erlebte tatsachen unbewusste Dinge
Hallo Matthias und Mitlesende,
habe das bewusste Buch von daniel C. Dennett zwar nicht gelesen, möchte aber zu deiner Frage eigenes Erleben nebst Schlussfolgerungen beisteuern:
meine frage:
kann es sein dass babies, etc. kein „bewusstsein“ haben weil
die menge der verschaltungen noch zu gering ist???
Von einer „Menge“ sprechen wir wohl immer, wenn wir meinen, einen tauglichen Begriff von dem zu haben, was da am Werk ist und auf was es ankommt. Mit dem Wort „Verschaltungen“ kann ich da zu Not leben, wenngleich es sich nicht so schön anhört.
Als „Babies, etc.“ (das etc. finde ich gut!) haben wir natürlich alle bereits Tatsachen erfahren und hoffentlich unser Erfahren auch wirksam lautstark gemacht (Hunger, Zahnweh, bespasst werden wollen, aber auch Eindrücke von Mißstimmungen im Raume etc.)
Um es mal in der Sprache des „Tractatus“ zu versuchen: Die Tatsachen hatten wir als Babies voll drauf; von den Bedingungen ihrer Möglichkeiten jedoch war unsere Vorstellung spärlich. Alle Tatsachen, die sich nicht ok anfühlen, werden mit Brüllen behandelt, was zu der Erfahrung führt, dass Brüllen die Aufhebung von Unwohlsein nach sich zieht und ein erstes Bewusstsein schafft, dass Brüllen dazu taugt, ein Geschehen zu orderen, nach dem es baby besser gehen wird. Als Baby „geschieht
mir“ doch weis ich nicht wie. Ich kenne noch keine Dinge, spüre aber Tatsachen (darunter auch Wohlergehen nach erfolgreichem Brüllen). Meine erste gelernte Hypothese war, dass mehr Brüllen zu mehr Wohlergehen führen werde. Eine Hypothse, die mal trug und mal trog. Und ich erinnere mich an ein Gefühl von Mißgestimmtheit über die Unzuverlässigkeit dieser Hypothese, die ja keineswegs einfach falsch war, sondern halt unzuverlässig. Ich fand die Unzuverlässigkeit doof und empfand Wut über ihre Unzuverlässigkeit. Eine böse Falle, denn mit meinem Brüllen konnte ich mir neue Windeln ordern, nicht aber neue Hypothesen.
Ich konnte Gestimmtheiten unterscheiden, zu denen ich „recht zuversichtlich“ Brüllen konnte und welche, bei denen ich eher die Ahnung herausbrüllte, das das wohl nichts helfen wird.
An den Lernschritt, dass „mehr Brüllen“ nicht notwending zu mehr Wohlbefinden führen werde, wohl aber zu einer rascheren Bemühung darum (zu rascherer Aufmerksamkeit halt) erinnere ich mich. Ich erinnere mich an willentliche Entschlüsse, lauter zu brüllen, als „es“ von selber aus mir brüllte. Nachdruckbrüllen als erfahrungsgestützt erlernte Strategie zur Beschleunigung elterlicher Aufmerksamkeit. Ich glaube, dass meine kleinkindliche Empfindungswelt sehr reich war, nur fehlten ihr verankerungsfähige Zeichen, um sie zu memorieren. Die Welt war für mich damals so wie eine chinesische Zeitung heute; mir ist klar, dass da was drinsteht und nciht einfach ein Vogel übers Papier gelaufen ist, aber ich kann es nicht lesen, nicht verstehen, was es ist, und mir natürlich auch nicht merken. Ich habe auf die Tatsachen meiner Welt geblickt ohne Ahnung von ihren Dingen, aber doch mit der Ahnung, dass es „Dinge“, Schlüssel zu diesen Tatsachen gibt. Ich habe eine Wut gespürt, über meine Unfähigkeit mich präziser verständlich zu machen, eine Wut über meinen „Mangel an Sprache“. Von dieser Wut hatte ich sehr früh einen adressierfähigen Begriff, sie brauchte nicht erst über mich zu kommen, ich konnte sie aufsuchen. Ich erinnere mich daran, als Kleinkind, vielleicht mit zwei oder drei, mal einen Entschluss gefasst zu haben. Ich wurde in den Kinderwagen verfrachtet und fand das aus irgendeinem Grund doof. Aus welchem weis ich nicht mehr. Ich habe damals beschlossen, mich an die Wut zu erinnern, die ich über mein Unvermögen empfand, meine Einwände gegen die Kinderwagenverfrachtung darlegen zu können. Es war irgendwas, für das mir mein Standartbrüllen unangemessen erschien. Ich wollte mich ausdrücken jenseits des „Alarmmodus“, konnte es nicht, war darüber wütend darüber und habe beschlossen, mir das zusammen mit der Innensichtperspektive des Kinderwagens zu merken. Damit hatte ich als Alternative zum Brüllen, das Instrument eines inneren Entschlusses, mir das zu merken. Das half zwar nichts in der Sache, bewirkte aber ein „befriedigendes“ Gefühl, etwas getan zu haben und nicht einfach hilflos verblieben zu sein.
