Adorno oder Breton?

Hallo allerseits!

Das Zitat:

„Mit dieser Welt gibt es keine Verständigung. Wir gehören ihr nur in dem Maße an, wie wir uns gegen sie auflehnen“

wird einmal Adorno, dann wieder Breton zugeschrieben, aber mir ist noch nie eine präzise Quellenangabe untergekommen. Ich meine, mal dunkel gehört zu haben, dass die Quellenwirrnis darauf zurückgeht, dass der Spruch von einem Plakat aus lauter Zitaten oder eigens verfaßten Sprüchen stammt, darunter eben auch Sätze von Breton und Adorno…keine Ahnung, ob das stimmt.

Weiß jemand, aus welcher Quelle der Satz ursprünglich stammt?

Danke!
p.

Adorno
Hi Pettibon1.

Der Spruch ist von Adorno, die Quelle ist mir nicht bekannt. Möglicherweise die „Minima moralia“.

http://de.wikipedia.org/wiki/Minima_Moralia

Gruß

Horst

Der Spruch ist von Adorno, die Quelle ist mir nicht bekannt.

Wie kommst du, lieber Horst, denn ohne Quelle darauf, dass der Spruch gewiss von Adorno ist?

Inhaltlich würde er zu Breton genauso gut und genauso wenig passen wie zu Adorno.

Hier:
http://books.google.de/books?id=vJPlMPkegvMC&pg=PA97…

wird davon ausgegangen, dass das Zitat eine Montage von Zitaten Adornos und Bretons ist - was ich persönlich für am wahrscheinlichsten halte.

@ UP: Gewissheit dürftest du nur in der Bibliothek erhalten, denn irgendwo in all diesen Büchern:

http://books.google.de/books?cd=2&q=%22mit+dieser+we…

wird dann doch einmal ein Quelle aufzufinden sein, oder zwei oder drei.

Glaubwürdig scheint auch diese Dissertation als Quelle zu sein, die hier:
http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=972807594&…
schreibt:
Auf einem
Flugblatt mit dem Titel »Suchanzeige«, das man in verschiedenen Universitäten
plakatierte, collagierte man Zitate und Aussagen, die auf die unerträgliche Diskrepanz
von Erkenntnis und Zustand, und damit auf die Dringlichkeit einer Veränderung
hinwiesen. »Mit dieser Welt gibt es keine Verständigung; wir gehören ihr nur in dem
Maße an, wie wir uns gegen sie auflehnen«, stand da ein von André Breton entwendeter
Satz, der sehr gut das Lebensgefühl der Kompromißlosigkeit und Radikalität zum
Ausdruck brachte. Als Verantwortlicher jedoch mußte Th. W. Adorno herhalten, der
prompt Anzeige gegen die Urheber des Flugblatts erstattete.

Also doch nicht Adorno?
Naja :wink:

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

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Na gut, Breton
Hi Candide.

Wie kommst du, lieber Horst, denn ohne Quelle darauf, dass der
Spruch gewiss von Adorno ist?

Die Adorno-Zuschreibung ist im Net so weit verbreitet, dass ich das für bare Münze nahm. Auch der SPIEGEL zitiert 1998 den Spruch als Adorno-Zitat wie folgt:

„Mit dieser Welt gibt es keine Verständigung; wir gehören ihr nur in dem Maße an, wie wir uns gegen sie auflehnen. Alle sind unfrei unter dem Schein, frei zu sein.“

Er erschien im Mai 1964 als Einleitung einer „Suchanzeige“ von Dieter Kunzelmann, der darin Zitate u.a. von Adorno, Horkheimer und Breton mixte. Die unten genannte Quelle, der ich das entnehme, nennt Breton als Urheber, der auch andernorts oft als solcher genannt wird.

Siehe:

http://books.google.de/books?id=vJPlMPkegvMC&pg=PA97…

Dann also Breton, danke für die Korrektur. Wobei die Formulierung allerdings doch ziemlich adornianisch klingt, was wohl Grund für die verbreitete Verwechslung ist.

Möglicherweise findet sich das Original in einem der Surrealistischen Manifeste.

Gruß

Horst

Dann also Breton, danke für die Korrektur.

Nein, Horst, ich weiß es nicht. Ich wollte nur vor vorschneller Festlegung warnen. Man müsst wirklich das Internetz verlassen und ins Biblionetz sich begeben.

