Bewusstsein

hallo!

habe gerade das buch „consciousness explained“ von daniel c. dennett gelesen.

seine theorie geht davon aus dass bewusstsein ein prozess ist der durch die interaktion verschiedener module im gehirn entsteht.

meine frage:
die „verkabelung“ des gehirns findet ja v.a. in den ersten lebensjahren statt - da werden die meisten verbindungen geschaffen.
kann es sein dass babies, etc. kein „bewusstsein“ haben weil die menge der verschaltungen noch zu gering ist???

ich merke bei mir selber dass die frühesten erinnerungen die ich habe nur bis zum kindergarten zurückreichen. es gibt doch aber keinen logischen grund wieso ich mich nicht an sachen erinnern sollte die vorher passiert sind!?

entsteht bewusstsein also erst nach einiger zeit? (ich setze mal bewusstsein ein bisschen mit gedächtnis gleich weil das für mich in dem zusammenhang zusammengehört).

danke

tschüss

matthias

p.s. wie weit reichen eure erinnerungen zurück???

Hallo Matthias,

ich kenne das Buch nicht und weiß auch nicht, ob Babies ein
Bewusstsein haben oder nicht.
Ich stelle aber fest, dass meine frühesten Erinnerungen damit zu
tun haben, dass mir bestimmte Dinge zum ersten Mal bewusst wurden
und dadurch besonders eindrücklich waren. Außerdem waren es eher
negative Erlebnisse, die mit Enttäuschung zu tun hatten.

Ein Beispiel:
Ich stehe neben meiner Mutter, die auf einer Bank sitzt, und es
wird ein Photo von uns gemacht. Wie das früher so üblich war,
sagt man zu mir: „Guck mal, da kommt ein Vögelchen raus!“
Aber wie ich auch guckte und guckte, es kam einfach kein
Vögelchen - das kam mir irgendwie komisch vor (ich sehe das
vogellose Objektiv heute noch vor mir).

Nach dem Datum, das unter diesem Photo im Album steht, war ich
noch keine 2 Jahre alt.
Der Grund, dass ich dieses Erlebnis behalten habe, war vermutlich
der, dass mir zum ersten Mal auffiel, dass nicht immer alles
stimmt, was Erwachsene sagen.
Wenn diese Enttäuschung nicht gewesen wäre, hätte ich es mir
wahrscheinlich nicht gemerkt.

Hat dieses Bewusstwerden nun etwas mit dem Bewusstsein zu tun?

War mein Gehirn vielleicht gerade erst komplex genug geworden, um
zu merken, dass da etwas nicht stimmte?
Oder um enttäuscht zu sein?
Oder um sich die Sache zu merken?
Oder um zu merken, dass da ein Etwas betroffen ist, das „Ich“ ist
und am nächsten Tag immer noch dasselbe „Ich“ ist, und dass
folglich diese Sache ein und demselben „Ich“ zugestoßen ist?

Nur ein paar Gedankenanstöße.
Klio.

hallo!!

genau solche sachen suche ich - spitze!!

während ich deine beschreibung gelesen habe habe ich mir gedacht: wer so weit zurüchdenken kann bzw. so früh „angefangen“ hat zu denken (sag ich mal so) die muss ein „schlauer kopf“ sein!
danach hab ich mir die vika angeschaut und sofort wurde mir einiges klar!! :wink:)

ganz weit philosophierend:
würdest du sagen dass du schon „immer“ „an enquiring mind“ hattest (kann ich nur in englisch ausdrücken - mein deutsch ist nicht gut genug :wink:)))

tschüss

matthias

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Hallo,

Bewusstsein, ist das BEWUSSTE sein vom ICH!
Ein Baby hat sicherlich noch KEIN ICH-Bewusstsein. Ein Baby IST einfach jetzt DA!
Auch Kleinkinder denken noch nicht an ein ICH (früher). Doch leider wird das ICHbewußtsein heute schon verhältnismäßig früh geweckt (anerzogen).

