Wurde Descartes ermordet ?

Hallo,

vielleicht erinnert sich noch der Eine oder die Andere:
vor ca. 15 Jahren konnte man in philosophischen Rubriken eine kurze
Notiz lesen:
René Descartes sei möglicherweise nicht, wie bisher fest angenommen,
an einer Lungenentzündung (in Stockholm 1650, wo er am Hof der
Königin Christine wirkte) gestorben, sondern dort vergiftet worden,
wahrscheinlich mit Arsen.

Diese Ansicht vertrat, soweit ich mich erinnere, ein Mann namens Dr.
Eike Pies, und zwar aufgrund eines Zufallsfundes. Pies hatte
Ahnenforschung betrieben und war dabei auf einen Brief gestossen, der
vom damaligen Leibarzt der Königin, der auch Descartes behandelt
hatte, an seinen niederländischen Arztkollegen und Freund Willem Pies
gerichtet war und in dessen Nachlass erhalten geblieben ist. Der
Brief ist in lateinischer Sprache abgefasst, und der Leibarzt
beschreibt darin minutiös den Verlauf der Krankheit, die zu
Descartes’ Tod geführt hat. Weil abgehende Briefe von einem
Beauftragten der Königin gelesen wurden, verklausulierte er aber den
Text so, dass nur ein Mediziner ihn so verstehen konnte, dass hier
nicht der typische Verlauf einer Lungenentzündung, sondern der einer
Vergiftung beschrieben ist.

Um diese begründete Vermutung zu klären, schlug Eike Pies damals vor,
einen Splitter vom Knochen des erhaltenen Schädels mit modernen
Methoden auf Spuren von Arsen oder eines anderen damals verfügbaren
Giftes zu untersuchen.

Ich habe seither von der Sache nichts mehr gehört, und in einigen
neueren Descartes-Monographien nichts dazu gefunden: weder eine
Revision der bisherigen Version der Todesumstände noch einen Vermerk,
dass die Pies’sche Vermutung geprüft und als falsch erwiesen wurde.

Hat jemand von Euch da vielleicht etwas mitbekommen ?

fragt
Nescio

unwahrscheinlich
Hallo,

die These von der Vergiftung Descartes’ wird seit dem 17. Jahrhundert immer wieder vertreten, in der Regel handelt es sich aber bei genauer Sichtung der „Belege“ um bloße Hypothesen, die rein spekulativ sind.

Eike Pies, und zwar aufgrund eines Zufallsfundes.

Wenn es in dieser Frage etwas wirklich Neues gegeben hätte, wäre das in der Fachpresse nicht unerwähnt geblieben. In allen mir im Moment zugänglichen Quellen habe ich aber nichts gefunden.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

was wäre wenn…
Hallo,

die These von der Vergiftung Descartes’ wird seit dem 17.
Jahrhundert immer wieder vertreten, in der Regel handelt es
sich aber bei genauer Sichtung der „Belege“ um bloße
Hypothesen, die rein spekulativ sind.

Ich bin in der D.-Biographik nicht so firm, aber ich glaube mich zu
erinnern, dass die erste Biographie erst 30-40 Jahre nach D.s Tod
herauskam und stark tendenziös war. Die Zeiten waren rauh. Der
Galilei-Prozess war noch präsent; D. lebte Jahrzehnte im Exil,
wagte gewiss nicht immer zu schreiben, was er dachte, machte aus
Überlebensnot Konzessionen an die herrschende Ideologie, die noch
heute oft nicht als solche er- bzw. anerkannt werden usw.

Der Verdacht, dass D. ermordet wurde, bekam Nahrung, weil die Königin
Christine zu Zeiten, als D. an ihrem Hof lebte, in einem Prozess der
Konversion zum Katholizismus war – und nach D.s Tod dann auch
konvertierte.

Eike Pies, und zwar aufgrund eines Zufallsfundes.

Wenn es in dieser Frage etwas wirklich Neues gegeben hätte,
wäre das in der Fachpresse nicht unerwähnt geblieben.

Deshalb fragte ich, ob jemand etwas darüber gelesen hat.
Neu war bzw. ist Pies’ These aber, denn er hatte erstmals einen Beleg
und spekulierte nicht nur, und er machte einen Vorschlag, dass man
die These heute prüfen könne, da der Schädel noch existiert und man
ihn mit modernen Methoden auf Arsenspuren untersuchen könnte.

Dass die Fachpresse die These nicht einmal diskutiert haben soll, ist
jedenfalls verwunderlich, scheint aber zu stimmen, da sonst das
Ergebnis in neueren Biographien zumindest als Fussnote vermerkt wäre.

Interessant wäre natürlich die weitergehende Frage:
Was folgte daraus, wenn bewiesen wäre, dass D. vergiftet wurde ?
Wenn das, zumal D. ja einer der ganz Grossen war, in den Augen der
Philosophiehistoriker ernsthafte Konsequenzen auf die
Geschichtsschreibung hätte, wäre darin das Motiv für das Beschweigen
des Themas zu suchen.

Gruss
Nescio

Hallo,

ich habe nochmal nachgeschaut. Das Buch von Pies erschien 1996:
Eike Pies, Der Mordfall Descartes, Solingen 1996.

Eine Rezension findet sich in: Journal Phänomenologie 6 (1996), eine weitere von Vilem Marvan in: Filosofický časopis [Philosophical Journal] 46 (1998), S. 141-144

Hier http://mathforum.org/epigone/math-history-list/walpl…
kann man sich vielleicht noch weiter informieren.