Was eine Schande, dass das Digitalisierungsprojekt gescheitert ist. Das ist als würde man heute noch die Kühe mit der Hand melken …

Wobei die
Formulierung allerdings doch ziemlich adornianisch klingt, was
wohl Grund für die verbreitete Verwechslung ist.

klingt aber auch sehr Bretonisch :wink:

Kennst du den Spruch von Foucault (der ja nun wirklich sehr beeinflusst war von den Surrealisten), er hätte sich einen guten Teil seiner Arbeit sparen können, hätte er früher die Frankfurter Schule gelesen? :wink:

Da bestehen also schon Konvergenzen zwischen -furt und -reich.

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Aton oder Bredorno
Hi Candide.

… danke für die Korrektur.

Nein, Horst, ich weiß es nicht. Ich wollte nur vor vorschneller Festlegung warnen.

Deine Bescheidenheit ehrt dich. Dennoch denke ich, dass Breton der Täter ist.

Ich zitiere zur Abrundung folgende Passage, auch wenn sie Adornos Nichtautorschaft nicht wirklich belegt:

http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/Th

„Auf eine Suchanzeige der Gruppe hin (als Plakat 1964 ausgehängt, mit Parolen und Zitaten wie „Mit dieser Welt gibt es keine Verständigung; wir gehören ihr nur in dem Maße an, wie wir uns gegen sie auflehnen“: dokumentiert in Subversive Aktion, S. 147) antwortete Adorno, der auf dem Plakat ohne sein Wissen als Verantwortlicher (mit Anschrift) benannt wurde, mit einer Anzeige. Frank Böckelmann und Dieter Kunzelmann wurden folgerichtig wegen eines Verstoßes gegen das Pressegesetz verurteilt.“

Was eine Schande, dass das Digitalisierungsprojekt gescheitert ist. Das ist als würde man heute noch die Kühe mit der Hand melken …

Der Buchhändler als Cowboy …

Wobei die Formulierung allerdings doch ziemlich adornianisch klingt, was wohl Grund für die verbreitete Verwechslung ist.

klingt aber auch sehr Bretonisch :wink:

Da kann ich nur sagen: „Ar fakturenn, mar plij.“

Kennst du den Spruch von Foucault (der ja nun wirklich sehr beeinflusst war von den Surrealisten), er hätte sich einen guten Teil seiner Arbeit sparen können, hätte er früher die Frankfurter Schule gelesen? :wink:

Kenne ich nicht, aber ich fand raus, dass sich Breton und Adorno so um 1940 in New York kurz kennenlernten, als Breton auf der Flucht vor den Nazis war.

Gruß

Horst

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Ascientia und Bredouille
@ Horst:

klingt aber auch sehr Bretonisch :wink:

Da kann ich nur sagen: „Ar fakturenn, mar plij.“

Hier ist der Urheber klar.
Der Satz stammt von Georges Palante, dem unvergessenen précurseur oublié de la Sociologie de l’individu. Es ist verbürgt, dass er ihn in den Bistros von Saint-Brieuc häufig gebraucht hat.
Näheres bei Louis Guilloux: Le sang noir (auch auf deutsch erschienen).

@ Candide:

Kennst du den Spruch von Foucault (der ja nun wirklich sehr beeinflusst war von den Surrealisten), er hätte sich einen guten Teil seiner Arbeit sparen können, hätte er früher die Frankfurter Schule gelesen?

Kennst du da die Quelle? Interessiert mich.

Nescio

Lieber Nescio!

@ Candide:

Kennst du den Spruch von Foucault (der ja nun wirklich sehr beeinflusst war von den Surrealisten), er hätte sich einen guten Teil seiner Arbeit sparen können, hätte er früher die Frankfurter Schule gelesen?

Kennst du da die Quelle? Interessiert mich.