Der Verlauf ist folgender: Zunächst ist das Kleinkind nur im JETZ und in seinem WAHREN SELBST verankert. Dann entstehen die Sinneswahrnehmungen. Durch Sinneswahrnehmung entstehen Empfindungen. Durch Empfindungen entstehen ZU – oder AB – Neigungen. Durch die Neigungen entsteht VERLANGEN (Begehren) für sICH!
Jetzt erst entsteht Bewusstsein. Das Lebewesen wird sich seines ICH BIN bewusst.

Dieses ICHbewusstsein entwickelt sich dann zu dem, was als EGO bezeichnet wird. Der bewusst gewordene Mensch lebt nicht mehr aus seinem WAHREN Selbst, sondern aus seinem ICH heraus. Er lebt NICHT mehr im JETZT, sondern denkt an Vergangenes und plant Zukünftiges.
Somit ist der Mensch aus seinem wahren SELBST heraus gefallen – und ist SKLAVE seiner Sinneswahrnehmung und dem daraus entstandenen EGO.

Jetzt muß der Mensch über seinen Verstand (menschlicher Geist) sein wahres Selbst wieder finden. Diesen Weg nennt man Selbsterkenntnis (man beachte: NICHT ICHerkenntnis – was heute allzu gerne verwechselt wird) oder Bewusstwerdung.

Diese Entwicklung zeigen einige Philosophen (von FRÜHER – nicht die Heutigen!) und die alten Religionen. (Jede/r auf seine individuelle Art).

So spricht ein Buddha vom Schwinden des (ICH) Bewusstseins. Ein Lao-Tse vom Tun ohne Tun. Die Bibel vom – zum Kinde werden.

Kurz, es geht darum, dieses EGO zu vernichten, und voll BEWUSST aus seinem wahren SELBST zu handeln – dazu WERDEN.
Auch ein Goethe: Lang hab ICH mich gesträubt, endlich gab ICH nach – wenn der Alte Mensch zerstäubt, wird der NEUE wach.

Mit freundlichen Grüßen

Demetrius

P.S. Darum hat man auch keine Erinnerung an die „Kindheit“, (in diesen Zeitraum, in dem man noch aus dem SELBST gelebt hat) weil das ICH diese Erinnerung ZUDECKT (verschleiert). Man erinnert sich erst wieder, wenn man zum wahren SELBST geworden ist.
Wir erinnern uns NUR an das ICH und nicht an das SELBST. Wer sich also weit zurück erinnern kann, hat sehr früh das ICH aufgebaut. Wer sich nicht weit zurück erinnern kann, hat erst sehr spät das EGO aufgebaut (glückliche Kindheit OHNE Probleme). Was wiederum zeigt, dass Probleme BEWUSST werden lassen.

Ein Kind lebt UNBEWUSST im Sein-Zustand (glücklich – weiß es aber nicht). Dann fällt es heraus, (unglücklich) und der Mensch muß ganz BEWUSST wieder den Sein-Zustand erreichen. (glücklich – aber jetzt weiß man es) Somit: BEWUSST zum Kinde werden.

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Hallo Matthias,

habe gerade das buch „consciousness explained“ von daniel c.
dennett gelesen.

Na ja, ich gestehe, ich habe das Buch nun nicht gelesen. Ich hoffe, ich darf trotzdem was zum Thema BEWUSSTSEIN hier schreiben?

seine theorie geht davon aus dass bewusstsein ein prozess ist
der durch die interaktion verschiedener module im gehirn
entsteht.

Also das klingt mir erst einmal ein bisschen zu sehr nach dem Vergleich: Mensch - Maschine. Ich bin kein Computer und will auch nicht mit einem solchen verglichen werden.

meine frage:
die „verkabelung“ des gehirns findet ja v.a. in den ersten
lebensjahren statt - da werden die meisten verbindungen
geschaffen.
kann es sein dass babies, etc. kein „bewusstsein“ haben weil
die menge der verschaltungen noch zu gering ist???