Im Netz gibt es zahlreiche Hinweise, merkwürdigerweise fast ausschließlich in spanischer Sprache.

Der Fall ist auch im Fernsehen diskutiert worden:
http://www.wdr.de/tv/philosophie/archiv/liste96.html (Sendung Nr. 90).

die erste Biographie erst 30-40 Jahre nach D.s Tod herauskam

usw.

Jaja, alles richtig, aber das reicht nur als Unterstützung der These, nicht als Begründung für deren Aufstellung. So wird das Argument von esoterischer Seite auch als Beleg für die Richtigkeit der Ereignisse um Therese von Konnersreuth benutzt (Google).

Dass die Fachpresse die These nicht einmal diskutiert haben soll, ist
jedenfalls verwunderlich, scheint aber zu stimmen, da sonst das
Ergebnis in neueren Biographien zumindest als Fussnote vermerkt wäre.

Ich würde an deiner Stelle auch mal in den neuen Ueberweg-Band hineinsehen: http://www.schwabe.ch/docs/neu97-98/0934-7.htm . Der ist zwar schon 1993 erschienen, aber vielleicht finden sich dort einige Hinweise auf frühere „Beweise“.

Was folgte daraus, wenn bewiesen wäre, dass D. vergiftet wurde?

Eigentlich nur, dass ein weiteres Mal durch falsche Machtanwendung Erkenntnisse unterdrückt werden sollten. Das fände ich nicht sonderlich spektakulär, denn das Motiv wäre ja offensichtlich.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo, Thomas,

ich habe nochmal nachgeschaut. Das Buch von Pies erschien
1996: Eike Pies, Der Mordfall Descartes, Solingen 1996.

Ja, im Descartes-Jahr (400. Geburtstag).
Aber Pies hat, wie dort zu lesen, schon 1985 in einem Fernsehfilm
darüber in mehreren 3. Programmen informiert.
Auch danach, ein Jahrzehnt, offenbar Schweigen der Fachwelt.
Weil er ein „Laie“ ist, ein Ahnenforscher, der zufällig den Fund
getan hat ? Das allein kann’s doch nicht sein.
Lies doch mal selbst den Brief, in dem der Leibarzt Wullen seinem
Kollegen Piso in Holland über D.s Krankheit und Sterben berichtet.
Mir erscheint er zumindest diskussionswürdig.

Jaja, alles richtig, aber das reicht nur als Unterstützung der
These, nicht als Begründung für deren Aufstellung. So wird das
Argument von esoterischer Seite auch als Beleg für die
Richtigkeit der Ereignisse um Therese von Konnersreuth benutzt
(Google).

???
Es wäre doch heute mit „C14“ überprüfbar, ob der Schädel Arsen oder
Blei enthält. So hat man auch die Ermordung des Papstes Clemens II
erst nach fast tausend Jahren beweisen können.
Was hat das mit dem Reserl zu tun ?

Was folgte daraus, wenn bewiesen wäre, dass D. vergiftet wurde?

Eigentlich nur, dass ein weiteres Mal durch falsche
Machtanwendung Erkenntnisse unterdrückt werden sollten. Das
fände ich nicht sonderlich spektakulär, denn das Motiv wäre ja
offensichtlich.

„Nur“ ? Natürlich wäre das nur „ein weiteres Mal“.
Aber ganz so nebensächlich fände ich das nicht.
Wenn die Anfeindungen, denen D. wegen seiner Ideen ausgesetzt war,
höher eingeschätzt würden, könnte man vielleicht manches, was D.
geschrieben hat, etwa in seinen Briefen oder in der „provisorischen
Moral“, anders interpretieren.

Nescio

Hallo Nescio,

Pies hat, wie dort zu lesen, schon 1985 in einem Fernsehfilm
darüber in mehreren 3. Programmen informiert.

dann wäre es wirklich verwunderlich, wenn im neuen Ueberweg nichts davon zumindest erwähnt stünde. Ich komme im Moment nicht zur Universitätsbibliothek, aber wenn ich in der nächsten oder übernächsten Woche dortbin, werde ich mal nachsehen.

Es wäre doch heute mit „C14“ überprüfbar, ob der Schädel Arsen
oder Blei enthält. So hat man auch die Ermordung des Papstes
Clemens II erst nach fast tausend Jahren beweisen können.
Was hat das mit dem Reserl zu tun ?

Eigentlich nichts, nur mit der Methode, die verwendet wird, aber das lassen wir vielleicht doch lieber erstmal außen vor. Ein Nachweis von Blei muss übrigens nicht unbedingt auf ein Verbrechen hindeuten, weil die Hygiene in diesen Zeiten ja bekanntlich nicht besonders ausgeprägt war. Bei Arsen weiß ich das im Moment nicht.

Wenn die Anfeindungen, denen D. wegen seiner Ideen ausgesetzt
war, höher eingeschätzt würden, könnte man vielleicht manches, was
D. geschrieben hat, etwa in seinen Briefen oder in der
„provisorischen Moral“, anders interpretieren.

Das ist nach meines Kenntnis eigentlich in der wesentlichen Sekundärliteratur immer schon mitgedacht worden. Wenn das allerdings nicht der Fall sein sollte, dann wäre es in der Tat schon interessant, da hast du natürlich Recht.

Herzliche Grüße

Thomas Miller