Ja, in dem Inverview mit Signore Trombadori, das wohl zuerst auf Italienisch veröffentlich worden sein dürfte als „Conversazione con Michel Foucault“, deutsch: „Der Mensch ist ein Erfahrungstier“ bei suhrkamp.
In der englischen Auflage von 1991 „(Remarks on Marx“) findet sich sogar die Seitenzahl:
http://books.google.de/books?cd=1&id=iRkQAQAAIAAJ&dq…
(dieser jämmerliche Schnipsel ist Teil der Passage um die es geht; kannst dich ja bei google books selbst noch ein bißchen rumspielen)

Die Aussage relativiert sich allerdings im Weiterlesen des Interviews auch recht schnell, wenn ich da richtig informiert bin …

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Danke,
Candide, für die Auskunft.

Kennst du den Spruch von Foucault (der ja nun wirklich sehr beeinflusst war von den Surrealisten), er hätte sich einen guten Teil seiner Arbeit sparen können, hätte er früher die Frankfurter Schule gelesen?

Kennst du da die Quelle? Interessiert mich.

Ja…

Dem werde ich mal ein bisschen nachgehen.

Die Aussage relativiert sich allerdings im Weiterlesen des
Interviews auch recht schnell, wenn ich da richtig informiert bin …

Würde mich nicht wundern.
Wäre noch zu klären, welche Schriften er mit „Frankfurter Schule“ meint, und natürlich,
warum er sie nicht gelesen hat.

Nescio

Also…
…WAS ist jetzt Trumpf?!

Adornault?

Brentano, oder?

Nee, Beton!..

Wißt ihr was, ich danke euch allen, und besorg mir die Telefonnummer von Dieter Kunstelmann. Wenns einer weiß, dann doch der (ri) da!

Grüße an alle
p.

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Adresse für Info
Hi pettibon.

Wißt ihr was, ich danke euch allen, und besorg mir die
Telefonnummer von Dieter Kunstelmann. Wenns einer weiß, dann
doch der (ri) da!

Kannst auch bei Kunzelmanns Biografen Aribert Reimann versuchen, an die Info heranzukommen, der ist unter:

[email protected]

zu erreichen.

Gruß

Horst

Reimanns Email-Adresse hat sich geändert, hier die neue:

[email protected]

Seine Homepage:

http://www.wadham.ox.ac.uk/fellows-staff/staff/dr-ar…

Gruß

Horst

Foucault über die Frankfurter Schule
Hi Nescio & Candide.

In „Der Mensch ist ein Erfahrungstier“ (bei Suhrkamp) sagt Foucault im Interview:

„Wenn ich die Verdienste der Philosophen der Frankfurter Schule anerkenne, so tue ich es mit dem schlechten Gewissen von jemandem, der ihre Bücher früher hätte lesen, sie früher hätte verstehen sollen. Hätte ich ihre Bücher gelesen, so hätte ich eine Menge Dinge nicht sagen müssen, und mir wären Irrtümer erspart geblieben. Vielleicht wäre ich, wenn ich die Philosophen dieser Schule in meiner Jugend kennengelernt hätte, von ihnen so begeistert gewesen, daß ich nichts weiter hätte tun können, als sie zu kommentieren.“ (Foucault 1980, 82)

Im Anschluss heißt es dann aber:

„Gewiss gibt es Differenzierungen. Schematisch und vorläufig könnte man behaupten, daß die Konzeption des Subjekts, welche die Frankfurter Schule vertrat, eine ziemlich traditionelle, ihrem Wesen nach philosophische war; sie war weitgehend geprägt vom marxistischen Humanismus. Auf diese Weise erklärt sich ihre spezielle Anknüpfung an bestimmte Freudsche Begriffe, etwa das Verhältnis zwischen Entfremdung und Repression, zwischen Befreiung und der Aufhebung von Entfremdung und Ausbeutung. Ich glaube nicht, daß die Frankfurter Schule zugeben könnte, daß wir nicht unsere verlorene Identität wiederzufinden, unsere gefangene Natur zu befreien, unsere fundamentale Wahrheit herauszustellen haben, sondern vielmehr auf etwas ganz anderes zugehen müssen.“ (ebd. 83)

Gruß

Horst

Danke,
Horst, für die Zitate.

Foucault bleibt allerdings sehr vage, wenn er

„…die Verdienste der Philosophen der Frankfurter Schule…“

anerkennt.
Namen und Jahre wären entscheidend.