Kann es nicht sein, dass es so ist wie bei einem Hund; er spricht nicht mit uns, er kann Abstraktes wie Sprache nicht benutzen, um sich uns mitzuteilen. Daher schließen wir im Alltag oft vorschnell, dass der gute Hund ein bisschen „belämmert“ ist, eben dumm.
Wir wissen aber im Grunde einfach nicht, was in seinem Gehirn vor sich geht. Vielleicht ist er klüger als wir meinen (na ja, ich meine wir im Sinne von: Die meisten von uns, da es sicher einige gibt, die ein genaueres Verständnis davon haben, was Hunde „können“).

ich merke bei mir selber dass die frühesten erinnerungen die
ich habe nur bis zum kindergarten zurückreichen. es gibt doch
aber keinen logischen grund wieso ich mich nicht an sachen
erinnern sollte die vorher passiert sind!?

Vielleicht erinnert man sich nur an bestimmte „Zustände“, aber schon hier hege ich Zweifel… Und außerdem: Wozu soll das nutzen?

entsteht bewusstsein also erst nach einiger zeit? (ich setze
mal bewusstsein ein bisschen mit gedächtnis gleich weil das
für mich in dem zusammenhang zusammengehört).

Also für mich ist Bewusstsein nicht bloß Gedächtnis, und ich nehme mal an, auch für Dich ist es das nicht. Wir sprechen z.B. vom „politischen Bewusstsein“, das einer hat. Das z.B. spreche ich dem Hund schon mal ab, weil er z.B. sich keines bilden kann, weil er der menschlichen Sprache nicht mächtig ist. Und was die Entstehung des Bewusstseins angeht, so bin ich davon überzeugt, dass es sich im Grunde- bei entsprechender Bemühung- erweitern kann. Klingt vielleicht etwas abgehoben, aber ich glaube einfach nicht an die Determiniertheit von allem möglichen in der Kindheit; mir scheint, darauf läuft dieses Buch, das Du gelesen hast, hinaus.

danke

Tja, ich hoffe, ich habe die Diskussion angeregt, vielleicht bereichert?

p.s. wie weit reichen eure erinnerungen zurück???

Na ja, also so Kindergartenalter… und ist auch ein bisschen mit besonderen Ereignissen verknüpft.

Gruß

Hermann

PS:

Also philosophisches online zu schreiben widerspricht eigentlich philosophischer Vorgehensweise; vieeeel zu hektisch!

Danke, zuviel der Blumen! (o.T.)
Genau das.

Hallo Mathias,
Das Buch habe ich nicht gelesen, aber Deine Ausführungen decken sich im Ganzen gesehen mit meinem Grundwissen.
Das Buch von H.v.Ditfurth „Der Geist fiel nicht vom Himmel“ und von Gerhard Vollmer „Evolutionäre Erkenntnistheorie“ sind sehr aufschlussreich.
Ich denke das Gehirn als Organn wird im Kindesalter nebst der Zunahme von Neuronen mit immer mehr Schaltkreisen, Arealen und Modulen ausgestattet. Bei einem bestimmten Zustand und Erinnerungsvermögen klickt es eben. Ein Baby-Vogel kann ja seine Flügel auch erst ab einem gewissen Entwickliungsstand gebrauchen. Wir haben die Mode, vieles in die transzendentale „Schublade“ zu versorgen. In Wirklichkeit, so denke ich, geht’s sehr natürlich zu und her. Zudem ist unser Denkapparat erst in den Kinderschuhen und wird vielleicht in ein paar Mio.Jahren besser durchblicken. Eben: Mehr evolutionäre Erkenntnis erlangen !
Mit Gruss: hardy

Bewusst-Sein
Hallo Matthias,

> habe gerade das buch „consciousness explained“ von daniel c.
> dennett gelesen. seine theorie geht davon aus dass bewusstsein > ein prozess ist der durch die interaktion verschiedener module
> im gehirn entsteht.

meiner Meinung nach wagt sich Dennett in diesem (zweifellos interessanten, aber – wie ich finde – ziemlich spekulativen) Buch etwas weit vor. Dadurch dass er Bewusstsein „naturwissenschaftlich“ erklären möchte, stellt er IMHO schon die verkehrten Weichen, wobei die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen schon richtig sind, FALLS die Prämisse stimmt. Aber die ist wohl falsch, denke ich. Denn dadurch dass Dennett eine empirische Theorie entwickeln will, verwischt er schon den Unterschied zwischen der Entwicklung des Bewusstseins und der Geltung von Bewusstseinsinhalten – der klassische Konflikt zwischen Genesis und Geltung. Da wo Wittgenstein noch fragte, wie es wirklich sei, setzen seine Nachfolger Ryle und Dennett Tatsachen fest, die sie nicht mehr für fraglich halten und deren Konsequenzen sie für Begründungen halten.