Ich glaube, man kann sich nicht an etwas erinnern von dessen „Möglichkeitsbedingungen“ man keinen Begriff hat.
Ich weis nicht, warum ich es doof fand in den Kinderwagen verfrachtet zu werden, aber ich erinnee mich an diese Szene, weil diese Szene Bedingnug der Möglichket meines Entschlusses war, mir mein Gefühl in dem Augenblick zu merken. Also hatte ich z.B. ein „abduktives“ Bewustsein von einer recht zuverlässigen Aussicht darauf, das es so etwas geben wird wie Zukunft; kommende ähnliche und andere Gestimmtheiten. Der Entschuss mir etwas zu „merken“ impliziert ein „Bewustsein“ von Zeitlichkeit, wenn man es abduktiv betrachtet. Also würde ich sagen: Abduktiv betrachtet (also auf die Plausibilität einer Voraussetzungsbasis hin geschlossen) haben Kleinkinder Bewustsein. Doch erinnern werden sie sich nur an das können, wovon sie einen Begriff hatten. Nicht zwingend einen sprachlichen, Bilder, Geschmäcker oder Befindlichkeiten tun es in einfachen Fällen auch.
entsteht bewusstsein also erst nach einiger zeit? (ich setze
mal bewusstsein ein bisschen mit gedächtnis gleich weil das
für mich in dem zusammenhang zusammengehört).
Auch die Räkeleien eines Embryos reagieren auf Empfindungen indem sie nach den Möglicheikten von besseren Empfindungen in ihren Positionswechselen oder Dehnungsübungen suchen. Insofern halte ich es für sinnvoll, von Bewustsein und Verhalten zu sprechen, von einem vorbegrifflichen freilich und damit von einem i.d.R. nicht memorierbaren.
Ich glaube, wenn man einen Astronauten fragt, wie oft er im schwerelosen Raum den Kopf oben und wie oft er ihn unter hatte, dann wird er sagen: „Na hörn Sie mal, im schwerelosen Raum gibt es kein oben und unten“. Für einen Embryo gibt es zwar die Gravitation als Tatsache, aber sie berührt ihn im Fruchwasser wohl nicht so sehr. Er erfährt sie nicht als Bedingung der Möglichkeiten seines Empfindens. An was soll er sich also erinnern? Gleichwohl wird er ziemlich gerudert sein, wenn er sich in der Nabelschnur verhaspelt hat. Woran also soll er sich erinnern, wenn nichts von dem, was für uns heute erfahrungswirksam ist, ihn berührte und nichts von dem, was ihn berührte, für uns heute erfahrungsfähig ist? Der Astronaut ist eine Zeit lang von der Gravitation suspendiert. An Mahlzeiten im Orbit wird er sich erinnern. Doch wie sollen wir uns heute erinnern an den Nahrungsfluss aus der Nabelschnur - ohne Nabelschnur?
Soweit mein Ausflug in erinnertes Erleben und die Möglichkeiten von Erleben jenseits derer sie zu erinnern.
Gratulation zur Geduld mit dem Text,
Thomas