Genitivitis
Hallo alle,
ist nicht das Neueste, aber passt vielleicht.
Fritz
_ Rettet dem Dativ!
Anmerkungen zur verlotternden Sprachkultur
Die Feuilletonisten nun also auch! Da muß man endlich einschreiten und ein paar grammatikalische Korinthen in die verlotternde Sprachsuppe kacken! Sollten doch wenigstens die Kulturseiten der Zeitungen nicht nur der Schönheit der Künste dienen. sondern auch die Klarheit der Sprache befördern.
Es geht um eine verwirrend rasch sich ausbreitende Lust am Genitiv, der doch jahrelang dem Dativ gegenüber ins Hintertreffen geraten war oder dem angelsächsischen Präpositionsgefuchtel hatte weichen müssen. Da hieß es: der Sohn von Müller statt Müllers Sohn.
Aber hatten wir eben nicht einen echten Präpositionsdativ untergebracht? „Dem Dativ gegenüber“, wo es doch unlängst erst geheißen hatte: „Schräg gegenüber des Trimphbogens" (Stadtanzeiger) - aber nicht bloß dort, auch „nahe des Städtchens“ entdeckte im SZ-Magazin jemand sein Glück, „aller Mühen zum Trotz" (spiegel-tv), ja selbst „aller schlechten Erfahrungen zum Trotz" (SZ), auch „entgegen vieler Gerüchte" (SZ) sowie „entgegen aller Entscheidungen"’, (AZ) und – nun eben Höbel im Feuilleton: „entgegen aller traurigen Vorurteile“ (wobei er übrigens „traurig stimmende Vorurteile“ meinte) – ach, Höbel, auch du, mein Sohn! allen Hoffnungen zum Trotz, trotz aller Hoffnungen und entgegen unseren Erwartungen hast du weit gefehlt mit diesem Genitiv! „Samt ihres Anhangs" (SZ) ist die Schar der Bewunderer nun traurig, denn „samt aller Privilegien" (SZ), die Journalisten haben, sollten sie sich doch des richtigen Gebrauchs des Genitivs befleißigen und dem Dativ geben, was des Dativs ist.
Woher diese ausbrechende Lust am Wesfall unter Journalisten. also Leuten, die mit Sätzebilden ihr Geld verdienen? Ich vermute, es ist die Neigung zum Präziösen und Feinen: der Genitiv klingt einfach wertvoller – gegenüber dem proletarischen Dativ (der sich im Volkstümlichen bis zu Wendungen wie „Meinem Vater sein Bub" aufschwingt). Das genitivisch Gestelzte, das an seiner Ausmerzung im Umgangsdeutsch schuld sein dürfte, ist genau der Reizfaktor, der nun für seine Reaktivierung Ursache ist, selbst dort, wo diese gänzlich falsch ist. Man will stelzen. möchte sprachlich sich spreizen – der (falsch gebrauchte) Genitiv ist der abgespreizte kleine Finger beim Mokkatäßchenhalten. Aufgekommen und für richtig befunden wurde er gewiß wegen einer klanglichen Verwechslung, Man sagt doch völlig zurecht: gegenüber der Haltestelle; aller schlechten Sitte zum Trotz; entgegen seiner Ansicht; nahe der Kirche; samt ihrer Erfahrung – na also! Bloß, Leute, das ist jedes Mal ein Dativ gewesen, auch wenn’s genauso klingt wie der" Wesfall". Selbst noch in einer Wendung wie „samt dessen Eltern" steht das auf „samt" bezogene Wort „Eltern" im Dativ, das „dessen" gehört hingegen zu den Eltern. „Gegenüber der Haltestelle" ist Dativ, „gegenüber des Hauses" ist falsch.
Und weil wir grad dabei sind: Es reißt noch was ein, was – an sich – verkehrt ist: „seit jeher" gibt es nicht; es heißt: „seit je" und „von jeher", da im „von" noch der örtliche Begriff anklingt, während „seit“ eine Zeitfixierung ist, von der her (!) ein Transport nicht möglich ist. Seit 200 Jahren, seit dieser Zeit, seit gestern, auch: seither, aber nie seit daher, seit jeher, seitdemher; dafür stets: von daher (nicht: von da).
Und ein Letztes, soeben auf der Kommentarseite gelesen: „es sinkt die Neigung, an den Wunden zu rühren". Sie können gern Zimt an den Griesbrei rühren oder auch im Brei herumrühren, aber, pfui, bitte nie an den Wunden! Das wäre eine blutige Sauerei. Rühren geht nämlich nicht nur kreisförmig mit Schneebesen, es geht auch sentimentalisch oder, wie es hier gemeint war, in poetischer Verkürzung von „berühren“ – weshalb man immer nur „an die Wunden rühren" soll. („Rühr nicht an mir" klingt irgendwie gemeiner als „Rühr mich nicht an!") MICHAEL SKASA_