> meine frage: die „verkabelung“ des gehirns findet ja v.a. in
> den ersten lebensjahren statt - da werden die
> meisten verbindungen geschaffen. kann es sein dass babies,
> etc. kein „bewusstsein“ haben weil die menge der
> verschaltungen noch zu gering ist???

Diese Frage setzt eben jene Setzungen, die ich oben erwähnt habe, schon voraus und ist deshalb meiner Ansicht nach so nicht beantwortbar bzw. nicht so einfach zu beantworten, wie man es gerne tun würde. Die Beispiele von Klio sind interessant und müssten eigentlich näher untersucht werden – allerdings nicht philosophisch, sondern psychologisch (und damit empirisch). Für den Bewusstseinsbegriff würde ich daraus allerdings noch nichts folgern wollen, weil das ja einen induktiven Schluss voraussetzen würde über die Voraussetzungen der gegebenen Erinnerungen. Demetrius schreibt über den Begriff des Selbstbewusstseins– das scheint mir an der Frage vorbeizugehen. Hermanns Ansatz scheint mir sinnvoller zu sein, weil er einen Stufenbau des Bewusstseins, also eine Zunahme von Eigenschaften des Bewusstseins mit der Entwicklung annimmt. Aber auch das sagt eigentlich nichts über den ursprünglichen Begriff des „Bewusstseins“ aus, sondern setzt ihn vielmehr schon voraus.

> entsteht bewusstsein also erst nach einiger zeit?

Meiner Ansicht nach nicht, denn das, was sich AM Bewusstsein als Eigenschaft entwickelt, setzt eben die Anwesenheit von Bewusstsein ALS Bewusstsein schon voraus.

> (ich setze mal bewusstsein ein bisschen mit gedächtnis gleich

Das kannst du nur machen, wenn du den EMPIRISCHEN Begriff von Bewusstsein von vornherein annimmst.

Entschuldige, wenn ich auf deine Fragen nicht die richtigen Antworten weiß, sondern nur die Art der Frage kritisiere, aber das scheint mir ein Grundproblem der „Nachwittgensteinianer“ zu sein.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

P. S.

> wie weit reichen eure erinnerungen zurück???

Meine früheste Erinnerung reicht in die Zeit zurück, als ich noch in einem Gitterbett schlief. Meine Eltern legten mich schlafen und sagten, sie blieben im Nebenzimmer. Dann fuhren sie mit dem Auto weg, was ich am Fenster beobachten konnte. Ich hatte zwar keine Angst, allein zu sein, wie meine Eltern vermuteten, aber ich war wütend auf sie, weil sie mir nicht zutrauten, keine Angst zu haben. Ich kann zu diesem Zeitpunkt höchstens 4 Jahre alt gewesen sein.

hallo,

meiner meinung nach gibt es erinnerung auf die wir zugreifen können erst mit der entwicklung der sprache. sobald die sprachfähigkeit entwickelt ist können wir uns auch erinnern,
wobei die erlebnisse aus der schwangerschaft und der ersten zeit auch vorhanden sind, aber nicht zugreifbar da ohne sprache ein anderes ordnungssystem benutzt wird, basierend auf gefühlen und wahrnehmungen. bei verschiedenen körpertheraphien ist es möglich auf diese erfahrungswerte über körperübungen zuzugreifen.

ich finde in diesem zusammenhang wittgenstein interessant
„ich kann über nichts denken worüber ich nicht sprechen kann“

thorsten

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Hallo,

Im Prinzip kann ich Dir zustimmen.

