Entelechie
Hallo Metapher,
Genau genommen übersetzt Meister Eckart mit wercelicheit die
aristotelische entelécheia (alias enérgeia), das ja ebenso von
Aristoteles als Kunstwort in das Attische eingeführt wurde wie Meister Eckart
das seinige ins Deutsche. Aristoteles bestimmt die entelécheia im
Gegensatz zu dynamis in seiner Physikvorlesung …
ich habe es so in Erinnerung, dass die Entelechie die mögliche Verwirklichung, die Energie aber die tatsächliche Verwirklichung ist. Energie wäre dann die prinzipielle Wirksamkeit, wohingegen die Entelechie (als dasjenige, was das Ziel schon in sich trägt) die Form ist, die der Energie gegeben wird, sich zu verwirklichen. Die Umdeutung der Entelechie als reale Energie ist meines Wissens eine neovitalistische Schöpfung (Driesch), die sich eben dadurch vom aristotelischen Begriff unterscheidet.
Dazu gibt es eine Publikation von mir: „kínesis. Improvisationen zu einem
Thema von Aristoteles“ in: „Festschrift für Ullrich Sonnemann“, Kasseler
Philosophische Schriften. (Genauer kann ichs nicht sagen, denn das Buch ist
bereits in irgendeiner von 200 Bücherkisten verschollen *gg*).
Schönen Dank für den Hinweis. Davon müsste ich sogar noch irgendwo eine Kopie haben, aber es ist bei mir mit den Bücherkisten ähnlich .
Ich frage mich aber (du erlaubst den leisen Zweifel), ob deine Interpretation des Bewegungsbegriffes (kinesis) den physischen Aspekt nicht zu sehr in den Vordergrund stellt (und den metaphysischen Aspekt damit verkleinert)? Das wäre doch möglich, zumal du dich auf die Physik beziehst, wo der Begriff naturphilosophisch benutzt wird, wohingegen in der Metaphysik (IX, 6) der Unterschied zwischen Energie und Entelechie betont wird. Dort wird die Energeia als vollendet vom Prozess der Veränderung (kinesis) unterschieden. In der Physik hingeen ist die Kinesis zwar auch der Veränderungsvorgang, wird aber mit „Entelecheia“ bezeichnet.
Mir scheint (mit Vorbehalt) eine Unterscheidung zwischen „energeia“ und „entelecheia“ im metaphysischen Kontext geradezu genau umgekehrt zur Verwendung im physikalischen Kontext zu sein (das müsste man im Einzelnen natürlich prüfen). Bezüglich Meister Eckhart nun scheint mir der metaphysische Kontext näher zu liegen, wobei „dynamis“ als „potentia“ das Vermögen, die Möglichkeit, „energeia“ als „actus“ Verwirklichung, Wirklichkeit im Sinne von Tätigkeit bedeutete, „entelecheia“ hingegen die „vollendete Wirklichkeit“ meint.
Demnach wäre dann die bei Meister Eckhart eher die Realität die Entelechie und die Wirklichkeit die Energie, oder?
Im Lateinischen spielt res u.a. auch in der
juristischen Sprache eine Rolle: von der „beweglichen Sache“
(mit der man z.B. umzieht wie ich gerade *g* es entspricht
insofern einer der Bedeutungen des griech. ousia) bis
zum „Verhandlungsgegenstand“. realitas kann in diesem
Kontext soviel wie „Sachlage“ bedeuten.
Ich habe mich, meine ich, ein bisschen verfranst und komme nicht mehr genau hinter den Sinn - vielleicht aufgrund der Uhrzeit (ich musste das Schreiben mehrfach unterbrechen). Ich wollte wohl mokieren, dass die „res“ = „ousia“ bei Meister Eckhart mir näher an der Energeia als an der Entelecheia liegt, aber so genau weiß ich das jetzt nicht. Aber vielleicht verstehst du mich besser als ich mich selbst, deshalb poste ich schon jetzt, um mich morgen überrascht zu sehen, was ich wieder für einen Blödsinn gedacht habe.
Herzliche Grüße
Thomas
Zusatz für Fritz: Meine Haare liegen also immer noch kraus … *seufz*