne von zusammendrücken´ und glz.
zusammen (einen) fassen´ als: zusammen Essen fassen´ oder ein saufengehen/saufen_gehen.
Ich fragte mich zunächst ob eurer `Debatte´, ob ihr euch einer vorhandenen Gesetzmäßigkeit noch nicht klar seid, oder ob da die Tiefe eines bestimmten grammatischen Phänomens noch gar nicht vollständig erforscht ist. Und werde mir zunehmend klarer, daß hier zwei Experten daran arbeiten.
Sehr erfroilich, Froinde!

moin, manni

P.S.: Zum Thema „zu/nach“:
Ich hatte anfangs immer rosinenpuperisch einschreiten wollen, wenn ich von meinen´ Schülern hörte: "Eh, gehstu hoide auch nach Jungjohann?" (ich hatte eine ganze zeitlang die Klasse gruppenweise zu mir nach Hause eingeladen). Heißt es nicht "richtich": "gehst du auch zu Jungjohann..."? Weil ich hab gelernt: zu Personen, nach Orten. Bis ich selbst nicht qwußte, ob ich zu Karstadt oder nach Hertie gehen sollte. Und dennoch: Karstadt´ ist in erster Linie der (Kauf)Ort, genauso wie `Jungjohann´ für meine Schüler der Treffpunkt war, und nicht die geile Unpersönlichkeit MJj.
Ist von sie aber trotzwohl eine Zu- und keine Nachwendung gewesen.

speziell zu ‚doch‘, ‚nach‘ und ‚zu‘
Hallo, liebe Froinde der Deutschen Sprache!
Und Hallo Manfred!

Dabei war meine Frage eigentlich „nur“, wie solche Worte
heißen in der dtschen Grammatik, wie „trotzdem“, „dennoch“,
die früher ausschließlich einen Hauptsatz einleiteten und
heute teilweise auch als Konjunktionen zu Nebensätzen
„mißbraucht“ werden.

Ha, das weißt du jetzt.

Doch´? Aber warum doch? "Doch, mach mal blubb´!" Doch´? Klar, weils nicht blubb´ machen zu wollen scheint, trotz
Verona.

In diesem Fall ist doch : _ein

  1. gibt einer Frage, Aussage, Aufforderung od. einem Wunsch eine gewisse Nachdrücklichkeit: es wird d. nichts passiert sein?; das hast du d. gewusst; ja d.!; pass d. auf!; komm d. mal her!; geh d. endlich!; so hör d. mal!
  2. drückt in Ausrufesätzen Entrüstung, Unmut od. Verwunderung aus: das ist d. zu blöd!; du musst d. immer meckern!; was man d. alles so hört!
  3. drückt in Fragesätzen die Hoffnung des Sprechers auf eine Zustimmung aus: ihr kommt d. heute Abend?; du betrügst mich d. nicht?
  4. drückt in Fragesätzen aus, dass der Sprecher nach etwas eigentlich Bekanntem fragt, an das er sich im Moment nicht erinnert; noch: wie heißt er d. gleich?; wie war das d.?

© Duden - Deutsches Universalwörterbuch 2001_

Z.B. scheint mir „trotzdem ich müde bin,…“ einfach nur eine
Verkürzung von „trotzdem daß ich müde bin,…“

Dem ist so!

P.S.: Zum Thema „zu/nach“:

habe ich noch einen:

Ein Mantafahrer hält neben einem Fußgänger und fragt: „Geht es hier nach Aldi?“
Der Fußgänger, ein Ausländer, der bei Fritz Deutsch lernt, entgegnet: „Zu Aldi!“
Drauf der Mantafahrer: „Was, ist doch erst halb sechs?!“