Diese Entwicklung zeigen einige Philosophen (von FRÜHER –
nicht die Heutigen!) und die alten Religionen. (Jede/r auf
seine individuelle Art).

Allerdings: Ab wann ist denn „FRÜHER“? Also Michel Houellebecq schreibt in „Elementarteilchen“: „Der Mensch ist dem Ich verfallen. Und er gilt noch lange nicht als geheilt.“ Nietzsche meinte mit dem „Übermenschen“ ebenso das Überwinden des „Ich“ und das erreichen von „absoluter Wertfreiheit“. Und ich persönlich (um mich in diese Reihe zu stellen und damit mein Ego zu befriedigen :wink: meine das auch so.

Warum glaubst Du denn, dass die „heutige“ Philosophie daran vorbeigeht? Ich denke, das ist an sich der einzige Weg. Allerdings sehe ich das nicht ganz so mystisch. Sondern einfach rational, logisch und ohne theistischen Bezug. (Ich bin nunmal ein Kind meiner Zeit :wink:

best regards

Hallo,

schön, daß Du prinzipiell zustimmst.

Mit früher meine ich vor dem 19. Jahrhundert – und natürlich die ganz „Alten“.
Meines Erachtens waren Kant, Schopenhauer und Nietzsche die letzten großen Philosophen.
Michel Houellebecq den Du anführst kenne ich nicht. Vielleicht ist er ja ein HEUTIGER Philosoph? :- ))
Mit heute meine ich eben JETZT zu Lebzeiten.

>>>>Warum glaubst Du denn, dass die „heutige“ Philosophie daran
vorbeigeht? Ich denke, das ist an sich der einzige Weg.

Aha,

ich schreib mal nen Link hin. Dieses Interview der WamS mit P. Solterdijk hat mich zum Zeitpunkt des Erscheinens schon sehr beeindruckt. Im Prinzip redet er genau über das was Du „ihm vorwirfst“. Und ich halte Sloterdijk auf jeden Fall für einen großen Philosophen der heutigen Zeit. => http://www.welt.de/daten/2002/01/20/0120pg309074.htx

Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass, meines Erachtens nach, die Philosophie nicht die Aufgabe hat, sich in den schnellen Medien der heutigen Zeit zu prosituiren. Fernsehen und Zeitungen/Zeitschriften sind ungeeignet zum Publizieren, da sich in 90 Minuten (womöglich noch unterbrochen von Werbung) oder in zehntausend Zeichen nunmal keine Philosophie betreiben lässt.
Zu jeder Zeit haben Philosophen sich „daheim hingesetzt“ und haben Bücher geschrieben um die Erkenntnisse zu publizieren. Und das ist auch gut so, sonst könnte man es heute kaum nachvollziehen. Jeder Philosph, der sich (nach den griechischen Phil.-Vätern) „auf den Marktplatz gestellt hat“, ist über Streitgespräch und Provokation kaum hinaus gekommen. Philosophieren funktioniert nur im Kopf oder im kleinen Kreis von ausgewählten Leuten. Die Publikation der Erkenntinisse funktioniert nur als umfangreiche Abhandlung. Zumindest dann, wenn man wert drauf legt sich richtig auszudrücken und vorallem richtig verstanden zu werden.

erlebte tatsachen unbewusste Dinge
Hallo Matthias und Mitlesende,

habe das bewusste Buch von daniel C. Dennett zwar nicht gelesen, möchte aber zu deiner Frage eigenes Erleben nebst Schlussfolgerungen beisteuern:

meine frage:

kann es sein dass babies, etc. kein „bewusstsein“ haben weil
die menge der verschaltungen noch zu gering ist???

Von einer „Menge“ sprechen wir wohl immer, wenn wir meinen, einen tauglichen Begriff von dem zu haben, was da am Werk ist und auf was es ankommt. Mit dem Wort „Verschaltungen“ kann ich da zu Not leben, wenngleich es sich nicht so schön anhört.