Die formidable Einsicht, dass wir

„Ich glaube nicht, daß die
Frankfurter Schule zugeben könnte, daß wir nicht unsere
verlorene Identität wiederzufinden, unsere gefangene Natur zu
befreien, unsere fundamentale Wahrheit herauszustellen haben,
sondern vielmehr auf etwas ganz anderes zugehen müssen."

hat Foucault ihr (nach der Revision um 1940) jedenfalls nicht voraus.

Nescio

Auf was zugehen?
Hi Nescio.

Vielleicht könntest du konkretisieren, was die Frankfurter Schule mit ihrer

… formidable(n) Einsicht, dass

„… wir auf etwas ganz anderes zugehen müssen“

deiner Ansicht nach meint.

Gruß

Horst

steht ja da: auf’s „ganz Andere“
Hallo Horst,

Vielleicht könntest du konkretisieren, was die Frankfurter
Schule mit ihrer

… formidable(n) Einsicht, dass

„… wir auf etwas ganz anderes zugehen müssen“

deiner Ansicht nach meint.

Du kannst aus meiner Formulierung erraten, was ich davon halte: nichts.
Meiner Ansicht nach ist die Rede vom „ganz Anderen“ bei den späten Frankfurtern – in deren „kritischer Theorie“ der 1930er so noch nicht zu vernehmen – und bei anderen Denkern, eben auch bei Foucault, eine Art philosophische Bankrotterklärung. Begründen kann ich meine Ansicht hier jedoch nicht.

Nescio

Das ganz Andere = das Mystische
Hi Nescio.

Meiner Ansicht nach ist die Rede vom „ganz Anderen“ bei den
späten Frankfurtern – in deren „kritischer Theorie“ der 1930er
so noch nicht zu vernehmen – und bei anderen Denkern, eben
auch bei Foucault, eine Art philosophische Bankrotterklärung.

Bei Schnädelbach wird der Ausdruck (gleichgesetzt mit „das Nichtidentische“) so kommentiert:

„Gleichwohl behaupte ich, daß das Nichtidentische bei Adorno kein Begriff ist, sondern nur ein Begriffssymbol: eine Leerstelle für einen Begriff oder (um den von Adorno verachteten Jaspers zu zitieren) eine Chiffre. Der Ausdruck „das Nichtidentische“ ist heute zum magischen Wort geworden, das in zahlreichen Adorno-Paraphrasen meist nur beschwörend gebraucht wird; geradezu expressive Anziehungskkraft gewinnt es dort durch sein begriffliches Ungefähr, das schon bei Adorno selbst vom „A ist nicht A“ über das Ding an sich zum „ganz Anderen“ negativer Theologie reicht. Diesen Bedeutungshof auszuleuchten ist ein Unterfangen, mit dem man sich dem (einmal tödlichen) Vorwurf des Undialektischen aussetzt. Meine These ist: Adornos „Nichtidentisches“ ist eine logische Metapher, deren Faszination auf lauter nichtanalysierten Assoziationen beruht, die sie nahelegt. Will man die Intention retten, für die diese Metapher steht, muß man sie auflösen.“

(aus: H. Schnädelbach, Zur Konstruktion des Rationalen bei Adorno, in ders.: Vernunft und Geschichte, Frankfurt/M. 1987, 183)

Der Hinweis auf die Negative Theologie sagt schon einiges: das Ganze Andere - das ist das Mystische.

Das Adorno expressis verbis sicher nie anzielte. Aber implizit meinte.

Gruß

Horst

Das Andere der Anderen
Hallo Horst,

Meiner Ansicht nach ist die Rede vom „ganz Anderen“ bei den
späten Frankfurtern – in deren „kritischer Theorie“ der 1930er
so noch nicht zu vernehmen – und bei anderen Denkern, eben
auch bei Foucault, eine Art philosophische Bankrotterklärung.

…das Ganze Andere - das ist das Mystische.
Das Adorno expressis verbis sicher nie anzielte. Aber implizit meinte.

Damit liegst du vermutlich richtig.
Die Einen umschreiben es in endlos waberndem Wortschwall,
die Anderen klammern es als „Privatsache“ aus.
Mich persönlich tangiert es nur indirekt, also insofern ich in den
Schriften dieser Leute darauf stosse.
Das Andere=Mystische ist meine Sache nicht (um mal wieder mit
Stirner zu sprechen :wink:; es ist nur Sache der Anderen
(aber deshalb nicht weniger rätselhaft).

Salut
Nescio