Als „Babies, etc.“ (das etc. finde ich gut!) haben wir natürlich alle bereits Tatsachen erfahren und hoffentlich unser Erfahren auch wirksam lautstark gemacht :smile: (Hunger, Zahnweh, bespasst werden wollen, aber auch Eindrücke von Mißstimmungen im Raume etc.)

Um es mal in der Sprache des „Tractatus“ zu versuchen: Die Tatsachen hatten wir als Babies voll drauf; von den Bedingungen ihrer Möglichkeiten jedoch war unsere Vorstellung spärlich. Alle Tatsachen, die sich nicht ok anfühlen, werden mit Brüllen behandelt, was zu der Erfahrung führt, dass Brüllen die Aufhebung von Unwohlsein nach sich zieht und ein erstes Bewusstsein schafft, dass Brüllen dazu taugt, ein Geschehen zu orderen, nach dem es baby besser gehen wird. Als Baby „geschieht
mir“ doch weis ich nicht wie. Ich kenne noch keine Dinge, spüre aber Tatsachen (darunter auch Wohlergehen nach erfolgreichem Brüllen). Meine erste gelernte Hypothese war, dass mehr Brüllen zu mehr Wohlergehen führen werde. Eine Hypothse, die mal trug und mal trog. Und ich erinnere mich an ein Gefühl von Mißgestimmtheit über die Unzuverlässigkeit dieser Hypothese, die ja keineswegs einfach falsch war, sondern halt unzuverlässig. Ich fand die Unzuverlässigkeit doof und empfand Wut über ihre Unzuverlässigkeit. Eine böse Falle, denn mit meinem Brüllen konnte ich mir neue Windeln ordern, nicht aber neue Hypothesen.

Ich konnte Gestimmtheiten unterscheiden, zu denen ich „recht zuversichtlich“ Brüllen konnte und welche, bei denen ich eher die Ahnung herausbrüllte, das das wohl nichts helfen wird.

An den Lernschritt, dass „mehr Brüllen“ nicht notwending zu mehr Wohlbefinden führen werde, wohl aber zu einer rascheren Bemühung darum (zu rascherer Aufmerksamkeit halt) erinnere ich mich. Ich erinnere mich an willentliche Entschlüsse, lauter zu brüllen, als „es“ von selber aus mir brüllte. Nachdruckbrüllen als erfahrungsgestützt erlernte Strategie zur Beschleunigung elterlicher Aufmerksamkeit. Ich glaube, dass meine kleinkindliche Empfindungswelt sehr reich war, nur fehlten ihr verankerungsfähige Zeichen, um sie zu memorieren. Die Welt war für mich damals so wie eine chinesische Zeitung heute; mir ist klar, dass da was drinsteht und nciht einfach ein Vogel übers Papier gelaufen ist, aber ich kann es nicht lesen, nicht verstehen, was es ist, und mir natürlich auch nicht merken. Ich habe auf die Tatsachen meiner Welt geblickt ohne Ahnung von ihren Dingen, aber doch mit der Ahnung, dass es „Dinge“, Schlüssel zu diesen Tatsachen gibt. Ich habe eine Wut gespürt, über meine Unfähigkeit mich präziser verständlich zu machen, eine Wut über meinen „Mangel an Sprache“. Von dieser Wut hatte ich sehr früh einen adressierfähigen Begriff, sie brauchte nicht erst über mich zu kommen, ich konnte sie aufsuchen. Ich erinnere mich daran, als Kleinkind, vielleicht mit zwei oder drei, mal einen Entschluss gefasst zu haben. Ich wurde in den Kinderwagen verfrachtet und fand das aus irgendeinem Grund doof. Aus welchem weis ich nicht mehr. Ich habe damals beschlossen, mich an die Wut zu erinnern, die ich über mein Unvermögen empfand, meine Einwände gegen die Kinderwagenverfrachtung darlegen zu können. Es war irgendwas, für das mir mein Standartbrüllen unangemessen erschien. Ich wollte mich ausdrücken jenseits des „Alarmmodus“, konnte es nicht, war darüber wütend darüber und habe beschlossen, mir das zusammen mit der Innensichtperspektive des Kinderwagens zu merken. Damit hatte ich als Alternative zum Brüllen, das Instrument eines inneren Entschlusses, mir das zu merken. Das half zwar nichts in der Sache, bewirkte aber ein „befriedigendes“ Gefühl, etwas getan zu haben und nicht einfach hilflos verblieben zu sein.

Ich glaube, man kann sich nicht an etwas erinnern von dessen „Möglichkeitsbedingungen“ man keinen Begriff hat.

Ich weis nicht, warum ich es doof fand in den Kinderwagen verfrachtet zu werden, aber ich erinnee mich an diese Szene, weil diese Szene Bedingnug der Möglichket meines Entschlusses war, mir mein Gefühl in dem Augenblick zu merken. Also hatte ich z.B. ein „abduktives“ Bewustsein von einer recht zuverlässigen Aussicht darauf, das es so etwas geben wird wie Zukunft; kommende ähnliche und andere Gestimmtheiten. Der Entschuss mir etwas zu „merken“ impliziert ein „Bewustsein“ von Zeitlichkeit, wenn man es abduktiv betrachtet. Also würde ich sagen: Abduktiv betrachtet (also auf die Plausibilität einer Voraussetzungsbasis hin geschlossen) haben Kleinkinder Bewustsein. Doch erinnern werden sie sich nur an das können, wovon sie einen Begriff hatten. Nicht zwingend einen sprachlichen, Bilder, Geschmäcker oder Befindlichkeiten tun es in einfachen Fällen auch.

entsteht bewusstsein also erst nach einiger zeit? (ich setze
mal bewusstsein ein bisschen mit gedächtnis gleich weil das
für mich in dem zusammenhang zusammengehört).

Auch die Räkeleien eines Embryos reagieren auf Empfindungen indem sie nach den Möglicheikten von besseren Empfindungen in ihren Positionswechselen oder Dehnungsübungen suchen. Insofern halte ich es für sinnvoll, von Bewustsein und Verhalten zu sprechen, von einem vorbegrifflichen freilich und damit von einem i.d.R. nicht memorierbaren.

Ich glaube, wenn man einen Astronauten fragt, wie oft er im schwerelosen Raum den Kopf oben und wie oft er ihn unter hatte, dann wird er sagen: „Na hörn Sie mal, im schwerelosen Raum gibt es kein oben und unten“. Für einen Embryo gibt es zwar die Gravitation als Tatsache, aber sie berührt ihn im Fruchwasser wohl nicht so sehr. Er erfährt sie nicht als Bedingung der Möglichkeiten seines Empfindens. An was soll er sich also erinnern? Gleichwohl wird er ziemlich gerudert sein, wenn er sich in der Nabelschnur verhaspelt hat. Woran also soll er sich erinnern, wenn nichts von dem, was für uns heute erfahrungswirksam ist, ihn berührte und nichts von dem, was ihn berührte, für uns heute erfahrungsfähig ist? Der Astronaut ist eine Zeit lang von der Gravitation suspendiert. An Mahlzeiten im Orbit wird er sich erinnern. Doch wie sollen wir uns heute erinnern an den Nahrungsfluss aus der Nabelschnur - ohne Nabelschnur?

Soweit mein Ausflug in erinnertes Erleben und die Möglichkeiten von Erleben jenseits derer sie zu erinnern.

Gratulation zur Geduld mit dem Text,

Thomas

Aha,

ich schreib mal nen Link hin. Dieses Interview der WamS mit P.
Solterdijk hat mich zum Zeitpunkt des Erscheinens schon sehr
beeindruckt. Im Prinzip redet er genau über das was Du „ihm
vorwirfst“. Und ich halte Sloterdijk auf jeden Fall für einen
großen Philosophen der heutigen Zeit. =>
http://www.welt.de/daten/2002/01/20/0120pg309074.htx

Der Link funktioniert leider nicht, aber ich habe bei Google nachgesehen. Da ist ja einiges zu finden.
Muß ich mal in Ruhe lesen.

Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass, meines Erachtens
nach, die Philosophie nicht die Aufgabe hat, sich in den
schnellen Medien der heutigen Zeit zu prosituiren. Fernsehen
und Zeitungen/Zeitschriften sind ungeeignet zum Publizieren,
da sich in 90 Minuten (womöglich noch unterbrochen von
Werbung) oder in zehntausend Zeichen nunmal keine Philosophie
betreiben lässt.
Zu jeder Zeit haben Philosophen sich „daheim hingesetzt“ und
haben Bücher geschrieben um die Erkenntnisse zu publizieren.
Und das ist auch gut so, sonst könnte man es heute kaum
nachvollziehen. Jeder Philosph, der sich (nach den
griechischen Phil.-Vätern) „auf den Marktplatz gestellt hat“,
ist über Streitgespräch und Provokation kaum hinaus gekommen.
Philosophieren funktioniert nur im Kopf oder im kleinen Kreis
von ausgewählten Leuten. Die Publikation der Erkenntinisse
funktioniert nur als umfangreiche Abhandlung. Zumindest dann,
wenn man wert drauf legt sich richtig auszudrücken und
vorallem richtig verstanden zu werden.

Ja, da kann ich Dir eigentlich nur zustimmen. Und die Größten wurden zu Lebzeiten „verlacht“. Oder zumindest nicht als das was sie waren - erkannt.

Je höher der Geist, um so feiner die Ausstrahlung. Je feiner die Ausstrahlung, um so länger dauert es, bis sie manifestiert wird.

MfG,

Demetrius

hallo,

meiner meinung nach gibt es erinnerung auf die wir zugreifen
können erst mit der entwicklung der sprache.

Ist es nicht vielmehr so, dass wir die Erinnerungen dann erst
mitteilen können?

sobald die sprachfähigkeit entwickelt ist können wir uns auch erinnern,

Nein, wir können sie dann mitteilen.

wobei die erlebnisse aus der schwangerschaft und der ersten
zeit auch vorhanden sind, aber nicht zugreifbar

Doch, nur ein Beispiel. Ich ekelte mich schon immer vor Milch, weil ich genau weiß, dass ich aus der Nuckelflache „Klümpchen“
eingesaugt hatte und mich daraufhin erbrach und nie wieder
Milch getrunken habe. Auf Nachfrage als erwachsene Frau wollte
meine Mutter ihren Ohren nicht trauen, denn sie sagte, dass kanst Du gar nicht wissen, Du warst höchstens 5 Monate alt und
bei Deiner Pflegemutter, als das passierte und ich mußte dann
immer "aus dem Westen Kakao besorgen, weil Du anders nie wieder Milch angerühert hast. Die Erinnerung kam mir übrigens beim
Geruch, als ich mein erstes Babyfläschchen meinem Sohn gab.

ich finde in diesem zusammenhang wittgenstein interessant
„ich kann über nichts denken worüber ich nicht sprechen kann“

Aber trotzdem mir über etwas bewußt sein…evtl. über Erinnerungen…?

Gruss
hd

hallo!

habe gerade das buch „consciousness explained“ von daniel c.
dennett gelesen.

seine theorie geht davon aus dass bewusstsein ein prozess ist
der durch die interaktion verschiedener module im gehirn
entsteht.

meine frage:
die „verkabelung“ des gehirns findet ja v.a. in den ersten
lebensjahren statt - da werden die meisten verbindungen
geschaffen.
kann es sein dass babies, etc. kein „bewusstsein“ haben weil
die menge der verschaltungen noch zu gering ist???

ich merke bei mir selber dass die frühesten erinnerungen die
ich habe nur bis zum kindergarten zurückreichen. es gibt doch
aber keinen logischen grund wieso ich mich nicht an sachen
erinnern sollte die vorher passiert sind!?

entsteht bewusstsein also erst nach einiger zeit? (ich setze
mal bewusstsein ein bisschen mit gedächtnis gleich weil das
für mich in dem zusammenhang zusammengehört).

danke

tschüss

matthias

p.s. wie weit reichen eure erinnerungen zurück???